Falsches Blut


Mit gemischten Gefühlen lief ich durch die mir schon bekannten grauen Gänge. In meiner Magengegend kribbelte es und ich verzog das Gesicht, um mein dämliches Grinsen zu verbergen. Die Flure waren wie so oft leer, von unbehaglicher Stille erfüllt, kahl und kühl, hatten keinen Reiz, als schön beschrieben zu werden.

Ungewissheit durchzog meine Gedanken, als ich ohne noch einmal Halt zu machen durch die schwarzen Doppeltüren trat. Rey hatte mir letztens gesagt, dass er dennoch ein wenig trainieren würde. Außerdem würde es weniger auffallen. Der Officer hatte zu mir zumindest gesagt gehabt, dass ich weitertrainieren, an meiner Kampfstrategie arbeiten würde, um beim nächsten großen Vormarsch gegen die Rebellen vollkommen einsatzbereit zu sein.

»Prinzessin entschließt sich auch hier aufzutauchen«, gluckste Rey aus einer Ecke und lachte in sich hinein, als er aus der Dunkelheit in das Licht der Lampen trat.

Ein seltsames Gefühl machte sich in mir breit, jedoch konnte ich es nicht beschreiben. Es war nicht eines wie Wut oder Rache, sondern einfach nicht leicht zu definieren. Es war eine Mischung aus Freude, Skepsis, Verrat, und einem Gefühl, auf das ich ja mal gar keine Antwort hatte. Ich hatte noch nicht einmal eine Definition für dieses etwas, da es sich so unbekannt und fremd anfühlte, so ungebändigt und frei.

»Weißt du, dass du richtig anstrengend sein kannst?«, fragte ich grinsend und stellte meine Tasche auf den staubigen Boden ab. Mit einer schnellen Bewegung zog ich diese ockerfarbene Windjacke aus und warf sie über meine Tasche.

»Sicherlich«, sagte er grinsend und stellte sich schon routinemäßig auf die Matte. »Ich bin ja auch ein Rebell«, gab er übertrieben wieder und zog die Augenbrauen in die Höhe.

»Weiß ich«, sagte ich und blickte in seine wunderbaren blauen Augen, die mich undefinierbar anblickten. »Und, was machen wir heute?«

»Reden«, meinte er und lächelte knapp, ehe er sich tatsächlich auf die Matte in den Schneidersitz setzte.

Dein Ernst?, dachte ich und zog die Brauen zusammen, während ich bockig die Hände in die Hüfte stemmte. »Ich dachte, wir würden trainieren.«

»Nö, wir reden.« Riley fuhr sich durch das rabenschwarze Haar und nickte auf die Matte. »Setz dich.«

»Ich will aber nicht.« Ich verzog das Gesicht und reckte überlegend das Kinn, während ich mein Gewicht auf ein Bein verlagerte. Doch von Dominanz konnte man nicht sprechen, denn Riley – dieser grinsende Vollidiot – zeigte kein Stück Einsicht, grinste übertrieben, als hätte er alles unter Kontrolle – und eigentlich hatte er das ja.

Stöhnend ließ ich mich dann aber doch auf die Matte nieder, Riley nur einen Meter vor mir. Ich strich mir das braune Haar nach hinten und blickte Rey fragend an. »Was nun? Über was willst du reden?«

Riley seufzte tief und rückte ein Stück näher zu mir, sodass zwischen unseren Knien nicht mehr viel Platz fehlte, bis sie sich berühren würden. »Über vieles.« Wow, das ist jetzt mal eine Ansage, dachte ich mir und seufzte. »Ich möchte, dass du mir sagst – in einem Satz –, warum du die Waffe des Officers bist.«

Meine Stimmung kippte und schon fand ich wieder Kälte in mir, ausdruckslos, monoton. »Weil ich den Wind kontrollieren kann.«

»Und warum bist du seine Waffe geworden?«

»Weil seine Gegner meine Eltern umgebracht haben und ich nach Rache sann. Ich tu es immer noch.«

»Ich bat um einen Satz«, meinte Riley und verzog das Gesicht zu einer Grimasse, die wahrscheinliche einem Lächeln gleichen sollte. »Hast du die Leute damals gesehen, die in euer Haus eingebrochen sind?«

