13 Feuer

Als sie von den Zinnen Brückfeldingsteins auf die Ankunft der Eskorte  gewartet hatte, war ihr vieles durch den Kopf gegangen - jedoch nicht,  dass sie sich den ganzen Winter über langweilen würde.
Ihre Hoffnung, ihn mit Zärtlichkeiten, Spielen und Festen zu füllen, war längst nur eine weitere, die enttäuscht wurde.

Nach  ihrer Vermählung und dem Beginn des Achtmonats hatte sie noch einen  Versuch gewagt, den König zu einem Fest am Beginn des Frühjahrs zu  überreden. Überall um die Dörfer brannten dann die Frühsonnenfeuer und begrüßten das neue Jahr.
Er hatte sie nicht aussprechen lassen  und sich mit den Worten entzogen, seine Mutter sei für diese Art von Vergnügungen verantwortlich.
Wie für alles andere, hatte Adhara verdrossen gedacht, jedoch geschwiegen.

Es war es ihr gelungen, sich ein Herz zu fassen und sie war zu ihrer Schwiegermutter gegangen. Adhara hatte einfach darauf gehofft, dass die alte Königin ihr Anliegen verstehen werde. Sie war schließlich ebenfalls eine Frau und einmal jung gewesen.
Das Gespräch verlief jedoch in einem Maße ernüchternd, das sie, wie vieles in der letzten Zeit, nicht vorhergesehen hatte.

Die  Königinmutter empfing sie in ihren privaten Gemächern und bot ihr Tee  an.
Deren Räume waren zweckmäßig, aber erlesen eingerichtet. Es gab jedoch keine verspielten Muster oder überbordende Verzierungen, wie in Adharas  Kammern.
„Was kann ich für Euch tun, meine Teure?", eröffnete die  Ältere das Gespräch und nippte an ihrer Tasse. „Es ist Euch doch recht,  wenn wir die Förmlichkeiten bei Seite lassen. Immerhin, gehört Ihr  nun zur Familie und ihr werdet uns einen Enkel oder mehrere", an dieser  Stelle hob sie die schmalen Brauen ein wenig, „schenken, nicht wahr?"
Adhara nickte und nahm ihrerseits einen Schluck des Tees. Er duftete köstlich.
„Wir bemühen uns, unseren Pflichten gerecht zu werden, Majestät. Mutter", setzte sie nach.
Die alte Königin musterte sie eindringlich.
„Bemühen? Was heißt bemühen?"
„Ich..." setzte Adhara an.
„Mein  liebes Kind", wurde sie unterbrochen, bevor sie etwas erwidern konnte.
„Ich kenne meinen Sohn sehr gut. Ich ahne, welchen Eindruck Ihr von ihm  habt. Streitet es nicht ab!"
Sie nippte an ihrem Tee und stellte die  Tasse dann entschieden auf einen Tisch neben sich.
„Er hat eine  schwache Gesundheit und ich habe oft um ihn gebangt. Vom ersten Tag an,  als die Hebammen ihn mir gaben und mir mit Grabesmiene sagten, er hätte  Salz auf der Stirn*."
Adhara hielt sich an ihrer Tasse fest und bemühte sich, eine gefasste Miene zu bewahren.
„Alle  haben sie prophezeit, er würde das achte Jahr nicht erleben. Dann das  zehnte, das fünfzehnte."
Die Königin Mutter kniff verbittert ihre Lippen  zusammen, die vom Alter schmal geworden waren.
„Aber da ist er.  Sechzehn Jahre. Volljährig. Vermählt." Sie nahm ihre Tasse wieder auf, und nippte an ihrem Tee, während ihr Blick in die Vergangenheit gerichtet war. Ein Hauch von Stolz schwang in ihren Worten mit.
„Habt Ihr, meine Teure, Euch nicht gefragt, warum ihr so plötzlich herbeigeschafft wurdet?"
Adhara schluckte trocken, aber die andere fuhr ungerührt fort:
„Das  Reich braucht einen Erben. Es gab keine frühere Übereinkunft über eine  geeignete Jungfer. Die ganzen hochadeligen Häuser lauerten nur darauf, dass der Junge  vor seinem Sedekionat stürbe, damit sie ihren eigenen Kandidaten auf  den Thron setzten könnten." Die Königinmutter lächelte grimmig. „Aber er  lebt."

