Tag 12

Tyreese

Aufgeregt habe ich meine Kinder herausgeputzt. Ashley trägt zwei geflochtene Zöpfe jeweils links und rechts und zum Schluss habe ich ihr ein pinkes Haarband um den Kopf gebunden. Dazu trägt sie ihr neues Top mit zwei kuschelnden Bären vorne drauf. Robin hat sein neues grün- und weißkariertes Hemd an und ich habe es irgendwie geschafft, seine wilden Locken zu bändigen. Ich bin stolz auf mein Resultat und mache mich noch kurz selbst fertig. Mit zwei Kindern geht meistens alles ein wenig langsamer voran.

»Dad, wo gehen wir jetzt hin?«, fragt mich Robin, während er mich mit seinen dunklen Augen ansieht. Ich lege mir meinen Schal um und prüfe mein Aussehen mit einem letzten Blick in den Spiegel im Flur.
»Wir gehen in ein Restaurant. Ihr zwei habt doch bestimmt Hunger, oder?« Rob nickt eifrig, währenddessen Ash ihren Stoffhasen aus ihrem Zimmer holt und beharrlich sagt: »Herr Hase muss mit!«
»Ach, Ashley. Ich bin mir sicher, dass es ihm nicht sehr gefallen wird, wenn er von zu Hause weg muss, obwohl er doch eigentlich sooo müde ist. Willst du ihn nicht lieber hierlassen?«
Meine Tochter sieht mich an, als hätte ich ihr gerade mitgeteilt, dass es dieses Jahr kein Weihnachten geben wird.
»A-Aber er vermisst mich!«
»Na gut, dann nimmst du ihn halt mit, aber er schläft einstweilen im Auto, ja?« Sie scheint zufrieden zu sein.
Es ist bereits zwanzig Minuten nach sechs, als wir im Restaurant ankommen. Ich hoffe, dass Grace nicht sauer sein wird, denn normalerweise bin ich immer pünktlich. Ich schiebe meine zwei Kinder vor mir her, weil sie wieder einmal nicht folgen wollen. Jaja, der Spielplatz nebenan ist um einiges interessanter. »Kinder, bitte! Nachher gehen wir zu der Rutsche, okay? Dieses Essen heute ist sehr wichtig für mich, versteht ihr?« Zwei Paar Augen wenden sich mir zu.
»Wiesooo?«, ruft Rob aufgeregt.
»Weil ihr gleich jemanden kennenlernen werdet. Sie ist sehr nett und... eine Freundin von mir.«
Ich treibe die beiden Geschwister weiter voran und erhasche schließlich einen Blick auf Grace' lange schwarze Haare. Sie sitzt weiter hinten an einem Tisch für vier Personen. Sofort fällt mir der rote Schal auf, den sie schon hatte, als wir noch zusammen waren.
»Kommt, ich sehe sie schon!«, murmle ich Ash und ihrem Bruder zu, dann zeige ich in die richtige Richtung. Ich nehme sie beide jeweils an einer Hand und marschiere zu Grace. Als wir vor dem Tisch stehenbleiben, sieht sie von ihrem Handy auf. Als sich unsere Blicke treffen, legt sich ein Lächeln auf ihre vollen Lippen.
»Hallo, Tyreese.«
Ich grinse einfach nur, da ich so nervös bin. Ich habe das Gefühl, als bekäme ich plötzlich keinen anständigen Satz mehr zusammen.
»Oh, und ihr zwei müsst Ashley und Robin sein, nicht wahr?«
Sie hockt sich nieder und gibt jedem der beiden die Hand. »Ich habe schon so viel von euch gehört. Ich bin Grace; eine Bekannte eures Vaters.«
Bei ihren Worten schmerzt es seltsamerweise in meinem Brustkorb. Ich verdränge das Gefühl und weise Ash und Rob einen Platz zu. Schließlich sitzt Robin neben mir und Ashley neben Grace.
»Okay... Wollen wir etwas zu trinken bestellen?«
»Ja, eine gute Idee«, stimme ich zu und gebe dem vorbeilaufenden Kellner ein Handzeichen. Als sich später mit einigen Komplikationen geklärt hat, was meine Kinder essen und trinken möchten, werde ich allmählich ruhiger.

