Kapitel 17
Zu Beginn: Eine kleine Hommage an George Andrew Romero (1940-2017) und Chester Bennington (1976-2017)
Dies ist vielleicht nicht der richtige Ort dafür, aber schließlich spielt diese Geschichte auch ein bisschen im TWD-Universum- also vielleicht ja doch.
Von dem Suizid des Linkin Park Sängers Chester Bennington habe ich gestern in meinem News-Feed gelesen und war so erschüttert, dass ich auch ihn mit einbeziehen musste.
Zunächst zu Romero:
Ich konnte nie besonders viel mit Splatter- und/oder Zombiefilmen anfangen, konnte immer schwer nachvollziehen, wie man sich an ausschweifenden Gewaltdarstellungen ohne tieferen Sinn ergötzen kann. Irgendwann, in einer verregneten Urlaubswoche, beschlossen mein Freund und ich, all die Filmklassiker verschiedener Genres anzusehen. Dieses Vorhaben war selbstredend wahnwitzig, aber ich kann sagen, dass wir einige Meilensteine der Filmgeschichte abdecken konnten. Abwechselnd durfte einer von uns das Genre auswählen, als mein Freund an der Reihe war, wählte er 'Splatter' und schlug Olaf Ittenbach vor. Nach vehementen Protesten meinerseits, einigten wir uns darauf, uns die Anfänge der Zombies anzusehen. Romero- der 'Vater' der Zombies, war dabei natürlich die erste Wahl. Auch wenn das Genre meiner Meinung nach furchtbar albern ist, mag ich seine Arbeit und stets unterschwellige Gesellschaftskritik.
George A. Romero, ruhe in Frieden!
PS. Das Lied passt überhaupt nicht zum Kapitel. Allerdings beginnt und endet es mit einem Zitat aus Romeros "Dawn of the Dead". Bela B ist übrigens bekennender Splatter-Fan und spielte bereits in einem Film von besagtem Ittenbach mit (dessen Filme in Deutschland z.T indiziert oder stark geschnitten sind).
Zu Chester Bennington:
Chris Cornells, übrigens ein enger Freund von Bennington, Tod vor einigen Wochen war bereits sehr tragisch. Aber zu Linkin Park hatte ich einen besonderen Bezug. Ihre Musik hat mich eigentlich meine gesamte Jugend über bis heute begleitet. Es ist so unendlich traurig, wenn die Helden der Jugend gehen. Und dann noch unter so tragischen Umständen. Auch dir, Chester, wünsche ich den Frieden, den du dir erhofft hast. Deine Musik und Stimme wird mich immer an eine wunderbare Zeit denken lassen.
*******
Ich will es nicht hören.
Ich will nicht hören, dass er nichts für mich empfindet und zugleich habe ich Angst davor, dass er doch etwas für mich empfindet. Es ist ein Dilemma. Egal, wie es ausgeht, es wird furchtbar für mich enden, dass ist das, was ich jetzt schon weiß.
Negans Hand hält noch immer mein Kinn fest. Seine Augen scheinen nach irgendetwas in den meinen zu suchen. Seine Kiefer mahlen aufeinander, als wolle er die Worte, die er aussprechen muss oder will, zerreiben.
"Wenn du nicht gleich etwas sagst", murmle ich und winde mich aus seinem Griff, "Wird die ganze Sache immer peinlicher."
Um seine Mundwinkel zuckt es. Ich könnte wetten, dass ihm gerade irgendein dämlicher Negan-Macho-Spruch auf der Zunge liegt.
Schön, dass er trotzden seinen Spaß hat. Ich dagegen fühle mich mit jeder Sekunde, die er verstreichen lässt, elender. Mein Herz scheint plötzlich hunderte Kilos zugelegt zu haben, als hätte jemand einen eisernen Panzer darum geschmiedet, eine dumpfe Schwere ergreift zunehmend Besitz von mir.
"Es tut mir leid, Hazel."
Ich kann nicht anders, als stumpfsinnig 'Hä?' zu denken. Wieder überrascht mich seine Reaktion. Warum um alles in der Welt entschuldigt er sich jetzt?
Ich verstehe gerade nichts mehr.