Da man sich nicht vor dem sechzehnten Lebensjahr vermählen durfte, war es üblich, es zu tun, sobald man das Sedekionat gefeiert hatte.
Adhara hätte längst selbst an der Seite eines Barons nahe Brückfelding gelebt, wenn ihr Verlobter nicht bei einem Jagdunfall verunglückt wäre.
Ihr war jedoch nicht bewußt gewesen, dass es um den König so schlimm stand und sie deshalb so überstürzt zu seiner Gemahlin gemacht worden war.
Bisher hatte sie tatsächlich angenommen, sie hätte ihm gefallen. Nun verstand sie auch seine Zurückweisung.

„Das macht mich sehr froh", versuchte Adhara mehr sich selbst, als die alte Königin zu überzeugen.
Die  gab einen Laut von sich, der ein Lachen sein konnte. „Natürlich seid  ihr das", stellte sie in einem Ton fest, der keinen Zweifel daran ließ,  dass sie die höfliche Lüge durchschaute.
Ihre Augen verengten sich ungnädig und sie richtete ihren Blick auf ihr Gegenüber.
„Das Land benötigt dringend einen Erben. Also bemüht Euch. Bemüht Euch sehr! Nach all  den Jahren des Hungers ist das Land nicht für einen Kampf um die  Erbfolge gerüstet."

Die junge Königin lauschte den Ausführungen stumm und nahm von Zeit zu Zeit kleine Schlucke der köstlichen Flüssigkeit.
Nichts davon war ihr bisher bekannt gewesen. Politik interessierte sie nicht.
Sie  hatte natürlich gewußt, dass von Ihr ein Erbe erwartet wurde. Wie groß und dringlich diese Forderung war und dass ihre Ehe vielleicht nicht lange währen würde, überraschte und erschütterte sie jedoch.

