13.
„Wieso habt ihr denn so lange gebraucht?”, ertönte die Stimme des Lehrers, als wir eintraten. Überrascht schaute ich auf die große Uhr, die an der Wand hing. War waren tatsächlich fast 25 Minuten lang weg gewesen, dabei kam mir das alles viel kürzer vor.
„Ähm... Also-”, fing Erik an und suchte nach einer Erklärung, doch ich unterbrach ihn schnell.
„Der Putzraum war abgeschlossen, darum mussten wir erst den Hausmeister suchen, damit er aufschließt.”
„Und warum seid ihr nicht einfach zurück gekommen, dann hätte ich euch aufschließen können?”
„Tut uns leid, aber wir wussten nicht, dass sie einen Schlüssel haben. Wir dachten, dass nur der Hausmeister einen Schlüssel für den Putzraum hätte.”
Der Lehrer schüttelte darauf hin nur leicht den Kopf und ging wieder zur Tafel. Ich drückte Erik den Lappen in die Hand, während ich den Eimer, am Wasserhahn neben der Tafel, mit Wasser befüllte. Als Erik mir den Eimer aus der Hand nehmen wollte, schüttelte ich den Kopf und meinte: „Setz dich hin, ich mach das schon.”, dabei tunkte ich den Lappen in das Wasser und fing an, die Flüssigkeit, die nun kalt war, aufzuwischen.
Danach brachte ich schnell das Wischzeug weg, damit der Lehrer nicht noch genervter wurde.
Die restliche Stunde lang wurden Testergebnisse verglichen, wobei Erik und ich nicht mitmachen konnten, da uns ja mehr als die Hälfte fehlte. Ich, für meinen Teil, fand das aber keinesfalls schlimm, denn so konnte ich mich ein bisschen ausruhen.
Kurz vor Ende der Stunde, als ich gedanklich schon bei meiner heutigen Racheaktion war, fiel mir ein, dass mir Erik ja wunderbar dabei helfen könnte. Also tippte ich ihn leicht an, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen.
„Du möchtest doch mein Vertrauen gewinnen...?”
„Ähm, ja...”
„Also wärst du nicht abgeneigt, mir bei einer Kleinigkeit zu helfen...”
„Ich mach alles, was du willst, wenn du mir danach mehr vertraust!”
„Sehr gut, also... Du gehst dann in die Aula, dort werden vermutlich auch die ganzen anderen Schüler sein... Du musst einfach nur verhindern, dass irgendjemand die Aula verlässt...”
„Und warum... Wenn ich fragen darf?”
„Das wirst du bemerken, wenn es los geht...”
„Es...?!”
„Lass dich überraschen...”
Damit war alles nötige geklärt und es klingelte endlich zur Pause. In Windeseile packte ich meine Sachen zusammen und verließ das Klassenzimmer. Dass die Schüler, die auch schon auf den Gängen waren, alle Richtungen Aula liefen, war eine sehr erfreuliche Nachricht.
Schnell huschte ich in den Technikraum, bevor ich ein paar Minuten wartete.
Nach fünf Minuten nahm ich mein Handy raus und suchte Eriks Nummer, die ich - Dank seiner Flirtversuche - hatte.
Tim: Sind alle Schüler in der Aula?
Erik: ja, aber was hast du vor...?
Tim: Vertrau mir einfach...
Schnell schaltete ich den Computer an, der glücklicher Weise nur im Ruhemodus war, weswegen ich mich nicht nochmal anmelden musste. Ich atmete nochmal tief ein, bevor ich die vorbereitete ‚Präsentation’ startete.
Nach zehn Minuten, als die Präsentation auf jeden Fall zuende sein musste, löschte ich sie schnell vom Computer und verließ den Technikraum.
Ein paar Schüler waren schon auf den Gängen, die anderen waren vermutlich noch in der Aula, um die neuen Informationen zu verdauen. Alle Schüler, die ich sah, tuschelten, tauchten angewiederte oder verstörte Blicke. Als ich einen Blick in die Aula Wurf, sah ich, dass großer Aufruhr herrschte. Alle redeten durcheinander, warfen mit Beleidigung um sich und in der Mitte - Ziel der Beleidigungen - stand Daniel. In seinen Augen standen Tränen und er hatte die Schultern hochgezogen; versuchte sich einen Weg nach Draußen zu bahnen. Er hätte mir sogar leid tun können, doch in diesem Moment fühlte ich nichts als Schadenfreude. Endlich wusste er auch mal, wie es war, wenn die ganze Schule einen komisch fand. Bevor ich noch weiter in meinen Gedanken versinken konnte, wurde ich an der Schulter abgetippt.
