Schöner Morgen
Als ich aufwache, ist es noch dunkel. Was mir nicht gerade bei der Orientierung hilft. Mir ist bewusst, dass wir gestern umgezogen sind und somit nicht in unserer gewohnten Umgebung, aber trotzdem fühlt sich irgendetwas nicht richtig an. Und auf jeden Fall liege ich nicht in meinem eigenen Bett.
Aber die Jungs sind bei mir und das ist das Wichtigste. Lars drängelt sich fest an meinen Körper, als ob er wieder rein will und hat ein Ärmchen um meinen Hals gelegt. Hinter ihm liegt Ragnar, der zwar sich zwar nicht ganz so nah herandrückt, aber einen Arm um uns beide gelegt hat. Das ist eine Situation, die mir durchaus vertraut ist und mit der ich direkt nach dem Umzug auch gerechnet habe. Mir ist von vorneherein klar gewesen, dass es in der neuen Wohnung einige Tage dauern wird, bis meine tagsüber so tapferen Helden mich nachts alleine schlafen lassen werden.
Womit ich aber nicht gerechnet habe, ist der warme Körper in meinem Rücken und der Arm um meine Taille, der lang genug ist, auch die Jungs zu umfassen. Es ist fast sieben Jahre her, dass ich der innere Teil bei der Löffelchenstellung gewesen bin. Einerseits tut es gut; in dieser Lage habe ich mich immer gut behütet gefühlt. Andererseits kann ich mich nicht erinnern, irgendeinem Mann die Erlaubnis gegeben haben, mich zu behüten.
Vorsichtig taste ich nach hinten. Ich berühre einen nackten Oberschenkel – Herr im Himmel, was habe ich getan? -, dann eine Art Boxershorts – Gott sei Dank! – und dann weiches Fell mit einem festen Kern aus dünnen Wirbeln. Haben wir Effie denn nicht bei meinem Bruder gelassen? Aber nein, Effies Schwanz ist weder so buschig noch so lang.
Der Eismann! Verflixt, jetzt fällt mir wieder alles ein und ich lasse schleunigst seinen Schwanz los. Hoffentlich schläft der Kerl tief und fest und hat nichts bemerkt. Einige Minuten lang liege ich bewegungslos und lausche dem ruhigen Atem der drei Männer, die mich eingekesselt haben.
Nichts. Es scheint, als ob alle drei friedlich schlummern. Mein klopfendes Herz beruhigt sich allmählich wieder, meine wirren Gedanken ebenfalls. Vermutlich hat Finley uns auch nicht absichtlich in die Arme genommen, sondern nur im Schlaf auf die Körper neben sich reagiert. Ich hoffe jedenfalls, dass er angekuschelt gekommen ist und nicht wir ihm auf die Pelle gerückt sind.
So langsam lässt sich das Bedürfnis, welches mich geweckt hat, nicht mehr unterdrücken. Ich schiebe mich vorsichtig in Richtung Fußende, unter den Armen der mich umklammernden Männer durch und taste mich dann zu Finleys Mini-Bad. Drinnen schaltet sich automatisch Licht an, wofür ich sehr dankbar bin. Gleichzeitig überlege ich, wo Finley eigentlich Strom und Wasser herbekommt. Heizung scheint er keine zu haben, es ist eisig kalt im Wagen. Draußen vermutlich auch, wie in Wüsten eben so üblich in der Nacht.
Beim Herauskommen lasse ich die Tür einen Moment lang offen, damit ich mich orientieren kann. Im Bett hat man auf meine Flucht reagiert; Lars hat sich umgedreht und umhalst nun Ragnar, Finley hat sich halb auf den Rücken gerollt und seinen Arm wieder an sich genommen. Zwischen ihm und der Wand ist etwas Platz, also ist wirklich er an mich herangerückt und nicht ich an ihn. Das erleichtert mich etwas; ich verüble es Finley auch nicht. Im Schlaf ist man eben nicht Herr seiner Sinne und dass man sich bei einer solchen Kälte, wie sie hier herrscht, an den nächstliegenden warmen Körper kuschelt, ist ganz natürlich.