„Was geschieht mit mir, wenn es keinen Thronfolger gibt, bevor der König..." Sie wagte nicht, die Worte auszusprechen.
„Ah.  Sieh an. Ich wußte doch, Ihr habt nicht nur Flachs im Kopf", bemerkte  die Ältere mit einem gönnerhaften Lächeln.
„Wenn ihr Glück habt, nichts.  Ihr werdet vielleicht an irgendeinen Anderen weiterverheiratet. Wenn  Ihr Euer Schicksal selbst in die Hand nehmen wollt, könnt ihr sicher  auch einen Platz bei den Schwestern** finden."
Sie schien das für  einen hervorragenden Scherz zu halten.
Adhara konnte in das leise  Glucksen nicht einstimmen.
Ihr war schwindelig und die Brust wurde ihr eng von der eigenen Machtlosigkeit.
Auf  dem Grunde ihrer Tasse suchte sie nach ihrer Zukunft.
Die  Königinmutter musterte sie geringschätzig und wartete offenbar auf eine  Erwiderung. Schließlich hob Adhara den Blick von den Resten ihres Tees  und sagte: „Ich werde mein Bestes tun, das gelobe ich."
„Er schreibt  wunderschöne Gedichte, wusstet Ihr das?", fragte ihre Schwiegermutter unvermittelt  und in einem Plauderton, als hätte sie der Jüngeren nicht gerade  eröffnet, dass ihr Wohl und Wehe und das des Landes einzig von deren Leib und ihrem kränklichen Gatten abhing.
„Er beliebte mir einige  davon vorzutragen", erwiderte Adhara leise und versuchte, Haltung zu  bewahren.
Plötzlich platzte es aus ihr heraus: „Er wirkt immer so ernst und in sich gekehrt. Es ist so schwierig ihn für etwas Anderes zu  begeistern, als seine Flechten und Bäume. Ich dachte, vielleicht würde  ihm etwas Zerstreuung gut bekommen."
Ihre Tasse klirrte auf den  Unterteller, den sie noch in der Hand gehalten hatte. Sie stellte sie  mit einem leichten Zittern auf dem Tisch ab, dass der Königinmutter  nicht entging.
Jetzt hatte sie schon so viel gesagt, warum nicht auch  das?
„Ich könnte ihm zeigen, dass Feste und Tanz Freude machen und  vielleicht würde er sich dann ein wenig mehr öffnen und von den  sinnlichen", sie suchte nach einem Wort, „Genüssen vereinnahmen lassen."
Die  Erwiderung erfolgte prompt: „Er liebt das nicht. Und ich werde dazu  nicht meinen Segen geben, seine Gesundheit muss geschont werden."
Eine  kühne Anwandlung ergriff Adhara: „Ich bin nun die Königin, Majestät.  Ich denke, es bekäme meinem Gemahl gut, sich ein wenig unter die  Menschen zu mischen, statt allein in seinem Schreibzimmer oder im Garten  zu sitzen. Der Hof...", untersteht nun mir, wollte sie nachsetzen, aber  die Königin Mutter unterbrach sie scharf.
„Der Hof, mein Kind, wird  Euch erst dann unterstehen, wenn ihr einen Erben geboren habt, der das  Achtjahr überlebt. Gleich wie stolz ihr diese Drohung", sie fixierte mit  zusammengekniffenen Augen den blauen in Silber gefassten Anhänger um  den Hals der jungen Königin, „vor Euch hertragt."
Adhara schloss ihre  Hand unsicher um das Schmuckstück. Sie trug ihn, seit die Baronin ihn  ihr zum Geschenk gemacht hatte.
Inzwischen fuhr die Königinmutter in  unvermindert scharfem Ton fort: „Im Moment ist das Austragen und Aufziehen  eines Thronfolgers Eure vorrangige Aufgabe, und ihr werdet Euch nicht  mit anderen Dingen befassen. Der Wert einer Königin bemißt sich an  den gesunden Kindern, die sie hervorbringt und an ihrer Wirkung auf  ihren Gemahl. Was sagt das über Euren Wert aus, meine Teure?" Die Züge  der Älteren waren nun hart wie der geäderte Granit im Thronsaal und in  ihren Augen lag keine Wärme mehr.
Adhara wich vor den Untiefen, die dahinter lauerten zurück.
„Verzeiht,  Majestät. Ich wollte Euch nicht erzürnen. Natürlich habt ihr Recht,  Eure Sorge um mich rührt mein Herz", stammelte sie.
Die Ältere  schnaubte hochfahrend. „Eine Königin entschuldigt sich niemals. Jede,  die sagen muss ‚Ich bin die Königin', ist keine wahre Königin."
Ein mildes Lächeln kehrte auf die Miene der Älteren zurück.
Sie trägt ihre Masken besser als ich, dachte Adhara.
Eine  Dienerin näherte sich, um Tee nachzuschenken. Bevor diese nach der  Tasse des Gastes greifen konnte, wurde sie von der Königinmutter mit einem Wink  aufgehalten.
„Ich sehe, Ihr habt Euren Tee getrunken. Offenbar ist es nun Zeit für Euch zu gehen."

Der Rauswurf war überdeutlich und beschämend.
Adhara  bemühte sich um einen gefassten Ausdruck und erhob sich. Es gelang ihr, die  Gemächer der Älteren gemessenen Schrittes zu verlassen und sich in ihr  Schlafzimmer zurückzuziehen, bevor sie die Tränen nicht mehr  zurückhalten konnte.
Sie war fortgeschickt worden, wie ein dummes  Kind, man hatte sie hintergangen und sie konnte nicht das Geringste  gegen irgend etwas davon unternehmen.