»Nein, ich habe sie nicht gesehen.«

Riley holte tief Luft, hielt sie einen Moment, ehe er sie ausstieß und meinte: »Kannst du also mit Sicherheit sagen, dass es damals die Rebellen gewesen waren und nicht irgendwelche Straßengangs, die ...«

Mit einer schnellen Bewegung erhob ich mich und schrie: »Nein, sie waren es! Sie haben sie einfach umgebracht. Und versuch nicht, Rey, mich auf deine Seite zu ziehen. Ich bin keine Rebellin. Es liegt nicht an dir, ich mag dich, aber die Rebellen sind Leute, denen ich nicht vertrauen kann, die ich hasse.«

»Dann müsstest du mich aber auch hassen«, gab Riley mit einem Grinsen zurück und erhob sich langsam, doch mit einer Dominanz in der Haltung, wie ich sie von ihm kannte.

Ich machte den Mund auf, um etwas zu erwidern, aber meine Antwort hätte nur einen Widerspruch ergeben. Verflixt, das ist seine Absicht gewesen.

»Siehst du«, meinte er und verschränkte die Arme, »du kannst uns nicht gleichzeitig hassen und mögen.«

»Ich mag die anderen nicht.«

Rileys Grinsen wurde breiter und er schaute kurz zur Seite, ehe er antwortete: »Ich weiß, du magst mich. Ich mag dich auch, das ist keine Frage, aber dennoch bin ich ein Rebell. Ich werde immer ein Rebell bleiben und immer zu den Rebellen halten. Sie sind meine Familie.«

Familie. Ein Wort mit doch so vielen Bedeutungen. Ein Wort, das ich schon so lang nicht mehr gehört hatte. Es existierte für mich schon gar nicht mehr.

»Aber was ist deine?«, fragte Rey und kassierte sofort einen giftigen Blick von mir, der ihm anscheinend nichts ausmachte. »Der Officer oder ...«

»Wag es nicht«, knurrte ich. »Ich werde die Mörder meiner Familie nicht als solche ansehen. Noch nicht einmal werde ich es in Betracht ziehen. Sie sind ...«

»Wir sind ...«, korrigierte mich Rey und reckte das Kinn.

»Ihr seid Mörder, eiskalte Mörder.«

»Wir wollen nur ...«, setzte er an, doch ich unterbrach ihn.

»Ich weiß, was ihr wollt. Und ich finde es richtig, es ist vollkommen richtig. Ihr wollt nur ein sicheres, geordnetes Leben ohne Unterdrückung.« Ich drehte mich weg, da sich Tränen in meinen Augen zu sammeln begannen. »Und, ja, verdammt ich versteh das, ich versteh euch. Ihr wollt doch nur in Freiheit leben, glücklich sein, ohne Unterdrückung, aber versteh mich, Rey. Versteh meine Lage. Ich kann niemals zu euch gehören. Ihr tut die richtigen Dinge. Ihr wollt den Menschen helfen, ihnen ein besseres Leben schenken. Ich versteh das, Riley, ich finde das super, aber ich kann das nich ... Ich kann nicht die unterstützen, die meine Familie umgebracht haben. Ich habe eingesehen, dass ihr nur helfen wollt, den Officer stürzen wollt, weil er ungerecht herrscht, mit Strenge und Verboten, aber ich kann nicht zu euch stehen. Wenn es so weit sein wird, werde ich beim Officer stehen. Ich werde gegen euch kämpfen«, Tränen rannen mir in Strömen über die Wange, »aber nicht, weil ihr falsche Dinge tut – nein, sie sind richtig –, sondern weil ich meiner Familie den letzten Gefallen tun will. Ich stehe euch nicht gegenüber, weil ich euch wegen dem verachte, was ihr tut, sondern was ihr mir angetan habt. Ihr habt mir alles genommen. Alles, Riley. Alles.« Mein Atem bestand nur noch aus einem ungleichmäßigen Schluchzen, während die glasklaren Perlen mir unaufhaltsam über die Wangen liefen. »Du musst verstehen, dass ich dich nicht hasse, dich nicht verachte, aber ich kann nicht eine von euch sein. Dafür ... Ich kann nicht, Riley. Das musst du verstehen. Ich kann einfach nicht.« Und es stimmt: Ich verstand, dass sie den Officer stürzen wollten, weil er ungerecht herrscht, dass sie nicht die Bösen waren, für die ich sie einst gehalten hatte, aber ich konnte nicht zu ihnen halten. Sie hatten meine Familie auseinandergerissen, und auch wenn es so gut war, was sie taten, was sie versuchten, konnte ich nicht zu ihnen stehen. Es war für meine Familie. Nur für meine Familie.

