27 Nach Oben
#Triggerwarnung: sexuelle Gewalt
Valus Tag begann hervorragend.
Zum Frühstück lag das feine, weiße Brot auf ihrem Teller, das es im Palast gab und von dem sie vor Monaten für Henn und sich schon einmal etwas ergattert hatte.
Von der königlichen Tafel fiel nun, sicher auf Bestreben der wunderschönen, mildtätigen Königin, die sie bis an das Ende ihrer Tage preisen würde, häufig etwas ab.
Kauend erinnerte sie sich an das Gesicht von Trent, als Ada ihn hatte wegschleifen lassen. Es war jeden Schlag, den Valu bist dahin selbst eingesteckt hatte, wert gewesen.
Sie verließ gut gelaunt das Haus und schlenderte die Strasse zu ihrem üblichen Platz hinauf, um sich ein paar Kupferstücke zu verdienen.
Plötzlich wurde sie angerempelt und ein Mann rannte an ihr vorbei. Sie rief ihm eine Verwünschung hinterher, während sie ihren fahlgelben Umhang zurechtzupfte und wollte ihren Weg fortsetzen. Da überholte sie ein weiterer und den beiden folgte eine Frau mit wehenden Haubenbändern.
Es blieben nicht die Einzigen. Noch mehr Menschen strebten eilig vorüber und eine Unruhe schien plötzlich durch die Straßen zu fließen und sich im ganzen Riemen auszubreiten, als hätte jemand einen riesigen Putzeimer voll davon über dem Bezirk entleert. Sie floß überall hin und erfasste die Menschen, einen nach dem anderen, auf ihrem Weg.
Einige Frauen hasteten an ihr vorbei. Valu rief ihnen nach, um zu erfahren, was los war, aber erhielt keine Antwort.
Schließlich machte sie es, wie alle anderen und folgte den Leuten, die zu wissen schienen, wo sie hingingen und warum.
Die Menschen strömten in Richtung der inneren Stadtmauer, auf das nächste Tor zu.
Eine beachtliche Menge hatte sich bereits dort versammelt.
Zuerst wußte Valu nicht, was es war, aber irgend etwas erschien ihr falsch an diesem Bild. Während alle Leute versuchten, gleichzeitig durch das Tor zu strömen fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: die Wachposten fehlten.
Niemand kontrollierte wer hindurchging und niemand hielt die auf, die nach Ärger aussahen, oder als ob sie sich ohnehin nichts dort oben würden kaufen können.
Das Brot lag ihr plötzlich wie eine Schuhsohle im Magen, die nicht lange genug gekaut worden war.
Mittlerweile war die Menge um sie herum so dicht, dass sie sich von ihr mitspülen lassen konnte. Allmählich trieb sie auf das Tor zu und verteilte mehr aus Gewohnheit, als aus Notwendigkeit, einige Stöße und Flüche.
Endlich war sie nahe genug, um zu erkennen, was hinter der Mauer vor sich ging.
Das Öhr war in Aufruhr.
Geschäfte wurden aufgebrochen und die Menschen schleppten weg, was nicht niet- und nagelfest war. Die Besitzer ihrerseits versuchten sich zu wehren und schlugen mit Knüppeln, Werkzeugen und Messern, oder was ihnen sonst in die Hände fiel, um sich.
Ein Mann dem das Blut hell und rot über das Gesicht lief, rannte kreischend mit eingedrücktem Schädel in die Menge, die vom Seichriemen nach oben strömte.
Er wurde unter ihr begraben und Valu konnte noch lange seine Schreie hören, die immer schriller wurden, bis sie schließlich erstarben.
Wo war die Wache?
„Valu!", rief eine bekannte Stimme. „Valu! Mach dass du wegkommst!"
Sie drehte sich mühsam um, während sie weiter auf das Tor zugetragen wurde. Das war Malon, der ihr aus der nachströmenden Menge zuwinkte.
Er hielt einen breiten Stock in der Hand und seine Wangen waren vor Gier und Abenteuerlust gerötete.
„Was sagst du da? Malon, he!", schrie sie zurück. Sie stemmte sich nun gegen den Strom der Menschen, um näher zu ihm zu gelangen.
