Wer bist du?
Vorwort
Eine kleine Geschichte, die ich der lieben Nahmi widme, weil sie sich das Pairing gewünscht hat. Die Idee kam mir spontan beim Hören einen Podcast. Ich wollte es unbedingt irgendwie verwursten und daher gibt es hier ein eher untypisches Setting. Trotzdem hoffe ich, dass es vor allem dir gefällt – auch das Ende.
Triggerwarnungen spreche ich ausnahmsweise mal keine aus, auch wenn die Geschichte gefühlsmäßig wahrscheinlich ordentlich zupackt.
Ich will euch auch gar nicht weiter zutexten, sondern wünsche euch viel Spaß mit der kleinen Story. Natürlich würde ich mich über Feedback und Sternchen freuen. Lasst mich doch gerne wissen, was ihr von dem Verlauf haltet und was ihr über das Ende denkt.
Eure Nick [Hobi]
p.s. Diese Kurzgeschichte enthält tatsächlich nur knapp zwei Stunden von Yoongis Leben. Ich bin ein bisschen stolz auf mich, dass ich es tatsächlich geschafft habe in dieser Zeitspanne zu bleiben und mich zu nichts Weiterem hinreißen lassen habe. :P
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„Ihr Ehemann ist nicht der, für den er sich ausgibt."
Das ist der Satz, der mir seit Tagen durch den Kopf schwirrt und mich nicht mehr loslässt. Allein der Gedanke, dass ich zehn Jahre mit einem Mann verheiratet bin, den ich geglaubt hatte, in- und auswendig zu kennen, schnürt mir die Kehle zu. Wir hatten erst vor knapp zwölf Monaten einen kleinen Jungen, namens Jun, adoptiert und wir hätten nicht glücklicher sein können. Doch dieser eine Moment brachte unsere wundervolle Welt zum Einsturz.
Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Der Fremde hatte vor unserer Haustür gestanden und mir mit den Worten den Boden unter den Füßen weggerissen. Jun hatte geschlafen und mein Mann war auf Geschäftsreise – immer noch.
Ich hatte den Unbekannten vor lauter Überforderung hereingebeten und da hatte er mir in Ruhe, bei einer Tasse Tee, alles erzählt. Mir sogar Beweise dargelegt, die meine Welt zu einem Trugbild verwandelt hatten. Namjoon war nicht der Mann, für den ich ihn jahrelang gehalten hatte.
Meine Finger glitten gedankenverloren durch das dunkelbraune Haar unseres fünfjährigen Sohnes. Er lag mit seinem Kopf auf meinem Schoß und schlief. Wir hatten gemeinsam auf Papa warten wollen, doch Jun war zu müde und hatte den Kampf gegen den Sandmann verloren. Ehrlich gesagt, war ich froh, dass er dieses Aufeinandertreffen nicht mitbekommen würde, und trotzdem brachte ich es nicht übers Herz, ihn nach oben in sein Bett zu bringen, weil ich nicht allein sein wollte.
Yoongi, du bist ein Narr, schalt ich mich selbst und schüttelte leicht meinen Kopf. Jun würde mir nicht helfen können. Der Kleine verstand doch überhaupt nicht, was das alles bedeutete und was auf dem Spiel stand. Ich hoffte, dass Namjoons Gefühle für ihn und mich keine Lüge waren.
Wenn ich daran zurückdachte, wie wir uns vor knapp fünfzehn Jahren kennenlernten, wurde mir warm ums Herz. Ich erinnerte mich, als wäre es erst gestern gewesen, denn Namjoon hatte von Anfang an einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Ich war 18 und hatte auf der Wiese im Park gesessen, wo ich ein Buch gelesen hatte. Es war so fesselnd, dass ich gar nicht mitbekommen hatte, wie sich jemand neben mich sinken lassen und mich schweigend beobachtet hatte. Erst als er mir ein Blatt, welches in meine Haare gefallen war, aus diesen fischte, realisierte ich ihn. Es war Liebe auf den ersten Blick. Zumindest hatte ich das damals so empfunden. Die hinreißenden Grübchen und das zarte Lächeln, hatte mich sofort in seinen Bann gezogen. Dazu dieser warme Ausdruck, der in seinen Augen lag. Das Strahlen des schokoladigen Brauns. Es war umwerfend. Er entsprach genau meinem Typ und doch hatte ich versucht, uninteressiert zu wirken. Heute glaubte ich, dass er mich direkt durchschaut hatte. Denn nachdem ich seine Hand weggeschlagen hatte, fuhr er sich mit einem herzlichen Lachen durch seine dunklen Locken, die wild auf seinem Kopf lagen und von dem Wind immer mehr durcheinandergebracht wurden.
