16.

Als die Schule zuende war, ging ich auf direktem Wege nach Hause. Ich war erschöpft und wollte eigentlich nur noch schlafen. Nachdem Erik mir heute seine Gedanken präsentiert hatte, war ich noch verwirrter und dachte den ganzen Tag darüber nach. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte; wusste nicht, wie es jetzt weitergehen sollte. Doch ich wusste, dass seine Erklärung aufrichtig war und das rührte mich ungemein. Doch trotzdem verspürte ich noch gewisse Zweifel - Allerdings nicht gegenüber seiner Gründe.
In Windeseile schloss ich die Haustür auf, entledigte mich meiner Schuhe und lief in mein Zimmer. Ich warf mich auf mein Bett; vergrub meinen Kopf in dem weichen Kissen. Meine Glieder wurden immer schwerer und meine Augen fielen fast sofort zu.

Das Laute Klingeln der Tür weckte mich aus meinem friedlichen Schlaf. Im Zimmer war es dunkel, also musste schon Abend sein - ein Blick auf meinen Wecker verrieht mir, dass es 21:30 war. Komisch, dass es Anfang Sommer trotzdem so schnell dunkel wurde. Fast hätte ich wieder vergessen, warum ich aufgewacht war, als ein erneutes Klingeln mich aufschrecken ließ. Murrend beförderte ich mich aus dem Bett - landete schmerzerfüllt stöhnend auf dem Boden. Bis ich unten an der Tür ankam, hatte es mindestens fünf Mal geklingelt. Anscheinend wusste der unbekannte Besucher, dass ich auf jeden Fall Zuhause war. Schwungvoll öffnete ich die Tür, so, dass sie fast gegen die Wand donnerte, wenn ich sie nicht gestoppt hätte. Ich warf einen Blick auf den abendlichen Besucher und wollte die Tür sofort wieder zu schlagen.

„Hallo...”, begrüßte er mich schüchtern. Die rasende Wut floss durch meine Adern. Wie konnte er sich jetzt noch bei mir blicken lassen.

„Was willst du?!”, schnauzte ich ihn an. Betreten schaute John nach unten; spielte an seiner Jacke herum.

„Also, ähm... Ich wollte mit dir reden-”, schüchtern schaute er mich an, senkte seinen Blick aber sofort wieder „- Darf ich rein kommen?”

Schnaubend starrte ich ihn an; hätte sofort nein gesagt. Doch dann fiel mir wieder ein, was meine Mutter gesagt hatte. Dass man die Leute erst erklären lassen soll und sich dann seine Meinung bilden soll. Ich gab ein genervtes Grummeln von mir, ging aber einen Schritt zur Seite. Schüchtern trat er ein, probierte, so viel Abstand wie möglich zu mir zu halten. Kein Wunder, er wusste, dass ich manchmal echt aggressiv werden konnte. Ohne Aufforderung ging er ins Wohnzimmer - zog sich vorher die Schuhe aus -, da er sich bei uns ja auskannte. Ich hingegen stellte mich, mit, vor der Brust, verschränkten Armen, vor ihn und starrte ihn wütend an. Eine Weile blieb es still, bis er doch zu reden anfing:

„Also... Das mit dem Bild... Das wollte ich nicht...”, er errötete; schaute sich im Wohnzimmer um, damit er mich nicht ansehen musste. Die Wut, die kurzzeitig nachgelassen hatte, wallte jetzt wieder durch meinen Körper. Schnaubend ballte ich meine Hände zu Fäuste.

„Dass hätte dir vielleicht einfallen sollen, bevor du mich vor der ganzen Schule bloßgestellt hast!”, meine Stimme triefte nur so vor Wut und ich war kurz davor, ihm an die Kehle zu springen. Wie konnte er es wagen, sich zu entschuldigen. Für seine Tat gab es keine Entschuldigung, denn wenn es ihm leid tun würde, dann hätte er es gar nicht erst gemacht.

„Naja, eigentlich... Ich wollte gar nicht, dass das passiert... Ich war nur so... Verwirrt... Ich konnte ja nicht wissen, dass Daniel so ein Thema daraus macht...”