„Die riegeln die Oberstadt ab. Gibt keine Wachen mehr hier unten oder im Öhr. Ich will mir auch ein Stück holen!" Übermütig schwang er seinen Knüppel.
Valu verdoppelte ihre Anstrengungen, um aus der Menge herauszugelangen.
Sie musste nach Hause und die Türen verschließen.
Hoffentlich war Anni klug genug, den Riegel vorzuschieben, wenn sie die Unruhe im Riemen bemerkte.
Jemand stieß sie zur Seite, aber sie trat beherzt zurück und ließ sich nicht von ihrem Weg abbringen. Als sie es fast geschafft hatte, aus der Meute auszubrechen, stürzte sie beinahe und einen kurzen Moment sah sie sich vor dem gleichen Schicksal, das den Mann mit dem eingedrückten Schädel ereilt hatte.
Es gelang ihr, sich abzufangen und endlich tauchte sie aus der Menge hervor.
Valu nahm sich nicht die Zeit, zu Atem zu kommen, sondern hastete in Richtung ihres Hauses davon.
Schon von Weitem sah sie, dass die Tür offenstand.
Ein abgerissenes Bauernweib schleppte gerade einen Arm voll ihrer Wäsche hinaus. Diese verdammten Bastarde! Wie die Tiere!
Sie beschleunigte ihre Schritte. Als sie sich näherte, flog die Tür des Nachbarhauses auf und dessen Bewohner wurde von einigen übel aussehenden Kerlen an den Haaren auf die Strasse gezerrt.
Sie konnte hier nicht bleiben.
Es gab niemanden, an den sie sich um Schutz wenden konnte und nun, da das Viertel aufgegeben war, würden sich die Starken nehmen, was sie wollten, so wenig es auch sein mochte.
Valu besaß nichts, aber Frauen waren immer eine leichte Beute.
Sie kämpfte den Gedanken, dass sie gerade zum zweiten Mal ihr Haus verlor, mit den aufsteigenden Tränen nieder.
Es gab nur einen Ort an dem sie jetzt noch Sicherheit finden und nur einen Menschen, der ihr helfen konnte: Der Palast und die Königin selbst.
Valu hoffte inständig, dass sie es noch ins obere Viertel schaffen würde, wenn sie den Wachen dort ihren Passierschein unter die Nase hielt. Eine andere Möglichkeit hatte sie nicht.
Sie musste ins Haus und ihn holen.
Nach dem Schrecken mit Trent, hatte sie einige Mühe darauf verwendet, die beiden Papiere mit der königlichen Unterschrift sicher zu verstecken. Eine unselige, staubige Stunde voller Flüche war dafür draufgegangen eine Bodendiele im oberen Stockwerk zu lockern und darunter Platz zu schaffen.
Nun lagen die Dokumente in alte Lappen gewickelt dort verstaut und Valu sah täglich nach, manchmal mehrfach, ob sich Mäuse daran zu schaffen machten.
Von diesem Versteck wußte niemand, selbst Anni hatte sie nichts verraten.
Anni! Sie musste auch nachsehen, wie es dem Mädchen ging.
Valu schlüpfte an den Männern, die nun das Haus nebenan auseinander nahmen, vorbei.
In ihrer Küche waren Töpfe und Teller auf den Boden geworfen. Besteck lag überall verstreut. Ihr Besen lugte zerbrochen halb unter dem Tisch hervor. Anni war nirgends zu sehen.
Sie lauschte, aber von oben war nichts zu hören.
Eine Holzkelle auf dem Boden fiel ihr ins Auge. Sie hob sie auf und näherte sich vorsichtig der Stiege. Als es ruhig blieb, begann sie nach oben zu klettern.
Dort bot sich ihr ebenfalls ein Bild der Verwüstung. Das Stroh der Bettstatt war im ganzen Raum verstreut. Einige Fetzen ihrer Wäsche waren aus der Truhe gerissen und von dort bis zum Beginn der Leiter verteilt, wie weiße Kiesel in einem Märchen, dass Valu einmal von einem fahrenden Gaukler aufgeschnappt hatte.
