8.
Ich wachte ziemlich spät auf. Die Schule hatte schon begonnen, aber das war mir egal. Ich ließ mir Zeit, als ich mich fertig machte. Wegen des mangelden Hungers aß ich nichts und ging direkt zur Schule. Der Schulweg kam mir heute besonders kurz vor, aber das lag vielleicht daran, dass ich noch weniger Lust auf Schule hatte, als sonst.
Der Schulhof war ziemlich leer, nur ein paar einzelne Schüler, die schwänzten. Ich spürte die Blicke in meinem Rücken, als ich das Schulhaus betrat.
Die Gänge waren gespenstisch leer, bis eine Schülerin meinen Weg kreuzte, vermutlich, um auf's Klo zu gehen. Ich suchte das Zimmer, klopfte an und öffnete die Tür, ohne auf eine Antwort zu warten. Der Lehrer schaute mich ziemlich wütend an und wollte mir gerade eine Predigt halten, doch ich ignorierte ihn und ging einfach zu meinem Platz. Alle Schüler schauten mich an - teils mit Ekel, teils mit Abscheu.
Der Unterricht ging einfach weiter. Ich schaute nur aus dem Fenster oder malte; wenn mich jemand ansprach, ignorierte ich es. Dadurch verging der Unterricht ziemlich schnell und alle Schüler verließen danach das Zimmer. Ich zögerte kurz, doch dann betrat ich die Höhle des Löwen - den Schulflur.
Im Gang standen ziemlich viele Schüler, vermutlich nur die faulen, die nicht raus gehen wollten. Ich hatte kurzzeitig ein komisches Gefühl im Bauch, doch ich schluckte es runter, streckte meine Nase stolz nach oben und ging einfach weiter. Umso weiter ich lief, umso mehr Schüler wurden still und starrten mir hinterher. Doch langsam fingen sie an, zu murmeln oder tuscheln. Ich probierte, es zu ignorieren, doch ich spürte immer mehr, wie einsam ich eigentlich war. Von den anderen nicht wirklich beachtet zu werden, wie ein normaler Schüler, war zwar nicht schön, aber ertragbar. Aber negativ im Mittelpunkt zu stehen - ohne Freunde - war tausendmal schlimmer.
Ich würde am Liebsten zu meiner Mama gehen, aber das ist jetzt nicht mehr möglich. Ich will irgendjemanden kennen lernen, mit dem ich reden kann.
Ich suchte mir eine ruhige Ecke auf dem Schulhof und holte mein Handy aus meinem Rucksack.
Ich suchte im PlayStore und wurde schnell fündig:
S.App
Ein soziales Netzwerk um neue Leute kennen zu lernen.
Ich richtete mir einen Account ein und wartete.
Leider war die Pause zu schnell um und ich konnte nichts tun, außer den Unterricht über mir ergehen lassen. Anscheinend merkten die Lehrer, dass ich keine Lust hatte, denn sie nahmen mich mit Absicht öfter dran. Heute schon zum gefühlt tausendsten Mal stand der Lehrer vor meinem Tisch und bombadierte mich mit Fragen. Das er nur Antworten wie „Weiß ich nicht”, „Ist mir egal” oder „Wenn sie es wissen, können sie es auch selber sagen” bekam, störte ihn recht wenig. Doch nach Stunden der Fragerei - vielleicht auch nur zehn Minuten - ließ er endlich von mir ab und widmete sich wieder der gesamten Klasse. Glücklicher Weise ließ er mich danach in Ruhe, sodass ich die restliche Zeit nutzen konnte, um vor mich hin zu dösen.
Die Pause verbrachte ich damit, etwas zu essen, mein Handy anzustarren und die Blicke der anderen zu ertragen.
Und dann bemerkte ich, dass heute die höheren Klassenstufen ins Theater gehen würden und leider musste ich da mit. Ich überlegte erst, einfach nach Hause zu gehen, doch ich entschied mich dagegen. Ein Theaterbesuch war bestimmt eine gute Ablenkung und würde mich vielleicht ein bisschen aufheitern.
Die neunte und die zehnte Klasse trafen sich auf dem Schulhof, während die elfte und zwölfte Klasse anscheinend schon dort waren. Nachdem ein paar Lehrer da waren, um uns zu beaufsichtigen, gingen wir los zur Bushaltestelle. Es dauerte eine Weile, bis alle eine Fahrkarte hatten, doch dann fuhren wir endlich los. Die Fahrt dauerte ziemlich lange und die stickige Atmosphäre im Bus machte es nicht gerade besser.
Der Bus stand noch nicht mal richtig, da sprang ich schon durch die geöffneten Türen und schnappte gierig nach Luft. Durch den Sauerstoffmangel war mir ein bisschen schwindelig und ich schwankte leicht, während ich den anderen hinterher lief. Der Weg war ziemlich lang, wodurch wir fast zu spät kamen und sich alle beeilten, um einen Sitzplatz zu bekommen. Ich hatte nicht das Bedürfnis, mich zu beeilen und brachte erstmal meine Jacke in die Umkleide. Als ich den Raum betrat, waren es nur noch zwei Minuten bis zum Beginn der Vorstellung. Der Theatersaal war fast bis zum letzten Platz gefüllt, doch in der vorletzten Reihe fand ich noch einen Platz. Ich wollte mich gerade neben ein Mädchen aus einer meiner Parallelklassen setzten, doch sie hielt mich mit einem einfachen „Nein” davon ab. „Hm?” murmelte ich, anscheinend sichtlich verwirrt. „Du kannst dich hier nicht hin setzten!” - „Und wieso nicht?!” fragte ich, schon leicht genervt. Ich dachte, dass heute ein entspannter Tag wird, mein Ruf machte mir da aber einen Strich durch die Rechnung.
