Helms Klamm
Konzentriert löse ich das Seil, das mit einem viel zu komplizierten Knoten an einem Pfahl befestigt wurde. Schneefall ist so gar nicht damit einverstanden, den saftigen Rasen hinter sich zu lassen. Mit angelegten Ohren zickt er mich an, bockt und verfehlt den armen Stallburschen nur um Zentimeter.
Mit einem unmissverständlichen ruckeln an den Zügeln, zerre ich den widerwilligen Hengst zu den anderen Reitern.
Seit mehr als 10 Jahren bin ich nun unterwegs in Mittelerde. Eine Zeit lang ritt ich einfach nur ziellos umher, die Landschaft verzauberte mich und ich vergaß meinen Auftrag. Als ich schließlich in Rohan landete, verkleidet als Mann, wurde ich angeworben und zack! Plötzlich bin ich im Herr der Rohirim. Es ist nicht einfach, den Männern immer rechtzeitig aus dem Weg zu gehen, aber bisher hat mich meine Intuition nicht im Stich gelassen. Jedes Mal, wenn gewisse Badetermine oder die obligatorische Pinkelpause ausgerufen wurden, war ich als fleißiger „Soldat" da, um die Pferde zu versorgen.
Erst sollte es nur ein Zwischenstopp werden, aber jetzt bin ich ein Jahr dabei und mein Gefühl sagt mir, dass ich an der richtigen Stelle bin. Wieso weiß ich nicht, aber inzwischen habe ich gelernt, dass mein Bauch ein kleines Orakel ist und ich ihm so lieber vertrauen sollte.
Mit einem Finger versuche ich den Dreck von meinem Kinn zu schrubben. Meine weiblichen Gesichtszüge zu verschleiern ist schwierig, aber nicht unmöglich. Meine spitzen Ohren werden jeden Morgen mit einem Stirnband versteckt und meine etwas zu rund geratenen Wangen mit ein wenig Matsch verziert. Körperhygiene ist nicht wirklich das A und O der strammen Männer des Westens. Am meisten leide ich unter der mangelnden Pflege meiner langen braunen Haare, die im Moment eher dem Haar eines Straßenköters gleicht und dementsprechend auch riecht.
Derzeit befinden wir uns auf dem Weg nach Helms Klamm. Der Sohn des Königs ist vor wenigen Monden in der Schlacht stark verwundet worden und anschließend seinen Wunden erlegen. Da die Westfront gefallen ist und wir Edoras nicht mehr verteidigen können, wurde der Befehl der sofortigen Umsiedlung der gesamten Bevölkerung angeordnet.
Ausgerechnet Helms Klamm sollte unser neuer Unterschlupf werden. Bei den Gedanken an die hohen Mauern und der bedrückenden Enge zieht sich mein Magen zusammen.
Aber es hilft alles nichts; ich habe mich dafür entschieden, die schützenden Wälder Lothlórien zu verlassen. Das behütete Leben dort, einzig gequält durch einen gewissen Argor, soll meinen Weg wohl nicht widerspiegeln; nun fortan, so soll es der Matsch und das Verderben sein. Mit diesen deprimierenden Gedanken ignoriere ich das bockige Herumgetänzelt meines Pferdes und springe elegant in den Sattel. Während ich die Zügel ergreife, beobachte ich, wie mich der Soldat neben mir misstrauisch mustert.
Das war wohl etwas zu elegant.
Kopfschüttelnd schnalze ich die Zunge und ausnahmsweise gehorcht mir der bockige Hengst auf Anhieb und trabt brav los zur Mitte des langen Zuges.
Während ich die ein oder andere knappe Unterhaltung führe, verfliegt die Zeit. Die steinige Landschaft des Reiches verschwimmt um mich herum und ich ziehe mich immer mehr in meine eigenen Gedanken zurück. Das karge Leben eines einfachen Soldaten, das mir am Anfang so verführerisch frei vorgekommen ist, scheint jetzt zu meinem Ende zu führen. Mit einem bitteren Lächeln erinnere ich mich an meinen ersten Kampf, den ich unter einem Brombeerstrauch verbracht habe. Im Laufe meiner Ausbildung bei der Wache habe ich so einige Orks um die Ecke gebracht. Kämpfe lassen mich inzwischen nicht mehr versteinern, sie wecken mich auf. Trotz dessen belastet mich die Vorstellung, in einem steinernen Käfig gegen eine Armee zu stehen.
