5.
Ich wachte durch ein lautes Poltern auf. Dann hörte ich meine Mutter vor der Tür fluchen. Sie stürmte in mein Zimmer: „Tim. Du hast verschlafen... Du musst los. Die Schule beginnt in fünf Minuten." sie redete sich schnell, dass ich Angst hatte, sie würde hyperventilieren. Ich schaute auf die Uhr und dann... - Sprang ich sofort aus dem Bett. Scheiße, ich war wirklich viel zu spät dran. Das würde ich niemals noch rechtzeitig schaffen.
Ich beeilte mich extra im Bad, nahm mein Schulzeug und ging ohne gefrühstückt zu habe, aus dem Haus. Ich rannte zur Schule, doch kam trotzdem zehn Minuten zu spät. Keuchend lief ich über den Schulhof und betrat das Schulgebäude. Die Gänge wäre leer, natürlich, es war ja Unterricht. Ich holte mein Handy aus meiner Tasche, um zu schauen in welchem Zimmer ich hatte. Allerdings sprang mir eine Anzeige entgegen.
Eine neue Nachricht von Erik:
Erik: Warum bist du nicht im Unterricht?
Ich überlegte kurz - Sollte ich antworten? Eigentlich hatte es ihn nicht zu interessieren, allerdings könnte ich so ein bisschen Unterrichtszeit tot schlagen.
Tim: Woher willst du wissen, dass ich nicht im Unterricht bin?!
Erik: Ich weiß es einfach, außerdem hab ich dich auf dem Schulhof gesehen.
Tim: Klingt so, als wärst du auch nicht im Unterricht.
Erik: Ja, mir war langweilig, darum bin ich eine rauchen.
Erik: Komm mal auf den Hof hinter die Büsche.
Tim: Warum sollte ich das tun?
Außerdem muss ich in den Unterricht.
Erik: Ach komm schon...
Ich hab eine Überraschung für dich...
Tim: Nein heißt Nein!
Plötzlich packte mich jemand von hinten, doch bevor ich schreien konnte, hatte ich eine fremde Hand auf meinem Mund.
„Überraschung" flüsterte jemand in mein Ohr und ich bekam eine Gänsehaut. Ich erkannte sofort seine raue Stimme und spürte seinen warmen Atem in meinem Nacken.
„Komm, lass uns von hier verschwinden." flüsterte Erik in mein Ohr und endlich nahm er auch seine Hand von meinem Mund. Ich drehte mich um und sah ihn verwirrt an. „Warum sollte ich mit dir irgendwo hin gehen? Außerdem haben wir Unterricht." meinte ich, wobei meine Stimme ziemlich aufgebracht war. Dabei war ich eigentlich gar nicht wütend. Ehrlich gesagt hatte ich einfach nur Angst, was Erik vor hatte.
„Ach komm schon. Als würde dich der Unterricht ernsthaft interessieren. Mit mir ist es doch viel lustiger." meinte er und musterte mich spöttisch. Warum musste er mich immer mustern? Er hatte diesen komischen Blick, als würde er direkt in mich rein schauen wollen. Vermutlich konnte er das auch, weil ich ein ziemlich offenes Buch war, doch ich wollte eigentlich nicht von mir preisgeben. Zumindest nicht ihm gegenüber.
„Ich weiß ja nicht, wie du ‚lustig' interpretierst, aber das was du mit mir ‚machst', ist alles andere als lustig. Das ist einfach nur eckelerregend." meine Stimme war nur noch ein Zischen und langsam keimte Wut in mir auf. Daraufhin lachte Erik laut los und ich hatte schon die leise Hoffnung, er würde an seinem Lachen ersticken, doch das Leben meinte es schlecht mit mir. Nachdem er sich wieder gefangen hatte und sich sogar eine Lachträne aus dem Auge gewischt hatte, meinte er nur fröhlich: „Also ich finde das ziemlich lustig. Vor allem, deine Reaktionen auf mich."
Plötzlich verlor ich kurzzeitig die Kontrolle und meine - jetzt doch ziemlich große - Wut übernahm die Oberhand. Ich holte aus und schlug im kräftig und Gesicht. Er schaute mich überrascht an und hielt sich die blutende Nase, doch das war mir ehrlich gesagt egal. „Weißt du eigentlich, wie scheiße das alles ist?!", schrie ich und spürte Tränen in meinen Augen, „Weißt du, wie sehr du mein Leben verändert hast?! Mein bester Freund denkt, ich verheimliche ihm etwas - was ich ja auch tue. Er wird sich von mir abwenden und mich als Lügner bezeichnen. Alle anderen Spielen mir ihr Mitleid vor, um sich besser zu fühlen, doch in echt ist es ihnen egal. Ich werde gemobbt und wenn das raus kommt, dann könnte ich mich auch gleich umbringen, weil mein Leben dann nur noch schlimmer wird. Und du... Du findest das alles lustig, weil du keine Ahnung hast, wie scheiße das alles ist. Du bist so jemand, dem alles in den Arsch geschoben wird. Der perfekte Junge; beliebt, reich und bekommt alles, was er will. Aber du hast keine Ahnung vom Leben. Du kaufst dir einfach alles. Du kaufst dir Freunde, durch deine Beliebtheit und dein hohes Ansehen. Aber du kannst nicht alles haben. Und du kannst nicht mich haben, denn das hast du eindeutig nicht verdient." ich merkte, dass mir Tränen über die Wangen liefen. Erik schaute mich nur perplex an und sagte nichts, vermutlich hatte noch nie jemand seine Meinung ihm gegenüber geäußert. „Und halt dich ab jetzt aus meinem Leben raus" sagte ich noch, wobei meine Stimme eher wie ein Knurren klang. Dann lief ich an ihm vorbei und verließ die Schule.