"Was tut dir leid?", stoße ich verständnislos hervor. Er fährt sich in einer fahrigen Geste über die Augen, die Wange, das Kinn, springt dann auf und reißt das Fenster auf. Zündet sich erneut eine Zigarette an. Ich bleibe auf dem Bett sitzen und starre ihm mit offenem Mund hinterher.
"Negan, könntest du bitte endlich-"
"Dass ich es so darauf angelegt habe. Das tut mir leid."
Aha. Sehr aufschlussreich.
Langsam aber sicher ist meine Geduld am Ende, meine Niedergeschlagenheit weicht zunehmend brodelnder Wut. Will er mich hier eigentlich verarschen? Tut die ganze Zeit, als wäre er der männlichste aller Männer und kann dann nicht einmal deutlich sagen, was Sache ist?
Ich springe auf und gehe auf ihn zu, reiße ihm die Kippe aus der Hand und schnippe sie zum Fenster hinaus. Dass ich noch splitterfasernackt bin, stört mich ausnahmsweise nicht im geringsten.
Sein verdutzter Blick folgt dem weißen Stummel, wie er in der Nacht verschwindet.
"Jetzt reicht's aber!", blaffe ich und stemme die Hände in die Hüften, "Wo sind deine Eier plötzlich hin? Seit wann nimmst du Rücksicht auf irgendwelche Gefühle? Also spuck's schon aus."
Zuerst sieht er ein wenig verärgert aus. Seine Augen werden zu schmalen Schlitzen, er legt den Kopf schief. Dann ist da wieder dieses Zucken um seine Mundwinkel.
"Willst du überprüfen, ob ich meine Eier noch habe...?"
"Lass den Mist!", fahre ich ungehalten dazwischen, "Wenn du auch nur ein weiteres Ausweichmanöver startest, fahre ich sofort nach Hause."
Er seufzt und streicht sich erneut über die Augen. Plötzlich sieht er sehr müde, viel älter, aus. Er geht zurück zum Bett und lässt sich darauf fallen. Wieder seufzt er.
"Anfangs dachte ich, dass du eine dieser unausstehlichen Puten bist, die sich für etwas besseres hält, alles besser weiß und wenn es darauf ankommt, ihren süßen Arsch rettet", beginnt er niedergeschlagen, "Aber ich hab mich geirrt. Wie du dich für die Schüler einsetzt, wie ernst und leidenschaftlich du diesen Job angehst, beeindruckt mich. Es reizt mich, herauszufinden, was hinter deiner überkorrekten Streber-Fassade liegt. Du bist so faszinierend anders. Scheinst noch so etwas wie Ideale und Werte zu haben. Und du bist süß und gutherzig und trotzdem verdammt durchtrieben."
Ein schiefes Lächeln liegt auf seinen Lippen, das Blitzen ist in seinen Blick zurückgekehrt. Ich stehe noch immer am Fenster, die hereinströmende, kühle Nachtluft lässt mich frösteln, seine Worte lassen mich erschauern.
Er bemerkt mein Frieren und wirft mir kommentarlos die Klamotten, die um das Bett verstreut liegen, zu.
"Hättest du mich vor zwei Wochen gefragt, was ich mit dir vorhabe, hätte ich dir eindeutig antworten können.", fährt er leise fort, nachdem ich mich angezogen habe, "Jetzt weiß ich das selbst nicht mehr so recht. Denn es ist so...ich bin ein wenig kompliziert, was Beziehungen angeht. Es gibt noch ein paar Altlasten, um die ich mich kümmern muss, bevor ich...auch nur an etwas Neues denken kann."
Even those who never frown eventually break down
In dem kalten Panzer, der sich in meiner Brust gebildet hat, beginnen sich Risse auszubreiten. Auch wenn er sich nach wie vor auf für ihn so untypische, diffuse Weise ausdrückt, meine ich, zu verstehen, was er mir sagen will. Und wie. Schließlich bin ich Expertin für vertrackte Beziehungen und Altlasten. Ich betreibe eine Altlastenverwertungsanlage!
"Altlasten?", wiederhole ich. Meine Stimme ist trotz der Erleichterung ein kratziges Kieksen. Er betrachtet mich eine Weile mit seinen schönen, tiefdunklen Augen, scheint zu zögern.
"Hazel, ich bin...noch verheiratet."