Er hatte sich mir als ‚Kim Namjoon' vorgestellt und obwohl ich ihn versuchte zu ignorieren, sprach er immer weiter. Er erzählte mir von seiner Lieblingsfarbe, seinem Lieblingsbuch und so vielem mehr, dass mir nach einigen Minuten der Kragen platzte und ich ihn fragte, was er von mir wollte.
„Deine Aufmerksamkeit", hatte er mit einem Lächeln geantwortet. In dem Moment schien er so glücklich zu sein, dass ich ihn nicht länger hatte ignorieren können und wir unseren ersten und somit schönsten Nachmittag miteinander verbrachten.
Ich konnte nicht glauben, dass das alles nicht real sein sollte. Dass das Ganze nur gespielt sein sollte. Aus welchem Grund? Was hatte er gewollt? Mein Geld? Meinen Status? Aber warum hatte er sich dann diesen Stress mit meinen Eltern angetan, die alles andere als überzeugt von Namjoon gewesen waren? Sie waren überhaupt nicht davon begeistert gewesen, dass ihr einziger Sohn schwul war und von einem Mann begehrt wurde. Und trotzdem hatten sie am Ende ihren Segen gegeben, wie auch immer er das angestellt hatte. Damals war ich der glücklichste Mensch auf Erden gewesen, nachdem er sich vor mich niedergekniet und um meine Hand angehalten hatte.
Die Gründe für sein Handeln kannte ich nicht und Taehyung, der Fremde und Namjoons leiblicher Bruder, hatte mir darauf keine richtige Antwort geben können. Im Endeffekt war die Devise ihn zu fragen, obwohl mir Taehyung keine große Hoffnung gemacht hatte. Er hatte mir erzählt, dass Namjoon schon immer eigensinnig war und sich nur ungern in die Karten schauen ließ. Er war mit sechzehn von zu Hause abgehauen und von da an, hatte sein Bruder ihn nie wieder gesehen. Namjoon war es satt gewesen, arm zu sein. Nicht die Mittel zu besitzen, um erfolgreich zu werden. Namjoon war zielstrebig, das wusste ich und er war perfektionistisch, ein Charmeur und fand immer die richtigen Worte. Er wusste genau, welche Knöpfe er drücken musste, damit ich weich wie Butter in seinen Armen wurde.
Verdammt! Reiß dich zusammen, Yoongi!, fuhr ich mich gedanklich an und räusperte mich leise. Ich sollte aufhören an seine geschickten Finger oder seine Zunge – oh mein Gott. Er konnte damit unglaubliche Wunder vollbringen und mich –
Stopp! Hör auf! Ich schlug mir gegen den Kopf und presste meine Lippen so fest aufeinander, dass es schon wehtat. Namjoon hatte sich wahrhaftig so tief in mein Bewusstsein gefressen, dass ich nicht in der Lage war ihm zu widerstehen. Gab es für mich überhaupt eine Möglichkeit, von ihm die Wahrheit zu erfahren? Nun. Diese Frage konnte mir nur er beantworten.
Die Warterei machte mich wahnsinnig. Wieso hatte dieser Kerl auftauchen müssen und warum war mein Mann ständig auf Geschäftsreise? Gut. Ich wusste die Antwort. Er war in das Unternehmen meines Vaters eingestiegen und visierte seinen Posten an. Den, welcher mir zugedacht war, aber ich nicht haben wollte, da ich kein Interesse an diesem bescheuerten Beruf hatte. Mein Wunsch war stattdessen Menschen zu helfen, weswegen ich vor einigen Jahren, mit dem Geld meiner Familie, eine Stiftung gegründet hatte und dort mein ganzes Herzblut hineinsteckte. Mein Mann unterstützte mich, wo er konnte, und bewies mir somit täglich, dass ich mich richtig entschieden hatte. Es war völlig irrational, doch die Beweise waren eindeutig. Sie lagen jetzt, zusammengerauft in einer Kladde, auf dem Wohnzimmertisch und warteten darauf, von mir ausgebreitet zu werden.
Ein leises Seufzen verließ meine Kehle, als mein Blick auf Juns Gesicht fiel. Er sah so friedlich aus. Jun hatte sich so auf die Rückkehr seines Vaters gefreut, dass es mir enorm schwerfiel, diesen Frieden und die Glückseligkeit zu zerstören, aber ich ertrug diese Ungewissheit nicht. Wie sollte ich mich ihm gegenüber verhalten, wenn ich wusste, dass etwas gewaltig nicht stimmte.
In dem Moment, wo ich mich dazu entschloss Jun nach oben in sein Bett zu bringen, stockte ich, da ich hörte, wie jemand die Haustür aufschloss. Es kratzte etwas, dann klirrte es und die Tür wurde mit einem leisen Quietschen geöffnet. Schweiß stand mir auf der Stirn und mein Griff um Jun verfestigte sich. Die Angst war auf einmal so präsent, dass ich die Luft anhielt.
