2.

Die nächsten drei Tage waren ein Albtraum. Meine Mutter setzte sich dafür ein, dass ich Schulfrei bekam. Alle dachten, ich wäre, so wie John, angegriffen worden. Was eigentlich passiert war, erzählte ich natürlich niemandem - vermutlich hätte es mir sowieso niemand geglaubt. Nachdem John wieder aufgewacht war, wurden wir für ein Schul-Gespräch eingeladen. Wir... Und natürlich auch Erik und seine Freunde. Es hatte eine riesige Diskussion zwischen Eltern und Lehrern gegeben, nachdem John erzählt hatte, von wem er angegriffen wurde. Erik's Eltern waren der festen Überzeugung, dass ihr Sohn unschuldig sei und er so etwas niemals tun würde. Das einzig positive, an dieser ganzen Situation war, dass meine Eltern den Brief, vom Rektor, komplett vergessen hatten. Sie behandelten mich wie einen König - was einerseits entspannend, andererseits aber auch nervig war.

Wir waren gerade bei John's Familie angekommen, um mit ihnen zusammen zum Gespräch in der Schule zu fahren. John's Eltern waren merklich angespannt und auch John freute sich nicht wirklich.
Er sah schon wieder ziemlich gut aus. Er hatte noch ein paar Kratzer im Gesicht, aber dafür kein blaues Auge. Als es so weit war, stiegen wir alle ins Auto und fuhren zur Schule. Während der Fahrt war es totenstill im Auto. Die Situation wurde immer angespannter. Glücklicher Weise waren wir relativ schnell bei der Schule. Im Schulgebäude war es still. Der bekannte Geruch schlug mir entgegen - eine Mischung aus Toilette, Schweiß und Farbe. Wir gingen in das Zimmer, in dem schon unser Klassenlehrer und der Vertrauenslehrer saßen. Wir setzten uns ihnen gegenüber, auf die bereit stehenden Stühle und warteten. Nach ein paar Minuten wurde die Tür geöffnet und Erik, seine Eltern und Simon kamen herein. Kim war nicht da - kein Wunder, er war ja bekanntlich auch nur der Streber. Als Erik eintrat, senkte ich schnell den Kopf. Ich konnte ihn nach alledem einfach nicht anschauen. Nachdem alle saßen, fing unser Klassenlehrer an zu reden. Er redete über Toleranz und Respekt und solche Sachen - alles, was einen Schüler nicht interessiert. Ich spürte ab und zu Erik's Blick auf mir, wodurch ich immer nervöser wurde.
„John, könntest du uns bitte erzählen, was passiert ist?” fragte unser Klassenlehrer. Ich schreckte aus meinen Gedanken. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass der Lehrer mit seiner Rede fertig war. Ich schaute zu John, er zögerte kurz, doch dann fing er an zu erzählen. „Also... Ich war Zuhause. Tim war auch da. Er ist auf die Toilette gegangen. Dann hat es an der Tür geklingelt, also bin ich runter gegangen, weil meine Eltern nicht da waren. Ich hab die Tür aufgemacht und dort standen sie - Erik und Simon.”, John schwieg kurz und durchbohrte Erik mit einem hasserfüllten Blick. „Erik wollte Geld von mir - 200€. Aber ich hatte nur die Hälfte, also ist Simon auf mich los gegangen und hat mich verprügelt. Dann ist aber Tim dazwischen gegangen und Simon weg geschubst... Und dann bin ich bewusstlos geworden.” „Danke John, dass du es uns erzählt hast.”, meinte der Vertrauenslehrer und musterte John dabei besorgt. Dann drehte er sich zu mir. „Tim, kannst du uns sagen was dann passiert ist?” er schaute mich auffordernd an. „Naja, ich hab Simon weg geschubst und bin auf ihn los gegangen und dann...” ich stoppte. „Tim? Was ist dann passiert?” fragte der Vertrauenslehrer. Ich wollte es erzählen, aber ich konnte nicht. Mir würde sowieso keiner glauben und was würde Erik dann tun. Würde er es nochmal machen? Oder vielleicht sogar etwas schlimmeres?
„Ich weiß es nicht... Ich erinnere mich nicht mehr daran, was danach passiert ist.” sagte ich, wobei ich auf meine Hände starrte. Auch wenn ich es nicht sah, wusste ich trotzdem, dass mich alle anschauten.
„Ok... Danke. Dann jetzt zu dir Erik. Stimmt das, was John erzählt hat?” ich schaute vorsichtig zu Erik. Er hatte ein selbstsicheres Lächeln aufgesetzt. „Ja, das stimmt!”. Alle schauten überrascht zu ihm. Keiner hatte erwartet, dass er alles einfach so zugeben würde... Obwohl, bis jetzt hat er nur einen Teil der Geschichte zugegeben. Anscheinend hatte der Vertrauenslehrer die gleiche Idee wie ich, denn er fing wieder an zu reden. „Stimmt auch das, was Tim erzählt hat? Und das du ihn angegriffen hast?” fragte er, während er eine Augenbraue hochgezogen hatte. „Das was Tim erzählt hat stimmt auch, aber ich habe ihm nicht weh getan.” erwiderte Erik. Er klang so selbstbewusst, dass ich ein bisschen neidisch wurde.
Es wunderte mich auch nicht, dass er nicht die gesamte Wahrheit sagte, schließlich war sexuelle Belästigung schon ziemlich schlimm. Aber eigentlich hätte er ja Recht - er hatte mir nicht weh getan.
Unser Klassenlehrer klatschte in die Hände: „Gut, dann hätten wir das ja geklärt. Erik... Du musst einen Monat lang nachsitzen, genauso wie Simon. Ob sie eine Anzeige machen möchten, Frau und Herr Peul, das ist ihnen überlassen. Dann... Einen schönen Tag noch.”
Alle standen auf und verließen das Zimmer. Ich sagte Bescheid und ging nochmal schnell auf's Klo. Ich ging in eine Kabine, schloss ab und setzte mich auf den Klodeckel.
Wie würde es jetzt wohl weiter gehen?
Wie würde sich Erik in den nächsten Tagen verhalten?
Und wie sollte ich mich verhalten?
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als John meinen Namen rief. „Ich komme gleich.” antwortete ich schnell und wartete bis er weg war. Dann verließ ich die Kabine und ging zum Waschbecken. Ich wusch mein Gesicht und schaute dann in den Spiegel. Ich erschrak zu Tode, als ich Erik hinter mir erkannte. Ich drehte mich schnell um und schaute ihn erschrocken an. „Warum hast du nicht die Wahrheit gesagt?” fragte er ohne Umschweife. Ich wusste, dass er meine Aussage gegenüber den anderen meinte. „Ich hab doch die Wahrheit gesagt... Ich erinnere mich nicht mehr.” sagte ich und probierte dabei gelassen zu wirken.
Plötzlich legte er seine Hand auf meine Hüfte. Ich zuckte zusammen und machte einen Schritt zur Seite. „Dafür, dass du dich nicht erinnerst, bist du aber noch ziemlich traumatisiert.” er lachte spöttisch. „Aber keine Sorge, ich gebe dir noch ein paar Tage Zeit, das alles zu verarbeiten.” damit drehte er sich um und verließ die Toiletten.
Ich schaute ihm noch ein paar Minuten lang verwirrt hinterher, dann machte ich mich auch auf den Weg nach draußen.
Erik's und Simon's Familien waren schon gegangen, während meine und John's Eltern vor der Schule standen und redeten. „Hey, alles ok?” fragte mich John, als ich neben ihm stand. Natürlich konnte ich ihm nicht erzählen, was eigentlich los war, also nickte ich nur. Wir gingen wieder zum Auto und fuhren zu John's Haus. Die Erwachsenen setzten sich ins Wohnzimmer und unterhielten sich. John und ich verschwanden nach oben in sein Zimmer. Ich setzte mich auf sein Bett, während John auf dem Schreibtischstuhl Platz nahm. Er musterte mich nachdenklich: „Ist wirklich alles in Ordnung?” fragte er. „Jaja, alles bestens.” antwortete ich, doch ich wusste, dass er mir nicht glaubte. „Tim, wenn du reden möch-” setzte er erneut an, doch ich unterbrach ihn: „Jaja, ich weiß. Mir geht's gut, ich hab einfach nur ein bisschen Kopfschmerzen.”, er schaute mich mitleidig an „Warum hast du das denn nicht gleich gesagt?” fragte er besorgt. „Ich wollte euch nicht unnötig Sorgen bereiten.” murmelte ich. „Tim...”, John sah mir fest in die Augen „Du bist es immer wert, dass man sich Sorgen macht. OK?... Leg dich ins Bett und ruh dich aus, ich geh runter.” meinte er. „Danke” sagte ich noch, dann war er auch schon verschwunden. Ich seufzte und ließ mich in das Kopfkissen fallen.
Ich schaltete mein Handy an und checkte meine Nachrichten:

Eine neue Nachricht von Unbekannt

Ich ging auf den namenlosen Chat:

Unbekannt: Hey

Tim: Wer bist du?

Unbekannt: Rate doch!!!

Tim: Ernsthaft?! Sag mir einfach, wer du bist. Ich hab keine Lust auf Spielchen!

Unbekannt: OK Ok. Ich bin Erik

Tim: WARUM SCHREIBST DU MIR?! WAS WILLST DU?! LASS MICH IN RUHE!!!

Erik: Hey, chill. Ich wollte doch nur Hallo sagen

Tim: Lass mich in Ruhe. Ich hab echt keine Lust auf deine perversen Spielchen.

Erik: Ich weiß gar nicht, was du meinst

Tim: Jaja, verarschen kann ich mich auch selbst. Du hast Glück, dass ich dich nicht verrate.

Erik: Verrat mich doch. Ich glaube, mir macht das weniger aus, als dir, schließlich ist das mein Ruf. Aber dich werden alle nur bemitleiden und heimlich hinter deinem Rücken reden.
Du hast nichts gegen mich in der Hand, aber ich... Ich kann so viel mit dir anstellen, dass du mich danach um Gnade anbetteln würdest.

Tim: Ich würde dich niemals anbetteln. Und ich lasse mich auch nicht auf deine kranken Spielchen ein. Es reicht schon, dass ihr mich mobbt, aber sexuelle Belästigung geht echt zu weit.

Erik: Keine Sorge, ich werde dich nicht mehr lange zu etwas zwingen...

Tim: Was soll das den heißen?!

Erik: Das soll heißen, dass du diese Spielchen freiwillig mitspielen wirst...

Tim: Warum sollte ich das tun?!

Erik: Weil es dir gefallen wird

Tim: Ganz sicher nicht.

Erik: Ok, ich nehme die Herausforderung an

Tim: das war keine Herausforderung!!!

Erik: Hast du etwa Angst?!

Tim: Ich... Angst... Vor dir?!
Niemals!!!

Erik: Na dann, wir sehen uns bald wieder.
Ich freue mich schon darauf.

Stöhnend legte ich mein Handy weg. Dieses Arschloch machte mich echt aggressiv. Was erlaubte der sich eigentlich?!
Ich rollte mich noch ein bisschen im Bett umher, dann fiel ich ihn einen erholsamen Schlaf.

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