Ich würde für diese Menschen kämpfen und sterben, allerdings habe ich gehofft, mehr Zeit mit Ihnen zu verbringen, sie kennenzulernen. Mein Blick wandert zu zwei kleinen Kindern, eins auf dem Rücken der Mutter geschnürt, das andere müde und taumelnd an der Hand der älteren Frau. Die Augen des Kleinkinds finden meine, blinzelnd lächelt es mich an. Das unglaubliche Dunkelgrün der Iris und die blonden Locken verzaubern mich. Manchmal kann ich mir kaum noch vorstellen, dass in meinen Adern dasselbe Blut geflossen ist. Doch das Grinsen, was er mir entgegenwirft, ist so verzaubernd, dass meine Mundwinkel wieder zucken und ich so fast zurückgelächelt hätte, wäre nicht in diesem Moment ein Reiter an mir vorbeigezischt.
Erschrocken verfalle ich sofort in meinen antrainierten Kampfmodus. Sofort greife ich in die Zügel und mein Blick rast von einer Richtung in die andere, während meine andere Hand nach meinem Bogen angelt, der noch angeschnallt an meinen Sattel baumelt. Immer öfter tobt ein Ross mit einem nervösen Soldaten an mir vorbei. Ohne nachzudenken, gliedere ich mich aus dem Zug aus und lasse Schneefall sich einmal um sich selber drehen.
Die gesamte Karawane hat haltgemacht und scheint den Atem anzuhalten. Sämtliche Bewegungen laufen langsamer ab und meine rechte Körperhälfte fängt an zu kribbeln. Endlich finden meine Finger den Bogen und mit einer Bewegung habe ich beides gezückt. Die Zügel landen auf Schneefalls Hals und nun lenke ich ihn mit meinen Waden in einen scharfen Galopp. Mit einer geübten Bewegung ziehe ich einen Pfeil aus meinem Köcher. Noch sehe ich meinen Gegner nicht, aber der Überhang, unter dem wir geschützt gewandert waren, vibrierte und Steine lösen sich unter großem Geschrei der Menschen. Dieses Mal habe ich mehr Glück als Verstand. Bevor der Warg nur ans Springen denken kann, trifft ihn mein Pfeil direkt zwischen die Augen. Das Ungetüm taumelt und bricht zusammen. Sein Reiter begräbt er unter sich.
Ein Soldat, der direkt neben mir zum Stehen kommt, brüllt, was ich denke: „Ein Späher!"
Schnell sind alle kampfbereiten Männer auf ihren Pferden, das verängstigte Geschrei der Zurückgelassenen begleitet uns in unserer wilden Raserei nach vorne.
Als wir am Schlachtfeld eintreffen, ist der Kampf schon in vollen Gange. Ohne mich an Kleinigkeiten festzuhalten, überlasse ich mich meinen Instinkten und Schneefalls guter Führung. Meine Pfeile fliegen, ich weiche Klingen und Äxten aus, pariere Schläge mit meinen Dolchen und versenke das kühle Metall in dem Fleisch meiner Gegner. Das Wichtigste, was ich in meiner Laufbahn als Kämpferin gelernt habe, ist es, in Bewegung zu bleiben. So rase ich durch das Schlachtfeld und probiere so viele Seelen zu retten, wie es geht.
Das Feld dünnt sich aus, nachdem ich einem Ork seinen Kopf leichter gemacht habe, rast mein Blick zu einem Warg der sich gerade einem Soldaten nähert. Schnell greife ich nach einem Pfeil, aber meine Hand fährt ins Leere. Unfassbar, der Köcher von Haldir war noch nie leer gewesen. Hektisch suche ich nach einem Wurfmesser, aber auch die befinden sich nicht mehr an der Innenseite meines Sattels. Gerade überlege ich, mein Kurzschwert zu opfern und somit wehrlos auf dem Schlachtfeld zu stehen. Meine Überlegungen werden jedoch in Sekundenbruchteilen über den Haufen geworfen. Ein Pfeil fegt an meinem Gesicht vorbei. Ein Mensch hätte weder die besondere Maserung der Federn noch die Präzision des Schusses bemerkt, ich jedoch nehme genau das wahr. Die Spitze des tödlichen Geschosses bohrt sich in die Augenhöhle des Wargs und bringt ihn augenblicklich zu Fall. Wie versteinert bleibe ich stehen. Alle meine Instinkte brüllen mir zu, mich zu bewegen, nicht das leichte Ziel zu sein, dass ich gerade bin. Aber alles, was ich zustande bringe, ist das Wort, was mir im Kampfgetümmel über die Lippen rutscht:
„Elb."
