/fünf/

Ich ließ mich auf den Stuhl nieder, den ich mir vorhin neben das Bett gezogen hatte. Lucca setzte ich richtig auf meinen Schoß und hielt ihn an seiner Hüfte fest. „Dein Pai hatte einen Autounfall", begann ich ihm zu erklären, was mit seinem Vater passiert war. 

„Ist das schlimm?", fragte er nach. Ich musste ein schweres Schlucken unterdrücken. Ich war noch nicht einmal dazu gekommen meine Gefühle zu zeigen, ich hatte noch nicht einmal die Zeit dazu zu weinen, ich war noch nicht einmal dazu gekommen richtig zu verstehen was hier passiert war. Ich hatte noch nicht richtig verstanden, dass mein Freund und der Vater des Kindes auf meinem Schoß jeden Moment sterben könnte, dass jede Minute, die er hier lag und die Geräte unverändert blieben, eine Minute war, für die Ney kämpfen musste. All das hatte ich noch nicht richtig verstanden und jetzt sollte ich einem Kind erklären, was hier vor sich ging? Wie sollte ich das machen? 

„Ein Autounfall ist meistens schlimm", gab ich Lucca seine Antwort, während ich mich darum bemühte meine Gefühle in den Griff zu bekommen. Wenn ich jetzt vor dem Kleinen weinen würde, würde dieser wahrscheinlich die Welt nicht mehr verstehen. 

„Und bei Pai, ist es da auch schlimm?", fragte der Kleine weiter. Ich nickte. Im Moment war ich nicht in der Verfassung dazu zu reden, viel zu nahe stand ich gerade den Tränen. 

„Kylian? Warum weinst du?", fragte die zaghafte Stimme von Lucca. Ich sah zu ihm und strich mir schnell über die Augen. Ich wollte doch für ihn stark sein. 

„Ich weine nicht, alles gut", wank ich schnell ab. 

Lucca schüttelte den Kopf „Nein, Pai sagt auch immer, alles ist gut, wenn er weint, aber es ist nicht alles gut", erklärte er und legte dann seine Arme um mich, so gut er konnte. Ich musste etwas lächeln. Ney hatte mit Abstand den besten Sohn, den man haben konnte. 

Ich schniefte einmal kurz und bemühte mich dann darum meine Fassung wieder zu bekommen. Lucca ließ mich wieder los und sah zu mir auf „Weinst du wegen Pai?", fragte er leise nach, als wüsste er die Antwort schon. 

Ich seufzte „Ja, tu ich", gab ich schließlich zu. Lucca hatte ein Recht darauf zu erfahren, was mit Ney war. 

„Wird er sterben?", fragte der Kleine weiter. 

Ich schloss die Augen, öffnete sie dann aber wieder „Ich weiß es nicht Lucca. Niemand weiß das. Die Ärzte nennen das was dein Pai gerade hat Koma", erklärte ich ihm. Ich ging nicht davon aus, dass er wusste was Koma war, doch ich wollte ihm den offiziellen Namen auch nennen. 

„Was ist Koma?", fragte er vorsichtig nach, während er zu seinem Vater sah.

„Koma ist im Prinzip ein tiefer Schlaf, aus dem er nicht so leicht wieder aufwachen kann. Er ist wegen dem Unfall ins Koma gefallen. Er hat eine starke Kopfverletzung, von der auch sein Gehirn betroffen ist, deswegen ist sein Körper als eine Art Schutzreaktion ins Koma gefallen", erklärte ich dem Kleinen auf meinem Schoß so einfach wie möglich was passiert war. 

Lucca sah weiter zu seinem Vater. „Wenn sein Körper das zum Schutz gemacht hat, dann geht es ihm doch jetzt aber gut oder?", fragte er weiter nach. 

Ich seufzte. „So einfach ist das nicht. Sein Körper ist da jetzt zwar drin, aber für deinen Pai ist es jetzt sehr schwer da wieder raus zu kommen. Allerdings muss er genau das so schnell wie möglich tun, denn wenn er nicht bald aufwacht, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass er stirbt sehr hoch", erklärte ich ihm weiter. Ich wollte Lucca nicht irgendwas von einer tollen heilen Welt erzählen, ich wollte ihm nicht sagen, dass Ney alle Zeit der Welt hatte, um aufzuwachen, denn das stimmte einfach nicht. 

„Also muss er ganz schnell wach werden, damit er wieder mein Pai sein kann?", fragte er nach. Er war ganz ruhig geworden und schien wirklich verstehen zu wollen, was mit seinem Vater war. 

„Ja", bestätigte ich ihn. Lucca krabbelte von meinem Schoß und stellte sich direkt neben Neys Kopf. 

„Kann er mich hören?", fragte Lucca dann noch an mich gewandt. Ich nickte ihm zu. Ich glaubte, dass wenn ich ihm jetzt auch noch erklären würde, dass man nicht so genau wusste, ob Leute im Koma ihre Umgebung wahrnahmen oder nicht, würde er gar nichts mehr verstehen. Ich glaubte allgemein nicht, dass er verstand, was mit Ney war. Ich glaubte eher, dass er verstanden hatte, dass sein Vater in so etwas ähnlichem wie einem tiefen Schlaf lag und dass er schnell aufwachen müsste. Lucca drehte sich wieder zu Ney um und beugte sich ganz nah zu dem Ohr seines Vaters. 

