Ein neues Gesicht
Ich habe ja in meinen naiven Glauben gedacht, dass Elben ein hohes Maß an Anstand innehaben. Zumindest hatte mir das Haldir immer suggeriert. Doch diese These wird blitzartig durch das Exemplar mir gegenüber widerlegt. So etwas wie Scham scheint er auf jedenfall nicht zu besitzen. Seine Augen scannen jeden kleinsten Teil meines Körper ab, der nicht von dem klammen Stück Stoff bedeckt wird. Er hat also ordentlich was zu tun. Inzwischen habe ich mich aufgerichtet und probiere so selbstbewusst wie möglich, nicht an meinem Handtuch herum zu zerren. Auch wenn ich nichts lieber täte.
Da er keinen Anstand besitzt tue ich es ihm gleich. Meine Augen wandern über seine edel wirkende Kleidung, einen grünen Umhang und sein wesentlich gepflegteres Hemd als das, was ich besitze und lande so schließlich bei seinen breiten Schultern. Seine Haare sind ordentlich geflochten und trotz des Kampfes, sitzt alles perfekt. Wirklich verwundern tut mich das nicht.
Allerdings ist etwas anders an ihm. Irgendetwas scheint ihn von den restlichen Elben, die ich in Mittelerde so kennen gelernt habe, zu unterscheiden. Ich bin mir nicht ganz sicher ob es daran liegt, dass er aus einem anderen Teil des Landes stammt, er so ein unerschütterliches Selbstbewusstsein besitzt oder ob es an seinem mangelnden Benimm liegt.
Sein Anblick fasziniert mich.
Ich kann mich nicht an seinen baumelnden, geflochtenden Zöpfen oder an seinem neugierigen Blick abwenden. Fast vergesse ich das ich erzürnt sein müsste wegen seiner forschen Art. Aber seine meerblauen Augen fangen mich wieder ein und jeglicher Zorn verblasst.
Ein Kribbeln breitet sich auf meiner Haut aus, ich schreibe es meiner nassen Haut, dem mangelnden Stoff und so der Unterkühlung zu. Aber wirklich überzeugen kann ich mich selber nicht. Unsere Blicke haben sich schon viel zu lange in einander verhakt, wie komme ich hier heraus?
Schließlich erlöst mich die alte Dame von meinen Leid, indem sie sich lautstark räuspert. Für sie mögen Sekunden vergangen sein, für mich hat sich das Ganze angefühlt, wie ein paar Stunden.
„Entschuldigt, Herrin. Wir haben uns wohl im Zimmer geirrt.“ Mit einer ziemlich rabiaten Geste packt sie den Elben und schleift ihn aus dem Raum. Er protestiert, zuerst auf Sindarin, dann auf Westeron. Den Blick wendet er dabei nicht von mir ab. Kurz bevor sie die Tür schließt höre ich, wie er noch das Wort an mich wenden will:
[style]„Beth nara tûlon chîn“[/style] (wie heißt du?) Seine Stimme lässt mich aufhorchen, so lange habe ich nicht mehr den Klang meiner Sprache gehört. Mein Herz sehnt sich danach zu antworten, doch schnell verbanne ich meine Antwort und schlucke sie wieder herunter.
Egal was dieser Elb bei mir bewirkt hat, dass ist das Letzte was ich gebrauchen kann. Die Tür fällt ins Schloss und schnell schnappe ich mir meine Klamotten.
Meine Haare flechte ich in einen einfachen Fischgräten Zopf und lasse ein paar Strähnen herausfallen. Ich weiß das dass für einen Rohirim viel zu viel Arbeit ist, aber ich halte diese ungepflegte Haarpracht, die ungekämmt und wild, langsam aber sicher verfilzen nicht mehr aus. Den Zopf stecke ich in mein Hemd und schnell binde ich mir mein frisch gewaschenes Tuch um den Kopf. Nachdem ich den Rest meiner Kleidung wieder angelegt habe, trete ich wieder hinaus auf den Flur.
Mit einer letzten routinierten Bewegung, lasse ich meine Ohren unter meinen improvisierten Stirnband verschwinden. Von dem Elben und seiner Begleitung keine Spur. Ich nutze die Chance und verschwinde wieder in der Masse aus Menschen, die in die Burg strömen.
Meine Tarnung ist nicht perfekt, aber als ich die Straße erreiche und das erste Schlammloch sehe, bringe ich es nicht über mich, mir die Soße wieder ins Gesicht zu schmieren. Schnell binde ich mir ein zweites Tuch um den Kopf und verdecke so wenigstens die andere Hälfte meines Gesichtes. Eine Zeit lang streife ich durch die Gänge und weiche der Masse so gut es geht aus.
Als ich schließlich wieder in der Soldaten Unterkunft ankomme, bleibe ich unschlüssig stehen.
Schon aus der Entfernung kann ich sehen, dass die Strohbetten nicht reichen und das monotone Schnarchen das mit entgegen weht ist Abschreckung genug, mir einen anderen Schlafplatz zu suchen.