»Ich habe gehört, dass du sehr gerne Star Wars anschaust, Robin. Stimmt das?«, fragt Grace lächelnd und beugt sich ein wenig näher zu dem kleinen Jungen mit den wuscheligen braunen Haaren. Die scheint er wohl von mir zu haben. Naja, zumindest die Farbe. Rob nickt langsam.
»Erzähle mir ein bisschen davon. Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, um was es da geht.«
Natürlich weißt du das, denke ich mir. Das weiß jeder. Sie möchte einfach nur über irgendetwas mit Robin reden.
»Krieger.«
»Um Krieger? Okay, wow. Klingt spannend.«
Es entsteht Schweigen. Erst als Ashleys piepsige Stimme die unangenehme Stille durchbricht, kann ich wieder einatmen. »Kennst du Herr Hase?« Grace sieht sie fragend an, dann zuckt sie mit den Schultern. Meine Tochter scheint ganz überrascht zu sein, dass nicht jeder Mensch auf der Welt ihren Plüschhasen kennt.
»Nein, tut mir leid. Ist das ein Freund von dir?« Sie nickt eifrig und greift unter ihre rosa Strickjacke.
»Ash, was machst du da? Lass deine Kleidung an!«, mische ich mich nun ein. Zum Vorschein kommt das etwas schmutzige Stofftier. Ich habe ganz vergessen, dass sie es eigentlich im Auto hätte lassen sollen. »Tadaaa!«, schreit sie. »Herr Hase!« Dank ihrer Lautstärke werfen uns einige Gäste einen empörten Blick zu. Ich entschuldige mich mit einer Handgeste und möchte am liebsten im Boden versinken. So habe ich mir das Treffen nicht vorgestellt.
Meine Tochter nimmt die rechte Pfote des Häschens und streckt sie Grace entgegen. Diese erwidert lächelnd die Geste und begrüßt das Tier, als wäre es ein echtes.
»Hallo Herr Hase. Schön, dich kennenzulernen. Bist du der Glücksbringer von Ashley?« Das Mädchen sieht sie fragend an.
»Was ist das?«
»Oh, ein Glücksbringer ist ein Gegenstand, also ein...« Grace wirft mir einen hilfesuchenden Blick zu, während sie es zu erklären versucht. »...ein Ding, dass dir immer und überall Glück bringt. Wenn du traurig bist, heitert es dich auf und es begleitet dich einfach auf jedem deiner Wege.« Ashley sieht begeistert aus.
»Ja, das ist Herr Hase.« In diesem Moment kommt unser Essen und die Gespräche über Star Wars und Herrn Hase enden einstweilen.
Als es darum geht, wer bezahlen soll, bricht eine Diskussion zwischen Grace und mir aus.
»Ich finde es nicht in Ordnung, wenn du zahlst! Schließlich brauchst du das Geld für deine Kinder und du bist krank!« Ich zucke zusammen. Grace scheint bemerkt zu haben, dass sie einen wunden Punkt getroffen hat, da sich ihr Gesichtsausdruck von ernst zu besorgt ändert.
»Habe ich etwas Falsches gesagt?«, fragt sie leise. Ich beobachte Ashley und Rob, doch die beiden scheinen abgelenkt zu sein. Ich schüttle erleichtert den Kopf.
»Schon gut.« Ich beuge mich zu Grace hinüber. »Die zwei wissen nur nichts von dem Ganzen und das soll einstweilen auch so bleiben.«
»Was? Du hältst es vor ihnen geheim?!« Ich zucke langsam mit den Schultern. Was sollte ich denn sonst machen? Ich habe jetzt schon Panik vor dem Moment, an dem ich es Ashley und Robin sagen muss. Und das ist meine Pflicht; ich kann nicht einfach so verschwinden und meine Kinder ohne jegliches Wissen zurücklassen. Ich habe jetzt schon das Gefühl, dass ich ihnen nicht mehr genug geben kann.
Als der Kellner schließlich kommt, bin ich schneller mit dem Bezahlen und Grace wirft mir einen unzufriedenen Blick zu.
»Ash, Rob? Wollen wir gehen?«
Ich sehe, dass sie beide etwas Süßes von unserer Bedienung bekommen haben. »Zeigt mal her, was habt ihr denn da Leckeres? Gehört das mir?«
»Nein!« Ich muss lachen, als Ashley sich das Bonbon in den Mund steckt und die kurzen Ärmchen vor der Brust verschränkt. Ihr entschlossener Ausdruck ist nicht zu übersehen.

Wenig später stehen wir draußen und es entsteht erneut betretenes Schweigen.
»Ähm, na dann... Danke, dass du bezahlt hast. Nächstes Mal bin aber wirklich ich dran!« Ich lächle und stimme Grace zu.
»Gut, ich werde es mir merken.«
Danach begibt sich sie sich in die Hocke und wendet sich meinen Kindern zu. Rob versteckt sich hinter meinem linken Bein.
»Es hat mich sehr gefreut, euch kennenzulernen.« Ashley streckt ihre Hand aus und gibt sie wie selbstverständlich Grace. Diese beginnt glücklich zu lächeln. »Und auch auf Wiedersehen an Herrn Hase!« Ash nickt erfreut. Robin scheint Grace noch immer nicht zu trauen, denn er weigert sich nach wie vor, ihr gegenüberzutreten.
»Also dann...«
Um einer peinlichen Mischung aus Händeschütteln und Umarmen zu vermeiden, schließe ich einfach meine Arme um sie. Sofort umgibt mich ihr Geruch und benetzt meine Geruchssinne. Dieser bekannte Duft bringt mich beinahe um den Verstand. Eine Hülle von Vertrautheit, Geborgenheit und Trauer umschließt mich und ich löse mich nur ungern wieder von ihr.
Als ich wenig später mit meinen Kindern im Auto sitze, kann ich nicht mehr aufhören, an Grace zu denken.

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