***

Sébastien beäugte mich mit skeptischen Blicken, während ich diesen verdammten Arsch nicht einen Moment anblicken wollte. Er verdammt hatte mir doch gerade einen Ortungschip in den Unterarm einsetzen lassen. Nach seiner Meinung ging es dabei nur um die Sicherheit. Klar, wenn ich in den Krieg geschickt wurde, war ich auch total sicher und geschützt von allen Einflüssen. So ein Vollidiot, dachte ich mir nur und drehte mich nur noch ein Stück mehr von ihm weg. Mein Unterarm brannte noch höllisch und die gerötete Stelle mit dem kleinen schwarzen Etwas unter der Haut, betonte das noch mal ausgiebig.

»Willst du wirklich nichts essen?«, fragte der Officer ein wenig besorgt. Und nach meiner Meinung sollte er das, immerhin hatte er mir gerade einen verdammten Ortungschip einsetzen lassen, als wäre ich ein streunendes Haustier, das nicht zurückkommen würde. Das Problem war vor allem gewesen, dass, wenn ich mich allzu sehr dagegen gesträubt hatte, es nur aufgefallen wäre. Und noch mehr Achtsamkeit von seiner Seite wollte ich mir echt nicht einhandeln, weswegen ich diese Prozedur einfach über mich ergehen gelassen hatte.

»Ich habe wirklich keinen Hunger«, seufzte ich und legte meinen schweren Kopf auf die Arme. Ich spürte die ganze Zeit Torrences Blick auf mir und konnte mir sein abartiges und hinterhältiges Grinsen schon fast vorstellen. Zwei Idioten an einem Tisch. Na super, dachte ich und stand seufzend auf. »Ich geh in den Wald«, verkündigte ich träge und trottete aus dem riesigen Speisesaal, ohne irgendeine Antwort zu erhalten. Aber genau das war es, was ich erwartet hatte: nichts. So nahm ich mir meine Lederjacke, die schon alt und ausgefranst war, ehe ich an den beiden Gorillas – Benny und Schnuffi – vorbeiging, die mir mit hinter Sonnenbrillen versteckten Augen nachsahen. Hatten diese Typen echt kein Hobby? Immerhin war es stockduster draußen und sie liefen mit einer Sonnenbrille herum. Hallo, das Wort Sonne steckte in diesem Wort. Noch mehr Idioten, sagte ich mir und trat seufzend in die Kälte.

Dieser umhüllte mich sofort wie ein unnahbarer Schleier. Sanft strich der kalte Wind über meine Wange und hieß mich willkommen, wobei ich schief lächeln musste. Die Kälte tat mir recht gut, vertrieb die lästigen Kopfschmerzen und kühlte mein brodelndes Gemüt. Ich war einfach nur aufgebracht, aber wie so oft mischte sich Verzweiflung und Unentschlossenheit mit unter. Insgesamt war alles so zu beschreiben, dass meine Gefühle in einem Kreis gefangen waren, nur das immer mehr unverständliche hinzukamen. Unverständlich. Ja, das war das passende Wort für alles. Egal ob für meine Gefühle, meine Sicht auf die Dinge oder die gesamte Situation, in die nicht nur ich verstrickt war. Alles war einfach nur unverständlich und verwirrend.