„Memo an mich selbst – Tür ölen", hörte ich die dunkle Stimme meines Mannes, der die Haustür wieder zuschob und abschloss. Ich vernahm ein Knistern und dann polterte etwas. Vermutlich war er, wie so oft, über die Fußleiste gestolpert.
„Verfluchte Scheiße", hörte ich ihn fluchen, was mir ein leichtes Lächeln auf die Lippen zauberte. Wie sollte dieser Mann, der so fürsorglich und ehrlich war, das alles vorspielen? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Das entzog sich meinem Verständnis.
„Memo an mich selbst – doofe Fußleiste schon wieder reparieren", sagte er jetzt und ein Rascheln folgte. Kurz darauf erhellte sich der Flur und das Schlurfen seiner Hausschuhe auf dem Holzfußboden wurde überdeutlich. Namjoon hob nie die Füße. Es war ein Wunder, dass er nicht über jede Kante in unserem Haus fiel.
Ich schüttelte den Kopf und zog Jun fester an mich heran. Die Angst, dass ich all das hier verlieren würde, war übermächtig und doch führte kein Weg an der Konfrontation vorbei. Ich würde nicht mit solch einer Lüge leben.
„Yoongi? Warum sitzt du denn im Dunklen?", drang Namjoons Stimme an meine Ohren. Er klang so überrascht und doch hörte ich das Lächeln in seinen Worten. Es schnürte mir die Kehle zu und mein Herz spielte völlig verrückt, während ich mich mit Jun auf dem Arm erhob.
„Jun wollte dich überraschen ... aber er ist eingeschlafen. Ich bringe ihn eben nach oben." Ich drehte mich nicht zu ihm um, sondern verließ das geräumige Wohnzimmer schon fast fluchtartig. Dass Namjoon mich dabei an der Schulter berührte und aufhalten wollte, überging ich. Stattdessen eilte ich die Treppen hinauf, presste Jun an mich und unterdrückte den Drang loszuheulen.
Wer war der Mann, den ich vor fast zehn Jahren geheiratet hatte?
Diese Fragen allein beherrschten meine Gedanken. Ich hatte absolut keine Ahnung, wie ich es geschafft hatte, die letzten Tage so produktiv zu sein. Vermutlich war es die Ablenkung, die ich zu jeder erdenklichen Zeit gesucht hatte. So auch jetzt, denn ich legte Jun vorsichtig in sein Bett. Ich griff nach seinem Lieblingsbuch und setzte mich, um ihm vorzulesen, obwohl er tief und fest schlief. Es war bescheuert, aber es half, mich zu beruhigen.
Als ich bereit dazu war, drückte ich Jun einen Kuss auf die Stirn und verließ das Zimmer. Die Tür ließ ich angelehnt und trat langsam die schnöde Holztreppe herunter. Ich hielt das Geländer fest mit meinen Fingern umschlossen und setzte einen Fuß vor den anderen. Jetzt wurde es ernst. Wie würde Namjoon auf die Anschuldigungen reagieren und war ich bereit für die Wahrheit?
Mein Blick fiel auf meinen Ehemann, der auf der Ledercouch saß und seine Post durchging, die in der letzten Zeit für ihn reingeflattert war. Er hatte das Ledersofa damals ausgesucht und mich mit seinen gut gewählten Worten dazu überredet, dieses schwarze Monstrum zu kaufen. Jetzt im Nachhinein, war ich dankbar dafür, denn sie diente als Spielplatz für Jun. Namjoon und er tobten gerne auf den großen Sitzflächen und Lehnen herum, sprangen darüber oder balancierten darauf. Sie waren elende Kindsköpfe und bereiteten mir einen Herzkasper nach dem anderen.
Namjoons Silhouette wirkte wegen der indirekten Beleuchtung der großen Wohnlandschaft, wie ein erhabener Engel. Sanfte Klänge klassischer Musik lockerten die Szenerie auf. Es war so vertraut, dass alles in Ordnung schien.
Ich bevorzugte die Ruhe, wenn ich mir über etwas den Kopf zerbrach. Namjoon hingegen brauchte die musikalische Untermalung. Er sagte immer, er fühle sich in der Dunkelheit und Stille nicht wohl. War das ein Indiz darauf, dass er mir Gravierendes verheimlichte? Namjoon hatte nie groß über seine Vergangenheit gesprochen. Stattdessen hatte er gesagt, dass es nichts zu erzählen gab. Seine Eltern seien tot, Geschwister habe er keine. Ich hatte es akzeptiert und so hingenommen, doch das stellte sich jetzt als Fehler heraus.