Der Tisch war umgeworfen und die Stühle lagen auf der Seite.
Anni war verschwunden. Valu hoffte, dass das Mädchen heil entkommen war und sich einen sicheren Platz gesucht hatte.
Sicher! Sie hätte beinahe laut aufgelacht. Es gab keine Sicherheit für Menschen wie sie. Niemals ganz.
Valu sank auf den Boden unter dem Fenster und legte die Kelle ab. Sie verschob mit ihren Fingerspitzen das Brett um eine Winzigkeit, sodass sie es gerade so heraushebeln konnte. Zuerst gelang es ihr nicht, wahrscheinlich wegen der Aufregung, aber schließlich bekam sie es zu fassen und hob es hoch.
Da waren die Lappen! Sie zog sie heraus und vergewisserte sich, dass die Papiere waren, wo sie sein sollten.
Valu verbarg das Bündel sorgfältig in der tiefen Tasche, die in eine der Falten ihres Kleides eingenäht war; dann ging sie schnell zurück zur Stiege.
Sie hatte ihr Glück bereits über Gebühr strapaziert und Glück war nichts, womit Valu übermäßig gesegnet war.
Unten war alles ruhig und dieses eine Mal war das Schicksal gnädig und sie gelangte ohne weiteren Zwischenfall zurück auf die Strasse.
Sie ließ ihr Haus hinter sich, ohne zurückzublicken.
Noch immer drängten Menschen in Richtung der Oberstadt.
Andere, vielleicht die Klügeren, versuchten stattdessen zur äußeren Mauer zu gelangen und sich ins Umland abzusetzen.
Kurz überlegte Valu selbst, ob das nicht auch für sie der bessere Weg wäre, aber sie war allein, unbewaffnet und mittellos - und krank waren die Leute überall.
Die Königin war ihre beste Wahl. Die würde sie schützen.
Sie war nicht wie die Anderen, die sie wie Rattenschiss unter ihren Fußsohlen betrachten und sich parfümierte Tücher vor die Nase drücken würden, sobald sie Valu sahen.
Bei der Mutter, die Frau war tolldreist mit diesem Riesen von einem Mann bei ihr aufgetaucht, hatte sich wie eine Dirne ausstaffieren und durch die Stadt führen lassen.
Zur Krönung hatte sie sich Gisels, nach Pisse schmeckendes Dünnbier, in den Hals geschüttet, ohne mit der Wimper zu zucken. Die würde sie nicht wegschicken.
Ein warmes Feuer, während sie Tee und Kuchen in sich hineinfraß, erschienen ihr außerdem eine bessere Art den Winter zu verbringen, als ohne Schutz über die Dörfer zu tingeln. Sie beschleunigte ihren Schritt.
Wenn sie herumtrödelte, würde die Zeit für sie entscheiden und die war eine räudige Ratte.
Der große Ansturm am Tor hielt noch immer an und sie wurde einfach in der Menge hindurchgespült. Das Wichtigste war, auf den Beinen zu bleiben und nicht zu stolpern.
Schließlich erreichte sie die engen Straßen des Öhrs und entfernte sich von der Meute so schnell sie konnte.
Übermütige Männer mit Waffen, trunken von Gier und Alkohol, den sie aus den Tavernen und Häusern holten, waren keine gute Gesellschaft für eine einzelne Frau.
Das Öhr erschien ihr düster und bedrohlich. Wegen der weit nach vorn gebeugten Häuser drang nur wenig Licht bis zum Boden, der jetzt mit Scherben und Unrat bedeckt war.
Valu musste auf ihrem Weg nach oben über zwei Tote hinwegsteigen.
Gerade versuchte sie, einer lärmenden Gruppe Burschen auszuweichen, die das Innere einer Schusterwerkstatt verwüsteten und Schuhe, Sohlen und Werkzeuge auf die Straße warfen, als sie aus dem Nichts an den Haaren gepackt wurde.
Es riß ihr den Kopf nach hinten und sie verlor das Gleichgewicht.
Valu hob fluchend die Hände über den Kopf und versuchte ihr Haar zu fassen, um den Zug zu verringern, der ihr die Tränen in die Augen trieb.