Ich denke einen Moment darüber nach, mich auf Ragnars andere Seite zu legen, während ich die Decken wieder hochziehe und den Herren um die Schultern lege. Aber das ist keine gute Idee; Lars würde es merken und in seinem Drang, zu Mama zu gelangen, über Ragnar hinwegklettern. Mitten in der Nacht habe ich keine Lust auf eine brüderliche Rauferei. Also krabbele ich auf meinen alten Platz. Und wie ich es mir gedacht habe, reagieren alle drei Schläfer und nehmen die alten Positionen wieder ein. Na gut, meine kurze Exkursion hat ausgereicht, mich bis auf die Knochen auszukühlen und ich bin für die vermittelte Wärme durchaus dankbar.
Als ich das zweite Mal erwache, liegt nur noch Lars neben mir. Finley und Ragnar sitzen an einem zum Tisch ausgeklappten Brett und frühstücken.
„Moin, Mama", tönt Ragnar und Finley schließt sich an: „Frucht und Wasser!" Das ist offenbar der Gruß in dieser Welt. Sehr interessant, was sich die Bewohner von „Hüben" so wünschen. Vermutlich herrscht an beidem ziemlicher Mangel, was mich in einer Wüstenlandschaft eigentlich auch weniger wundert.
„Moin", gebe ich zurück und taumele auf das Bad zu. Während ich überlege, wie ich mich wenigstens obenherum waschen kann - ich hasse es, frischgewaschen in einen benutzten Slip zu schlüpfen -, klopft es an die Tür. „Mama, Finley fragt dich, ob er dir eine alte Short und ein T-Shirt leihen darf. Und ein Handtuch kannst du auch haben zum Abtrocknen nach dem Duschen."
„Eine – alte?!?"
Getuschel hinter der Tür, dann erklärt Ragnar: „Eine, die ihm zu klein ist, meint er. Mir hat er eine von denen gegeben, die er selbst trägt, aber die würde dir nicht passen. Die ist natürlich frisch gewaschen." Erneut Getuschel, dann korrigiert Ragnar: „Also nicht frisch, aber gewaschen. Kann sein, dass sie 'n büschen muffig riecht, aber das ist doch besser als nichts, oder?"
„Her damit", sage ich. Ragnar wiederspricht. „Dusch erstmal, Mama, das wird doch alles nass!"
Recht hat er. Ich schlüpfe aus Shirt, BH und Slip und reiche Ragnar den BH raus. „Dann halt mal!" Ich dusche in Windeseile, schrubbe dabei auch meine Klotten ab und melde mich dann wieder bei meinem Sohn: „Jetzt kannst du mir die Sachen reingeben."
„Okay!" Wir tauschen nasse Wäsche gegen trockene und ich mache mich fertig.
Als ich herauskomme, in meinen eigenen Jeans und einem hellblauem T-Shirt, welches mir auch als Kleid dienen könnte, kichert Lars: „Mama, du sieht cool aus!" Er sitzt inzwischen bei Ragnar auf dem Schoß und futtert eine Waffel mit Schokosoße. Für Lars muss das hier das Paradies sein, so rein essensmäßig.
Ich besehe mir den Tisch und stelle erleichtert fest, dass auch eine Art Graubrot, ein weißer Käse und mir unbekannte Früchte und Beeren vorhanden sind. Finley will aufstehen: „Ich habe leider nur zwei Stühle."
„Setz dich doch bei Finley auf den Schoß!", kräht Lars fröhlich. Ich bin von dieser Idee nicht gerade angetan, Finley hingegen schon; er fasst mich kurzerhand an den Hüften und zieht mich auf seine Knie.