Müde torkel ich weiter. Seit ich den Körper gewechselt habe bin ich wesentlich widerstandsfähiger geworden. Allerdings waren bei mir nach drei Tagen mit weniger als zwei Stunden Schlaf doch irgendwann die Lichter aus.
Außerdem habe ich wohl nicht ganz alle Elbischen Gene ergattert. Müdigkeit, Kälte und Muskelkater hatte ich in abgemilderten Maße immer noch.
Nach weiteren fünf Minuten habe ich die Nase voll. Als ich erneut über jemanden Schlafenden mitten auf dem Gehweg stolpere, beschließe ich, Schneefall einen Besuch abzustatten. Als ich die Stallungen betrete und auf der Suche nach meinen Pferd den halben Stall durchquert habe, werde ich schließlich fündig. Mein edles Ross ist wirklich, wie erhofft, in Besitz eine riesigen Box gekommen.
Empört blinzelt mich der weiße Hengst an, als könnte er es nicht fassen, dass ich nach gerade mal zwei Stunden Ruhe, wieder vor ihm stehe.
„So sieht man sich wieder alter Freund.“ Gurre ich ihm ins Ohr als ich an ihm vorbei in die Box schlüpfe. Empört stampft er mit dem Huf auf, das ignoriere ich aber geflissentlich. Schnell habe ich ein wenig Stroh in seiner Box zusammengeschoben und kaum berührt mein Kopf mein improvisiertes Kissen, gleite ich in das Reich der Träume.
***
Genervt blase ich Luft aus meinen Wangen um die Haarsträhne aus meinen Gesicht zu pusten. Das Kratzen hat mich aufgeweckt. Stöhnend hebe ich schließlich meine Hand um das Gewirr von meiner Haut zu entfernen. Allerdings stellten sich die Haare als Schneefalls Schweif heraus. Fluchend reiße ich meine Augen auf und drücke den Gaul weg von mir, dessen Kopf sich in einer der Futtertröge befindet.
„Wirklich? Irgendwie habe ich erwartet das ich ein wenig mehr Wertschätzung von dir kriegen würde.“ Das Schnauben das er während des andauernden Geschmatzes verlauten lässt, ist mir Antwort genug. Was lerne ich hieraus? Teile dein Bett einfach nicht mit deinem Ross. Abstand ist der beste Freund einer gesunden Geschäftsbeziehung. Kopfschüttelnd über meine Gedanken klopfe ich die letzten Strohhalme von meiner Kleidung. Das gelingt mir noch ganz gut, an meinen Haaren hingegen verzweifle ich fröhlich.
Mit der einen Hand öffne ich Schneefalls Boxentür, mit der anderen wühle ich verbissen in meinen Zopf herum. Mein eines Stirnband hängt windschief, das andere ist noch unter meinen Kinn. Allerdings habe ich dafür gerade keinen Nerv.
Meine Tarnung ist eh schon aufgeflogen, zwar bin ich immer noch nicht scharf darauf, erkannt zu werden als dass, was ich nun mal bin, aber da wir eh alle in spätestens 72 Stunden sehr wahrscheinlich Tod sind, ist das nun auch nicht mehr wichtig.
Während ich so, halb verkleidet, halb enttarnt, mitten auf dem Flur des Stalles stehe und einen Strohalm nach dem nächsten aus meinen Fischrätenzopf zerre, kann ich nicht umhin meine Entscheidung über meine Schlafgelegenheit zu verfluchen.
Was soll´s, ob mein Kopf nun mit Stroh bestückt unter die Erde kommt oder ohne ist doch eh egal. Bei diesen Gedanken schüttelt es mich, aber leider komme ich nicht mehr dazu mich in Selbstmitleid zu suhlen, da in diesem Moment ein sehr erschöpft aussehendes Pferd auf mich zu galoppiert kommt. Verwirrt lasse ich meinen Zopf fallen und reiße die Arme hoch. Der Brauner wiehert, reißt die Augen auf und kommt schließlich widerspenstig stehen. Als ich meine Hände sinken lasse und langsam auf ihn zu komme, erkenne ich einen Mann auf seinen Rücken. Er scheint verletzt zu sein, aber durch das vorsichtige heben seines Kopfes erkenne ich das er wieder zu Bewusstsein kommt. Nachdem sich sein Blick wieder geklärt hat, greift er orientierungslos nach der Mähne seines Pferdes, dass wieder den Kopf hoch reißt. Fast als hätte es den Reiter vergessen. Langsam greife ich nach dem Halfter und als sich meine Finger um den Stoff schließen flüstere ich instinktiv: „Mae carnen, mellon nîn.“ (Gut gemacht, mein Freund)
Vorsichtig streiche ich ihm über den Hals, sein Atem beruhigt sich zögerlich und er legt seine Nüstern in meine Hand. Schließlich schließt er langsam seine Augen und schmiegt sich an mich. Zärtlich tätschele ich ihn und bewege mich langsam in die Nähe des Reiters. Die Stall Burschen um uns herum löchern uns mit Blicken, aber ich konzentriere mich nur auf uns drei. Als ich seinen Arm erreiche, zupfe ich leicht an seinem Ärmel. Langsam wendet sich der Reiter mir zu. Neugierig mustere ich den Mann. Seine braunen schulterlangen Haare hängen ihm Nass und verklebt im Gesicht. Er hat markante Wangenknochen und als sich unsere Augen finden, blicke ich in ein müdes und erschöpftes Anglitz.