Ein leises Seufzen verließ meine Kehle. Daraufhin drehte er seinen Kopf zu mir herum und zog sich die Brille von der Nase.
„Was ist denn los mit dir? Du benimmst dich schon seit einigen Tagen total seltsam. Ist irgendetwas passiert? Ist etwas mit Jun?", fragte Namjoon und ich hörte die Sorge deutlich aus seiner Stimme heraus. Es durfte nicht alles nur gespielt sein. Wie perfide wäre das bitte? So klammerte ich mich an den winzigen Strohhalm, der sich Hoffnung schimpfte.
„Dein Bruder war hier", murmelte ich.
„Bruder?" Die Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben.
„Ich habe keinen Bruder, das weißt du doch Yoongi", fügte er mit an und streckte seine Hand nach mir aus. Ich zögerte, nahm sie dann aber und ließ mich auf die Couch ziehen.
„Ja, das habe ich auch gedacht, aber dann hat er mir die Unterlagen gezeigt. Kinder und Babyfotos von dir ..." Ich stockte, griff nach der Kladde und drückte sie ihm in die Hand. Mein Blick lag auf seinem Gesicht. Er schob sich seine Brille wieder auf die Nase und öffnete die Mappe. Sein Ausdruck nahm eine merkwürdige Form an. Eine, die ich bisher nie an ihm gesehen hatte. War das noch mein Namjoon?
„Wer bist du?", fragte ich leise. Vorsichtig legte ich meine Hand auf seine, die über das Familienfoto strich.
„Wo hast du das alles her?", kam es kaum hörbar von meinem Mann.
„Von deinem Bruder – Taehyung. Er sagte, dass er dich seit etlichen Jahren schon sucht, weil er dich vermisst. Ist es wahr? Ist er dein Bruder?", fragte ich. Die Angst nahm mir fast die Luft zum Atmen.
„Ja, aber das bin ich nicht mehr", war die knappe Antwort. Sie sorgte dafür, dass ich von seiner Hand abließ und meinen Blick senkte. Hatten wir unsere Ehe auf einem Lügenkonstrukt aufgebaut?
Diese Frage riss mir den Boden unter den Füßen weg. Es war surreal. Wie hatte ich mich derart täuschen lassen? Behielt mein Vater am Ende recht? All seine blöden Sprüche, von wegen, dass er nur hinter unserem Geld und meiner Stellung her wäre. War es das, was er begehrte? Oder war da mehr?
„Liebst du mich?" Es war nur ein Hauchen. Aber er hatte mich verstanden, denn er griff nach meiner Hand und Wange. Sanft übte er Druck aus, sodass ich gezwungen war, ihn anzusehen. Seine dunkelbraunen Augen versprühten so viel Wärme, dass ich verloren gegen ihn sank.
„Das hier ist jetzt mein Leben und ich will es genau so führen und nicht anders." Seine Worte waren so sanft und wohltuend. Ich wollte es dabei belassen, die Vorkommnisse vergessen. Keine Sekunde später lag ich in seinen Armen. Die Mappe und Taehyung waren verdrängt. Seine himmlische Wärme lullte mich ein und unsere Lippen bewegten sich voller Sehnsucht gegeneinander. So sollte es sein und nicht anders. Doch das war nur ein Trugschluss. Ein verdammter Irrglaube, dem ich zum Opfer gefallen war.
Trotzdem saß ich breitbeinig auf seinem Schoß, unsere Leiber fest aneinandergepresst und meine Arme um seine Schultern gelegt, ihn küssend. Blind fischte ich ihm die Brille von der Nase, ließ sie neben uns auf die Couch fallen und schob meine Finger in sein fünf Zentimeter langes schwarzes Haar. Ich krallte mich hinein und wollte ihn nicht wieder loslassen. Ein ungutes Gefühl in meinem Bauch verklickerte mir unaufhörlich, dass ich nicht so blauäugig sein sollte.
Ich riss mich schwer atmend von Namjoon los und entdeckte das zufriedene Lächeln auf seinen Lippen. Gesehen hatte ich es schon öfter, war nur nicht sicher, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war.
„Wer bist du?", fragte ich erneut. Blöd nur, dass Namjoon Erfahrung darin hatte, mich zum Schweigen zu bringen. Dadurch war es schwer, konsequent zu bleiben.
„Ein Junge mit großen Träumen", antwortete er und legte dabei seine Hand an meine Wange. Sanft streichelte er meine Haut und ich schmiegte mich gegen die Berührung.
„Und ich war dein Sprungbrett?"
„Du warst perfekt, für das, was ich erreichen wollte, und ich will damit nicht aufhören", entgegnete er mir, während wir uns ansahen. Ich sah weder Reue noch Angst in seinen Augen, nur das Verlangen nach mehr, was mich schwer schlucken ließ.
