34 Anprobe

Wie sie es erwartet hatte, stieß die Ankündigung eines Balls zu  diesem Zeitpunkt auf wenig Gegenliebe. Die Dienstboten und Soldaten  murrten und selbst einigen Adeligen ging die Geschmacklosigkeit zu weit.
Die meisten Hochgeborenen aber nahmen es hin oder begrüßten die Ablenkung und Abwechslung, die ihnen das Fest bieten würde.
Adhara  vermeinte in diesen Tagen jedoch, feinselige Blicke zu spüren,  wenn sie durch die Burg oder auf die Mauern ging, um einen Blick über  die Stadt zu werfen.
Sie sprach mit Valu darüber und wollte von ihr wissen, ob die Armen sich erheben würden.
Die  sah sie nachdenklich an und meinte schließlich an so etwas hätte sie  noch nie gedacht und auch sonst keiner, den sie kannte.
Das Leben sei  wie es sei. Die Armen arm, die Reichen reich. Das Schulterzucken, das  diese Worte begleitete, hätte Adhara beruhigen sollen, aber es verfehlte  seine Wirkung.

Ihre Sorge schien außer dem Hohen Horcher niemand  zu teilen. Den meisten schien sie absurd und selbst Valu, deren Leben  bisher nur an Ungerechtigkeiten, bitterer Armut und Demütigungen reich gewesen war, hielt es für ausgeschlossen.
Adhara  aber erinnerte sich an die Worte ihres leiblichen Vaters, die aus ihren  Kindertagen und einem Sommer voller Kinderlachen und Heuduft zu ihr  klangen.

Damals hatte eine Katze einen Jungen so schwer verletzt,  dass er beinahe ein Auge einbüßte.
Sie jagten das Tier im Spiel  den ganzen Tag über den Hof von Brückfeldingstein, bis es erschöpft in  einer Ecke kauerte. Gleich wohin es zu fliehen versuchte, stöberten sie es auf und trieben es weiter. Einer der Jungen stieg ihm sogar bis in einen Baum nach und trat es hinunter.
Als  die Katze schließlich in der Falle saß, wurden ihre Augen plötzlich zu tiefen, schwarzen Seen. Ihre Ohren lagen eng an den Kopf  gepresst und den Kindern hätte das leise Zischen und Knurren eine  Warnung sein müssen.
Sie befand sich in solcher Bedrängnis, dass sie ihr Leben nur noch durch einen beherzten Angriff retten zu können vermeinte.
Aus dem Stand schnellte sie nach oben und krallte sich  im Gesicht eines Jungen neben Adhara fest.
Die Narben trug er noch heute, eine direkt unter dem linken Auge.
Ihr  Vater schalt sie, weil sie nicht eingeschritten war, sondern  sich noch daran beteiligt hatte. Ein in die Ecke getriebenes Tier, wird  irgendwann angreifen, hatte er ihr erklärt. Der gutmütigste Hund wird es  irgendwann müde, sich treten zu lassen und die scheueste Katze wird zum  reißenden Derwisch, wenn man ihr keine Möglichkeit zur Flucht lässt.
Zu was wurden Menschen, wenn man ihnen alles nahm, die Rettung vorenthielt und ihnen zusätzlich ins Gesicht schlug?

In  diesen Tagen erinnerte Valu sie an sich selbst, als sie gerade  im Palast angekommen war. Sie schwatzte über Kleider, an deren feiner  Machart die Dirne zunehmend Gefallen fand und die schönen Stoffen, die sie  gern berührte, wenn sie ihr beim Ankleiden behilflich war.
Für Adhara  selbst war der Tand zur Gewohnheit geworden und sie achtete kaum noch  darauf. Am liebsten hätte sie einfach ein Kleid getragen, dass sie  ohnehin besaß. Ihr Gemahl meinte sein Versöhnungsangebot jedoch sehr  ernst und schickte ihr einen Schneider, der ihr ein neues anfertigen  sollte.
Valu war regelrecht verzückt. Sie drückte sich die ganze Zeit in dem Gemach herum und schwirrte hierhin und dahin, um verstohlen die Bänder und Borten durch ihre Finger gleiten zu lassen. Es schien ihr unbegreiflich, wie wenig sich die Königin für all das erwärmen konnte.
Auf's Geratewohl wählte Adhara Irgendetwas aus und ließ dem Schneider  freie Hand. Er sollte es lediglich nicht zu kostspielig gestalten, was  der mit sauertöpfischer Miene zur Kenntnis nahm.