Ein knochiger Ast schlug mit mitten ins Gesicht, den ich durch die Dunkelheit nicht erkannt hatte, als ich in den bewaldeten Teil um den West Lake kam. Knurren riss ich meine Haare aus ihm heraus und stieß ihn beiseite. Den Schmerz spürte ich gar nicht – ich wusste noch nicht mal, ob er überhaupt da war -, sondern nur diesen brodelnden Zorn, auf einfach alles. Doch am meisten regte mich gerade auf, dass mir so ein bescheuertes Ortungsgerät in die Haut gesetzt worden war. Hatte ich je etwas getan, das ihn verärgert hatte? Nun, eigentlich hatte ich das, nur er wusste es halt nicht. Er hatte keine Ahnung, dass ich gemeinsame Sachen mit einem Rebell machte, und dass ich insgeheim gegen ihn und seine Politik war, die mir jetzt wie ein schön verpacktes Geschenk vorkam, innen aber nur aus Kälte und Strenge bestand. Ich hatte ihn für den Guten gehalten, die Rebellen für die Bösen. Nun hielt ich ihn für den Bösen, doch einen Ausdruck für die Rebellen hatte ich nicht. Sie waren für mich weder gut noch böse. Sie wollten nur Freiheit, was ja berechtigt war, aber dennoch konnte ich nicht wirklich gut über sie sprechen. Sie hatten beides in gewisser Weise an sich, Gut und Böse, waren dennoch aber keins von beidem.

»Allein in der Dunkelheit?«, schreckte mich eine monotone, aber dennoch sanfte Stimme auf. Mein Herz hielt für einen Moment den Atem an, ehe es im gewohnten Takt wieder weiterschlug.

»Was wünschst du, Riley?« Ich lehnte mich an den Stamm eines kräftigen Baumes und blickte auf den Ast, wo ich eine dunkle Gestalt ausmachen konnte.

Er lachte leise und bewegte sich, sodass der Ast Geräusche von sich gab, die durch den dunklen Waldes gingen und die Stille unterbrachen. »Du bist doch hierhergekommen. Sollte ich nicht dir die Frage stellen?«

»Du hast auf der Lauer gelegten. Wie ein Raubtier«, erwiderte ich und musste schmunzeln, war mir aber bewusst, dass er dies nicht sehen konnte. Daraufhin herrschte wieder drückende Stille, und obwohl ich eigentlich noch den Drang hatte weiterzulaufen, rutschte ich am Stamm hinab und setzte mich. Stöcker und Steine bohrten sich in meine Handflächen, als ich eine optimale Sitzposition einnahm. Ich schlang meine kraftlosen Arme um meine Knie und zog sie fest an mich.

»Wieso bist du hier?«, wisperte Rey in die Stille.

Ich seufzte und schloss die Augen, ehe ich antwortete: »Ich war wütend. Und weil ich das war, habe ich mich entschlossen, durch den Wald zu gehen.«

»Und wieso bist du wütend?«, fragte er mit sanfter Stimme nach einer Weile.

Diesmal hob ich meinen Kopf und blickte zu der dunklen Silhouette empor. »Es gibt so viele Gründe, weswegen ich wütend sein kann«, seufzte ich. »Aber diesmal bin ich es, weil der Officer mir nicht vertraut.«

Riley lachte, verstummte aber gleich wieder. »Nun, der Officer tut alles, um ...«

»Ich weiß.« Ich strich mir einige Strähnen aus dem Gesicht, die mir ins Gesicht gefallen waren, als ich meinen Kopf auf die Knie gelegt hatte. »Ich weiß.«

Ein gedämpfter Aufschlag ging durch den Wald, ehe es wieder still wurde. Daraufhin folgten aber Schritte, leise und bedacht, ab und zu ein Knacken eines Stockes, bis es wieder still wurde und Riley sich neben mich gesetzt hatte.

Ich konnte ihn zwar ausmachen, aber nicht sagen, was er gerade tat. Das Einzige, was aus der Dunkelheit herausstach, waren diese betörenden Augen. Und diesmal, als sie mich ansahen, hatte ich wirklich das Gefühl, als würde sich das Blau wie Wasser bewegen.

Doch wirklich Zeit, um sie zu betrachten, hatte ich nicht, da die dunkle Gestalt vorschoss und mich mit einem Mal nach hinten drückte. Keinen Moment später spürte ich seine zarten Lippen auf meinen, die mich diesmal nicht zart, sondern mit undefinierbarer Wildheit küssten. Als hätte er es seit Jahren nicht mehr getan, als wäre ich das Wasser in der brennenden Wüste. Sein Kuss wurde immer inniger, Rileys Gewicht legte sich auf mich. Eine Sirene in meinem Kopf sprang an, doch selbst sie war so sehr gesprungen wie alles, das mich umgab, hin- und hergerissen zwischen Wahrheit und Lüge.