„Liebst du Jun und mich?" Vermutlich würde ich wieder eine ausweichende Antwort bekommen, aber ich musste es wissen und so löste ich den Blick nicht von ihm. Er war gelassen wie immer und seine Finger glitten unaufhörlich über meine Wange.
„Ich liebe mein Leben", antwortete er und strich über meine Unterlippe, „und ihr seid ein großer Teil davon."
Mein Herz hörte gefühlt auf zu schlagen, als ich diese Worte aus seinem Mund vernahm. Es klang wie ein nötiges Übel. Etwas, was dazugehörte und man eben in Kauf nahm, wenn man den Erfolg suchte.
„Warum tust du das?", fragte ich leise, mit brüchiger Stimme. Es schmerzte tief in meiner Brust. Was sollte ich machen? Wollte ich so jemanden als Ehemann an meiner Seite haben?
„Weil ich nicht wusste, wie ich es sonst bekommen konnte. Es war so einfach Menschen vorzugaukeln jemand besonderes zu sein. Ich bin immer weiter gegangen. Wollte mehr und dann habe ich dich mit deinem Vater im Fernseher gesehen. Ich wollte er sein. So mächtig. So stolz. So beliebt. Es war perfekt", erklärte er so monoton, dass ich den Eindruck gewann, er besäße keine Empathie. Es war gruselig und doch sah ich die Emotionen in seinem Blick. Die Gier. Das Verlangen. Die Angst. Es war alles dort.
„Und dann hast du mich studiert, um dich an mich heranzumachen?", fragte ich und er nickte. Seine Hand fiel von meiner Wange ab und ruhte jetzt auf meinem Oberschenkel, bewegte sich nicht.
„Also ist das alles ... dein ganzes Leben, eine reine Lüge?"
Wieder nickte Namjoon.
Ich stand fluchtartig auf und entfernte mich von der Couch, stolpernd und mit polterndem Herzen. Leicht schüttelte ich den Kopf. War das alles wirklich wahr? Unsere ganze Ehe, eine Lüge? Sie war von Habgier zerfressen und ich hatte es nicht bemerkt?
„Ich will, dass du gehst", entkam es meiner trockenen Kehle. Es wurde Zeit, dem einen Riegel vorzuschieben. Es beenden, bevor es zu spät war.
„Yoongi?" Es kam Bewegung in den Körper meines Mannes. Er würde alles versuchen, um das, was er sich hier mit mir aufgebaut hatte, nicht zu verlieren. Wie weit würde er gehen, um all das nicht aufgeben zu müssen?
„Nein! Namjoon ... ich möchte, dass du darüber nachdenkst, was dir dieses Leben wert ist. Bin Jun und ich, dein Job, das, was du willst?", fragte ich und sah ihn fest an. „Wenn ja, dann lass mich dein wahres Ich kennenlernen. Nicht den Mann, den du seit fünfzehn Jahren spielst. Habe ich das nicht verdient, dafür, dass du dich auf meine Kosten bereichert hast, hm?"
„Du willst mein wahres Ich kennenlernen?", fragte Namjoon überrascht und ich nickte.
„Ja. Mit allem, was dazu gehört und deswegen verlässt du jetzt mein Haus. Erst wenn ich dir wieder vertrauen kann, darfst du zu uns zurückkommen", erklärte ich ihm und sah das Entsetzen in seinem Gesicht.
„Aber ... was ist mit Jun?", kam es von ihm mit brüchiger Stimme.
War ich zu weit gegangen? Tat ich ihm Unrecht? Unschlüssig ging ich ein paar Schritte auf ihn zu, ehe ich in meiner Bewegung stoppte und den Blickkontakt zu ihm suchte.
„Wenn ich mit ihm gesprochen habe, werde ich dich darüber informieren." Zu diesem Zeitpunkt war ich mir nicht sicher, wie ich das handhaben sollte. Die Beziehung zwischen den beiden war innig, trotzdem unternahm ich diesen Schritt, ansonsten würde ich kaputtgehen.
„Okay ... darf ich mich von ihm verabschieden?", fragte Namjoon, woraufhin ich geschafft nickte und ihm nachsah. Sobald er aus meinem Sichtfeld verschwand, sackte ich kraftlos auf den Boden und presste mir meine Hand gegen den Mund, um das aufkommende Schluchzen zu unterdrücken. Ich konnte und durfte nicht zusammenbrechen, damit wirkte ich unglaubwürdig. Es fiel mir unsagbar schwer, meine Gefühle im Zaum zu halten, weswegen ich mir diesen Moment der Schwäche gewährte.