Sie riss sich den  Anhänger, der die Königinmutter so zu erzürnen schien vom Hals und  schleuderte ihn mit aller Kraft gegen den hohen Spiegel. Mit einem leisen Klingen fiel er zu Boden.
Adhara stieß einen Laut der Verdrossenheit aus, denn die erzielte Wirkung entsprach in keine Weise dem Aufruhr, der in ihr wütete.
Ihr  Blick fiel auf einen schweren Silberbecher mit süßem Wein, der auf  einem niedrigen Tischchen für sie bereitstand. Ohne einen zweiten  Gedanken zu verschwenden, ergriff sie ihn und schmetterte ihn so fest  sie vermochte gegen den Spiegel. Dessen Oberfläche zersprang und winzige  Splitter verstreuten sich Raum. Der Wein lief über das gesprungene Glas  und tropfte auf den Teppich.
Adhara schloß die Augen und atmete einige Male aus und ein.
Dann zerrte sie heftig an dem Klingelzug, um eine Magd herbeizurufen und ließ sich erschöpft auf eine der Bänke in der Fensternische fallen.

Kurz  darauf betrat Margie den Raum. Das Mädchen hatte sich dem Leben im  Palast angepasst, so gut es ihm möglich war.
Doch es war neu und  unerfahren und die anderen Mägde hatten gemurrt, weil es so oft bei der  Königin Dienst tun durfte.
Eines Tages war Margie mit einer  aufgeplatzten Lippe zu ihr gekommen und hatte sie gebeten, sie den  anderen nicht mehr vorzuziehen.
Adhara vermutete, dass die Bitte nicht  freiwillig an sie gerichtet wurde, aber das Mädchen versicherte ihr,  dass es so sei und es zurechtkomme.
Von da an, sah sie ihre Freundin aus Kindertagen nur noch selten.

Adhara  wies mit einer erschöpften Geste auf den zerstörten Spiegel und den  ruinierten Teppich, auf dem sich Wein und Glassplitter mischten. Dann wandte sie sich trübsinnig wieder den grauen Schemen hinter dem dicken Glas  des Fensters zu.
Margie machte ein erschrockenes Gesicht und  eilte hin, um Ordnung zu machen.
Sie hob den Becher auf und klaubte auch  die kleine Kette mit dem Anhänger vom Boden. Das Gefäß stellte sie auf  den Tisch zurück und das Schmuckstück reichte sie ihrer Herrin.
Adhara  nahm es und bewegte es nachdenklich durch die Finger, während Margie  sich erneut vor die Reste des Spiegels kniete und begann, die Splitter aus dem  Teppich zu sammeln.
Nach einiger Zeit fragte das Mädchen: „Königliche Hoheit, kann ich etwas für Euch tun?"
„Nein. Vielen Dank", erwiderte sie knapp.
„Das hatten wir uns nicht so ausgemalt, nicht wahr?", wagte es einen Versuch, an ihre alte Vertrautheit anzuknüpfen.
Adhara sah sie nun doch an. „Nein, das hatten wir nicht", sagte sie sanft.
In einer finsteren Ecke ihres Kopfes ärgerte sie  sich jedoch von einer Magd so frei angesprochen zu werden.
Sie erschrak vor  sich selbst und schob den Gedanken sorgfältig in die Dunkelheit zurück, aus der er sich ungebeten erhoben hatte.
  Statt ihrem Unmut Luft zu machen sagte sie: „Ist schon gut, Margie. Ich  war nur..." Sie ließ den Satz in der Luft hängen und schenkte dem Mädchen  ein müdes Lächeln.
Schließlich war es wieder gegangen und hatte sie mit ihrem Trübsinn allein gelassen.

