Tag 134

Grace

Vier Tage. Vier beschissene, total sinnlose Tage sind vergangen und ich habe noch immer nicht realisiert, was in dieser Nacht passiert ist. Ich wusste, dass es irgendwann so weit kommen würde, aber trotzdem bin ich einfach nur geschockt.
Tyreeses Hand liegt in meiner und ich zeichne mit meinem Daumen kleine Kreise auf seinen Handrücken. »Tyreese, bitte wach auf«, flüstere ich hoffnungsvoll. Seit dieser Nacht liegt er im Koma und nur Maschinen erhalten ihn am Leben. Ich vermisse ihn so sehr; seine Stimme und seine Augen, die mich mit so viel Liebe ansehen. »Ich weiß, du schaffst das. Bitte, Tyreese.«
Ich höre, wie die Tür des Zimmers aufgeht und ich drehe mühselig meinen Kopf, um die Person erkennen zu können. »Hey, willst du nicht irgendwas essen oder ein paar Stunden schlafen?«, fragt Ava. Wie ich diese Frage hasse. Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich sie in den letzten Wochen schon gehört habe. »Komm schon, hol dir wenigstens einen Kaffee. Ich passe solange auf ihn auf«, ermutigt mich meine Schwester, während sie ihre Hand auf meine linke Schulter legt und diese sanft drückt. Ich seufze schwer und erhebe mich schließlich doch. Ich verlasse mit einem letzten Blick auf meinen Mann den kleinen Raum und suche mir einen Kaffeeautomaten. Vielleicht hat Ava ja recht und ich fühle mich danach etwas besser. Mein Kopf dröhnt, der Schlaf scheint mich allmählich zu übermannen und von meinem leeren Magen möchte ich gar nicht erst anfangen.
Als ich einen Automaten finde, lese ich die verschiedenen Produkte und muss alles zweimal wiederholen, um überhaupt den Sinn dahinter zu verstehen. Doppelter Espresso. Das klingt doch gut. Ich schaue dabei zu, wie ein weißer Plastikbecher in die Halterung fällt, das Gerät zu brummen beginnt und kurz darauf braune Flüssigkeit das Gefäß befüllt. Ich nehme den Becher, werde sauer, als ich mich daran verbrenne und mache mich dann auf den Weg zurück zum Krankenzimmer. Doch ich komme nicht dazu, das Zimmer zu betreten, da mich eine Person zurückhält. Es dauert einen Bruchteil von Sekunden, bis ich überhaupt realisiere, dass jemand meinen Namen ruft. Ich drehe mich um und sehe in das Gesicht von Tyreeses Mutter.
»Hallo Tasha«, bringe ich hervor und zwinge mich zu einem misslungenen Lächeln.
»Hallo Grace, wie geht es dir?« Sie scheint sofort zu bemerken, dass die Frage komplett überflüssig war und entschuldigt sich. »Tut mir leid, du musst darauf nicht antworten. Ich weiß, wie du dich fühlst.« Ich nicke langsam und habe keine Lust auf diesen Small Talk. Irgendwas scheint sie aber zu bedrücken, da sie ein paar Mal ansetzt, etwas zu sagen und dann wieder abbricht.
»Möchtest du mir etwas sagen?«, versuche ich zu helfen.
»Äh ja... ich habe vorhin mit Mr. Davies gesprochen. Er hat mir vor einer Weile dieses Formular gegeben.« Sie überreicht mir ein Blatt Papier und ich lese die fett gedruckte Überschrift. DNR-Anordnung.
»Was ist das?«, frage ich verwirrt und lese die ersten Zeilen, doch mein Gehirn erkennt den Sinn dahinter nicht.
»Das ist eine Anordnung, dass ein Patient nicht wiederbelebt werden soll, da bestimmte Gründe dafür sprechen. Ich habe es bereits ausgefüllt und auch Tyreese hat es bereits unterschrieben. Ich wollte dir etwas Arbeit abnehmen, weißt du? Du musst es einfach nur mehr unterschreiben und dann können wir es Mr. Davies zurückgeben.«
Entgeistert und nun vollkommen mit meinen Nerven am Ende starre ich die Frau an. Meint sie das ernst? »Bitte was?«, höre ich mich ungläubig fragen.
»Grace, du wirst doch verstehen, dass mein Sohn nicht mehr aufwachen wird. Es geht darum, dass die Ärzte es ihm erleichtern, sterben zu können. Sie müssen einfach nur die Geräte abschalten, aber das geht nur mit der Bestätigung seiner Frau, welche du ja seit zirka zwei Wochen bist.« Ich spüre, wie die Wut in mir aufsteigt und ich kann mich nicht mehr zurückhalten. »Du willst ernsthaft deinen eigenen Sohn umbringen? DEINEN SOHN?! Ich weiß schon, du hast das gleiche bei deinem Mann gemacht und deswegen fällt es dir wahrscheinlich so leicht, aber wer glaubst du zu sein, mit Tyreese hinter meinem Rücken zu entscheiden, ihn einfach umzubringen?!« Tasha sieht sich nervös um. Ihr scheint es peinlich zu sein, dass ich einen derartigen Aufruhr verursache, doch ich weiß nicht wohin mit meinen Emotionen.
»Grace, bitte verstehe das doch! Was bringt es denn, ihn noch ewig im Koma leiden zu lassen? Wir alle wissen, wie aussichtslos die Situation ist«, versucht sie mich mit ruhiger Stimme zu beschwichtigen.
»Du wagst es, mir meinen Mann wegzunehmen!«, schreie ich erbost. Ich sehe etwas Weißes hinter Tasha aufblitzen und erkenne Mr. Davies, der mit schnellen Schritten auf uns zukommt.
»Mrs. McLane, bitte beruhigen Sie sich. Sie sind in einem Krankenhaus. Gibt es ein Problem?«
»Was erlauben Sie sich eigentlich, Tyreese und seiner MUTTER dieses Formular zu geben, ohne mich darüber zu informieren?«
»Es tut mir leid, aber zu diesem Zeitpunkt waren Sie noch nicht mit Mr. McLane verheiratet und–«
»Ich habe darum gebeten, Grace. Wie du vorhin bereits sagtest, habe ich das bereits bei meinem Mann mitgemacht und ich weiß, wie das alles abläuft. Als ich erkannt habe, dass es keinen Ausweg mehr gibt, habe ich dieses Formular angefordert«, mischt sich nun wieder Tasha ein. Ich schüttle empört meinen Kopf und fühle mich verraten.
»Wir können das gerne in meinem Büro klären. Bitte kommen Sie mit, Mrs. McLane.« Der Arzt bedeutet mir, mit ihm mitzukommen. Da ich nicht weiß, was ich sonst tun soll und ich Hoffnung habe, ihn umstimmen zu können, willige ich schließlich ein. 

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