Ein sehniger Bursche, der die kräftigen Arme von jemandem hatte, der seinen Lebensunterhalt mit dem Schwingen eines Hammers über einem Amboss oder dem Herumwuchten schwerer Säcke verdiente, zog sie hoch und hinter sich her, in eine finstere Gasse.
„Lass' mich los, Du Schwein!"
Der Mann grinste nur und zerrte sie weiter.
„Du räudiger Sohn eines Esels und einer Ziege! Scheißkerl!"
Valu fluchte und versuchte verzweifelt, sich seinem Griff zu entwinden. Dabei fiel ihr Blick auf ein einfaches Messer an der Seite des Mannes. Sie verlagerte ihre Anstrengungen darauf, es zu erreichen.
Als es ihr fast gelungen war, riss er sie plötzlich herum und ließ ihren Rücken hart gegen eine Mauer krachen, so dass es ihr die Luft aus den Lungen trieb.
Er hob sie hoch und drängte sich zwischen ihre Schenkel.
Einen Moment erwog sie, es einfach über sich ergehen zu lassen, während er an seiner Hosenklappe fummelte und ihr seinen fauligen Atem über den Hals blies.
Der Gestank seines Schweißes biss ihr in die Nase und plötzlich wollte sie es nicht mehr hinnehmen.
Sie lehnte sich an die Mauer und presste sich gegen ihn, als könne sie es kaum erwarten. Er grinste sie überrascht an, die Augen schon trüb in Erwartung dessen, was er gleich tun würde.
Valu ließ eine Hand zwischen sich und ihn gleiten, als ob sie ihm behilflich sein wollte und umfasste die Härte, die sich ihr entgegenreckte.
Er stöhnte auf und schlug ihr grob seine Zähne in den Hals. Mit einer Hand hielt er sie fest gegen die Mauer gedrückt und riss mit der anderen an ihrem Ausschnitt.
Sie umfasste ihn weiter und angelte nach dem Messer.
Der Mann war zu abgelenkt, es zu bemerken.
Valu zog es mit einer geschmeidigen Bewegung heraus und rammte es ihm in die Seite. Sie konnte noch ein zweites Mal zustechen bevor er sie fallenließ und zu begreifen begann.
Damit hatte sie jedoch gerechnet, konnte sich abfangen und stürzte sich sofort wieder auf ihn.
Er fiel nach hinten und sie kam über ihn, wie ein wildes Tier.
Blind stach sie wieder und wieder auf ihn ein, ohne zu zielen oder auf seine Hände zu achten, die vor ihr durch die Luft fuhren und versuchten sie treffen.
Sie bemerkte kaum, wie er sich wehrte.
Als er endlich ihr Handgelenk zu fassen bekam, war es längst zu spät und sein Blut färbte den Boden rot.
Es gelang ihm noch, so fest zuzudrücken, dass Valu das Messer fallen lassen musste. Während seine Finger kraftlos danach griffen, nutzte sie die Gelegenheit, sich von ihm herunterzurollen und sich einige Meter entfernt in Sicherheit zu bringen.
Ihr Blut rauschte in ihren Adern und sie atmete schwer, als sie dort hockte und ihm beim Sterben zusah.
Er versucht noch einmal, sich aufzurichten, aber es gelang ihm nicht. Das Messer glitt ihm aus der Hand und seine Brust hörte auf sich zu bewegen.
Irgendwann fasste sie sich ein Herz, näherte sich und schnappte sich das Messer. Er reagierte nicht und sie tastete vorsichtig nach einem Geldbeutel, bereit, jederzeit zur Seite zu springen und davonzulaufen.
Als sie nichts fand, löste sie die einfache Lederscheide vom Gürtel des Toten, wischte das Messer an dessen Kleidung sauber und schob es in seine Hülle zurück.
Mehr trug der Mann nicht bei sich.
Sie richtete sich auf, lehnte sie sich einen Moment gegen die Mauer und schloss die Augen. Es pulsierte rot hinter ihren Lidern. Valu wartete, bis ihr das Herz nicht mehr bis zum Hals schlug und sie langsamer atmete.