Mir stockt der Atem. Plötzlich beginnt sich der Boden um mich herum zu drehen, die Knochen in meinen Beinen scheinen sich in labbrigen Gummi verwandelt zu haben.
"- Die Trennung läuft.", fügt er hastig hinzu und rauft sich frustriert durch die Haare, "Aber es ist alles so furchtbar kompliziert."
Er verstummt und sieht mich einfach nur an. Dieses Mal scheint er meine Reaktion zu fürchten.
The hardest part of ending is starting again
Die Minuten verstreichen.
Was ich in diesen Minuten gedacht habe? Ich weiß es nicht. Es ist, als hätte ich meinen Körper verlassen und würde mir selbst zusehen, wie ich mich erstarrt am Fensterbrett festklammere. Wie ich meinen Mund immer wieder öffne, nur, um ihn dann wieder zu schließen. Wie ich Negan, der noch immer auf dem Bett sitzt, anstarre und auch wieder nicht, weil mein Blick leer ist.
Against my will I stand beside my own reflection
"Jetzt bist du an der Reihe, etwas zu sagen."
Von dem sonst so souveränen Negan, dem absolut alles egal ist, ist im Moment nicht mehr viel da. Er sieht unsicher aus, beinahe verletzlich und ja, ich meine auch Angst in seinen Augen zu sehen.
"I-ich...muss raus...", stammle ich und schwanke Richtung Tür.
Er hält mich nicht zurück. Er lässt mich gehen.
Es riecht nach Herbst, auch der dominante Geruch des Meeres kann darüber nicht hinweg täuschen.
'Ja, jetzt ist der Sommer wirklich endgültig vorbei.', denke ich, während ich fröstelnd auf einer Bank hinter dem Hotel hocke. Eine Jacke wäre eine gute Idee gewesen. Aber dann wäre mein Abgang ja nicht dramatisch genug gewesen.
Ich seufze und schlinge meine Arme etwas fester um meinen Oberkörper, klammere mich an dem wenigen bisschen Wärme, das noch da ist, fest. Ich weiß, dass ich gerade Theater mache. Er ist noch verheiratet, na und? Die Betonung liegt auf 'noch'. Er hat doch 'noch' gesagt?
Ich bin nicht seine Affäre. Ich muss kein schlechtes Gewissen gegenüber seiner Frau haben. Es gibt überhaupt keinen Grund, sich aufzuregen.
Aber warum sagt er mir das erst jetzt? Warum ist er Steffs Fragen ausgewichen? Warum...
I tried so hard and got so far. But in the end, it doesnt even matter
Meine Hände sind an meine Schläfen gezuckt und einen Moment lang hege ich das Bedürfnis, solange dagegen zu hämmern, bis diese Gedanken endlich verstummen. Nur die Kälte, die sofort ihre Gelegenheit nutzt, um in meine Kleidung zu kriechen, hält mich davon ab. Prompt beginnen meine Zähne zu klappern und ich ziehe schnell die Beine an meinen Oberkörper und schlinge die Arme darum. Es hilft wenigstens ein bisschen. Jetzt schon zurück in dieses Zimmer zu gehen, verbietet mir mein Stolz, also werde ich es wohl noch ein bisschen aushalten müssen.
Trotz dieser Igeltechnik, klappern meine Zähne irgendwann wieder und ich bin kurz davor meinen unsinnigen Trotz über Bord zu werfen, als ich Schritte hinter mir höre.
"Ich hab mir Sorgen gemacht.", sagt er fast entschuldigend. Er hat meine Jacke mitgebracht. Dankbar nehme ich sie und schlüpfe hinein. Wärme ist auch so eine Sache, an deren Existenz man erst glaubt, wenn sie abwesend ist.
"Willst du allein sein? Soll ich wieder...?"
"Nein. Bleib hier."
Ich rutsche beiseite, damit er sich neben mich setzen kann.
"Scheißekalt.", sagt er.
"Ja.", sage ich.
"Liegt am Meer. Möchte mal wissen, wer auf diese beschissene Idee gekommen ist."
Ein leichtes Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. Ich fürchte, man kann hundert Jahre alt oder der größte Macho sein, aber wenn es um Gefühle geht, darum, die wirklich heiklen Dinge anzusprechen, mutiert man zum unsicheren Feigling.