„‚Du konntest ja nicht wissen, dass Daniel so ein Thema daraus macht’... Willst du mich eigentlich verarschen?! Du weißt genau, wie homophob unsere Schule ist... Außerdem, hast du Mal darüber nachgedacht, dass ich gar nicht schwul bin, weil ich ihn nicht angemacht habe, sondern er mich...”, ich ließ meiner Wut freien Lauf. Warum ich nicht sagte, dass es Erik war? Irgendwie hatte ich ein schlechtes Gefühl dabei, ihn zu erwähnen.

„Aber... Du-... Ich dachte du wärst schwul...”, John's Stimme wurde immer leiser.

„NA UND?! WAS WÄRE DENN SO SCHLIMM DARAN?! WARUM SIND SO VIELE MENCHEN AUF DIESER VERFICKTEN ERDE HOMOPHOB UND CHECKEN NICHT, DASS JEDE SEXUALITÄT NORMAL IST?!”, John zuckte heftig zusammen, als ich anfing zu schreien. Aber diese ganze Wut, die sich in mir angestaut hatte, musste einfach mal raus. Bevor ich ihn weiter anschreien konnte, klingelte sein Telefon. Erleichtert seufzte er auf und zog es aus seiner Hosentasche.

„Ja... Ich hab doch gesagt, dass ich komme... Bei einem Freund...”, ich konnte leider nicht verstehen, was sein Gegenüber sagte. Bei dem Wort „Freund” musterte er mich vorsichtig, was ich mit einer bösen Grimasse quittierte.

„Kennst du nicht...”, sprach John vorsichtig in's Telefon. Und da hörte ich auch endlich die Stimme seines Gegenübers, die zunehmend lauter wurde:

„Welcher Freund?”, die Stimme betonte beide Wörter so intensiv und abfällig, dass mich die Neugierde, wer da am Telefon war, packte und mich dazu zwang, noch mehr zu lauschen.

„Also, ähm... Das-”, John fing an zu stottern; sein Körper zitterte unkontrolliert.

„BEI WELCHEM FREUND BIST DU?!”, schrie die Stimme aus dem Telefon, so, dass John heftig zusammen zuckte.

„Bei... Bei Tim...”, seine Stimme war leise, nicht mehr, als ein Flüstern.

„Tim... War das nicht... Die Schwuchtel...?”, drang die Stimme wieder leiser aus dem Telefon. Ich starrte John an; sah, wie sein Gesichtsausdruck einfror. Wer auch immer da am Telefon war, mochte mich offensichtlich nicht - obwohl das, bei den Gerüchten, die überall kursierten, kein Wunder war.

„Also... Ähm...”, John probierte, ein Antwort zu finden, ohne etwas falsches zu sagen, schließlich würde ich ihn am liebsten in der Luft zerfetzen.

„Warum hängst du wieder mit dem ab, hab ich dir nicht gesagt, du sollst dich von ihm gern halten... Nicht, dass er dich noch ansteckt...”, die Stimme triefte nur so vor Hohn und Spott. John, der immernoch verzweifelt nach den richtigen Worten suchte, blieb einfach still.
„Aber gut, ist ja jetzt auch egal... Du kommst heute Abend mit, also... Komm zu mir nach Hause und beeil dich, ich will nicht ewig warten.”, damit beendete der Unbekannte das Telefonat und nur noch das altbekannte Tuten des Telefons ertönte. John, der ganz bleich aussah und nur in die Luft starrte, erwachte wieder aus seiner Starre. Er musterte mich nochmal kurz, dann stand er auf:

„Also... Ich geh dann mal...”, und damit verließ er - fast fluchtartig - das Haus und ich hörte nur noch, wie die Haustür zu knallte. Mehr als verwirrt setzte ich mich auf's Sofa, wo gerade eben noch John saß. Wer war dieser mysteriöse Anrufer und seit wann gab sich John mit solchen Leuten ab. Er war bestimmt an die falschen Geräten und wurde jetzt ausgenutzt. Doch das sollte mich nicht interessieren; er hatte mir schließlich auch genug unrecht angetan. Seufzend ließ ich mich zur Seite fallen und bemerkte zum ersten Mal, dass mein Vater noch gar nicht Zuhause war. Eigentlich musste er nur bis Nachmittags arbeiten und selbst, wenn ich ihn im Schlaf nicht bemerkt hätte, hätte er zumindest die Haustür, für John, geöffnet und sich somit bemerkbar gemacht. Ich streifte einmal durch das komplette Haus, auf der Suche nach Sachen, die mir symbolisierten, dass er zumindest da gewesen war. Doch ich fand nichts; nicht mal einen Zettel mit einer Nachricht hatte er hinterlassen. Seufzend lief ich wieder in mein Zimmer, um mein Handy zu holen.
Keine neue Nachricht