In den Wochen nach dem Tee bei ihrer Schwiegermutter stellte sie Nachforschungen über das  Geschenk der Baronin an.
Sehr bald erkannte sie, dass die freundliche,  warmherzige Frau sie in ein Messer hatte laufen lassen.
Der Anhänger  war einer von fünf der gleichen Machart und das Erkennungszeichen einer  Gruppe von Hofdamen gewesen, die lange vor Adhara hier gelebt hatten. 
Die Königinmutter war damals gerade neu an den Hof gekommen und als zweite Frau des alten  Königs vermählt worden. Sie musste sich in einer ganz ähnlichen Lage befunden haben, wie  Adhara heute.
Die Hofdamen hatten versucht, ihre Stellung zu  untergraben, sie zu Fall zu bringen und vom Hof zu entfernen. Keine davon lebte noch.

Natürlich  musste ihre Schwiegermutter es als Drohung auffassen, wenn die neue  Frau an der Seite ihres Sohnes seit dem ersten Tag am Hof dieses Ding  trug.
Adhara konnte nicht begreifen, wieso ihr die Baronin so etwas  antun sollte.
Bevor sie etwas unternahm, wollte sie die Beweggründe der  Frau kennen.
Bisher hatte sie jedoch nichts weiter herausfinden können.

Die Dame von Mildsee war wahrscheinlich nicht die Einzige, die ihr Schaden wollte.
Margie  kam eines Abends aufgeregt zu ihr, um ihr von einem Gerücht aus der  Küche zu erzählen. Angeblich hatte einer der Mundschenke die Aufgabe  erhalten, der neuen Königin bei der Hochzeit besonders starken Wein zu  reichen und immer darauf zu achten, dass ihr Becher voll war.
Adhara  erinnerte sich an den Beginn des Festes, bei dem sie schnell von einem  Rausch überkommen worden war. Sie hatte nicht mehr daran gedacht, denn  später war nichts mehr davon zu merken gewesen.
Es war nicht  sicher, ob Margie nur Unsinn nachplapperte, aber beide Begebenheiten  bewirkten, dass sie keinem mehr ohne Misstrauen begegnete und sich vom  Leben am Hof zurückzog.

Statt gesellige Nachmittage mit neuen  Freundinnen zu verbringen, streifte sie durch die Gänge des Palastes,  immer begleitet von einer Leibwache, die in angemessenem Abstand hinter  ihr her schepperte.
Außerdem bemühte sie sich verzweifelt,  wenigstens einen schwachen Funken zwischen sich und ihrem Gemahl zu  entzünden. Sie lauschte hingebungsvoll und stundenlang seinen Gedichten  und endlosen Monologen.
Einmal trug er ihr ein Lied vor, das er  schlicht „Erste Hymne" nannte. Es handelte zunächst vom Licht und dem  Leben und dann von der Nacht und der Leere. Als er an eine Stelle  gelangte, die von dem Scheitern aller Hoffnung kündete, ertrug sie es  nicht mehr und zog sich abrupt für den Rest des Tages in ihre Räume  zurück.

Ihre Nächte verliefen ebenso frustrierend, wie schon die  Hochzeitsnacht.
Entweder der König war zu geschwächt, um sich überhaupt  mit ihr zu beschäftigen oder sie musste ihn an seine Pflicht erinnern,  die er dann möglichst schnell  erfüllte.
Jedesmal hoffte sie, ihr Sanguin würde ausbleiben, aber auch diese Hoffnung wurde, wie so viele zuvor, enttäuscht.
Die  Abneigung des Königs ging sogar soweit, dass er eines Tages  veranlasste, einen alten Durchgang, der irgendwann einmal zugemauert  worden war, wieder zu öffnen. Er ließ eine schwere Eichentür einsetzen,  die fortan das Schlafzimmer des Königspaares mit Adharas Gemächern verband.
Zuerst war es ihr als Zeichen einer Annäherung  erschienen, aber dann hatte ihr Gemahl sie nach ihrer nächtlichen  Pflichterfüllung gebeten, seine Räumlichkeiten zu verlassen und sich in  ihr eigenes Gemach zurückzuziehen. Nie zuvor hatte sie sich so  gedemütigt gefühlt.