"Ich bin nicht deine Affäre?", frage ich und halte augenblicklich die Luft an.
Er zögert. Warum zögert er? Das waren schon mindestens drei Sekunden. Wieso...
"Nein, Hazel, bist du nicht."
Ich lasse die Luft aus meiner Lunge entweichen.
"Aber lass es uns trotzdem langsam angehen, ja?", fügt er leise hinzu und fasst nach einer meiner eiskalten Hände, "Ich brauche noch ein wenig Zeit. Ich weiß noch nicht..."
Ich schmiege mich an ihn, lasse mich von der Wärme, die er ausstrahlt umhüllen.
"Okay", flüstere ich in seine nach Leder duftende Jacke, "Lass es uns einfach genießen."
Wir sitzen eine Weile schweigend da, hängen unseren Gedanken nach, blicken in die Nacht und lauschen ihrem Gesang. Zwischen uns ist alles gesagt. Die Vertrautheit, Geborgenheit legt sich über uns wie eine kuschlige Decke. Mir ist jetzt nicht mehr kalt. Ich werde vielmehr schläfrig.
"Darf ich dich was fragen?", unterbricht er die beruhigende Stille.
"Natürlich."
"Wer ist Aaron? Du hast letztens im Schlaf von ihm gesprochen. Es klang so, als hättest du Angst um ihn."
"Ich kann dich beruhigen, er war mein Ex", entgegne ich hölzern. Die Entspannung ist passé. Ich spüre, wie jeder Muskel in meinem Körper auf Habachtstellung geht.
"Es ist nicht besonders beruhigend, wenn die Frau neben einem von ihrem Ex träumt."
"Stimmt", gebe ich zu, "Aber er ist tot."
Dieses eine, letzte Wort, das immer peinliches Schweigen erzeugt. Zumindest bei fast allen.
"Was ist passiert?", fragt Negan unbeirrt.
"Eine lange Geschichte", murmle ich ausweichend. Sein Arm drückt mich etwas fester an sich. Ich spüre seinem Atem auf meiner Kopfhaut, wie er durch mein Haar streicht.
"Du weißt ja mittlerweile, dass ich tatsächlich mal die Klappe halten, zuhören, kann.", meint er und haucht mir einen Kuss auf den Scheitel.
Vielleicht ist doch noch nicht alles gesagt. Er hat mir von seinen Altlasten erzählt, jetzt bin ich dran. Doch wenn schon allein die Gedanken weh tun, wie schmerzlich sind sie dann erst, wenn man sie in Worte verwandelt?
Es dauert eine Weile, bis ich die richtigen Worte zurechtgelegt, meine Gedanken sortiert, meine Gefühle unter Kontrolle habe. Negan sagt währenddessen kein Wort. Er hat den Arm um mich gelegt, gibt mir den nötigen Halt, mehr nicht.
"Wir haben uns im letzten Seniorjahr durch ein gemeinsames Theaterprojekt unserer Schulen kennengelernt-"
"Oh, Theaterprojekte! Da, wo sich die richtig coolen Säue tummeln!", wirft er dazwischen.
Ich muss grinsen. Ein mahnendes Räuspern kann ich mir dann aber auch nicht verkneifen.
"Wolltest du nicht die Klappe halten?"
"Stimmt. Sorry."
"Er war mein erster, richtiger Freund.", fahre ich fort, "Wir haben gemeinsam studiert, sind nach einer Weile zusammengezogen.
Es war perfekt. Ich glaube, wir haben uns all die Jahre nicht ein einziges Mal ernsthaft gestritten. Wir hatten so viel gemeinsam. Ich wusste, dass ich ihn irgendwann heiraten, Kinder mit ihm haben würde. Dass er der Mensch ist, mit dem ich alt werden will. Aaron war mein Seelenverwandter, einer dieser Menschen, denen man nur einmal im Leben begegnet."
Ich seufze und blinzle die Tränen, die sich bereits in meinen Augen gesammelt haben, weg.
"- Er hatte mit Depressionen zu kämpfen, aber auch das hat unsere Beziehung nie gestört. Wenn es ihm schlecht ging, haben wir uns auf der Couch verkrochen und alte Filme geschaut."
Erinnetungsfetzen blitzen in meinem Kopf auf wie Diafotos.
