Kapitel 14
Nachdem ich etwa fünf Minuten gewartet hatte kam Phil den Gang auf mich zu. Er sah mich besorgt an, als er bei mir angekommen war setzte er sich erstmal hin. Dann fragte er: "Laura, was ist passiert? Ist bei dir alles in Ordnung?" Innerlich seufzte ich. Franco hatte ihm also noch nichts erzählt. Ich war vermutlich nicht die richtige um es ihm zu sagen, aber gerade war nun mal niemand anderes da. Ich holte tief Luft. "Mein Vater hatte einen Unfall. Ich hab in bewusstlos in der Küche gefunden!" Phil sah mich entsetzt an, von seinem sonst immer so fröhlichen Lächeln war nichts mehr zu sehen. "Was ist mit ihm?", fragte er mit leiser Stimme. Hilflos sah ich ihn an, ich wusste ja selbst noch nicht was passiert war. Schließlich sagte ich:"Ich weiß nicht, er wird gerade untersucht". Phil nickte. Eine drückende Stille entstand. Wir saßen einfach nur da und warteten. Ich trommelte mit meinen Fingern immer wieder auf die Lehne des Stuhls, Phil biss sich auf die Unterlippe. Offensichtlich war ich nicht die einzige, die das Warten wahnsinnig machte.
Fünf Minuten vergingen. Zehn Minuten. Ich wurde immer nervöser und musste mich sehr beherschen um einfach ruhig sitzen zu bleiben. Nach einer Viertelstunde kam endlich ein Pfleger auf uns zu. Phil sprang auf, ich blieb lieber sitzen. "Wie geht es ihm?", rief Phil. "Nicht so gut. Er ist erstmal stabil aber wir bringen ihn jetzt auf die Intensivstation", antwortete der Pfleger. Phil nickte. Ich war einerseits erleichtert, dass war besser als nichts. Aber andererseits, Intensivstation klang nicht gut. Ich öffnete den Mund um eine Frage zu stellen, aber genau in diesem Moment hatte Phil sie schon gestellt. "Was hat er?" Der Pleger meinte:" Er hat eine starke Alkoholintoxikation. Aber wir kriegen ihn schon wieder hin". Phil sah bleich aus, nickte aber. Ich sah ihn fragend an. Konnte mich mal jemand aufklären? Phil bemerkte meinen Blick. "Eine Alkoholvergiftung", erklärte er.
Ich sah ihn dankbar an. Ich wusste, was eine Alkoholvergiftung war. Wieviel hatte mein Vater bitte getrunken? Zu viel, gab ich mir selbst die Antwort. Er hatte es übertrieben. Mal wieder. Und das war jetzt die Strafe dafür. Ein kleiner, fieser Teil von mir dachte insgeheim, dass er es verdient hatte. Aber der andere Teil machte sich Sorgen. Große Sorgen. Und das machte mich schon wieder wütend, er hatte es nicht verdient, dass ich mich um ihn sorgte. Warum konnte ich ihn nach all dem was passiert war nicht einfach hassen? Mit Gewalt riss ich mich aus meinen Gedanken. Ich musste jetzt erstmal eine ganz andere Frage klären. Wo sollte ich jetzt hin?
Also wandte ich mich wieder Phil zu. "Was soll ich denn jetzt machen?". Phil schreckte hoch. Dann meinte er:"Naja, nach Hause lass ich dich jedenfalls nicht!" Ich sah ihn genervt an, obwohl ich sowas schon erwartet hatte. "Mann Phil, ich bin fünfzehn, ich werde ja wohl für eine Nacht alleine zuhause sein können!", versuchte ich es. Aber es half nichts, Phil sah mich streng an. "Du kannst ja wohl nicht ernsthaft glauben, dass ich dich in deinem Zustand alleine nach Hause lasse. Am besten kommst du erstmal mit zu mir, dann sehen wir weiter". Ich holte tief Luft um zu protestieren. Ich wollte nicht zu ihm. Ich wollte einfach ein bisschen Zeit für mich haben. "Ich versteh nicht warum du mich nicht nach Hause lässt, ich muss das alles erstmal verarbeiten. Und dafür brauche ich Ruhe!" "Die hast du bei mir auch. Außerdem kann ich dich dann wenigstens von einigen Dingen abhalten", meinte er mit ruhiger Stimme.