Von nun an bestand er darauf, allein zu  schlafen und Adhara blieb  nichts anderes übrig, als die Demütigung jeden Abend zu wiederholen, sein Bett zu verlassen und sich in ihr eigenes zurückzuziehen.
Einerseits waren ihre Nächte  nun ruhiger, denn der König litt, wegen seiner kränklichen Konstitution,  an einer empfindlichen Verdauung und er schwitzte im Schlaf über  Gebühr. Andererseits trug ihr das die wissenden und scharfen Blicke der  Königin Mutter ein und vergrößerte die Not, die ihr aus dem Desinteresse  und der Leidenschaftslosigkeit ihres Gemahls erwuchs.

Die  einzige Ausnahme von der Trostlosigkeit ihres Daseins bei Hofe bildeten  die Begegnungen mit dem Ritter von Goldwald.
Er lächelte ihr  aufmunternd zu, wenn keiner sie beobachtete und schien zu ahnen, wie  verloren sie sich fühlte.
Das zumindest versicherte sie sich  selbst, wenn der Schlaf sie in den langen Nächten floh, und aus der Dunkelheit die Erinnerung an seine Augen und Hände auftauchte.

So zog der Achtmonat vorüber und dann der Glimm und  schließlich wurde es Quell.
Der Schnee schmolz und die ersten Blumen im  Palastgarten trieben ihre Spitzen aus der Erde.
Das Frühsonnenfest  bestand nur aus einer zeremoniellen Mahlzeit und einer Andacht, und  nichts erinnerte an die Musik und die Tänze, die Adhara aus ihrem alten  Zuhause kannte.
In der Nähe der Tore gab es auch keines der großen,  abendlichen Feuer, zu denen die Menschen von Dorf zu Dorf zogen, um sich  zu versammeln, sich gegenseitig zu besuchen und eine gute Ernte zu  wünschen.
Erst in weiter Ferne, konnte man vereinzelt einige ausmachen,  wenn man von weit oben ins Tal blickte.