Der Mann ließ  sich Zeit mit der Fertigstellung, da das Fest erst kurz vor Beginn des  Achtmonats, fast zur gleichen Zeit wie ihre Hochzeit stattfinden sollte und bis dahin noch etwas Zeit war.
Er belästigte sie immer wieder mit Einzelheiten und wollte ihre Zeit mit Anproben verschwenden.
Ihre Geduld war schon bald erschöpft und sie befahl ihm kurzerhand, seine  Änderungen vorzunehmen, während ihre Magd das Kleid trug. Die war genau  so groß wie sie selbst und durch die gute Kost im Palast, hatte sie ihre  Hagerkeit verloren.
Er zeigte sich wenig begeistert, ganz im  Gegensatz zu einer zuerst ungewöhnlich schüchternen, dann jedoch hellauf  begeisterten Valu.

Adhara saß während dieser Stunden in einer  Nische am Fenster und sann auf eine Lösung für die Menschen während des  Winters oder plante für die Zeit danach. Welche Maßnahmen mussten sofort  nach der Rückeroberung der Stadt getroffen werden? Wie konnte die  Nahrungsmittelversorgung für die Bürger verbessert werden? Sie hatte vor  im Frühjahr einmal durch das Land zu reisen, oder, falls das nicht  möglich sein sollte, jeden Vasall einmal in die Hauptstadt einzuladen,  um die Neuaufteilung der Ländereien und deren Vergabe zu besprechen,  bevor die Felder vorbereitet werden mussten.

Darüberhinaus war  sie nicht sonderlich beschäftigt, aber das affektierte Gehabe und die  Geschmacklosigkeit der ganzen Angelegenheit waren ihr unerträglich und  sie überließ es Valu gern, sich herauszuputzen, wenn sie ihr damit eine  Freude machen konnte.

Manchmal glitten ihre Gedanken auch wie  aus alter Gewohnheit zu Thorn von Goldwald, den sie zwar häufig, jedoch  nie allein sah. Sie hätte es sicher für kurze Momente einrichten können,  aber nach der seltsamen Warnung, wußte sie nicht recht, was sie tun  sollte. Ihre Nachforschungen waren ergebnislos geblieben.
Überhaupt, gab es nichts, was sie ihm hätte sagen können.  Eine leise Stimme flüsterte ihr zu, dass „Sprechen" nicht das war, was  sie wollte und es auch ganz unmöglich wäre, wenn man Lippen auf Lippen  presste.

Kurz vor dem Ball war das Kleid endlich fertig gestellt  und sowohl Adhara, als auch der Schneider waren froh, einander nicht so  schnell wieder sehen zu müssen.
Sie ließ es sich von Valu vorführen, die damit fröhlich durch das Zimmer tanzte, damit Adhara es von allen Seiten sehen konnte.
Das  Untergewand, das an einigen Stellen absichtlich hervorschaute, war in  dem weichen Ton der Wachskerzen gehalten und aufwändig mit kleinen Perlen bestickt. Darüber ergoss sich kostbare Seide, die durch  ihre kunstvolle Webung zwischen zwei Nuancen der Farbe blau wechselte,  was im tanzenden Licht der Kerzen herrlich schimmerte.
Die Kanten und  Ärmel waren mit Silberfaden eingefasst und zierliche Ranken, die in  zarten Goldblumen oder winzigen Fliederblüten endeten, wanden sich  hierhin und dorthin.
Am Abend des Balls, würde Adhara es noch mit etwas Schmuck und einem Gürtel ergänzen.
Obwohl  sie lieber darauf verzichtet hätte, musste sie doch zugeben, dass es  das schönste war, das sie, neben ihrem Hochzeitskleid, besaß.

Valu  drehte sich vor ihr und kehrte immer wieder vor den hohen Spiegel zurück, um sich zu bewundern. Sie lachte und kaum  etwas erinnerte an die Dirne, die sie verzweifelt und betrunken  beinahe angespuckt hatte.

Adhara erlaubte sich kurz, sich von der Ausgelassenheit anstecken zu lassen und fand sogar einen Schimmer von  Zuversicht. Das Fest würde stattfinden, so unpassend es war, also konnte  sie sich genausogut darauf freuen.
Außerdem zeigten ihre Bemühungen im Ehebett Erfolge - spärliche, aber es gab sie.
Vielleicht  gelang es ihr tatsächlich, aus der Zerstreuung Kraft zu schöpfen und  außerdem vermisste sie die alte Adhara, die so viel unbeschwerter und  fröhlicher gewesen war und es würde gut tun, ihr einen Abend lang den  Vortritt zu lassen.
Sie genoß den Moment, in dem Valus Fröhlichkeit ihre düsteren Gedanken vertrieb.