„Pai? Kyky hat gesagt, dass du mich hörst. Ich wollte dich fragen, ob du vielleicht ganz schnell aufwachen kannst. Ich weiß zwar nicht genau wieso du nicht wach bist, aber ich glaube es ist schlimm. Außerdem hat Kylian deswegen eben geweint. Deshalb wollte ich fragen, ob du vielleicht kurz die Augen auf machen könntest, damit Kylian nicht weinen muss und ich habe doch gestern in der Schule noch ein Bild von uns gemalt von dem einen Tag, wo wir einfach weggefahren sind an den Strand. Das musst du doch noch aufhängen", flüsterte Lucca in Neys Ohr. 

Bei diesen Worten floss mir direkt noch eine Träne die Wange runter. Was wäre, wenn Ney sterben würde? Was wäre, wenn Ney nie das Bild aufhängen konnte, das Lucca nur für ihn gemalt hatte? Was wäre, wenn Lucca seinen Vater verlieren würde? Ich wischte mir die Tränen von der Wange. Es brachte absolut niemandem etwas, wenn ich hier jetzt weinen würde und darüber nachdachte, was passierte, wenn Ney starb. Viel eher sollte ich daran festhalten, dass er es schaffen konnte. Plötzlich fing irgendwas laut an zu piepen. Erschrocken sprang ich auf und sah mich hektisch um. Was war passiert? Warum piepte es hier auf einmal? In diesem Moment kamen auch schon die verschiedensten Ärzte in das Zimmer reingestürmt. Ich realisierte, dass es einer der Bildschirme sein musste. Irgendetwas, was Ney überwachte, hatte eine Alarm ausgelöst und das hieß, dass sich irgendetwas verändert hatte. Mein Blick fiel zu meinem Freund. Er lag immer noch genauso da, wie vor dem Alarm, doch ich wusste, dass es schlechter um ihn stand als eben noch. Wäre das nicht so, dann wäre der Alarm nie ausgelöst worden.

Lucca stand wie versteinert vor dem Bett seines Vaters und starrte diesen an. Ich rief mich selbst zur Vernunft, ich konnte nicht von Lucca erwarten, dass er einen kühlen Kopf behielt, deswegen musste ich diese Rolle übernehmen. Während Lucca sich nicht mehr bewegte und die ganzen Ärzte hektisch an den Schläuchen von Ney rumfummelten und ihm teilweise auch neue gaben, stand ich auf und griff Lucca unter die Achseln. Ich hob ihn hoch und nahm ihn auf meinen Arm, dann brachte ich ihn aus dem Raum raus und setzte mich mit ihm zusammen auf einen der Plastikstühle, welche nicht weit entfernt von Neys Zimmer standen. „Was war da los?", ertönte irgendwann Luccas verängstigte Stimme. Ich strich ihm durch die blonden Haare und ließ ihn sich an mich kuscheln. 

„Ich weiß nicht genau, was los war, aber irgendwas an den Werten deines Vaters, die die Bildschirme anzeigen, war nicht mehr so wie sonst. Die Ärzte versuchen jetzt das wieder in den Griff zu kriegen", erklärte ich ihm und drückte meine Lippen auf seine Stirn. Lucca schloss die Augen und kuschelte sich etwas näher an mich. Ich strich ihm immer wieder durch die Haare oder über die Seite. Beide saßen wir still da und regten uns kaum. Meine Gedanken waren einzig und allein bei Ney, welcher gerade zum erneuten Mal an diesem Tag um sein Leben kämpfen musste, noch mehr, als er es in der Zeit, die wir jetzt bei ihm waren eh schon machen musste. 

„Ist das schlimm, dass die Werte sich geändert haben?", fragte Lucca leise nach. 

„Ich weiß es nicht Lucca, aber ich denke mal, dass es keine gute Veränderung war, sonst hätten die Ärzte wohl nicht so hektisch reagiert", Lucca kuschelte sich wieder zurück an meine Brust und sah stumm auf den Gang vor uns. Auch er hing seinen Gedanken nach. 

„Wird Pai überleben?", fragte er nach einer Weile leise nach. 

„Ich weiß es nicht Lucca, wir können nur hoffen", gab ich ihm genauso leise zurück. Es stimme, niemand konnte sagen, ob Ney noch lebte, beziehungsweise ob er die nächsten Minuten und Stunden überleben würde. Alles, was wir tun konnten, war hoffen. Wir konnten nur hoffen, dass die Ärzte es irgendwie schaffen ihn erneut zu retten. 

Es dauerte insgesamt bestimmt eine Stunde, bis die Ärzte wieder aus dem Zimmer rauskamen. Lucca war bereits auf meinem Schoß eingeschlafen. Der Arzt von vorhin kam auf mich zu „Er ist wieder stabil, sodass er nicht mehr in akuter Lebensgefahr schwebt. Trotzdem steht es um ihn jetzt noch schlechter als vorhin. Wir geben ihm 48 Stunden Zeit. Innerhalb dieser Zeit sollte er aufwachen, wenn er noch eine reelle Chance auf Leben haben soll. Die nächsten 48 Stunden sind für ihn entscheidend", damit ließ er mich mit Lucca auf dem warm, welcher im Schlaf seine Arme um meinen Hals gelegt hatte zurück.

...

Ich hoffe ihr hattet keinen zu großen Schreck. Ich würde mich über Feedback freuen und ein großes Danke an dreaming_t für das überarbeiten <3

Kommentar von dreaming_t
[danke, dass du mir so einen Schrecken eingejagt hast und mein Herz fasst zerbrochen ist... die armen beiden :C tuen mir so leid]

Kommentar von HadesMaedchen
»Ich betone, dass ich gerade nicht mehr weiß warum ich dich Liebe. Dein Glück, dass er noch lebt.. wow.. MACH DAS NIE WIEDER! «

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