Dann vergewisserte sie sich, dass ihre Schriftstücke noch unversehrt in der Falte steckten und machte sich, erst wankend, dann zunehmend festeren Schrittes, wieder auf den Weg.
Sie war voller Blut und bot einen schauerlichen Anblick. Es war ihr gleich und sie trug das Messer wie eine Trophäe in ihrer Hand. Bis sie in die Nähe der oberen Stadtmauer um den reichen Kaufmannsbezirk gelangte, griff sie niemand mehr an.
Dort hatte sich eine Traube von Menschen vor dem geschlossenen Tor versammelt. Armbrüste waren von den Mauern auf die Menge gerichtet und hielt sie in Schach.
Eine dreifache Reihe Soldaten, einige im Grau und Rot der Stadtwachen, einige zusätzlich mit den goldenen Streifen der Burgwachen angetan, verhinderten, dass irgendjemand hindurch gelangte.
Natürlich konnten sie die Mauern um die Oberstadt dicht bemannen und das Tor absichern, da sie nun alle verfügbaren Wachen aus ganz Oranborn hier zusammengezogen hatten.
Diese Mauer würde nicht schnell genommen werden, schon gar nicht von ein paar Handwerkern, Bauern und Bettlern.
Aus der Menge drangen Rufe und Bitten um Einlass, aber die Wachen scheuchten nur jeden, der sich zu nahe heranwagte, davon.
Ein paar Verwegene oder Verzweifelte hatten sich von guten Worten nicht aufhalten lassen und lagen nun mit Bolzen gespickt zwischen der Menge und den Reihen der Soldaten.
Valu schob sich nach vorn und wenn jemand keinen Platz machen wollte, drängte sie ihn mit ihren Ellenbogen auf die Seite.
Die Gestossenen fuhren herum und trachteten danach, es ihr mit gleicher Münze heimzuzahlen, machten aber Platz, sobald sie ihr blutverschmiertes Gesicht und Kleid sahen und gaben spätestens dann den Weg frei, wenn sie das Messer in ihrer Hand bemerkten.
So gelangte sie bis in die vorderste Reihe.
Sie drängte sich noch ein Stückchen weiter und wurde prompt von einer Wache mit goldenen Streifen aufgefordert, ihren Hintern wieder in die Unterstadt zurückzuschieben.
Valu blieb stehen.
„Ich habe", sie räusperte sich, „ich habe einen Passierschein von der Königin. Lasst mich durch!" Einige Soldaten lachten.
„Woher sollte jemand wie du sowas haben? Mach dass du wegkommst. Und wasch dir die Scheiße aus dem Gesicht, verdammt nochmal."
Valu angelte nach dem Bündel und fingerte die kleinere der Rollen heraus. Sie hielt sie hoch.
"Die Königin hat mir mein Haus wiedergegeben und mir das hier ausgestellt. Wenn ich Hilfe brauche, soll ich mich an sie wenden."
Von der Geschichte hatte jeder gehört und einige der Wachen warfen sich unsichere Blicke zu.
Die eine, die bisher gesprochen hatte, winkte Valu zu sich heran.
„Du siehst aus, als brauchst du Hilfe, das ist mal sicher. Aber wenn du was versuchst, endest du wie die da." Er wies auf die Toten vor sich. „Passierschein hin oder her."
Valu näherte sich zögernd. Sie meinte, jeden Moment das Zischen eines Armbrustbolzens hören zu können, aber nichts dergleichen geschah. Langsam ging sie an den Leibern vorbei und blieb vor der Reihe der Wachen stehen.
Der Mann streckte die Hand aus und verlangte ihr Papier zu sehen.
Sie zögerte. Wenn er es zerriß, war sie verloren.
„Na komm schon, Mädchen. Du musst es mir schon zeigen", sagte der Soldat.
Valu überreichte es ihm und wartete, bis er es einer eingehenden Prüfung unterzogen hatte.
Er brummte und kräuselte die Lippen. Endlich rollte er das Schriftstück wieder zusammen und hielt es Valu hin.