Es dauerte Minuten, bis ich mich wieder unter Kontrolle hatte und ebenfalls hinaufging, um mir im Bad das Gesicht zu waschen. Es war zwecklos, die Spuren zu vertuschen, aber das kühle Nass auf meiner Haut ließ mich besser fühlen. Zumindest ein bisschen. Ich gab mir einen letzten Ruck und verließ das Bad. Vielleicht war Namjoon in der Zwischenzeit gegangen. Dieser Wunsch löste sich sofort in Luft auf, als ich einen Blick in Juns Zimmer warf. Dort kniete er vor seinem Bettchen, hielt seine Hand mit beiden fest umschlossen und drückte sie sich gegen die Brust. Sein Kopf war gesenkt und seine Augen geschlossen.
Sofort hatte sich wieder ein dicker Kloß in meinem Hals gebildet und ich lehnte mich an den Türrahmen, der mir als Stütze diente. Meine Finger bohrten sich in den Stoff meines Hemdes und drückten gegen meine Brust. Es schmerzte, ihn in dieser Position zu sehen. Ich wollte mich am liebsten von dem Holz lösen und in unser Schlafzimmer flüchten. Doch ich erstarrte, sobald Namjoon seine Stimme erhob und leise zu Jun sprach.
„Es tut mir leid." Der Klang seiner tiefen Stimme ging mir unter die Haut und verdeutlichte, wie ernst er es meinen musste.
„ ... ich habe nie gewollt, dass dieser ganze Mist herauskommt. Und jetzt? ... warum musste dieser Idiot nach mir suchen? Ich möchte euch nicht verlieren, aber das wird unweigerlich passieren, wenn dein Papi mich nicht mehr mag ..." Namjoon brach ab, hob seinen Blick und sah auf unseren Sohn, der friedlich schlief. Eine Hand löste sich von Juns und legte sich an seine Wange, wo sie über die weiche Haut strich.
„Weißt du? Am Anfang ... da habe ich nur das Geld und den Erfolg gesehen. Das war genau das, was ich mir gewünscht habe. Ich wollte nicht länger ein Niemand sein. Ein Junge, der von seinen Eltern ausgebeutet wurde und deswegen nie die Möglichkeit hatte, seine Träume zu verwirklichen. Ich habe es für deinen Onkel gemacht, damit er ein unbeschwertes Leben haben würde, aber ich habe es nicht mehr ausgehalten. Ich war ein Feigling. Ich habe für mich keine Zukunft gesehen ... so wollte ich nicht enden. Die Flucht war meine einzige Chance", erzählte er mit leiser Stimme, stockte einen Augenblick, ehe er weitersprach: „Mach nicht denselben Fehler. Hör auf deinen Papi und sei ein guter Junge. Mach deinen Papa stolz."
Zutiefst gerührt zog ich mich in den Flur zurück, um mich dort unbemerkt gegen die Wand zu pressen. Ich brauchte einen Augenblick, bis die gesagten Worte bei mir angekommen waren. Mein Herz wog schwer in meiner Brust und das, obwohl mir Taehyung von den Umständen ihrer Familie erzählt hatte. Allerdings hatte er nie erwähnt, wie hart es für Namjoon hatte sein müssen. Vielleicht wusste er es nicht.
„Ich hoffe, dass wir uns bald wiedersehen. Dein Papi wird die richtigen Entscheidungen treffen. Darauf müssen wir jetzt vertrauen ... hm, Kumpel? Das wird schon."
Es klang nach einem Abschied auf unbestimmte Zeit, so als würde er nicht daran glauben, dass ich ihm eine Chance geben würde, das alles zu erklären. Mein Ehemann sollte mich besser kennen. Gut. Ich war nicht perfekt und oft verschlossen. Trotzdem hatte ich geglaubt, dass Namjoon wusste, dass ich jedes Wort meinte, wie ich es aussprach. Oder hatte seine Negativität einen anderen Ursprung? Steckte hinter der ganzen Geschichte womöglich mehr? Geschehnisse, von denen ich nichts ahnte? Hatte er Angst davor, dass ich ihn nicht mögen würde?
Schon wieder so viele Fragen, auf die ich keine Antworten hatte. Das machte mich wahnsinnig, weswegen ich mich dazu entschloss, nicht weiter zu lauschen, und in unser Schlafzimmer ging. Dort angekommen, ließ ich mich auf unserem Boxspringbett sinken und nach hinten fallen. Ich starrte an die Decke und folgte meinen wirren Gedanken.
Wenn ich ehrlich war, hatte ich nicht damit gerechnet, dass Namjoon zugeben würde, dass die Anschuldigungen alle wahr waren. Taehyung hatte mir eher den Eindruck vermittelt, dass er unberechenbar sei und sich nicht in die Karten schauen lassen würde. Es war genau das Gegenteil eingetroffen. Die Aufrichtigkeit, die er mir entgegengebracht hatte, war brutal, aber sie gab mir Hoffnung. Wir mussten nur den richtigen Weg finden, um all diese unausgesprochenen Dinge aufzuarbeiten.