Die Schlacht ist schneller vorüber, als die allgemeine Stimmung vermuten lässt. Noch immer stehe ich wie versteinert am Rand und beobachte, wie sich eine kleine Person aus dem inzwischen angewachsenen Haufen aus Leichen heraus zwängt. Ich könnte absteigen und ihm helfen, aber mein Blick klebt an dem Pfeil, der immer noch, fast verhöhnend, im Takt der Bemühungen des kleinen Mannes wackelt. Erst der scharfe Appell des Königs bringt mich dazu, abzusteigen und mich zu den anderen Soldaten zu gesellen.
Wir sollen die Verletzten auf die Pferde hieven und die Toten hier lassen. Bei den letzten Worten starrt er einem blonden Mann vor ihm in die Augen. Während sich alle wegdrehen, bleiben meine Augen auf der blonden Haarpracht des Mannes liegen. Schon oft habe ich die hübschen, ordentlich eingedrehten Zöpfe der Elben betrachtet. Meine Zofe, Erwa, war besessen davon gewesen, mir die kompliziertesten Flechtfrisuren beizubringen. Während mein Blick über seine präzise und gleichmäßige Frisur gleitet, holen mich Erinnerungen aus meinen Tagen in Lothlórien ein. Schon fast spüre ich das Geziepe und die daraus resultierende Wut in meinen Bauch heran grollen. Ich habe schon so lange niemanden mehr aus meinem Volk gesehen. Ich hätte nie gedacht, dass zehn Jahre mir so lange vorkommen könnten, aber nun wird mir klar, dass ich es geschafft habe, jegliche Gedanken an früher zu verbannen. Sehnsucht erfüllt mein Herz, ich habe lange kein Heimweh mehr gehabt, aber jetzt bricht alles über mich herein. Doch das alles verschwindet, als sich der Mann umdreht und gehetzt ein paar Schritte in Richtung der Klippe stiefelt.
Jetzt, da ich sein Gesicht das erste Mal erblicken kann, ist mir klar, dass er ein Elb aus dem Düsterwald sein muss. Er ist größer als wir aus Lothlórien, seine Gesichtszüge sehen freundlich, aber auch ernst aus, seine leuchtend eisblauen Augen scheinen meinen so ähnlich und dann wieder so gegensätzlich wie die Sonne und der Mond. Unsicher, wie meine nächsten Schritte aussehen sollen, lenke ich Schneefall parallel zu ihm in Richtung des Abgrunds. Schließlich bleibt der Elb stehen und starrt die Klippe herunter. In seiner Hand liegt etwas, was ich nicht erkennen kann, aber ich sehe, wie seine Schultern sich senken und er den Tränen nahesteht. Der kleine Mann, jetzt erkenne ich, dass er wohl ein Zwerg sein muss, stellt sich neben ihn. Absurd, so sein freundschaftliches Verhältnis zwischen den beiden zu sehen. Die beiden scheinen jemanden verloren zu haben. Obwohl ich keinen der beiden kenne, drückt mir diese Szene auf den Magen und in Gedanken schweife ich zu meinen eigenen Verlusten ab.
Als wir das Schlachtfeld verlassen, ist es schon abends und die Nacht bricht herein. Der Weg nach Hellms Klamm dauert länger als gedacht. Immer wieder ertönt ein Wimmern des Soldaten, den ich auf Schneefall tragen lasse.
Meine Gedanken kreisen immer wieder zu dem Elben, der nur vier Pferde vor mir in sich zusammengesunken vor sich her reitet.
Was machte jemand meiner Art hier? Hatte sich etwas in der Führungsweise des Düsterwaldes getan? Nahmen sie jetzt doch noch Anteil an dem Leid des Volks der Zweitgeborenen?
Sollte ich mich zu erkennen geben? Bei diesem Gedankengang zieht sich mein Magen zusammen. Zu lange habe ich meine Freiheit genossen. Es war schön, keine Verpflichtungen zu haben, wieder ein Mensch zu sein. Ich habe es vermisst, mit Wesen meiner Art zusammen zu sein, egal wie ich die Gegenwart von Haldir und den anderen geschätzt habe, mein menschliches Herz schlägt immer noch wild in meiner Brust.
Die Nacht verbringen wir auf den Pferden, das Warg Geheul ist zu nahe um eine Rast einzulegen.
Am Mittag des nächsten Tages erreichen wir Helms Klamm. Die Burganlage ist genauso, wie ich es mir vorgestellt habe. Enge Gänge und hohe Mauern umzingeln uns. Die Masse aus Menschen, die durch die Tore hereinströmt, lassen den eh schon wenigen Platz zum Atmen verschwinden. Ich fühle mich, als würde ich mein Grab betreten.