Nach dem ersten Schrecken registriere ich, dass ich tatsächlich nur auf seinen Knien sitze, ohne Kontakt mit irgendwelchen anderen Körperteilen. Die Situation ist mir sogar vertraut; als die Kleinste der Gruppe habe ich oft genug bei Klassenkameraden und Freunden auf dem Schoß gesessen, wenn nicht genügend Sitze vorhanden gewesen sind. Ich muss mir nur einreden, dass dies hier auch nicht anders ist, obwohl ich den Eismann ja kaum kenne.
Ich greife also zu Brot und Käse, die beide zuvorkommenderweise bereits in Scheiben geschnitten sind. „Warte, Mama", Ragnar hindert mich daran, den Käse aufs Brot zu legen und nimmt sich eine der gelben Früchte, die in Größe und Form an Weinbeeren erinnern. Über meiner Brotscheibe quetscht er sie aus, worauf sich eine gelbe Flüssigkeit von der Konsistenz von Honig darauf verteilt. „Das ist so ähnlich wie Butter", erklärt mir mein Sohn.
Faszinierend. Ich beiße in mein Käsebrot und stelle fest, dass wenigstens der Käse wirklich Käse ist; geschmacklich erinnert er an Feta, ist aber weniger salzig. Das Brot hingegen ist zwar lecker, aber eindeutig nicht aus Getreidemehl gebacken. Ich gehe dem Geschmack nach und stelle schließlich fest: „Sowas wie Kartoffel und Mehl aus einer Hülsenfrucht."
Finley sieht mich verblüfft an. „Stimmt! Wir backen Brot aus Töftenknollen und weißen Linsen. Woher weißt du das?"
„Mama ist Bäckerin", informiert ihn Lars und kuschelt sich tiefer in Ragnars Shirt, das mir unbekannt vorkommt und vermutlich auch von Finley stammt.
„In dem Laden unten in unserem Haus wollte sie ein Café mit eigener Bäckerei eröffnen", fügt Ragnar an. „Wir haben uns schon darauf gefreut, weil sie dann sozusagen Home Office machen kann."
Nachdem Finley verstanden hat, um was es bei Café und Home Office handelt, seufzt er sehnsüchtig. „Das ist ein schöner Traum. Das würde ich auch gerne machen, aber außer in Industriestadt ist es nicht gut, allzu lange an einem Ort zu bleiben."
„Warum?" Lars beißt in ein Crêpe, welches er großzügig mit dem Gelee beträufelt hat, das er aus einer lila Frucht gequetscht hat.
Wenn ich an Finleys Morgengruß denke, kann ich mir den Grund schon vorstellen. „Vermutlich der natürlichen Ressourcen wegen."
Finley nickt. „Es gibt nur wenige Orte, die das ganze Jahr über Nahrung und Wasser bieten und nur in Industriestadt ist es ausreichend für viele Menschen. Darum ziehen wir anderen der Erntezeit hinterher."
„Erstaunlich, dass ihr dann trotzdem solche Luxusartikel wie Eis und Waffeln habt."
Finley sieht mich verblüfft an. „Luxus? Das ist pure Notwendigkeit! Seitdem ich das mache, geht es den Völkern hier um einiges besser. Die meisten Leute ernähren sich hier von Gras, welches als einziges das ganze Jahr über wächst und den jeweils reifen Früchten. Die Lebensmitteltransporte wie eben auch mein Wagen sind die einzige Möglichkeit für sie, an Eiweiß und Fett zu kommen und Abwechslung in die Eintönigkeit ihrer Nahrung zu bringen."
„Deshalb hatten die Kentauren so einen Jieper auf deine Sachen!", stellt Ragnar fest. Woraufhin er Finley erst einmal den Begriff ‚Jieper' erläutern muss.
„Guck mal, Mama, da ist was!", ruft Lars eine Stunde später. Ich habe auch schon bemerkt, dass wir uns einem dunklem Punkt in der Ferne nähern.
„Industriestadt", Finley weist nach vorne und sieht sich dann um. „Letzthin waren sie noch hier – Lars, siehst du die Schnur hinter meinem Sitz? Du darfst mal dran ziehen!"