„Bist du sauer?", riss er mich aus meinen Gedanken. Hastig hievte ich mich auf meine Arme und starrte meinen Ehemann an, der direkt vor mir stand.
„Nein ... ich bin enttäuscht, dass du mir nie von dir aus die Wahrheit erzählt hast."
„Hätte es denn einen Unterschied gemacht?", erwiderte er sofort und entlockte mir ein Seufzen, samt Schulterzucken, was ihn dazu brachte, weiterzusprechen: „Ich hatte gehofft, dass es niemals eine Rolle spielen würde und ich dieses Leben glücklich mit euch verbringen könnte."
„Bist du das denn?", wollte ich wissen.
„Ja! Ihr seid mein Zuhause. Meine Familie. Mein echtes Leben. Ich will nicht mehr Namhyung sein. Er ist vor 17 Jahren gestorben", antwortete er.
„Ich weiß, dass du einen lückenlosen Lebenslauf hast. Mein Vater hat dich überprüfen lassen. Woher kommt der Name Namjoon?", fragte ich, mit Angst vor der Antwort. Genauso wie damals, wo mein Vater mir davon berichtet hatte. Aber Namjoons Akte war sauber gewesen. Ein angesehener amerikanischer Bürger, der früh seine Eltern verloren und geerbt hatte. Das Geld hatte er in sein Studium gesteckt und hatte demzufolge die nötigen Skills, die meine Eltern überzeugt hatten.
„Die Identität wurde mir geschenkt. Beziehungsweise haben wir sie getauscht. Er hat mein Leben übernommen und ich seins."
Überrascht richtete ich mich in eine sitzende Position auf und starrte ihn fassungslos an. War das sein Ernst?
„Er ist sterbenskrank und er hatte den Wunsch, die Welt zu bereisen. Das war ihm als Namjoon nicht möglich, deswegen haben wir getauscht. Ich weiß nicht, ob er noch lebt, oder an seiner Krankheit verstorben ist. Wir wollten den Kontakt nicht halten, damit niemand die Verbindung ziehen kann. Ich habe aufgrund dessen keine Ahnung, wie Taehyung mich gefunden hat", fügte Namjoon seiner Erklärung hinzu.
„Okay ..." Mehr sagte ich nicht, da ich keine Worte dafür fand. Ich war mit der ganzen Situation überfordert.
„Du möchtest trotzdem, dass ich gehe?", warf er die unausweichliche Frage in den Raum, die mich schwer schlucken ließ. Wollte ich das?
„Ja ... ich denke, dass es besser ist, wenn wir uns Zeit nehmen, um das alles sacken zu lassen."
„Das verstehe ich", stimmte Namjoon mir zu und ging im nächsten Augenblick vor mir auf die Knie. Er nahm meine Hände in seine und sah mich an. Deutlich spürte ich seine Daumen über meine Handrücken reiben, und mein Herz, welches aufgeregt gegen meinen Brustkorb hämmerte. Sein warmherziger Blick lag auf mir und ließ mich langsam dahinschmelzen. Ich hatte diesen Augen nie widerstehen können.
„Yoongi?", hauchte er.
„Hm?", erwiderte ich und befeuchtete meine trockenen Lippen.
„Danke."
Überrascht starrte ich ihn an, konnte allerdings nichts darauf erwidern. Immer noch wie gelähmt, sah ich auf die Stelle, an der er gehockt hatte, und nahm am Rande wahr, wie er seinen Koffer hervorholte und Klamotten darin verstaute. Er würde meinen Wunsch Folge leisten und mir Zeit geben.
„Ich werde dich anrufen, wenn ich für ein Treffen bereit bin ... und wegen meiner Eltern ... sie werden es nicht erfahren", brachte ich nach einer ganzen Weile des Schweigens hervor.
„Okay. Danke, Yoongi."
Es waren die letzten Worte, die wir gewechselt hatten, ehe ich unser Schlafzimmer verließ und nach unten verschwand. Ich fühlte mich wie ferngesteuert, wie in den vorherigen Tagen. Ich hatte funktionieren müssen. Heute nicht, weswegen es sich eher wie der Gang zum Schafott anfühlte. Es war merkwürdig und der Grund, warum ich aus meiner Jackentasche eine Packung Zigaretten holte. Diese hatte ich mir erst gekauft und begab mich damit auf unsere geräumige Terrasse. Draußen war es stockdunkel, es gab lediglich ein paar solarbetriebene Lichter, die an dem Übergang von den Marmorplatten zu der riesigen Rasenfläche schwache Beleuchtung spendeten. Das reichte mir. Ich ließ mich auf einen der gemütlichen Korbsessel fallen und schob eine der Kippen zwischen meine Lippen. Wie automatisiert, steckte ich sie mir an und inhalierte den Giftstoff, den ich kurz darauf gegen den Himmel wieder ausstieß.