Mir wird ein Quartier mit den anderen Soldaten zugewiesen, ich verdrücke mich allerdings schnell, als alle anfangen, sich Ihrer Rüstung zu entledigen. Normalerweise würde ich jetzt freiwillig einen Wachdienst annehmen, aber der Moder und die von Tau durchnässte Kleidung klebt an mir und ich fühle mich so erbärmlich dreckig, dass ich es nicht mehr aushalten kann. Vor meinen geschlossenen Augen kann ich die Düfte der Öle riechen, die früher in meinem heißen Badewasser aufgelöst wurden. Jetzt müffele ich einfach nur nach Schlamm und Schweiß. Seufzend blicke ich mich um. Langsam schlängle ich mich zwischen dem gestrandeten Volk der Rohirim durch und nehme eine Treppe nach der anderen. Niemand schenkt mir sonderlich viel Beachtung, meiner Tarnung sei Dank. Mein Weg führt mich durch zwei Fallgatter und nun stehe ich vor dem Burgtor. Unsicher, was mein nächster Schritt sein wird, trete ich in einen Gang, von dem ich viele Zimmertüren abgehen sehe. Zögernd trete ich gegen eine von ihnen, die nur angelehnt ist.
Warmer Dampf strahlt mir entgegen. Vor mir liegt ein kleines, aber aufgeräumtes Zimmer. An der Wand steht ein kleines Bett, links davon eine Kommode. Die Wände sind aus massiven Steinen, es wirkt so, als hätte man eine Höhle aus dem Berg heraus gehämmert. Obwohl ich mich als Elbin eigentlich unwohl fühlen sollte, so unter dem Stein, vergesse ich meine Bedenken sehr schnell. An der gegenüberliegenden Wand steht ein großer Zuber mit dampfendem heißem Wasser. Der Wasserdampf trifft mein Gesicht und wohlich kommt ein Seufzen über meine Lippen.
Inzwischen handle ich, ohne groß nachzudenken. Ich schließe schnell die Tür hinter mir. Es ist mir egal, dass dieser Luxus garantiert nicht für mich vorgesehen war. Einen weiteren Tag unter dieser Drecksschicht halte ich nicht aus. Jetzt musste es schnell gehen. Meine Klamotten und die Rüstung landen auf dem Boden. Das letztere schiebe sie vor die Tür in der Hoffnung, dass das unwillkommene Gäste aufhalten würde. Als ich in das Wasser eintauche, kann ich mir ein Aufstöhnen nicht verkneifen. Meine verspannten Muskeln lockern sich und die Wärme taut meine fast erfrorenen Zehen wieder auf. Ich kann den Dreck fast zu sehen wie er von mir abpellt. Wenn ich hier schon sterben musste, in dieser schrecklichen Burg, würde ich das Ganze wenigstens in Würde hinter mich bringen.
Ich brauche eine Weile, bis ich mir den Schlamm von der Haut geschrubbt und meine Haare entwirrt habe. Als ich ein Stück Seife neben dem Bad finde, fange ich seit sehr langer Zeit wieder an zu strahlen. Eine halbe Stunde später verlasse ich das inzwischen kalte Badewasser, was nun deutlich trüber ist.
Lächelnd schnappe ich mir ein Handtuch, was schon bereitliegt. Es ist etwas kürzer, als ich gedacht hätte, weswegen ich es mir erstmal um meinen Körper schlinge. Es verdeckt gerade einmal meinen Oberkörper und meinen Hintern. Wirklich wärmen tut mich das Ganze nicht. Zitternd gucke ich mich nach weiteren Möglichkeiten, um mich abzutrocknen, aber Fehlanzeige.
Mit tropfenden Haaren, die mir ständig wieder ins Gesicht rutschen, wühle ich genervt in meiner Tasche nach Ersatzklamotten und finde schließlich die gesuchte Leinenhose und mein zweites Hemd. Aber bevor ich dazu komme, mir mehr als das dürftigste überzuwerfen, wird die Tür aufgedrückt. Stimmen ertönen und ich erstarre mal wieder zu Eis. Meine Taktik mit der Rüstung vor der Tür hat einfach mal so gar nicht funktioniert. Die Stimmen verstummen und vorsichtig hebe ich meinen Blick.
Im Türrahmen steht eine ältere Frau, die mich fassungslos mustert. Leider ist das nicht die einzige Person, die da auf mich wartet. Direkt neben ihr steht der Elb, den ich vorhin beobachtet habe. Fassungslos starren wir uns an. Am liebsten würde ich im Erdboden versinken.
***
Jetzt haben sie sich getroffen :D Jetzt gehts richtig los.
Liebe Grüße
Mia
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