9.
Ich wusste nicht, wie ich es bis nach Hause geschafft hatte.
Ich wusste nicht, wie ich bis aufs Sofa kam.
Doch ich wusste, dass die Geräusche, die aus der Küche kamen nur von ein was zeugen konnten - mein Vater war wieder da. Ich probierte, aufzustehen, sackte aber mit einem schmerzerfüllten Stöhnen wieder zurück. Mein Rücken war steif und mein Kopf fühlte sich an, als würde er explodieren. Kein Wunder, wenn man auf dem harten Sofa schlief. Nachdem der zweite Aufstehversuch glückte, schlurfte ich müde Richtung Küche. Schon kurz vor der Tür hörte ich meinen Vater fröhlich pfeifen. Wie konnte man zu solchen Zeiten nur fröhlich sein. Ich lehnte mich an den Türrahmen und beobachtete meinen Vater. Er hatte mir den Rücken zugewandt und briet Spiegeleier. Es war komisch, wenn er da war. Ich hatte mich daran gewöhnt, nur mit meiner Mutter zu leben und so richtig vermisst hatte ich meinen Vater auch nie. Ich hatte mich nie wirklich wie sein Sohn gefühlt. Er war nett, kümmerte sich um mich und machte sich oft Sorgen - Doch er hielt auch Abstand; probierte, mich fröhlich zu machen, aber nicht zu nah kommen lassen. Er verhielt sich, als hätte er Angst. Angst vor etwas, das ich nicht kannte. Und ich hatte es auch nicht wissen wollen, doch jetzt spürte ich diese unsichtbare Wand viel deutlicher zwischen uns. Warum sie jetzt so stark war wusste ich nicht - Vielleicht weil ich jetzt älter war; oder , weil ich mich mehr nach seiner Nähe sehnte. Nichts klang wirklich plausibel, aber-
„Tim?"
Ich schreckte aus meinen Gedanken. Wie lange stand ich schon hier. Ich hob meinen Kopf und blickte meinen Vater an.
„Hey Dad" es fühlte sich komisch an, ihn „Dad" zu nennen, aber ich wollte nicht, dass er sich wunderte. Er würde sowieso viel mit mir reden wollen, nach der Sache mit Mum. Er nannte es „Seelische Stütze" und dass es mir beim verarbeiten helfen würde. Aber er hatte mich nie gefragt, ob ich das überhaupt wollte. Angeblich half es, mit anderen zu reden, doch das wollte ich nicht. Ich wollte mich anderen nicht offenbaren. Ich wollte mich nicht schwach und hilflos fühlen, darum hielt ich lieber Abstand. Stieß die Leute von mir weg. Das war auch der Grund, warum John mein einziger Freund war und selbst ihn hatte ich verloren. Vielleicht war es ja besser, allein zu sein, dann konnte man auch nicht verletzt werden. Aber wer konnte das schon verstehen... Andere Leute hatten Liebe und wollten sie auch nicht mehr aufgeben. Aber was man nicht hatte, könnte man auch nicht verlieren.
Ich lief an ihm vorbei und setzte mich an den Küchentisch. Vielleicht würde er mir ja wenigstens beim Frühstück meine Ruhe lassen. Aber da hatte ich mich wohl getäuscht:
„Wie läuft's in der Schule?” fragte er, während er mir ein Spiegelei auf den Teller lud.
„Ganz gut”
„Und deine Noten. Kommst du gut mit?”
„Ja Dad, es ist alles in Ordnung.” ich unterdrückte ein genervtes Stöhnen.
„Wie geht es denn John. Ich hab seit dem Elterngespräch nichts mehr von ihm gehört”
„Ihm geht's gut.” anscheinend ignorierte Dad meine genervten und kurzen Antworten, denn er verlor nicht die Freude in seiner Stimme, während er mich ausquetschte.
„Weißt du, ich werde ab jetzt öfter da sein, um mich um dich zu kümmern. Schließlich sollten Kinder niemals alleine leben.”
„Dad, ich bin 16. Behandel mich nicht wie ein Baby.” ich schluckte die letzten Reste meines Frühstücks runter, um so schnell wie möglich verschwinden zu können.
Außerdem wollte ich mich noch auf heute Nacht vorbereiten. Ich stand auf und ging unter dem Vorwand, mich fertig zu machen, in mein Zimmer. In einen Rucksack packte ich Wärme Klamotten, falls es heute Nacht kalt werden würde. Außerdem suchte ich mein Kamera und die dazugehörende Ausrüstung zusammen. Den Rucksack legte ich unter mein Bett, damit mein Vater ihn nicht fand. Danach suchte ich mir frische Sachen raus und ging unter die Dusche.
Während das warme Wasser auf meinen Rücken prasselte und ein Rauschen in meinen Ohren hinterließ überlegte ich, wie ich für meine Rache weiter vorgehen wollte. Für John hatte ich noch keine Idee, aber für Erik schon. Ich hoffte, dass meine Vermutungen stimmten und ich mich nicht täuschte, sonst würde es nicht funktionieren.
Ich stieg aus der Dusche, trocknete mich ab und zog mich an. Es fühlte sich komisch an, nicht mehr alleine im Haus zu sein, die ich die Stille der letzten Tage genossen hatte. Doch jetzt hörte ich Geklapper aus der Küche und vereinzeltes Fluchen meines Vaters.
Zum ersten Mal seit gestern schaute ich wieder auf mein Handy. John hatte probiert, mich anzurufen und auch andere Leute hatten Nachrichten hinterlassen. Doch ich wusste, dass es alles nur Hater waren, die mich jetzt irgendwie mobben wollten. Manchmal bemitleidete ich Homosexuelle dafür, in dieser homophoben Gesellschaft leben zu müssen. Schließlich konnte man doch nichts dafür, wenn man liebte.