„Sind sie schon da?“ Verwirrt blinzle ich und beobachte wie Bewegung in ihn kommt.
Mehr schlecht als Recht, steigt er von Pferd ab. Ohne auf meine Antwort zu warten, drückt er den Strick einen der Umstehenden in die Hand und nach einem Seitenblick zu mir, wankt er aus den Stallungen heraus. Kurz bleibe ich stehen und probiere den Faden wieder zu finden. Wer war das? Was konnte er damit meinen. Als seine Worte schließlich bei mir ankommen, ist er schon fast verschwunden. Ich rase los. Mit einer Hand richte ich meine Tücher mit der anderen reiße ich mir den letzten Strohhalm aus den Haar. Als ich um die Ecke pese sehe ich den Mann vor mir die Stufen zur Burg hoch hetzen.
„Wartet mein Herr, wer seid ihr?“
Meine Worte gehen in der Menge unter, aber ich gebe nicht auf. Ich rase um die Menschen herum, die auf den Treppen Platz genommen haben.
Als ich endlich mein Ziel erreiche ist der Mann schon in der Burg verschwunden. Mein Atem geht hektisch und ich muss mich kurz auf meine Knie abstützen. Die letzten Tagen haben mehr an meinen Kräften gezerrt als ich gedacht hätte. Der kurze Mittagsschlaf hatte lange noch nicht ausgereicht um meine Energiereserven wieder aufzufüllen.
Doch als die Türen aufschwingen und meine Augen die Schemen des Mannes erblicken, raffe ich mich auf. Schnell gleite ich in den Schatten hinein und schon bin ich in der Burg.
Viele Menschen sind stehen geblieben und starren den Unbekannten an, der sich sicheren Schrittes einen zu bekannten Elb nähern.
„Er ist am Leben!“ flüstert eine ältere Frau neben mir. Überrascht blicke ich zu der Dame herüber.
„Wer ist er?“ kann ich mir nicht verkneifen. Verständnislos mustert mich die Frau.
„Das ist Aragorn, Arathorns Sohn..“ Diese Worte kommen eher als Vorwurf, als als Feststellung. Als müsste ich jeden Menschen kennen.
Dies ignoriere ich allerdings, da ich mich schon wieder in Bewegung befinde. Aragorn also, Erinnerungen aus den Zeiten mit Haldir erwischen mich wieder. Er hatte mir mehr als einmal von den Geschlecht Isildurs erzählt und über den verschollenen Nachfahren. Das er ausgerechnet jetzt, an diesem Ort, an dem uns allen ein schlimmes Schicksal erwartet, aufkreuzt, kann nur Schicksal sein.
Galadriels Worte kommen mir in den Sinn, ich bin am richtigen Ort. So einen Zufall kann es nicht geben. Das erste mal seit vielen Jahren, habe ich das Gefühl das ich meiner Bestimmung einen winzigen Schritt näher gekommen bin. Inzwischen bin ich in Hörweite angekommen und betrachte unauffällig meine Fingernägel, in der Hoffnung nicht zu offensichtlich zu lauschen.
„Du kommst spät.“ mumelt der Elb leise auf Sindarin. Dabei legt er seinem Freund die Hand auf die Schulter. Auch wenn er es elbenmäßig nicht zeigt, erkenne ich in seinen Gesichtszügen dass er mehr als erleichtert ist. Er scheint wohl die Person gewesen zu sein, weswegen er so niedergeschlagen war. Überrascht registriere ich das der Mann lacht. Versteht er unsere Sprache? Ich schlucke, dann war mein kurzes geheimes Gespräch mit seinem Pferd, wohl doch nicht so geheim gewesen.
„Du siehst furchtbar aus.“ spricht der Elb nun etwas lauter. Die erfrischende Ehrlichkeit überrascht mich hinterrücks und ich kann mir ein Prusten nicht verkneifen. Schnell schlage ich mir die Hände vor dem Mund, aber da ist das Unglück schon geschehen.
Die beiden schrecken auf. Der Blick des Elben findet mich schneller als der des Menschens.
Er runzelt seine Stirn und dann scheint ihm ein Licht aufzugehen:
"DU!"
***
Hallöchen hier bin ich wieder mit einem neuen Kapitel!
Wie immer freue ich mich über jede Rückmeldung :)
LG
Mia
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