„Warum hast du das gemacht?”, ich erkannte Erik's Stimme schon, bevor ich mich umgedreht hatte.
„Rache...”, war das einzige, was ich sagte, während ich ihm in die Augen schaute.
„Aber wäre es nicht besser gewesen, wenn du-”, ich unterbrach ihn, obwohl ich nicht Mal wusste, was er sagen wollte.
„Misch dich nicht in meine Angelegenheiten ein. Du weißt nicht, wie es ist, vor der ganzen Schule bloßgestellt zu werden.”, zischte ich.
„Stimmt, ich weiß nicht, wie sich das anfühlt, aber ich weiß, dass Rache keine Lösung ist.”,sagte er, spielte sich dabei so auf, als wäre er der Vernünftige, der nicht andere Leute mobbte. Mit einem genervten Schnauben drehte ich mich um und lief davon, merkte aber, wie Erik mir folgte.
Wir liefen auf den Pausenhof und fingen schweigend an, unser Essen zu essen. Irgendwann bemerkte ich das belegte Brötchen, dass vor meiner Nase schwebte. Verwirrt schaute ich zu Erik, der das Brötchen festhielt.
„Du kannst es gerne haben, wenn du willst...”
„Warum?”
„Naja, einerseits, weil du nur so wenig mit hast und außerdem will ich doch dein Vertrauen gewinnen...”, dabei lächelte er mich an und seine Augen glänzten hoffnungsvoll.
Dankbar nahm ich das Brötchen - ich hatte ganz schön viel Hunger bekommen.
Innerhalb von nicht Mal zwei Minuten hatte ich das Brötchen komplett gegessen, weswegen Erik herzhaft anfing zu lachen. Leicht errötete ich, was mich - gewissermaßen - wunderte. Eigentlich schämte ich mich nicht für sowas, vor allem nicht vor meinen Feinden... Doch ich hatte das Gefühl, dass Erik vielleicht doch nicht so schlimm war, wie gedacht.
In dem folgenden Unterricht war ich damit beschäftigt, die anderen Schüler zu beobachten. Ich lauschte, so gut es ging, um herauszufinden, was die Schüler über die neugewonnenen Informationen dachten. Es gab viele unterschiedliche Meinungen. Manche waren sofort angeeckelt und regten sich auf, doch ein Teil der Schüler, war noch nicht ganz überzeugt. Sie dachten, dass das alles gefaket sei, obwohl ich nicht nachvollziehen konnte, wie diese eindeutigen Beweise gefälscht sein sollen. Während die Schüler - mehr oder weniger - interessiert dem Unterricht folgten, bildete ich mir zum ersten mal selber eine Meinung. Ich hatte bis jetzt noch nicht darüber nachgedacht, wie ich Daniel's Aktion fand; bis jetzt war mir das ziemlich egal gewesen, doch die ganzen Meinungen, die ich von den Schülern gehört hatten, regten mich zum denken an. Und zum , gefühlt, hundertsten Mal wunderte ich mich, zu was manche Menschen fähig waren:
Menschen verabscheuen, nur weil diese augenscheinlich anders sind - ob Hautfarbe, Glaube, Sexualität oder sonstige Unterschiede.
Menschen, egal welchen Alters, zu Dingen zwingen, die diese verabscheuen und verweigern - und das nur, um die eigenen egoistischen Bedürfnisse zu decken.
Wie die Menschen es schafften, zusammenzuleben, obwohl jeder nur an sich selbst dachte. Und ob es auch Menschen gab, die nicht nur an sich selbst dachte. Diese Fragen beschäftigten mich den ganzen Unterricht lang und sogar noch in der Pause. Denn hätte Erik - der neuerdings in ziemlich vielen Fächern neben mir saß - mich nicht angetippt, dann hätte ich die Pause mit träumen verbracht.
So verbrachte ich meine freie Zeit aber damit, durch das Schulgelände zu pirschen, während Erik mich die ganze Zeit - weniger wie eine Klette, eher wie ein Entenbaby - verfolgte. Ruhelos lief ich von Etage zu Etage, über den Schulhof und wieder hinein in das Gebäude. Die Trauer um meine Mutter und das Unwohlsein, dass sich gestern und heute nicht blicken ließ - vermutlich, weil mein Racheplan alle anderen Emotionen verdrängt hatte - strömten wieder durch meinen Körper. Doch die Frage, warum ich mich überhaupt unwohl fühlte, die konnte ich selbst nicht beantworten. Also lief ich einfach weiter, ohne Pause, und versuchte, alle schlechten Gedanken zu ignorieren. Viel lieber dachte ich an die schönen Dinge, zum Beispiel, das die Ferien bald beginnen würden. Dann könnte ich die Tage endlich wieder ungestört in meinem Zimmer verbringen und nur das tun, wozu ich Lust hätte.