Nicht einmal zwei Stunden waren vergangen, seitdem Namjoon nach Hause gekommen war und mit seinen Aussagen unser ganzes Leben auf den Kopf gestellt hatte. Ich war leer, buchstäblich verloren. Alles musste ich infrage stellen und ich wusste nicht, ob es jemals wieder sein würde, wie es einst war. Konnte ich ihm noch ein Wort glauben? Ihm erneut vertrauen?
Ich war müde und dennoch würde ich kein Auge zu bekommen. Die ganze Situation machte mich fertig, vor allem traurig. Niemals hätte ich erwartet, dass mir so etwas passieren würde, obwohl mein Vater mich stets gewarnt hatte. Keiner aus unseren Kreisen war vor Hochstaplern sicher. Wie hätte ich das bemerken sollen? Er hatte nie irgendwelche Anzeichen gezeigt und nachdem mein Vater ihn überprüfen lassen hatte, war die Option nie wieder zur Sprache gekommen. Namjoon war der perfekte Ehemann. Zuverlässig, hingebungsvoll, engagiert, kompromissbereit, gebildet, oft verpeilt und tollpatschig. Wir ergänzten uns und unser Leben verlief bisher harmonisch. Wir hatten uns ein paarmal gestritten. Namjoon hatte zum Beispiel keine Kinder gewollt, aber am Ende hat er meinem Wunsch zugestimmt. Sobald wir Jun das erste Mal gesehen hatten, waren seine Bedenken fort.
Ich wollte, das alles nicht aufgeben und dafür würde ich kämpfen. Wir würden das wieder hinbekommen. Gemeinsam.
„Papi?"
Erschrocken hob ich meinen Blick und sah auf den Jungen, der mit seinem großen Teddybären im Arm vor mir stand und mich aus seinen müden Augen ansah. Sofort drückte ich die Zigarette in dem Aschenbecher aus und blies den Rauch von ihm weg. Ich hob Jun auf meinen Schoß und zog ihn an mich.
„Wo ist Papa?", fragte Jun und sorgte dafür, dass mir wieder schwer ums Herz wurde.
„Papa wird uns für eine Weile verlassen ... Er ..." Ich brach ab, schloss meine Augen und überlegte fieberhaft, wie ich diese Nachricht kindgerecht verpackte.
„Hat er uns nicht mehr lieb?"
„Doch ... doch, er hat uns ganz dolle lieb", sagte ich flink und strich dem Kleinen liebevoll durch sein zerzaustes Haar, „Er hat Papi angelogen ... und wir geben uns etwas Zeit, um in Ruhe darüber zu reden ... es wird alles wieder gut."
„Aber Papi, Lügen darf man doch nicht, oder?"
„Ja. Papa wird das wiedergutmachen und dann zurück nach Hause kommen", erklärte ich ihm und drückte ihm einen Kuss auf den Schopf.
„Okay. Muss ich auch böse mit Papa sein?"
„Nein ... nein, mein Schatz. Du darfst deinen Papa liebhaben. So wie er dich." Es brach mir das Herz, meinen Sohn so etwas sagen zu hören.
„Ich vermisse Papa", wimmerte Jun, drückte sich fest gegen meine Brust und seine Fingerchen krallten sich in mein Hemd.
„Ja, ich auch", murmelte ich und zog Jun eng an mich, ehe ich mich mit ihm auf dem Arm erhob, „Lass uns schlafen gehen."
Ich zögerte nicht und verließ mit ihm unseren Garten, schloss die Tür hinter mir und schaltete überall das Licht aus. Oben angekommen, legten wir uns gemeinsam in sein Bett. Es war mir egal, dass ich meine Klamotten vom Tag trug, weil ich Jun nicht allein lassen wollte. Ich brauchte ihn, genauso wie er mich. Wir kuschelten uns unter die Decke und versuchten, ein wenig Schlaf zu finden.
Ich fand ihn nicht, aber ich fühlte mich bei meinem Sohn deutlich wohler als in meinem leeren Bett. Wir mussten jetzt stark bleiben und das funktionierte am besten, wenn wir uns gegenseitig den notwendigen Halt gaben. Der Rest kam von allein und dann wird alles wieder gut werden. Namjoon würde zu uns zurückkehren und wir könnten dort weitermachen, wo wir aufgehört hatten. Das war mein Ziel und ich würde meine gesamte Kraft daransetzen, es zu erreichen.
*•.¸♡.。.:* ☆:**:. Ende .:**:.☆*.:。.♡¸.•*
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