»Tut mir leid«, murmelte Riley, als er ein wenig von mir abgelassen hatte, die Lippen jedoch nur einige Millimeter von meinen entfernt. Sein warmer Atem strich mir über das Gesicht und mein Herz machte einen Sprung, während sich eine Gänsehaut über meine Arme zog.

Keinen Moment später zog er sich wieder zurück, zog mich sanft mit sich und setzte sich wieder neben mich. Er räusperte sich einmal und richtete irgendetwas, wahrscheinlich eine Jacke, ehe er sich seufzend an den Stamm lehnte.

Ich hingegen war das reine Gegenteil von ihm: Mein Bauch kribbelte wie wild, rebellierte, besser gesagt, meine Lippen brannten förmlich, ich konnte seinen Kuss immer noch spüren, und meine Gefühle bewegten sich zwischen Misstrauen, Verlangen, Nähe und Skepsis. Ja, ich war all das und vieles mehr.

Rey fuhr sich durch das Haar und seufzte schwer, als wäre es ihm alles eine Last. Aber, ja, das war ich. Ich war eine Last, egal für wen. Selbst für mich, ich machte mir das Leben selbst zur Hölle. Es war ein Kreis, aus dem ich nicht mehr herauszukommen wusste.

»Eigentlich wollte ich dir etwas erzählen«, meinte er irgendwann in die Stille und wandte sich mir zu. Die blauen Augen leuchteten wie ungeschliffene Saphire, zogen einen sofort in den Bann.

»Ich sagte doch schon, dass ich nicht ...«

»Das mein ich doch nicht«, unterbrach er mich. »Ich versteh dich. Ich glaube, ich würde auch nicht anders handeln.« Er würde auch nicht anders handeln, wenn er in meiner Lage wäre? Wirklich? »Doch darüber wollte ich nicht mit dir reden.«

»Über was denn?« Mein Herz schlug schneller und ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit. Jetzt würde das ›Ich bin ein Rebell und du die Waffe vom Officer, weswegen wir uns nicht mehr sehen sollten‹ kommen, aber anstatt dessen sagte er etwas, das mich total aus der Bahn warf: »Ich bin ebenfalls ein Quator.«

Lange blickte ich die Dunkelheit und wurde mir der Schwere dieser Tatsache bewusst. »Ein ... Das ist doch ein Scherz?«, meinte ich leicht empört und stand es auf.

Riley tat es mir gleich und stand binnen eines Augenblicks. Seine Silhouette war gut ein Meter von mir entfernt, aber ich hatte das Gefühl, das sie immer näherkam, mich immer mehr versuchte zu erdrücken. »Warte, lass mich die Taschenlampe anmachen«, meinte er leise und nächste Sekunde fand sich ein heller Lichtstrahl wieder, der einen hellen Kreis auf den dunklen Waldboden erscheinen ließ. Durch den leichten Schein erkannte ich Rey besser, der die Taschenlampe nun auf den Boden legte und in den Lichtkegel trat, sodass ich ihn sehen konnte.

»Riley, das ist total absurd. Wieso ...« Mir stockte der Atem. Heilige ... O Mann, er ist ein Quator, schoss es mir durch den Kopf und ich riss die Augen auf.

Mit konzentrierter Miene ließ er leichte Tropfen aus einer Pfütze in die Luft steigen. Als gäbe es keine Schwerelosigkeit, schwebten die feinen Kugeln, bestehend aus einfachem Regenwasser, um ihn. Durch die Dunkelheit und das einfache Licht der Lampe wirkte dieses Schauspiel ein wenig düster und beängstigend, aber – oh, mein Gott – er war ein Quator. Einer wie ich. Jemand ... Nun, ich wusste nicht wirklich, was uns Quators auszeichnete, aber das da – da war ich mir hundertprozentig sicher – war nicht normal. Gut, dass ich den Wind kontrollieren konnte, war auch nicht normal, weswegen es doch nur diese Erkenntnis geben konnte: Er war, ebenso wie ich, ein Quator.