„Ist in Ordnung. Ich seh' kein Siegel, aber ich kenn' die Geschichte." Zu seinen Kameraden und den Wachen am Tor rief er: „Aufmachen. Die hier geht durch. Wendel, Mathes! Seht zu, dass sie im Palast ankommt und niemanden belästigt!"
Valu holte zitternd Atem. Die Hand, die ihr ihren Schein hinhielt, erschien ihr unwirklich. Traumwandlerisch nahm sie das Papier wieder an sich und ging, das Messer in der einen, ihren Passierschein in der anderen, durch die Reihen der Wachen hindurch, auf das Tor zu, das langsam und knirschend angehoben wurde.
Sie konnte das Rollen der schweren Ketten hören, als sie sich näherte. Hinter ihr kam Bewegung in die Menge.
Einigen gefiel es nicht, dass ein abgerissenes Bettelmädchen voller Schmutz und Blut durchgelassen wurde. Sie konnte es verstehen und sah sich noch einmal um, bevor sie die Grenze zur Oberstadt durchschritt.
„Ich muss da durch!", rief ein Mann gerade. „Mein Weib ist Dienerin im Schloss! Lasst mich durch!", brüllte er und drängte sich nach vorn.
„Zurück!", donnerte die Wache. „Zurück, verdammt!"
„So Eine lasst Ihr rein! Ich werde..." Er löste sich aus der Menge und stürmte auf die Reihen der Soldaten zu. Das Surren der Armbrustbolzen ließ Valu, die die Szene mit weit aufgerissenen Augen beobachtet hatte, zusammenzucken. Im nächsten Moment erstarrten die Züge des Mannes und er fiel nach hinten. Zwei Bolzen steckten in seiner Brust.
„Scheisse. Er hatte nichtmal 'ne Waffe", flüsterte Valu.
Eine der Wachen, die sie zum Palast bringen sollte, griff sie am Arm und zog sie weiter.
„Lauf zu, Mädchen."
Sie schüttelte ihn ab, setzte sich aber in Bewegung.
Das Tor zur Oberstadt fuhr rasselnd hinter ihr herab, als sie ihre blutverschmierten, dreckigen Füße auf die helle Straße setzte.
Valu war einmal für kurze Zeit im Kerker gewesen und es hatte sich genauso angefühlt, als das schwere Eisengitter zum Bereich mit den Zellen hinter ihr herabgelassen worden war.
Wenn dies hier jedoch ein Gefängnis war, dann sicher eines aus Gold. Die Schönheit der Gebäude und Kleider ließ ihr den Mund offen stehen.
Auch hier gab es einige, die hektisch herumliefen und die Aufregung der letzten Stunden lag in der Luft. Die Meisten schienen aber einfach ihren üblichen Geschäften nachzugehen.
Einige Läden waren geschlossen und leergeräumt, was darauf hindeutete, dass diese Händler die Stadt rechtzeitig hatten verlassen können.
Vor anderen saßen oder standen gelassen Leute. Sie plauderten oder schenkten Tee an ihre Kundschaft aus. Die Farben schimmerten grell, alles glänzte und funkelte.
Exotische Düfte hingen in der Luft, seltsame Parfüms, die nach Blumen und Hölzern rochen, die Valu nicht kannte, kitzelten sie in der Nase.
Sie fühlte sich schäbig und schmutzig und die schockierten Blicke, die ihr galten, ließen sie fast selbst glauben, dass sie ein gefährliches Tier war, dass von den Wachen weggeführt wurde.
Fest umklammerte sie das Messer und die kleine Rolle, die sie hierhergebracht hatten und versuchte gleichzeitig, ihren Umhang um sich zu raffen.
Noch nie hatte sie sich so nackt gefühlt.
Die Wachen geleiteten sie den Berg hinauf, bis sie vor dem Palast ankamen. Keiner stellte sich ihnen in den Weg, alle machten ohne Aufforderung Platz.
Am Tor hielten sie an und Valu musste ein weiteres Mal ihren Passierschein vorzeigen.
Der Befehlshaber musterte sie abschätzig, zuckte dann die Schultern und bedeutete seinen Leuten, sie durchzulassen.
Sie hatte es geschafft, sie war oben angekommen.
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