Müde lief ich in die Küche. Da ich Hunger hatte, aber nicht kochen wollte, musste ich mir, wohl oder übel, eine Fertigpizza war machen. Während die Pizza im Ofen lag, lief ich ins Wohnzimmer, um den Fernseher anzuschalten. Mit der fertigen Pizza setzte ich mich aufs Sofa und zeppte ein bisschen durch die Kanäle, bis ich etwas gutes fand. Essend verfolgte ich den Film, der ihm Fernsehen lief und räumte schnell meinen Teller weg, als ich fertig mit essen war.

Ich wusste nicht, wie spät es war, als ich erwachte. Müde starrte ich ihn die Dunkelheit. Ich sollte aufstehen; in mein Bett gehen, doch ich war einfach viel zu erschöpft. Der Schlaf auf dem unbequemen Sofa hatte an meinen Kräften gezerrt. Und doch rappelte ich mich auf; sammelte jeden Rest meiner Kräfte, um aufzustehen. Wankend war ich schon an der Treppe angekommen, als ich einen Schlüssel im Haustürschloss hörte. Verwirrt drehte ich mich um; wartete, bis mein Vater im Flur stand.

„Warum bist du noch wach? Es ist halb zwei und du musst morgen in die Schule...”, fragte er; schaute mich tadelnd an. Ungläubig öffnete ich meinen Mund, schloss ihn wieder, öffnete ihn nochmal:

„Die Frage ist doch, warum bist du noch wach. Warum kommst du erst jetzt nach Hause und warum hast du nicht wenigstens Bescheid gesagt?... Ich dachte, du wolltest ab jetzt öfter Zuhause sein.”, wütend starrte ich ihn an, während er sich einfach weg drehte und in die Küche lief. Schnell folgte ich ihm; wollte eine Antwort auf meine Frage.

„Ja, ich weiß, aber ich hatte noch etwas wichtiges auf Arbeit zu tun, darum konnte ich mich nicht melden.”, er schaute mich nicht einmal an, während er redete; schenkte sich Orangensaft ein. Wütend ging ich auf ihn zu; packte ihn an der Schulter.

„Dreh dich um und sag mir das nochmal, während du mir in die Augen schaust... Weißt du, ich glaub dir das einfach nicht mehr... Soll ich mal bei deiner Arbeit anrufen und fragen, warum du so viele Überstunden machen musst... Werden die mir dann sagen, dass du doch normale Arbeitszeiten hast?!”, ich hatte fast angefangen zu schreien. Endlich drehte er sich zu mir um und schaute mich neutral an.

„Misch dich nicht in meine Angelegenheiten ein. Das geht dich nichts an...”, monoton sprach er zu mir; schüttelte meine Hand von seiner Schulter ab.

„Doch, ich misch mich ein, wenn du mich so schamlos anlügst. Du bist mein Erziehungsberechtigter - mein einziger Erziehungsberechtigter -, also sei gefälligst auch Zuhause und erzähl mir nicht so einen Scheiß... Am Samstag hast du noch gesagt, dass man Kinder nicht alleine lassen soll und jetzt?! Jetzt tust du genau das; du lässt mich alleine.
Weißt du, was ich glaube?! Dass du dich mit jemanden triffst... Hast du eine neue Frau gefunden; hast du Mama so schnell vergessen?! Und ich dachte, du liebst-”, ich wurde gestoppt, als er mir eine kräftige Ohrfeige gab. Geschockt sah ich ihn an.

„Geh in dein Zimmer!”, schrie er mich an, als ich schon an der Treppe ankam.

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