Wie wir gemeinsam auf dem Sofa sitzen, uns 70er-Jahre-Zombiefilme ansehen und uns darüber totlachen. Wie wir uns das erste mal küssen. Wie wir uns an einem 'Frühstück im Bett' versuchen, einer von uns natürlich an das Tablett stößt und Aaron der heiße Kaffee in den Schritt läuft. Wie wir unsere erste gemeinsame Wohnung streichen und uns dabei gegenseitig mehr mit Farbe beschmieren, als die Wände...
"Klingt nach wirklich wilden Jahren.", reißt mich Negans ironischer Tonfall aus meinen Gedanken.
"Ich fand es schön.", widerspreche ich, "Aaron war ein großartiger Mensch. Sensibel, gutherzig, feinfühlig, zärtlich..."
"Schwul?"
"Nein. Jedenfalls nicht, dass ich wüsste."
"Und dann?", hakt er nach.
"In meinem letzten Semester ging ich für ein paar Monate nach Vancouver. Es war das erste Mal, dass wir so lange voneinander getrennt waren. Und während ich das alles furchtbar aufregend fand, war es für Aaron schrecklich. Erst jetzt fiel mir auf, wie wenige Freundschaften er außerhalb unserer Beziehung hatte. Die meisten seiner Freunde, waren eigentlich meine. Bei jedem Telefonat brach er in Tränen aus, sagte, dass er mich wahnsinnig vermisse.
Anfangs fand ich das süß, auch wenn's mir das Herz gebrochen hat. Es wurde immer schlimmer. Plötzlich kam mir unsere Beziehung wie ein Gefängnis vor."
Ich halte inne und blicke in den Nachthimmel. Vielleicht stimmt es ja und er ist jetzt irgendwo dort oben, bei den Sternen.
"Auf einmal machte es mir Angst, dass schon alles festgelegt war. Ich kam ins Zweifeln, das Gefühl, etwas zu verpassen, wuchs.", erzähle ich den funkelnden Sternen über mir, "Ich fragte mich, ob ich das überhaupt will- heiraten, Kinder... Ob ich nicht doch ein ganz anderes Leben führen will..."
"Wer kann's dir verdenken?", meint Negan aufmunternd und streicht mir eine Strähne aus den Augen, "Wer weiß schon genau, was er eigentlich will?"
"Ich tobte mich aus, während Aaron immer mehr versackte.", fahre ich schließlich fort, "Immer wenn ich Spaß hatte, hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil er so litt. Irgendwann nervte er mich nur noch, ich hatte das Gefühl, dass er mir immer alles schlecht redete.
Und dann lernte ich Ryan kennen. Ein Musiker und Freund von Tarek, der dort ein Album aufgenommen hat."
"Ohoh."
"Ja. Es ist nicht viel passiert. Ich war fasziniert von ihm. Er hat alles verkörpert, was ich nicht hatte, was Aaron nicht war. Jedenfalls kam es mir so vor. Das meiste hab ich wohl einfach nur in ihn hinein interpretiert. Wir haben uns einmal geküsst."
Ich halte kurz inne, um zitternd ein und aus zu atmen.
" - Mit einem schlechtem Gewissen im Gepäck kam ich zurück. Ich habe Aaron meinen Ausrutscher gestanden, er hat mit verziehen. Es war trotzdem alles anders. Wir stritten uns wegen jeder Kleinigkeit. Ich konnte seine Nähe zum Teil kaum noch ertragen. Ich wollte es wirklich, ich wollte ihn wieder lieben, wie zuvor, aber das Gefängnis wurde immer enger. Also habe ich meinen ganzen Mut zusammengenommen und mich von ihm getrennt."
Ich hatte es wirklich versucht. Über ein Jahr lang. Aber es hatte einfach nicht funktioniert.
"Hätte ich schon lange vorher gemacht.", ist Negans nüchterner Kommentar.
"Er hat es so gut verkraftet. Ich habe eine gemeinsam Freundin gebeten, sich um ihn zu kümmern und bin zu Steff gezogen. Die Freundin hat mir regelmäßig Rückmeldung gegeben und meinte, er käme gut klar.
