Kapitel 36
Doch diese befreiende, entgültige, schwarze Leere hielt nicht lange an. Irgendwie fühlte ich mich seltsam zwiegespalten. Einerseits versuchte ich immer noch in der Leere zu versinken, es zu beenden, diese Welt für immer zu verlassen. Andererseits merkte ich, wie ich immer wacher wurde. Die Leere langsam hinter mir ließ. Obwohl ich hier bleiben wollte, konnte ich es nicht verhindern. Die schwarze Leere um mich herum verschwand, der Nebel in meinem Kopf verflüchtigte sich. Zurück blieb nur eine leichte, bittere Verzweiflung. Ich hatte es nicht geschafft. Mein Herz schlug noch immer, Minute für Minute, Stunde für Stunde. Würde immer weiter schlagen, denn sie würden mich am Leben halten. Würden mich nicht sterben lassen. Meine Kehle fühlte sich ausgetrocknet und zugeschnürt an. Es war ein scheußliches Gefühl, dass auch nach mehrfachem Schlucken nicht verschwand. Im nächsten Moment wurde ich mir meiner Schmerzen deutlich bewusst. Sehr deutlich bewusst. Meine rechte Schulter schmerzte ziemlich heftig, aber das war nichts gegen meinen linken Unterarm. Die Schnitte brannten wie Feuer und der ganze Unterarm stand in Flammen. So fühlte es sich jedenfalls an. Und in meinem Kopf pochte es, irgendwo hinter meiner linken Augenbraue. Es tat nicht wirklich weh, aber es machte mir das Konzentrieren deutlich schwerer, machte es fast unmöglich.
Einem plötzlichem Impuls folgend, versuchte ich angestrengt, meine Augen zu öffnen. Es schien unendlich viel Kraft zu kosten und als ich meine Augenlider endlich einen Spalt weit geöffnet hatte, war das Pochen in meinem Kopf ein ganzes Stück heftiger geworden. Die Welt um mich herum schien nur aus weißem, extrem hellem Licht zu bestehen. Geblendet kniff ich meine tränenden Augen zusammen, das Licht stach ja regelrecht in sie hienein. Es vergingen einige sehr lange Sekunden, bis ich einen neuen Versuch startete. Diesmal war das Licht schon nicht mehr ganz so hell. Nicht mehr ganz so weiß. Und nicht mehr ganz so stechend. Trotzdem trieb es mir wieder die Tränen in die Augen. Aber ich war fest entschlossen, meine Augen geöffnet zu lassen. Ich blinzelte mir die Tränen aus den Augen und sah mich um. Dieses Zimmer kam mir bekannt vor, sehr bekannt. Ich lag in meinem Bett im Krankenhaus. Immer noch. Ich starrte an die in sterilem Weiß leuchtende Decke. Immer noch. An die Deckenleuchte, in dessen Umrandung ein Stück fehlte. Immer noch. An die Decke, die ich langsam zu hassen begann.
Jetzt stieg mir auch dieser ganz bestimmte Geruch in die Nase. Dieser Geruch nach Krankenhaus, nach Desinfektionsmittel, nach Leid. Verwirrt über meine eigenen Gedanken starrte ich weiter an die Decke. Früher hatte ich das doch auch nicht so empfunden. Was war nur los mit mir? Warum empfand ich jetzt so? Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Weil ich inzwischen so viele schlechte Erinnerungen, so viele schlechte Gedanken und Gefühle damit verband. Weil ich hier weg wollte, weil ich mich eingesperrt fühlte. Weil ich endlich wieder rausgehen, mich bewegen wollte. Endlich wieder frische Luft atmen wollte. Dieses Gefühl eingesperrt zu sein, wurde in den nächsten Sekunden immer stärker. Hinterließ ein starkes Bedürfnis nach frischer Luft. Bis ich es nicht mehr aushielt. Aufstehen wollte. Ich versuchte meinen Oberkörper aufzurichten, aber ich kam gerade mal drei Zentimeter weit. Panik stieg in mir auf, begann mich ganz auszufüllen, bis ich an nichts anderes mehr denken konnte. Ich war hier gefangen, konnte hier nicht weg. Diese Gewissheit machte alles nur noch schlimmer. Machte es noch schwerer, einfach ruhig hier zu liegen.
Noch einmal versuchte ich mich aufzurichten, versuchte gegen das, was mich festhielt anzukämpfen. Aber es hatte keinen Sinn, ich konnte hier nicht weg. War hier gefangen, alleine mit meiner Panik. Meine Atmung beschleunigte sich, ich musste hier weg! Ich begann mich zu winden um mich zu befreien. Begann zu schwitzen. Machte eine Pause, ließ mich erschöpft in mein Kissen sinken. Versuchte meine Panik zu bekämpfen, mich zu beruhigen. Konzentrierte mich wieder auf meinen schmerzenden Unterarm. Griff unwilkürlich an den Ort, wo die Schnitte waren. Traf mit den Fingern auf den rauen Stoff eines Verbandes. Ich sog scharf die Luft ein, meine Schulter protestierte heftig. Jetzt bemerkte ich auch den Zugang in meiner rechten Hand. Die Geräte, an die ich angeschlossen war. Die Monitore, die alles aufzeichneten. Bemerkte den Gurt, der über meiner Brust gespannt war. Der mich am Bett fixierte, mich hier fest hielt. Hilflosigkeit. Panik. Angst. Verzweiflung. Das alles zusammen ergab eine schlechte Mischung. Verdrängte die Vernunft. Und brachte mich dazu, in einem letzten großen Kraftaufwand nach den Schläuchen zu greifen. Sie herauszuziehen. Alle, ausnamslos. Ein lautes, nerviges, schrilles Piepen erklang. Erschrocken blickte ich auf die Geräte. Scheiße! Laute, hektische Stimmen waren zu hören, sie kamen immer näher. Müdigkeit überkam mich, meine Augen begannen schon wieder zuzufallen. Das letzte was ich sah, war eine Gestalt in weißem Kittel, die hereingestürmt kam. Mit einem Blick die Situation erfasste. Das Piepen ausschaltete. Die Anstrengung und die Müdigkeit wurden jetzt übermächtig, erleichtert ließ ich mich wieder in diese Schwärze sinken. Ich wollte einfach nur schlafen, es war mir egal, was passierte. Mir war egal, was die Gestalt im weißen Kittel tun würde. Mir war egal, was noch passieren würde. In diesem Moment, war mir alles egal.
850 Wörter
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