Ich hatte keine Lust mehr, meinen Tag im Unterricht zu verbringen und möglicherweise Erik über den Weg zu laufen. Ich wollte einfach nur nach Hause, mich in mein Bett legen und alle schlechten Gedanken aus meinem Kopf verbannen. Während ich lief, stieß ich eine alte Konservendose mit dem Fuß vor mir her. Sie war schon ziemlich verbeult und rostig. Ich stellte mir vor, dass die Dose Erik wäre und trat mit voller Wucht darauf herum. Ich war zwar immer noch wütend, aber nach dieser Aktion fühlte ich mich besser. Neben einem Mülleimer hob ich sie auf und entsorgte sie. Ich schaltete mein Handy ein und musste leider feststellen, dass ich haufenweise Nachrichten von Erik hatte.
68 neue Nachrichten von Erik.
Ich schaute sie mir nicht an; ich wollte nicht wissen, was er zu sagen hatte. Vermutlich wurde er sich nur über mich lustig machen, weil ich geweint hatte oder er würde mich beschimpfen, aber es interessierte mich nicht die Bohne.
Als ich Zuhause ankam, schloss ich die Tür auf und ging in die Küche. Meine Mutter war zum Glück schon weg, was ich eigentlich auch sein sollte, da seit einer Stunde Unterricht war.
Ich schaute in den Kühlschrank, ob etwas essbares da war. Ich hatte nicht gefrühstückt, daher machte sich der Hunger jetzt in Form von einem knurrenden Magen bemerkbar. Glücklicher Weise hatte meine Mutter Mittagessen für mich vorbereitet und es in den Kühlschrank gestellt. Sie hatte heute Spätschicht und würde erst Abends kommen. Mein Vater war leider auf einer Geschäftsreise, wodurch ich ab und zu mal alleine Zuhause war. Doch jetzt genoß ich die Ruhe, die das ganze Haus füllte.
Ich ging in mein Zimmer und legte mich aufs Bett. Mir schwirren so viele Gedanken im Kopf umher, dass ich einfach nicht abschalten konnte. Ich nahm mein Handy und mir fiel auf, dass Erik nicht der einzige war, der mich kontaktiert hatte.
69 neue Nachrichten von Erik und John.
Ich ging auf John's Kontakt:
John: Hey Bro, alles gut?
Warum bist du nicht in der Schule?
Tim: Ich bin krank und liege Zuhause im Bett.
John: Achso, na dann, gut Besserung.
Ich wollte mein Handy gerade aus schalten, als ich eine Nachricht von Erik bekam. Genervt blockierte ich ihn. Wieso checkt er nicht, dass ich nicht mit ihm reden möchte?
Ich machte es mir im Bett gemütlich und wanderte schnellstmöglich in die Welt der Träume.
Am Abend ging ich in die Küche, um etwas zu essen. Meine Mutter würde erst in einer Stunde kommen, also aß ich schon Mal ohne sie. Mit meinem Teller - voll beladen mit einer Scheibe Brot und einem Spiegelei - setzte ich mich im Wohnzimmer auf's Sofa. Ich schaltete den Fernseher ein und zeppte durch die Programme. Ich fand etwas spannendes und begann zu essen, während ich interessiert auf den Bildschirm starrte.
Punkt 20 Uhr begannen die Nachrichten. Es ging um einen Brand in einem Hochhaus. Ich kannte das Haus, dort arbeitete meine Mutter. Warum hatte sie denn nicht angerufen?
Es wurden ein paar Bilder des Hauses eingefügt. Sah, meiner Meinung nach, ziemlich schlimm aus. Die äußeren Wände des Hauses waren vom Feuer schwarz gefärbt und man wollte sich gar nicht vorstellen, wie es im Inneren aussah. Vor dem Haus standen mehrere Feuerwehrautos, die gerade dabei waren, die letzten Flammen zu löschen.
Die Kamera wurde zur Seite gedreht und ein Mann kam ins Bild; vermutlich ein Polizist.
„Wir gehen zur Zeit von einem Unfall aus, da keine Anzeichen für Brandstiftung vorhanden sind." antwortete er auf die Frage, wie denn die Lage vor Ort sei.
„Leider wurden alle 56 Personen, die sich zur Zeit des Brandes im Haus aufhielten, tot aufgefunden. Der Notausgang war versperrt und sie sind alle erstickt." sagte der Polizist.
Ich nahm mein Handy und rief meine Mutter an. Ich wollte ihr sagen, dass es mir leid tat, was ihren Kollegen passiert war. Nachdem sie beim dritten Versuch nicht Ran ging, legte ich mein Handy zur Seite. Ich ließ mir nochmal durch den Kopf gehen, was der Polizist gesagt hatte und dann viel es mir wie Schuppen von den Augen:
Meine Mutter war tot!
Sie war in den Flammen erstickt, genauso wie ihre Kollegen.
Kurzzeitig blieb mir die Luft weg.
Mein Kopf war leer.
Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen.
Dann prasselte alles auf mich nieder. Die Erkenntnis keine Mutter mehr zu haben; die Vorstellung, wie mein Leben jetzt ohne sie weiter gehen sollte; die unendlich Trauer. Ich spürte einen schmerzhaften Stich in meiner Brust und krallte meine Hand in mein T-Shirt. Die Tränen liefen schon unaufhaltsam über meine Wangen und ich saß einfach nur da - verkrampft - und weinte. Irgendwann fiel ich in einen traumlosen Schlaf.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top