„Ich will nicht, dass ich lesbisch werde. Homosexualität ist bestimmt ansteckend. Vielleicht werde ich dann eine Sünde. Ich darf Gott nicht enttäuschen.” ich sah einen Schimmer von Panik in ihren Augen. Das diese Theorie kompletter Schwachsinn war, dass wusste sie anscheinend nicht. Aber was hatte ich auch erwartet?! Die Christen leugnete sowieso fast alles, was man leugnen konnte.
Ohne sie von ihrem Irrtum zu befreien, drehte ich mich um und verließ die Sitzreihe. Das Theaterstück hatte bereits begonnen, ohne das ich es gemerkt hatte. Ich ließ meinen Blick über die Menge schweifen und fand schließlich doch noch einen freien Blick. Ohne wirklich auf die anderen zu achten, bewegte ich mich in die Richtung des freien Platzes. Das Gemurmel der anderen Schüler überdeckte schon fast die Schauspieler, bis die Lehrer anfingen, die Schüler zu beruhigen.
Im Dunkeln tastete ich mich bis zu der Sitzreihe; glücklicherweise war der freie Sitz direkt ganz außen, wodurch ich mich nicht erst noch an den anderen vorbei drängeln musste. Ich ließ mich schwerfällig auf dem Sitz nieder und probierte, dem Schauspiel zu folgen. Allerdings war das ziemlich schwer, weil ich nicht Mal wusste, was das für ein Stück war. Anscheinend eher etwas Älteres, den die Texte waren grauenhaft und sehr schwer sinnlich zu verstehen.
Ich seufzte, gab den Versuch, irgendetwas zu verstehen auf und schloss die Augen. Ich genoss das Wirrwarr an Wörtern, das bis zu mir drang, gemischt mit dem Gemurmel der Schüler. Es war ein entsprechendes Geräusch; erinnerte mich an nichts und ließ meinen Kopf leer werden. Irgendwann schaltete ich einfach ab, achtete auf nichts mehr und genoss die Ruhe, die ich seit ein paar Tagen sehr vermisste.
Ich genoss die Wärme, die von meinem Bein ausging. Dieses gleichmäßige und beruhigende Gefühl.
Plötzlich schoss mir nur ein Gedanke durch den Kopf:
Was ist das?!
Ich öffnete meine Augen und blickte auf die Hand, die auf meinem Bein lag. Ich bräuchte ein paar Sekunden, um zu verstehen, dass das nicht meine Hand war. Langsam und leicht verwirrt hob ich meinen Blick und folgte dem Arm. Bis ich in ein mir all zu gut bekanntes Gesicht schaute.
Ob mich mein Leben hasst oder es einfach nur Zufall war... Aber natürlich musste ausgerechnet Erik neben mir sitzen.
Er lächelte mich leicht an, doch es war kein spöttisch es oder gemeines Grinsen, es war ein ehrliches Lächeln. Seine Augen hatten einen verträumten Schimmer und er wirkte, als wäre er in einem anderen Universum. Seine Hand, die immer noch auf meinem Bein lag, fing langsam an sich zu bewegen. Erst streichelte er nur diese Stelle, dann fing er an, vorsichtig weiter nach oben zu streicheln. Ich hasste mich in diesem Moment, denn ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Ob ich überrascht war oder es genoss wusste ich nicht, aber ich konnte mich einfach nicht bewegen.
Ich erwachte aus meiner Starre, als seine Hand plötzlich meinen Schritt berührte. Er zuckte zusammen, als ich sein Handgelenk umschloss. Blitzschnell drückte ich ihn weg und knickte seine Hand ungesund nach hinten, so daß er vor Schmerz aufstöhnte.
„Es... Tut mir leid. Ich dachte-” bevor er zuende sprechen konnte, stand ich auf und drehte mich zu ihm. Ich blickte eine Sekunde stillschweigend auf ihn runter.
Dann verpasste ich ihm eine ordentliche Ohrfeige. Er blickte mich traurig und verletzt an, tat aber nichts weiter. Daraufhin drehte ich mich um und ging. Ich ignorierte die Lehrer, die mir nach riefen. Ich musste einfach nur weg von hier. Bevor ich das Theater verließ, holte ich noch schnell meine Jacke. Mit dem Bus fuhr ich nach Hause. Der Bus war glücklicherweise leer, aber es war ja auch schon Abend. Ein paar Haltestellen vor meinem Zuhause stieg ich aus und ging in den nahegelegenen Park. Ich wollte noch nicht nach Hause. An diesem Freitagabend war es ziemlich ruhig in der Stadt, doch das machte mir nichts aus. Es lenkte mich davon ab, das mein Vater dieses Wochenende nach Hause kommen würde. Ob das so gut gehen wird?!
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top