Der Frieden währte allerdings nicht lange, denn plötzlich sagte Valu:
„Wenn er Euch in dem Kleid sieht, wird er bestimmt eine Gelegenheit finden, Euch zu küssen."
Adhara seufzte. Es war nicht nötig zu erklären, wer er war.
„Das ist ausgeschlossen. Und ich will ihn auch überhaupt nicht küssen."
Valu hielt in ihrem Tanz inne und sah sie erstaunt an.
„Ach?  Das sah aber neulich anders aus. Da machte mir das nicht den Eindruck,  dass das für Euch nicht in Frage käm'. Oder Ihr nicht wolltet."
„Das war - unüberlegt."
„Aber ihr mögt ihn doch? Und Euer König ist doch mit ganz anderen Sachen beschäftigt, oder nich'?"
Sie wollte nicht darüber nachdenken und ganz sicher wollte sie nicht über Thorn von Goldwald sprechen.
Adhara  versuchte, das Gespräch zu unterbinden. Unterredungen mit Valu liefen  immer Gefahr, seltsame Richtungen einzuschlagen und hier gab es keine  Lösung.
„Valu. Es ist ganz einfach. Ich bin die erste Frau des  Landes, ich trage Verantwortung. Ich habe Verpflichtungen. Der Hof ist  ein gefährliches Pflaster für eine Königin, die sich unbeliebt gemacht  hat und ihrem Gemahl nicht gefällt. Und die kein Kind hat", schob sie  nach. „Es ist ausgeschlossen. Gerüchte wären schlimm genug, aber bekäme  jemand einen Erweis in die Finger, könnte nicht einmal das Desinteresse  meines Gemahls mich retten. Ich verlöre alles, auch mein Leben. Genau  wie er."
„Wegen einem Kuss?", fragte Valu ungläubig.
„Vielleicht  nicht wegen eines Kusses." Sie spreizte die Finger und blickte auf ihre  Hände. „Ich weiß nicht, ob ich ihm trauen kann", sagte sie leise.
„Er hat Euch im Riemen begleitet. Da habt Ihr ihm doch auch vertraut, oder nich'?"
„Das war - vorher."
„Vor was denn?"

Adhara sah die Frau in dem neuen Kleid nachdenklich an.
Sie  hatte mit ihr sogar die vertraulichsten Vorgänge zwischen sich und ihrem  Gemahl besprochen und es hatte sich als gut erwiesen. Die Dirne besaß einen Blick  auf die Dinge, den sie nicht kannte und es war schön, nach all der  langen Zeit, eine echte Vertraute zu haben. Valu wusste mehr über sie,  als jeder andere - außer Thorn.
Vielleicht kannte sie auch hier Rat. Auf ein Geheimnis mehr oder weniger kam es kaum noch an.
Und wer würde einer Dirne glauben, wenn sie sich entschließen sollte, sich gegen sie zu stellen.

In Adharas Kopf war die Warnung des ,Freundes' lauter und lauter geworden und vergiftete jedes Zusammentreffen mit dem Ritter.
Während dieser schweren Zeiten sehnte sie sich sehr danach, ihm  vertrauen zu können,  wenn sie ihm  schon nicht nahe sein durfte oder wenigstens Gewissheit zu haben. Sie hatte das Problem tagelang  hin und her gewendet und keine Lösung gefunden.
Es schien ihr unmöglich herauszufinden, ob er ihr treu ergeben war, wie er es versprochen hatte, ein eigenes Spiel spielte oder an jemandes Fäden hing.
Sie entschloss sich, Valu ins Vertrauen zu ziehen.  Immerhin war sie die Einzige, die zu arglos war, um die höfischen Spiele  zu spielen und die sich unbeschwert, ohne Kenntnissen von Namen und  Verpflichtungen der Sache nähern konnte.

Sie sprachen lange und  am Abend, nachdem das Kleid längst ausgezogen und für den Ball  sorgfältig weggelegt worden war, fand Valu tatsächlich eine  Lösung.
Als sie damit herausplatzte, lehnte Adhara sie rundheraus ab.
Wenn  er nichts zu verbergen hatte, war das Vorgehen verachtenswert, obwohl  er nie etwas davon erfahren würde. Andererseits konnte sie so  zweifelsfrei herausfinden, was sich hinter der Warnung verbarg.
Valu  ihrerseits war froh, ihr behilflich sein zu können und es war kein  unangenehmes Opfer, das sie erbringen musste.
Adhara wälzte sich den  Großteil der Nacht unruhig hin und her und betrachtete denVorschlag von allen Seiten. Ihre neue Magd schlief derweil ruhig, wie eine alte Katze.
Je länger  sie darüber nachdachte, desto verlockender erschien er ihr. Spätestens  am Morgen nach dem unseligen Ball würde sie wissen, woran sie war.
Als der  Tag heraufdämmerte, war Adhara ebenso von Valus Vorschlag überzeugt, wie  die Dirne und sie machten sich daran, während des Frühstücks die Einzelheiten zu besprechen.

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