/neun/

Ich wachte deutlich vor Ney wieder auf. Er lag immer noch genauso da, als ich eingeschlafen war, was wahrscheinlich vor allem daran lag, dass er bei fast jeder Bewegung noch Schmerzen hatte. Ich fuhr mir einmal über die Augen und drehte mich dann so, dass ich Ney beobachten konnte. Zwar hatte ich dazu in den letzten Stunden mehr als genug Zeit, jedoch war es jetzt anders. Jetzt schwebte er nicht mehr in ständiger Lebensgefahr, jetzt musste ich nicht mehr permanent damit rechnen, dass das lange gezogene Piepen ertönte. Jetzt wusste ich einfach, dass ich wirklich Zeit hatte. Ich wusste, dass er die nächsten Stunden leben würde und ich wusste, dass ich nicht mehr Gefahr lief ihn innerhalb der nächsten Minuten zu verlieren. 

Langsam hob ich meine Hand und fuhr ganz vorsichtig und sanft seine Gesichtszüge nach. Anders als wenn er im Koma lag, waren diese jetzt wirklich entspannt. Man sah, dass sein Körper nicht länger um sein Leben kämpfte, man sah, dass es ihm besser ging und das machte mich glücklich. Vorsichtig legte ich meine Lippen auf seine und wartete, bis er davon aufwachte. Der Gedanke, dass er davon wirklich aufwachen würde, stellte eine unfassbare Sicherheit für mich da, die mich so viel ruhiger und entspannter machte. Es dauerte eine Weile, bis Ney aufzuwachen schien und sich langsam aber sicher ein gewisser Gegendruck entwickelte. Lächelnd küsste ich ihn sanft und liebevoll. Ich war so froh, dass er wieder hier bei mir war, dass alles andere fürs erste unwichtig war. „Guten Morgen Amour", hauchte ich ihm entgegen, als wir uns wieder lösten. 

Ney lächelte mich leicht an. Dann schloss er seine Augen wieder und kuschelte sich an meine Brust. Sanft legte ich eine Hand auf seinen Hinterkopf und begann diesen etwas zu kraulen. Von ihm erntete ich dafür ein zufriedenes Seufzen und einen leichten Kuss auf den Hals. Ich wusste, wie glücklich ich mich schätzen konnte, dass es jetzt so war. Das, was geschehen war, hatte mir beigebracht, dass ich nie wieder irgendeine Situation als selbstverständlich ansehen werde. Denn das war es nicht. Es war nicht selbstverständlich, dass ich hier mit Ney liegen konnte und diesen in meinem Arm haben konnte. Es war nicht selbstverständlich, dass ich Fußball spielen konnte und es war nicht selbstverständlich so eine tolle Familie zu haben, wie ich sie hatte. „Ich liebe dich", murmelte ich in das Ohr meines Freundes. 

Dieser verzog seine Lippen zu einem Lächeln, dass merkte ich und flüsterte genauso leise zurück:„Ich liebe dich auch. Ich habe alles gehört, was du gesagt hast, als ich nicht wach war. Ich habe jede Berührung gespürt und ich habe mir nichts sehnlicher gewünscht, als endlich aufzuwachen. Ich wollte dir dieses Leid nehmen, das du durch mich hattest. Ich habe mir einfach nur gewünscht dich in den Arm nehmen zu können und dich zu küssen. Ich wollte nicht, dass dir meine Situation so sehr weh tut. Als dann auch noch Lucca kam und mir gesagt hat, dass du geweint hast, habe ich mit all meiner Kraft versucht, dem Drang von dieser Welt zugehen, zu wieder stehen. Ich muss zugeben, dass ich mir zwischen durch gewünscht habe einfach den leichteren Weg nehmen zu können. Ich wollte das alles nicht mehr spüren, was ich durch diesen Unfall spüren musste. Doch dann kamst du. Ich habe deine Stimme gehört, meine Hand in deiner gespürt. Ich habe gespürt, wie sehr es dich mitgenommen hat und ich wusste, dass ich kämpfen musste. Wenn ich es schon nicht für mich getan hätte, dann doch wenigstens für dich. Denn eines solltest du wissen, du bist mit Abstand das wichtigste für mich. Ich liebe dich und ich will, dass es dir gut geht. Dann kam Lucca dazu, wie er mir ins Ohr geflüstert hat, dass ich so schnell wie möglich wiederkommen müsste, weil er doch seinen Vater braucht und weil er den Eindruck hatte, dass es etwas Schlimmes war, was passiert war, weil er dich zum ersten Mal weinen gesehen hat. Ich habe gespürt, wie er sich an mich gekuschelt hat, als er geschlafen hat und wieder wusste ich, dass ich eigentlich gar keine Wahl hatte. Ich musste einfach wiederkommen. Ich habe verstanden, wie wichtig mir dieses Leben ist. Ich habe verstanden, was ich alles zurücklassen würde und ich habe verstanden, dass der Tod dem Leid, welches ich gespürt habe, kein Ende setzen würde. Der Tod würde mein Leid und meine Schmerzen nur auf andere umlenken. Auf alle, denen ich wichtig bin und das hat mir gezeigt, dass ich zurückkommen musste. Dann habe ich deine verzweifelte Erzählung gehört, als Marco hier war und dir etwas mehr Kraft gegeben hat. Er hat das getan, was ich gerade nicht konnte und dafür bin ich ihm so unendlich dankbar. Ich bin froh zu wissen, dass wenn ich sterben würde, dass du dann genug gute Freunde haben würdest. Es hat mich beruhigt zu wissen, dass falls ich den Kampf nicht gewinnen würde, du in guten Händen wärst und nicht alleine dadurch müsstest. Durch dieses Wissen, konnte ich mir etwas den Druck nehmen unbedingt aufwachen zu müssen. Versteh mich nicht falsch. Natürlich wollte ich immer noch aufwachen und natürlich wollte ich immer noch am liebsten für dich da sein, dich in den Arm nehmen, dich beruhigen und dir die Sicherheit in deinem Leben zurückgeben. Trotzdem denke ich, durch das Wissen, dass ich dich nicht komplett alleine lassen würde, konnte ich mir so viel Druck nehmen, dass es mir nicht mehr so schwer fiel den Weg zu finden, der mich zurück in meinen Körper brachte, zurück in mein Bewusstsein. Ich möchte, dass du weißt, dass ich dich liebe und dass du zusammen mit Lucca das wichtigste in meinem Leben verkörperst. Ich liebe dich", erzählte er. Seine Stimme wurde immer deutlicher und verlor das Kratzige, was sie bis jetzt hatte.