„Sag mal, kannst du endlich aufhören, mich zu verfolgen. Das ist echt nervig.” zischte ich, ohne mich umzudrehen. Ich wusste intuitiv, dass Erik immernoch hinter mir war. Er begleitete mich heute durchgängig, wodurch ich seine Anwesenheit vermutlich schon mit Augen zu wahrnehmen könnte.
„Tut mir leid, aber ich will nur sicher gehen, dass du nichts tust, was du später bereust.” erwiderte er zögerlich. Schnaufend drehte ich mich zu ihm um und starrte ihn - teils genervt, teils verwirrt - an.
„Warum sollte ich etwas tun, was ich später bereue?”
„Das weiß ich doch nicht, darum will ich sowas ja auch verhindern... Außerdem siehst du so aus, als würdest du gleich jemanden töten wollen... Und ich denke Mal, dass wäre dann eine Tat, die du bereuen würdest.” vorsichtig probierte er, mich zu beruhigen, wobei er zum Ende hin eher spöttisch wurde.
„Wer weiß, vielleicht bringe ich ja heute noch jemanden um...” eigentlich sollte das ganze ein Scherz sein, aber nach Erik's Ausdruck zu deuten, klang das wohl ernster, als es sein sollte.
„Hey, chill... Ich werd's schon niemanden umbringen...” schon ich noch schnell hinterher. Ich traue ihm zwar nicht zu, dass er bei komischen Andeutungen die Polizei ruft, aber bis vor Kurzem kannte ich ihn ja auch noch als jemand ganz anderes.
Erleichtert stieß er die Luft aus, die er anscheinend angehalten hatte, und lächelte vorsichtig.
„Wie wär's, du beruhigst dich jetzt wieder und wir gehen gemeinsam in den Unterricht.” seine Stimme klang immernoch ein bisschen angespannt, als würde er davon ausgehen, dass ich jeden Moment einen Aggresions-Anfall bekam.
„Pff, ich hab keine Lust auf Unterricht... Ich geh nach Hause.” dass ich es schaffte, meine Stimme teilnahmslos klingen zu lassen, obwohl der Sturm aus Emotionen schon wieder anfing, in mir zu toben, war ein Wunder.
„Aber-... Sonst hast du doch auch nie geschwänzt... Was ist eigentlich mit dir los...?” fragte er; klang besorgter, als er eigentlich klingen sollte. Und mal wieder - wie in den letzten Tagen ziemlich oft - fragte ich mich, wie man so schnell seine Persönlichkeit ändern konnte. Vielleicht hatte Erik aber auch einfach nur Stimmungsschwankungen. Obwohl das ziemlich unwahrscheinlich wäre - Stimmungsschwankungen machten nicht aus einem Badboy einen Mann, der mehr Emotionen zeigte, als ein kleines Kind mit Teddybär. Aber seine Begründung klang auch nicht 100% authentisch.
„Nichts ist los. Und jetzt kack dir nicht ins Hemd. Ich hab in letzter Zeit oft Unterricht verpasst, also wird das schon nicht auffallen. Außerdem schwänzt du doch auch regelmäßig.” seufzend fuhr er sich durchs Gesicht, verkniff sich aber jeden weiteren Kommentar. Sturr steuerte ich auf den Ausgang des Schulgebäudes zu und - wer hätte es gedacht - Erik folgte mir, wie ein Schatten. Kurz bevor ich das Schultor erreichte, hielt er mich allerdings am Handgelenk fest.
„Wie wär's, wenn wir in die Stadt gehen; einfach ein bisschen rumbummeln...?”, Erik's Augen glänzten vorfreudig und ein strahlendes, hoffnungsvolles Lächeln legte sich auf seine Lippen. Skeptisch zog ich eine Augenbraue hoch.
„Fragst du mich gerade nach einem Date...?” erwiderte ich und wollte ihm damit den Wind aus den Segeln nehmen. Allerdings wurde sein Lächeln nur zu einem überzeugten Grinsen.
„Vielleicht...”, seine Stimme klang geheimnisvoll, bevor er mich am Handgelenk packte und Richtung Innenstadt lief.
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