Durch ein leichtes Zucken des Fingers wurde alles Wasser in der Pfütze in die Luft befördert. Schimmernd zog es wie eine Schlange seine Runden durch die Luft. Es war wunderbar, atemberaubend. Ich konnte den Wind kontrollieren, aber das hier ... Das war reiner Wahnsinn.

Meine fassungslose Miene verwandelte sich so langsam in ein halb glückliches, überraschtes Lächeln. Ich schaute diesem Gebilde aus Wasser gebannt zu, wie es um die Bäume zog, zurückkam und sich zu den unterschiedlichsten Gestalten formen konnte. Und dann probierte ich etwas, dass mich zum Grübeln gebracht hatte: Ich rief den Wind mit einem einzigen Gedanken, mit einem stummen Befehl auf und keinen Wimpernschlag später umspielte er nach Macht ringend meine Finger, fuhr mir durch das Haar, hieß mich willkommen. Ich schloss einen Moment die Augen, um seine Anwesenheit, seine Nähe und unfühlbare Wärme zu spüren, ehe ich ihn auf das Gebilde aus Wasser zuließ. In dem Moment, in dem ich die Augen aufschlug, traf mein Krieger das Wasser, brachte es ins Taumeln und riss es nach hinten. Das Gebilde verlor seine Form, fiel wie eine Fuhre Wasser vom Himmel und direkt ... auf Riley.

Sein Gesicht sprach tausend Bände, als er mich klitschnass ansah, der Gesichtsausdruck eine Mischung aus Fassungslosigkeit und Verwunderung.

Ich musste lachen, hielt es aber einigermaßen zurück, da ich mir jetzt keinen Kampf der Elemente mit Riley liefern wollte. Ich erlosch mein Lachen hinter einem intensiven Husten und strich mir die Haare aus dem Gesicht, die mir der Wind jedes Mal ins dorthin beförderte.

»Herzlichen Dank«, murmelte Riley und kam wieder zu mir.

Mein Grinsen konnte ich nicht zurückhalten, als ich ihn fragte: »Soll ich dich vielleicht trocknen?«

Rileys Gesichtsausdruck, hauptsächlich bestehend aus Verwunderung, brachte mich wieder zum Lachen, und als er begriff, verzog er das Gesicht, ehe er sich an den Stamm des Baumes lehnte, nahe bei mir.

»Also bist du auch ein Quastor?« Ich legte die Stirn in Falten.

»Ist das nicht offensichtlich?«, stellte mir Riley eine Gegenfrage und wrang am Ärmel sein Shirt aus. Seine Haare waren nicht mehr so zerzaust, sodass man am liebsten durch sie gefahren wäre, aber dennoch hatte er immer noch diese Ausstrahlung, diese Überlegenheit an sich.

»Warum hast du mir das nicht von Anfang an gesagt?«

»Warum hast du mir von Anfang an nicht die Wahrheit erzählt?« Er warf mir ein knappes Grinsen zu.

»Kannst du aufhören, mir mit Gegenfragen zu antworten.« Ich stöhnte und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Wieso?« Seine hellen Augen fixierten mich, erzählten Geschichten, die ich nicht entschlüsseln konnte.

»Du bist solch ein Idiot.« Seufzend setzte ich mich auf den Waldboden, den ich zum Teil erkennen konnte, da das Licht ihn erleuchtete.

»Nun, das ist eine Sache, in der du vielleicht recht hast.« Er setzte sich im Schneidersitz vor mich, die Taschenlampe zwischen uns.

»Oh, also gibst du es zu.«

»Zum Teil.« Das Grinsen brachte mein Herz zum Rebellieren und ich musste mich echt zusammenreißen, nicht wie blöd zu grinsen. Dämliche Gefühle.

»Zum Teil«, wiederholte ich und verdrehte die Augen. Doch dann kam mir etwas in den Sinn, dass mir die gute Stimmung vertrieb. »Du hast es mir gezeigt, um mir zu sagen, dass ihr ... auch solche wie mich auf eurer Seite habt. Dass ihr ebenso stark seid, wie ich es bin.«

Riley nickte bedrückt und sah auf den Waldboden.