Am Abend trat sie auf  einen der Wehrgänge, um wenigstens die Feuer im weiteren Umland brennen  sehen zu können und ein plötzliches Heimweh überfiel sie so heftig, dass  es ihr die Tränen in die Augen und den Atem aus der Brust trieb.
Der  Ritter von Goldwald, der sie an diesem Abend begleitete und respektvoll  in einiger Entfernung wartete, sah ihren Kummer, obwohl sie sich wegen  des Windes tief in ihren Umhang zurückgezogen hatte.
Nach kurzem Zögern, näherte er sich und sprach:
„Ein  neuer Frühling beginnt und Ihr macht Eure Sache gut, Majestät." Seine  Stimme schlich leise und weich unter ihre Kapuze, wie eine Katze, die  einem liebkosend um die Beine streicht.
Es waren die ersten freundlichen  Worte, die sie seit langer Zeit hörte.
„Gar nichts mache ich",  brach es aus ihr hervor. Sie wollte es wütend sagen, aber die  Erwiderung war nur ein Flüstern.
„Mein Gemahl hat kein Interesse an mir  und mich aus seinen Gemächern verbannt. Ich habe nichts anderes zu tun,  als ihm zu gefallen und nicht einmal das gelingt mir."
Sie kämpfte mit den Tränen.
„Wußtet Ihr, dass die Baronin von Mildsee mich vor der Königinmutter  unmöglich gemacht hat, einen Tag, nachdem ich hier ankam und ein anderer  mich vor dem ganzen Hof bei meiner Hochzeit dem Spott preisgeben  wollte?"
Endlich fühlte sie Wut in sich aufsteigen und ihre Stimme wurde  fester. Sie wandte sich zu ihm um und sah ihn fragend an, ohne  tatsächlich mit einer Antwort zu rechnen.
Der Ritter sagte: „Der Wein."
Adharas Augen weiteten sich ungläubig. „Ihr habt davon gewußt?", fuhr sie ihn an.
„Nein.  Ich habe gesehen, dass Euch der Wein zu schnell zu Kopf steigt und habe  veranlasst, Euch nur noch wenig nachzuschenken. Wer dahinter steckt,  weiß ich nicht."
Sie musterte ihn einen Moment misstrauisch, dann stieß  sie den Atem aus und sah wieder zu den Feuern hinüber.
Er setzte  hinzu: „Die Baronin ist für ihre Spiele bekannt. Vielleicht wollte  sie sich dafür revanchieren, dass nicht ihre Freundin, sondern Ihr, die  Gemahlin Ihrer Majestät geworden seid."
Adhara konnte es nicht begreifen.  Sie hatte keinen Anteil am Unmut der Baronin und war von ihr verraten  worden, ohne dass diese sie kannte.
Wenn sie die Dame von Mildsee  drauf ansprach, würde diese natürlich vorgeben, nichts von all dem  gewußt zu haben und Adharas eigene Stellung war so schwach, dass sie  nicht ohne Beweis gegen diese Frau vorgehen konnte. Den zu erbringen,  war unmöglich.
Sie schlug mit der Faust auf die Wehrmauer vor sich.
Plötzlich  legte sich seine gepanzerte Hand schwer auf ihre und verhinderte, dass  sie die Bewegung wiederholte und sich verletzte. Das Leder unter dem Stahl war rau und die Wärme seiner Finger drang hindurch.
Ihre Blicke trafen  sich. „Ihr macht Eure Sache gut, Majestät", wiederholte er, ohne einen  Anflug seines üblichen Lächelns. Die Wut verschwand und die Tränen  kehrten ungebeten zurück. Ihre Hand lag noch immer in seiner Pranke.
„Viele, die weniger zu tragen hatten, als ihr, haben den Palast schneller verlassen", sagte er ruhig.
„Verlassen?", fragte sie voller Bitterkeit. „Was habe ich für eine Wahl?"
Darauf erwiderte er nichts. Er ließ ihre Hand los und das vage Gefühl, einen Verlust erlitten zu haben, beschlich Adhara.
Der  Ritter und sie betrachteten eine Weile stumm die Feuer, während der  Wind auf dem Wehrgang an ihrer Kapuze und seinem Haar zerrte.
„Ihr  werdet eine Aufgabe finden, da bin ich sicher. Ihr seid stärker als ihr  denkt", brach er schließlich das Schweigen. Nach einem Augenblick fügte  er hinzu: „Als ich dachte."
Sie sah ihn von der Seite an und  versuchte zu erkennen, ob er tatsächlich meinte was er gerade gesagt  hatte. Er erwiderte ihren Blick ruhig und einen Augenblick schien die  Zeit langsamer zu fließen.
Schließlich holte sie tief Luft, löste ihre Augen von seinen und warf noch  einen letzten Blick auf die entfernten Ansiedlungen vor der Stadt, die  mit ihren hohen Feuern den Frühling begrüßten. Dann ließ sie sich von  Thorn zurück in die königlichen Gemächer führen.
In dieser Nacht zog sie die kleine Stoffblüte aus ihrem Nachtschränkchen und hielt sie in ihrer Hand, bis sie eingeschlafen war.








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*salziger Schweiß kündigte ein kurzes Leben und einen sehr wahrscheinlichen Kindstod an
**Dämmerschwestern, Bund von Meuchelmördern, der nur Mädchen und Frauen (in Not) aufnimmt

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