Der Sturm zieht auf

Meine Finger umschlossen die Tasse so fest, dass sich meine Fingerknöchel in ein unnatürliches Weiß färbten. In diesem Raum roch es nach Erbrochenem, aber nicht weil jemand das wirklich getan hatte, sondern weil das Essen − was man wahrlich nicht als Essen bezeichnen konnte – so widerwärtig stank. Aber anscheinend sah das Sébastien völlig anders, da er sich diesen Mix aus was auch immer förmlich in den Mund schaufelte. Einmal stöhnte er sogar und ein schmackhaftes Grinsen lag um sein Gesicht, als er mich kurz anblickte.

»Wie lang noch?«, knurrte ich und ließ meinen Blick über die anderen Soldaten schweifen, die uns immer wieder abwägend anblickten. Nein, warte, sie blickten mich abschätzend an. Würden sie Sébastien auch nur von hinten so anblicken, würde er das sofort bemerken und keiner, ja wirklich keiner, wollte sich mit dem Officer anlegen. Sébastien − Officer Sébastien, wie er es immer bevorzugte – war der Befehlshaber unserer Regierung. Er war sozusagen der „Chef" von allem, hatte noch seine kleinen „Schoßhunde", die ihm wie wild nachliefen und hier und dort fragten, was sie machen sollten, und befehligte alle Truppen, die uns – ihm – zur Verfügung standen. Keiner wusste, warum er Officer genannt werden wollte, aber ich konnte mir vorstellen, dass es der Coolness wegen war. Yepp. Hundertpro.

Er hielt mitten in der Bewegung inne, funkelte seinen Löffel böse an, auf dem sich der Brei aus keine Ahnung was zusammengesammelt hatte, und blicke dann mit seinen stahlblauen Augen zu mir auf. Endlich. Er strich sich die grauen Haare nach hinten und bog seine Mundwinkel unnatürlich in die Höhe. »Du kannst es kaum erwarten, was?«, sagte er mit einem Grinsen und zwinkerte mir zu, ehe er diesen Brei verschlang, bei dessen Anblick ich nur das Gesicht verziehen konnte.

Ich seufzte und ließ meine Schultern nach vorne fallen. Der Geruch benebelte meine Sinne und ich fühlte mich endlos beobachtet. Mein Kiefer tat mir schon weh, weil ich die Zähne so stark aufeinanderpresste, dass ich schon dachte, sie wären herausgebrochen. Aber nichts da. Alles blieb da, wo es war.

»Wasch is'?«, nuschelte er und stützte die Ellenbogen auf die Platte aus Metall und wedelte mit dem Löffel in der Luft herum.

»Nichts«, murmelte ich in mich hinein. Ich verstand einfach nicht, warum er nicht mit mir in seinem Büro sprach, sondern in so einer verdreckten, herabgelassenen Kantine, in der es roch, als lebten hier schon seit Jahrzehnten irgendwelche Ratten.

»Officer, bitte. Können Sie mir sagen, wann wir loskönnen.« Ich seufzte tief und nahm den Blick von einem Soldaten, der mich schon eine ganze Weile angesehen, während ich ihn unverhohlen angestarrt hatte.

Er blickte mich erst einen Moment mit dieser monotonen, abstoßenden und beängstigenden Miene an, ehe er in ersticktes Gelächter fiel. »Gar nicht.« Er räusperte sich einmal stark und setzte dann dieses Verhandlungsgesicht auf, das ich in den letzten zwanzig Minuten kennengelernt hatte.

Mir klappte die Kinnlade herunter und ich umfasste die rote Tasse, die so gar nicht in den monotonen und grauen Raum passte, fester. Ich schloss den Mund wieder und zwang mich Luft zu holen, während ich versuchte den Officer nicht mit wütenden Blicken zu attackieren. Tja, es gelang mir aber nicht. »Wie bitte?«, knurrte ich, obwohl ich das schon verstanden hatte. Ich lehnte mich über den knarrenden Kantinentisch und blickte ihm in seine eiskalten Augen. »Sie sagten, ich wäre Ihnen eine große Hilfe und ich ...«

Mit einer Geste, die er mit Strenge vollführte, brachte er mich zum Schweigen und ließ den Plastiklöffel auf den Plastikteller fallen, ehe er sich mit einer Serviette den Mund abwischte und dann meinte: »Ich sagte dir, dass du für uns das Größte bist, was wir bis jetzt hervorbringen konnten. Aber dennoch kannst du nicht wie eine verrückte Irre nach draußen stürmen und anfangen Leute umzubringen. Das braucht alles eine gute, fein ausgeklügelte Strategie. Außerdem ... hörst du gerade irgendetwas von den Rebellen? Geben sie gerade irgendwelche Anzeichen von sich, sodass du hinausstürmen und dein Handwerk erledigen könntest?«

Seine Anwesenheit, die Haltung, streng, fordernd, besitzergreifend, hatte mich klein und erniedrigt fühlen lassen, aber jetzt überkam mich eine noch nie da gewesene Wut. »Nein«, gab ich kalt zurück. »Aber ich will dringend hoffen, dass Sie Ihr Versprechen halten.« Ich ließ von der Tasse ab, nahm mir meine schwarze Lederjacke und lief wutentbrannt an dem Officer vorbei.

»Caitlyn«, hielt er mich zurück, und obwohl ich nicht stehen bleiben wollte, tat ich es und neigte ein wenig den Kopf. »Sei pünktlich bei der Adresse. Ich will keine ungewollten Maßnahmen aufziehen.«

Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Ungewollte Maßnahmen? Wollte er mich sonst drängen, foltern, wenn ich nicht rechtzeitig käme? Aber gut konnte ich es mir vorstellen, immerhin würde der Officer alles tun, nur um an eine neue Waffe gegen die Rebellen heranzukommen. Und in diesem Fall war ich diese.

Schnaufend ging ich auf den Ausgang zu, achtete nicht auf die vielen Soldaten, die mich irritiert anstarrten. Ich bahnte mir einen Weg durch die grauen Flure, die mit Orden oder irgendwelchen uninteressanten Fotos behängt waren, des Militärgebäudes, bis ich auf dem Parkplatz ankam, an der Sicherheitskontrolle vorbeispazierte und vor der einen, großen Brücke, die zur Stadt führte, stehen blieb. Ein Wolkenkratzer prägte das Bild und überragte die etwas kleineren, heruntergekommeneren Wohnviertel, die sich mit knappen Parklandschaften, Straßen und Einkaufsläden abwechselten. Aber trotz dieses harmonischen Bildes war gar nichts harmonisch. Mein Blick schweifte ein Stück nach rechts, dem Fluss folgend, wo ich den östlichen Teil der Stadt erkannte, in dem sich die meisten Bewohner, aber auch die lästigen Rebellen aufhielten, die kein Blutvergießen scheuten. Und dann war da noch nahe am Fluss der Wald, der sich um die Stadt bis nach Osten und somit ins freie Land erstreckte.

Freiheit. Ein Wort mit so viel Bedeutung und Empfindung. Aber frei war ich nicht mehr. Ich hatte mich gebunden, an die Regierung, an die Stadt, an den Officer. Ich war seine geheime Waffe, die die Rebellen für immer vernichten würde.

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