»Wieso?« Tränen setzten sich in meine Augen. »Du weiß, ich kann nicht ... zu euch kommen. Du weißt, dass wir auf unterschiedlichen Seiten stehen und doch zeigst du mir euer größtes Geheimnis. Wieso?«

»Weil ich dich nicht tot sehen will«, sagte er mit so viel Ehrlichkeit in der Stimme, dass ich ihn wie erstarrt ansah. »Wir werden alles tun«, fügte er nach einigen Momenten hinzu, in denen er mir tief in die Augen gesehen hatte, »um den Officer zu stürzen. Wirklich alles, Caitlyn. Und ich wollte dir eine letzte Chance geben ...«

»Nein«, sagte ich kalt. »Du sagtest, du verstehst mich, meine Lage. Ich danke dir für diese Ehrlichkeit, für die Besorgnis um mich, aber ich bleibe bei meiner Entscheidung, Riley. Ich kann nicht«, hauchte ich leicht verzweifelt. »Eine Seite meiner selbst ist dagegen und ich kann sie nicht ignorieren.«

Er nickte mit hängendem Kopf, ehe Rey aufblickte und mir ein knappes Lächeln zuwarf. »Weißt du, dass die Augenfarbe zu unseren Elementen passt?«

Ähm ... Was? Damit hatte er mich wirklich, wirklich verwirrt. Wie zum Teufel kam er denn jetzt darauf? Haben wir nicht gerade noch über ... Gott, ist das Leben eine Qual, dachte ich und sah ihn unverständlich an. »Ich weiß jetzt nicht«, sagte ich immer noch recht irritiert, »was du mir damit sagen willst.«

Riley sah mich mit diesen unglaublich schönen Augen an, die sich in mich hineinzubohren versuchten, ehe er knapp lächelte und sich durch das nasse Haar fuhr, sodass einige Haare abstanden. »Sieh, ich habe blaue Augen.« Er legte den Kopf schief. »Augen, die dich anziehen, nicht wahr?«, fragte er leicht amüsiert und das Grinsen kehrte zurück, während ich fühlte, wie sich die Röte auf meinen Wangen breitmachte. »Nun«, er schluckte stark, »Blau die Farbe des Wassers.« Er blickte mich lange an, versuchte mit seinen Blicken sein Gesagtes in meinen Kopf zu prügeln, ehe er fragte: »Und was für eine Augenfarbe hast du?«

»Ich ... Grün.« Ich verzog das Gesicht. »Das kann nicht ...«

Rey hob die Hand und beugte sich nach vorne, wobei ich seinen Atem ganz leicht spürte. Der Wind heulte schon auf, wollte wieder um meine Finger spielen, aber ich drängte ihn mit aller Macht zurück. »Grün, aber durchzogen von einem Schleier Grau.«

»Und? Was ... was heißt das jetzt?

Riley grinste, so als wüsste er es, aber ich, die dumme, kleine Waffe des Officers, hätte davon keinen blassen Schimmer – leider war es ja genau so. »Das heißt, du hast zwei Kräfte.«

Ich lachte auf und schüttelte den Kopf. »Nein, das ist ...«

»Ist dir mal aufgefallen, dass dir jegliche Geduld fehlt?«, meinte er plötzlich und zog die Augenbrauen hoch, während ich ihn mit zu Schlitzen geformten Augen anblickte. Er seufzte und meinte: »Schließ deine Augen.«

»Ich werde jetzt nicht ...« Sein strenger und fordernder Blick verriet mir alles, weswegen ich murmelnd die Augen schloss und tief durchatmete. Gut, wenn er jetzt versucht mich umzubringen, werde ich nicht reagieren können, dachte ich mir und kniff die Augen zusammen.