Aber das bewies Mal wieder, das Liebe nicht gut war.
Sie machte einen kaputt.
Sie machte einen einsam.
Sie machte einen böse.
Und am Ende sterben wir trotzdem alle allein. Warum sollte man also seine Zeit dafür verschwenden, dass jemand einem das Herz bricht?
Es ist besser, andere zu verletzten, als selbst verletzt zu werden.
Ich lief die Treppe wieder runter und setzte mich auf das Sofa. Ich wollte eigentlich etwas anderes tun, aber was denn? Es gab zur Zeit nichts, was mir Spaß machte. Nicht, das mich glücklich machte. Aber derzeit konnte ich meine Emotionen sowieso nicht einordnen. Ich fühlte mich leer. Gelangweilt. Nicht Mal traurig sein konnte ich. Ich wäre gerne traurig - Meine Mutter hatte es verdient, dass man um sie trauerte.
„Was möchtest du heute machen?” ich hatte gar nicht bemerkt, dass mein Vater neben mir saß und mich erwartungsvoll anschaute.
Ich zuckte nur mit den Schultern, hielt es nicht für nötig, mit ihm zu reden.
„Wollen wir irgendwo hin gehen? Ich würde gerne mehr Zeit mit dir verbringen.”
Ich zuckte wieder nur mit den Schultern - Eine Reaktion, die er vermutlich falsch auffasste:
„Wenn du reden möchtest, nur zu. Ich verstehe, dass du traurig bist, aber es ist wichtig, dass du mit jemandem darüber redest. Du solltest deine Trauer sich nicht in dich hinein fressen lassen, sonst zerstört sie dich. Und wenn du nicht mit mir darüber reden möchtest, dann könntest du auch John fragen.” als er mit seiner Moralpredigt fertig war, sah er mich aufmunternt an.
„Nein nein, alles gut. Ich komme schon klar” meinte ich schnell, um dieses Gespräch zu beenden, doch er seufzte nur mitleidig.
„Tim... Es ist nicht falsch zu trauern. Du solltest deine Gefühle einfach Mal raus lassen, du kannst auch gerne weinen, wenn du möchtest. Aber es ist nicht gut, wenn du dich selbst belügst.
Ich verstehe dich, ich weiß, wie du dich fühlst. Es ist nicht leicht, eine wichtige Person zu verlieren, aber ich bin immer für dich da. Du kannst mit mir reden und ich höre dir zu. Du brauchst dich auch nicht zu schämen, denn deine Gefühle sind normal. Und traurig zu sein ist auch normal.”
Ich wollte ihn anschreien. Ihm sagen, dass er mich nicht kannte und sich nicht in mein Leben einmischen sollte, doch ich ließ es. Er würde es sowieso nicht verstehen. Er würde denken, dass ich so probierte, mit meiner Trauer klar zu kommen. Aber die Wahrheit würde er mir nicht glauben. Vielleicht würde er mich sogar zu einer Therapie schleppen.
„Ok, wenn etwas ist, werde ich es dir sagen” resignierte ich.
Er fing wieder an zu strahlen, nahm meine Hand und drückte sie fröhlich.
„Komm... Wir sollten nicht hier sitzen und Trübsahl blasen. Lass uns ein bisschen in die Stadt gehen.” meinte er euphorisch und zog mich an meiner Hand auf die Beine. Ich hatte keine Zeit, zu wiedersprechen, da hatte er sich schon angezogen und drängte mich auch dazu.
Die Fahrt verlief ziemlich ruhig. Mein Vater beschwerte sich immer über die Leute im Radio oder meckerte die Autofahrer an, aber das war ich von ihm gewöhnt. Er fuhr zu seinem Lieblingseinkaufszentrum und parkte, nachdem er endlich einen Parkplatz gefunden hatte. Wir stiegen aus und ich betrachtete kritisch das Getümmel der Menschen vor den Läden. Warum mussten den auch alle Leute Samstagvormittag einkaufen gehen.
Mein Vater strahlte wie ein Kleinkind, zog mich durch irgendwelche Läden. Er hatte schon gefühlt 3000000000 Sachen anprobiert, war aber noch lange nicht fertig. In einem unaufmerksamen Moment seiner Seits, machte ich mich schnell aus dem Staub.
Vermutlich hasste mein Leben mich, denn ich traf natürlich auf John, der mit seinen Eltern einkaufen war. Als er mich sah, kam er auf mich zu und zog mich in eine ungestörte Ecke.
„Was willst du?!” man konnte die Kälte ganz deutlich aus meiner Stimme heraushören.
„Ich wollte mich entschuldigen.
Ich hätte von Anfang an nicht so gemein zu dir sein dürfen, aber ich wollte mich nur der Gesellschaft anpassen. Eigentlich bist du ein ganz cooler Typ und ich bereue, dass ich so zu dir war. Und es tut mir auch leid, wegen den Fotos. Ich wusste nicht, dass wir nicht alleine waren. Kannst du mir eine zweite Chance geben?”
Er hatte einen flehenden Ausdruck in den Augen und es tat ihm anscheinend wirklich leid, doch mir fiel nur ein was darauf ein:
Weichei
Ich hasste diese Leute, die einfach so ihre Persönlichkeit änderten, nur, weil sie jemanden mochten. Aber vermutlich war er nie so gewesen, wie ich dachte und hatte das alles nur gespielt.
„Ich werd's mir überlegen.” meinte ich nur.
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