Ich beneidete ihn darum, dass er so ruhig bleiben konnte. Denn bei meinem nächsten Satz war die Wut in meiner Stimme nicht zu überhören. "Vielleicht will ich gar nicht, dass du mich abhälst. Vielleicht will ich, dass ihr mich einfach mal in Ruhe lasst. Ist das so schwer zu verstehen?" Er sah mich stirnrunzelnd an. Dann griff er schneller als ich regieren konnte nach meinem linken Arm und rollte den Ärmel hoch. Die frischen Schnitte bluteten nicht mehr, waren aber trotzdem noch gut zu sehen. Ich riss mich los. Plötzlich breitete sich ein neues Gefühl in mir aus. Scham. Phil sah mich mit einem seltsamen Blick an. Bestimmt war er enttäuscht. "Und genau das", begann er,"genau das ist der Grund warum ich dich nicht allein nach Hause lassen kann".
Kurz wollte ich protestieren, dann überlegte ich es mir anders. Er hatte ja Recht, es war besser so. Ich wollte sowieso aufhören und so würde ich gar nicht erst in Versuchung kommen. Ich ließ den Kopf hängen. Jetzt war er auch noch sauer auf mich. Vorsichtig griff er wieder nach meinem Arm. Als ich nicht protestierte, begann er den Verband wieder richtig zu befestigen. "Danke", brachte ich heraus. "Kein Problem", entgegnete er. Dann schwiegen wir wieder. Irgendwann fragte er:"Können wir los?" Ich nickte, heute konnten wir meinen Vater eh noch nicht besuchen. Also konnten wir genauso gut schon fahren. "Willst du noch was von zuhause holen?", fragte er mit Blick auf meinen blutdurchtränkten Ärmel. Schon wieder nickte ich, zu mehr war ich gerade einfach nicht in Stande.
Also folgte ich ihm humpelnd zu seinem Auto und stieg ein. Nach ungefähr zehn Minuten schweigender Fahrt waren wir bei mir zuhause angekommen. Ich stieg aus und schloss die Tür auf, Phil folgte mir in unsere kleine Wohnung. Ich ging direkt in mein Zimmer und ignorierte Phils entsetzten Blick, als er die ganzen leeren Flaschen sah. Ich hatte nichts mehr zu verstecken. In meinem Zimmer begann ich mir ein bisschen Wechselkleidung, meine Zahnbürste und ein Buch einzupacken. Mein Blick fiel auf mein Bett, es war immer noch mit Fotos übersäht. Einem plötzlichen Impuls folgend nahm ich das oberste Foto und legte es vorsichtig zwischen zwei Buchseiten, damit es nicht knickte. Dann war ich fertig, mehr brauchte ich nicht. Ich sah mich nochmal in meinem Zimmer um, auf dem Boden waren immer noch einige Blutstropfen zu sehen.
Danach kehrte ich meinem Zimmer den Rücken zu und ging wieder in den Flur. Dort wartete Phil schon auf mich, an seiner traurigen, entsetzten Miene sah ich, dass er wohl nicht alzu begeistert vom Zustand der Wohnung war. Da waren wir immerhin schon mal zwei. Aber ich hatte mich einfach nicht dazu aufraffen können zu putzen, also war es so geblieben. Jetzt ergriff Phil das Wort. "Sieht das hier immer so aus?" "Ja, eigentlich schon", antwortete ich. Wozu sollte ich ihn noch anlügen? Er sah mich entschlossen an. "Wenn dein Vater wieder gesund ist werde ich das Jugendamt einschalten, so kann das nicht bleiben. Du musst hier weg!" Geschockt starrte ich ihn an. Einfach um Zeit zu schinden fragte ich:"Warum?" In meinem Kopf arbeitete es. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Er sah mich entgeistert an. "Du kannst doch nicht wirklich so leben wollen!" Ich schüttelte den Kopf. Er hatte ja Recht, ich wollte so nicht leben. Manchmal wollte ich überhaupt nicht mehr leben. Aber im Moment war ich einfach nur dankbar, dass er die Entscheidungen für mich traf, dass ich mich einmal um nichts kümmern musste.
Dann umarmte ich ihn einfach, er hatte schon so viel mehr für mich getan als mein Vater. Und das obwohl ich ihn erst so kurz kannte. Er war erst überrascht, erwiederte die Umarmung dann aber. Irgendwie fühlte ich mich geborgen, und das war ein Gefühl, dass ich schon sehr lange nicht mehr gehabt hatte.
Hey,
falls ihr noch Verbesserungsvorschläge oder Wünsche habt, schreibt sie gerne in die Kommentare!
LG Leandra1a8a
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