Lars tut es mit vor Neugier funkelnden Augen und umgehend ertönt das Schellen, das uns gestern angelockt hat. „Ich lasse es einige Minuten an, in Ordnung?", übertönt Finley das Gebimmel. „Wenn sich bis dahin nichts gerührt hat, sind sie weitergezogen."
Ragnar blickt aus seinem Fenster. „Sind sie nicht. Da hoppelt es schon auf uns zu."
Die nächste Stunde vergeht wieder mit Arbeit. Diesmal erweisen wir uns als eingespieltes Team. Lars kennt sich bereits bestens in den Regionen unter Theke und Arbeitsflächen aus und holt mit sicherer Hand das Gewünschte hervor. Ragnar und ich finden zwischendurch Zeit, um Eisportionierer, Wender, Schöpflöffel und Teigverteiler zu spülen und Finley wirbelt mit unglaublicher Energie durch den Wagen und bedient alle Kunden. Ich spüre deutlich, wieviel Freude ihm sein Job macht.
Die Kunden sind diesmal ziemlich gemischt. Viele sind Tierwesen, mit den Ohren und Schwänzen, manchmal auch den Schnauzen von Mardern, Mäusen, Eichhörnchen, Schwarzbären und Beutelteufeln. Die Ohren der letzteren glühen leuchtendrot auf vor Erregung, wenn Finley ihnen das Gewünschte reicht. Finleys Gesicht glüht dann ebenfalls, weniger rot zwar, aber nicht weniger strahlend und sein Schwanz wedelt heftig wie bei Effie, wenn wir sie von meinem Bruder abholen, der öfters mal den Hundesitter für uns gibt.
Diesmal ist auch vieles zu verpacken. Etliche Kunden bestellen zum Mitnehmen und reichen dann auch gleich zusammengeklebte Pappschachteln, beschädigte Brotboxen, große Blätter und geflochtene Körbe aus mir unbekannten Pflanzen herüber. Mir dämmert jetzt, warum Finley seinen Lebensraum als Müllkippe bezeichnet; es scheint, als ob die Bewohner alles verwenden, was noch irgendwie verwertbar ist, unabhängig davon, aus welcher Welt es stammt.
Als der letzte Kunde zufriedentrottet, sieht sich Finley im Wagen um und stellt verdutzt fest: „Ihr habt ja schon fast alles abgewaschen!"
„Jetzt wissen wir ja besser, was wir zu tun haben", Ragnar lässt sich auf einen Stuhl fallen. „Und an den Sahne- und Soßenspendern habe ich ja nicht die ganze Zeit zu tun."
„Es hat eindeutig Vorteile, nicht alleine arbeiten zu müssen." Finley wechselt das Spülwasser aus und wäscht die letzten paar Utensilien ab.
„Wo kommt eigentlich das Wasser her?", frage ich. Finley deutet nach oben. „Das Dach besteht aus einem Wassertank, der eine Zeitlang reicht. Aber ich muss jetzt bald mal nachfüllen."
„Wartest du da auf Regen?", erkundigt sich Lars. Finley blickt ihn verdutzt an. „Was ist das?"
„Fällt bei euch etwa kein Wasser von Himmel?" Lars reißt die Augen auf.
„Nur an einigen Grenzen. Das kommt dann aber nicht vom Himmel, sondern von den anderen Regionen." Finley schüttelt verwundert den Kopf. „Wasser vom Himmel, sowas habe ich noch nie erlebt. Passiert das bei euch?"
„Regelmäßig, vor allem dann, wenn wir etwas draußen geplant haben", sage ich trocken.
„Seltsam. Ich muss mal den Schleierschleif fragen, ob er das kennt."
„Kann man denn mit diesem Tornadowesen überhaupt sprechen?"
„Ja. Aber er tut es nur mit wenigen Freunden. Und natürlich mit dem Markgrafen." Den offenbar weder Finley noch der Schleierschleif als Freund ansehen. Allmählich werde ich sehr neugierig auf diesen Kerl, der die Geschicke dieser eigenartigen Welt lenkt.
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