Ich spürte, dass es ihm nachdem er sich das von der Seele geredet hatte, besser ging. „Ich liebe dich auch, so sehr", gab ich zurück. Mir war während er sprach eine Träne über die Wange gelaufen, welche ich jetzt schnell wegwischte, dann legte ich meine Lippen erneut auf seine und ließ ihn all meine Liebe für ihn spüren. 

Kaum hatten wir uns wieder gelöst, kam auch schon ein Arzt herein und sah schmunzelnd zu uns. „Wenn ich Sie stören darf, würde ich gerne mit Ihnen reden", kündigte er an. Dabei sah er Ney an, weshalb ich mich aufsetzte und Ney dabei half ebenfalls in eine sitzende Position zu kommen. Ich stellte die Rückenlehne des Bettes hoch und setzte mich schräg, auf die Bettkante. 

„Also, Sie hatten wirklich Glück, dass Ihr Unfall an Ihrem Gehirn keine größeren Schäden verursacht hat, die man sich nicht wieder antrainieren könnte. Allerdings kommt zusätzlich eine Wirbelsäulen Verletzung hinzu, die sehr wohl Folgen von sich tragen wird", erklärte der Arzt. 

Ich griff nach Neys Hand und spürte, wie er sich direkt an diese klammerte. „Bin ich gelähmt?", fragte er leise, als würde er die Antwort eigentlich gar nicht hören wollen. Der Arzt sah ihn ernst an.

„Nein, das nicht. Sie werden mit viel Therapie, Übung und Geduld wieder gehen können, doch Sie werden wohl keinen Leistungssport mehr machen können. Tut mir wirklich leid", erklärte der Arzt. 

Ich spürte, wie Ney neben mir erstarrte. Das hieß, dass Fußball für ihn gestorben war. Ich schloss die Augen. Das durfte doch nicht wahr sein. „Es tut mir wirklich leid", wiederholte der Arzt noch einmal. Ich nickte ihm zu, er verstand und ließ mich mit Ney alleine. Dieser saß immer noch regungslos neben mir und starrte einfach nur gerade aus. 

Vorsichtig legte ich ihm eine Hand auf den Arm. „Ney?", fragte ich vorsichtig nach. Ich konnte ihn gerade einfach nicht einschätzen. 

„Ich werde nie wieder Fußball spielen können Kylian", gab er fassungslos von sich. Vorsichtig nickte ich. 

„Ich werde nie wieder Fußball spielen können", wiederholte er erneut. Seine Stimme blieb fassungslos und ich wusste, dass es noch dauern würde, bis er die Bedeutung dieser Wörter wirklich verstehen würde, es würde dauern, bis er diese Nachricht verstehen und verinnerlichen würde. 

„Ich werde nie wieder auf dem Platz stehen, vor den Fans. Ich werde nie wieder einen Torjubel machen können, ich werde nie wieder Fußball spielen", weiderholte er erneut. Ich wusste, dass er jetzt keinen Vortrag brauchte, in dem ich ihm aufzählte, was er noch alles machen konnte. Deswegen legte ich einfach nur meine Arme um ihn und leistete ihm so stummen Beistand.

•••

Ich hoffe es hat euch gefallen, lasst mir gerne einen Kommentar da und vielen Dank an dreaming_t für das überarbeiten dieses Kapitels Ly💕

Kommentar von dreaming_t
[I'm not crying, you are... again 😭❤ ow Ney, deine Worte waren so schön und rührend, süß aber auch traurig. Du hast seine Situation und seine Gefühle mega gut rüber gebracht. Das Ende ist einfach nur Heartbreak...💔 Für einen Fußballer gibt es wohl nichts schlimmeres als das zuhören, seine Leidenschaft aufgeben zu müssen. Wenigstens ist Kylian für ihn da, war er schon die ganze Zeit und würde sich auch weiterhin um ihn kümmern. Mehr als seinen Bestand und seine Unterstützung braucht er erstmal nicht. Das Kapitel ist toll geworden<3 Ily]

Kommentar von HadesMaedchen
»Ich nehme das ICH LIEBE DICH aus dem letzten Kapitel definitiv zurück. Wow. Du hast echt verkackt. Ok. Schluss. Ende. Kein ich liebe dich mehr. Wir sind fertig. Pah.. okay.. «

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top