Tag 8
Grace
Das Glas fällt vom Tisch direkt in den Schoß von Ava. »Verdammt, Shila!«
Die Katze springt mit einem Satz auf den Boden und läuft panisch davon. »Oh Gott, es tut mir so leid! Normalerweise darf sie nicht auf dem Tisch herumlaufen. Ist der Fleck sehr groß?«
»Ach, macht doch nichts. Ich habe mir gestern ein neues Waschmittel gekauft – kann ich es gleich testen«, erwidert meine Schwester und betrachtet die kleine Sauerei.
Als ich ihr ein neues Top aus meinem Kleiderschrank geliehen habe und wir fast fertig sind, um aufzubrechen, klingelt es an der Tür.
»Erwartest du noch jemanden?«, ruft Av aus dem Badezimmer.
»Nein, nicht dass ich wüsste. Und die Vergesslichkeit ist dann doch noch nicht so weit vorangeschritten.« Ich eile zur Tür und versuche den eigentlich unerwünschten Gast durch den Spion zu identifizieren. Dunkles Haar, blaue Augen...
»Ach du Scheiße!« Ich entferne mich ruckartig einige Schritte zurück und ducke mich. Ava erscheint im Türrahmen des Bads. Ihr rechtes Auge wird von einem total in die Hose gegangenen Eyeliner geziert. »Darf ich fragen, welche derart abscheuliche Person –«
»Pssst!«, zische ich und wedle unnötig mit meiner Hand herum. Av sieht mich an, als wäre ich nicht mehr ganz dicht. »Wer ist es denn?«, formt sie lautlos mit ihren Lippen.
»Grace? Bist du zu Hause? Ich bin's.«
Schweigen. Shila betritt den Flur und gibt ein schrecklich lautes Geräusch von sich. Warum muss sie genau jetzt Hunger haben?! Wieso frage ich eigentlich; das hat sie doch immer.
»Gracy?« Als ich den Spitznamen höre, stellen sich sofort die Härchen in meinem Nacken auf. Es gibt nur eine einzige Person, die mich jemals so genannt hat. Ava reißt die Augen auf und schüttelt ihren Kopf. »Ne, oder?«, flüstert sie. Mein Gesichtsausdruck muss Bände sprechen, denn nun ist auch meine große Schwester todernst.
»Soll ich aufmachen?«
Sie zuckt mit den Schultern und die Glocke ertönt noch einmal, woraufhin wir beide gleichzeitig zusammenzucken. Ich entscheide schließlich, mich wieder aufzurichten und die Tür zu öffnen. Und da steht er. Der Typ, der mich im Stich gelassen hat. Derjenige, der einfach abgehauen ist, als ich ihn am meisten gebraucht hätte. Der Schmerz in meiner Brust, den ich so lange mit mir herumgetragen habe und der seit einigen Monaten endlich in den Hintergrund gerückt ist, taucht wieder auf.
»Was willst du hier?«, frage ich ihn unfreundlich. Ich habe keine Lust, nett zu sein, da er mich zu sehr verletzt hat. Er scheint überrascht zu sein, dass ich die Tür doch noch aufgemacht habe. Er setzt an, etwas zu sagen, doch es kommt nichts raus. Nach ein paar Sekunden scheint er sich gefasst zu haben.
»Es tut mir leid, falls ich störe. Wie ich sehe, habt ihr was vor.«
»Das stimmt allerdings.«
»Dann komme ich morgen wieder. Oder übermorgen.«
»Was brauchst du? Geld? Das kriegst du nicht.«
»Schön wär's.« Er spricht nun so leise, dass ich Mühe habe, ihn überhaupt verstehen zu können. Ich sehe ihn fragend an. Auch wenn es mich eigentlich nicht zu kümmern hat, möchte ich trotzdem wissen, was er zu sagen hat. Er wird bestimmt nicht ohne Grund zu mir gekommen sein. Ich an seiner Stelle würde mich in Grund und Boden schämen, wenn ich einfach so vor der Tür meiner Ex auftauche und nach etwas wie Geld frage. Es muss wohl etwas anderes sein. Nur was?
»Können wir uns irgendwo so bald wie möglich treffen?« Ich werfe einen Blick zu Av. Sie mustert Tyreese mit einem kritischen Blick und ich gebe einen Seufzer von mir. In mir scheint die Neugierde zu siegen. »Okay. Morgen im Café um die Ecke. Ich erwarte dich.«
»Womöglich wäre es besser, wenn wir hier reden.«
»In meiner Wohnung?«
Er nickt und verlagert sein Gewicht nervös von einem Fuß zum anderen. »Okay, dann sagen wir um 17 Uhr morgen bei mir.«
Er murmelt ein »danke«, presst seine spröden Lippen aufeinander und dreht sich dann um, um aus meinem Blickfeld zu verschwinden. Ich sehe ihm verdutzt nach. Was war das gerade?
Eine Stunde später befinden Ava und ich uns in einer etwas weiter entfernten Bar und warten auf ein paar Freunde, um den Abend gemütlich ausklingen zu lassen. Ich bin froh darüber, da ich die Situation von vorhin wenigsten für einige Stunden ausblenden kann.
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