Es war so erleichternd. Ich habe mich so befreit gefühlt. Ich liebte Aaron nach wie vor, aber ich war froh, mich ihm nicht mehr verpflichtet fühlen zu müssen."
Ich hole tief Luft und wische verstohlen die Tränen von meinen Wangen. In meinem Hals steckt ein großer Kloß, der einfach nicht weggehen will.
"Zwei Wochen später rief seine Tante bei mir an. Sie hat mir erzählt, dass Aaron sich in der Nacht zuvor von einer Brücke gestürzt hat. Es kam für uns alle so unerwartet. Am Nachmittag hatte er noch seine Eltern besucht, war wie immer gewesen und dann..."
Die Worte ersterben auf meinen Lippen. Es tut immer noch so furchtbar weh. Die Last der Schuld drückt mich nach unten, droht, mich zu erdrücken.
"Das tut mir leid.", flüstert Negan. Seine Hand streicht sanft über meinen Rücken.
"Die Beerdigung habe ich frühzeitig verlassen, weil seine Mutter auf mich losgegangen ist. Sie hat mir die Schuld gegeben und sie hatte recht. Wäre ich nicht so egoistisch gewesen, hätte ich nicht plötzlich gedacht, dass ich was besseres verdient habe, dass ich mit dem nicht zufrieden bin, was ich habe...würde er noch leben. Er hat sich nicht wegen der Depression umgebracht, sondern weil ich ihn im Stich gelassen habe.", schluchze ich. Die Tränen lassen sich nicht mehr zurückhalten, bahnen sich ungehindert ihren Weg über meine Wangen.
"So ein Schwachsinn. ", fährt Negan rüde dazwischen, "Du warst nicht egoistisch, Hazel. Du hast ihn freigegeben, die Möglichkeit gelassen, was Neues zu finden. Jemanden, der ihn liebt.
Der einzige, der egoistisch war, war er. Er wusste genau, dass deine Schuldgefühle dir verbieten würden, dir das jemals zu verzeihen. Getreu nach dem Motto: Wenn ich sie nicht haben kann, soll sie auch kein anderer haben.", er dreht mich an den Schultern zu sich, damit ich ihn ansehe, "Hat doch funktioniert, oder? Oder hattest du seitdem wieder ne Beziehung?"
Ich kann nur schniefend mit dem Kopf schütteln.
"Das ist...erbärmlich.", ist Negans abfälliges Resümee, "Echt. Ich bin ja auch ziemlich besitzergreifend, wenn mir eine Frau wirklich wichtig ist. Aber meine Strategie wäre eher, deinem Neuen die Fresse zu polieren. Ich weiß nicht, dir irgendwie zu zeigen, dass es sich lohnt, mit mir wieder zusammen zu sein. Dich zurück zu bekommen."
"Ja, spätestens, nachdem du meinen Neuen verprügelt hättest, wäre ich davon überzeugt."
Trotz meines desolaten Zustandes, bekomme ich es hin, sarkastisch zu klingen. Ich wische mir mit dem Handrücken über die Wangen und versuche, den Tränenfluss unter Kontrolle zu bekommen.
"- Eine Trennung ist der Schlussstrich. Sie steht am Ende einer gescheiterten Beziehung und vielen, vielen Versuchen, sie zu retten. Es lohnt sich nicht, jemanden zurück erobern zu wollen, den man verloren hat."
"Ja, schon, vielleicht.", erwidert er nachfenklich, den Blick gen Himmel gerichtet, wie ich vorhin, "Aber etwas bleibt immer. Ich meine, man hat diese Person geliebt, mit ihr so einen langen Teil seines Lebens verbracht, ihr alle Facetten gezeigt. Egal, was passiert, man wird sie immer lieben."
Er schaut mich jetzt wieder an. Sein Blick ist undefinierbar.
"- Ich glaube, dass nur die sich leidenschaftlich hassen können, die sich mal leidenschaftlich geliebt haben- und es noch immer tun."
Like memories in cold decay,
Transmissions echoing away,
Far from the world of you and I
Where oceans bleed into the sky
********
Ein emotionales Kapitel mit sehr viel Dialog (oder sogar: Monolog), daher hat's so lange gedauert. Würde mich wie immer über Verbesserungshinweise freuen, da ich mit dem Ergebnis bisher alles andere als zufrieden bin.
Katha
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