»Entspann dich.«

»Um Gotteswillen. Sind wir in so einer dämlichen Therapiestunde?«

»Nein«, meinte er kalt, seufzte dann aber tief. »Tu es bitte.«

Ich riss den Kopf zum Himmel empor, obwohl ich die Augen geschlossen hatte, und tat dann wirklich das, was er gesagt hatte, obwohl mir so gar nicht danach war. Seufzend senkte ich den Kopf und zupfte ein wenig nervös an dem Moos, das sich unter uns wie eine weiche Decke ausbreitete

»Und jetzt denke an den Wald, an einen frühen Morgen, Nebel liegt über dem Land, die zaghaften Sonnenstrahlen suchen sich einen Weg durch die dichten Blätterdächer. Regentropfen glänzen im Licht, erfüllen das Stück Grün mit Leben. Tiere gehen zufrieden ihren gewohnten Drängen nach, Stille legt sich über den Wald. Vor dir liegt ein Bild, voller Ruhe und Stille. Moos überzieht alles, Bäume ragen in die Höhe, ihre Blätterdächer wiegen im Wind. Denke nur an den Wald, nicht an den Wind. Das Grün, das Wachsen, das Leben. Denke ...«

Ich schnappte nach Luft und riss die Augen auf. Rileys blaue Saphire blickten mich im ersten Moment erschrocken, doch dann zufrieden an, ehe sich das Lächeln, das eigentlich um seine vollen Lippen lag, in seinen Augen wiederfand. Ich hingegen hielt die Luft an und starrte, traute mich nicht, nach rechts zu meiner Hand zu blicken, die an eine Erhebung im Boden gestoßen war, die vorher noch nicht da gewesen war. Ich schluckte stark und zwang mich einen tiefen Atemzug zu nehmen, ehe ich mich doch dazu überwand, nach rechts unten zu sehen. Und was ich dort sah, raubte mir die Sprache.

Neben meinen Finger, die wie eingefroren schienen, lugte eine braun-grüne Ranke aus dem dichten Boden hervor. Zart und fein wandte sie sich wie eine Schlange aus dem Boden, kräuselte sich. Kleine grüne Blätter, zaghaft und so zerbrechlich, stachen aus ihr hervor. Sie war nicht besonders groß, besaß vielleicht die Dicke meines Daumens, doch raubte mir diese kleine Pflanze – wenn sie es denn wirklich war – die Sprache.

»Siehst du«, meinte Rey und immer noch erschrocken blickte ich zu ihm, »zwei Elemente. Du kannst zwei beherrschen.« Er grinste und schaute wieder auf dieses kleine Gebilde, seine Augen schienen es fast abzuscannen. »Und es ist äußerst selten, einmalig.«

Lange herrschte Stille. Ich starrte Riley an, wie der wiederum dieses kleine Gewächs anstarrte, als bedeute es die Welt oder wäre die Lösung auf alle Probleme. Aber es war nur eine weitere Macht, die ich kontrollieren konnte. Es war nur eine weitere Waffe, die dem Officer zustand. Etwas, das die Rebellen ebenfalls vernichten könnte.

»Doch wieso verrätst du mir das?«, meinte ich nach einer Weile und er blickte mich wieder an, das unwiderstehliche Lächeln verlor sich.

Riley schluckte stark und meinte: »Wie ich bereits sagte, kann ich dich nicht tot sehen.« Er zog Luft ein und hielt sie an, unfähig etwas Weiteres zu sagen, während mich seine stechenden Augen ansahen.

»Aber dafür werden dann viel deiner Leute tot sein« gab ich mit so viel Kälte zurück, dass es mich selbst zusammenzucken ließ. Es war hart, aber die Wahrheit. Ich stand auf der einen Seite, er auf der anderen. Ich gehörte dem Officer, er den Rebellen. Ich konnte mich nicht so einfach lösen, er konnte es. Ich war gefangen, er nicht.

»Ich weiß«, sagte er irgendwann und stand mit einer schnellen Bewegung auf. Ich glaubte Tränen in seinen Augen aufblitzen, doch er drehte sich weg, sodass ihn das Licht der Lampe nicht mehr erreichte. »Doch ich kann nicht ...« Er schloss die Augen und atmete zittrig aus, ehe er mit schnellen Schritten in der Dunkelheit verschwand.

Ich starrte vor mich hin, sah ihm nicht hinterher. Es war unnütz, zerstörte mich nur weiter. Ich kann auch nicht, dachte ich und schloss die Augen, um nur für einen winzigen Moment alle Probleme auszublenden.

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