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Das Gefühl strömte durch Melodys Körper, erfüllte ihre Venen. Sie fühlte sich stark, unzerstörbar, und auf einmal drückten die Fesseln nicht mehr. Melody riss einmal kräftig daran und befreite sich. Eine unbekannte Kraft erwachte in ihr, riss die Vernunft mit sich. Melody sah rot, ihre Sinne waren geschärft.
Ihre Hände waren frei und formten sich zu Fäusten. Dann erhob sie ihre Stimme. Sie klang kraftvoll, viel tiefer als normalerweise, stark, genauso wie sich Melody fühlte, und sie jagte selbst dem Aal neben dem Thron eine Gänsehaut über den Körper.
Sie hörte wie aus weiter Ferne, wie ihre Freunde erschrocken Luft einsogen, aber es kümmerte sie nicht. Alles was die Nixe interessierte, war Rache.
"Lass meine Freunde gehen.", dröhnte sie und musterte die Sirene von Kopf bis Flosse grimmig. Verwirrt drehte sie sich zu ihr um und ihre Augen weiteten sich. "Was hast du gesagt? Verfluchtes Halbblut, was hast du gemacht?! Wie bist du entkommen?!", rief die silberhaarige Anführerin geschockt und musterte Melody von Kopf bis Fuß, die leuchtenden Augen spiegelten ihre Panik.
"Lass uns gehen.", war Melodys Antwort.
Es klang mehr wie eine Feststellung, als ein Befehl. Langsam schwebte Melody auf sie zu, wendete den Blick nicht ab. Erschrocken wich die Sirene zurück und zog ihre Augenbrauen zusammen.
"Du wagst es?!", rief die Sirene und verschränkte wie ein trotziges Kind die Arme vor der Brust. Trotz der Tatsache, dass die Anführerin in Gefahr schwebte, reckte sie den Kopf. Ihr Wille war stark.
Doch Melody war stärker, und diese Erkenntnis fuhr durch ihren Blick.
Melody antwortete nicht. Ihre Emotionen bündelten sich.
Schmerz, Trauer, Wut, Angst. All das schloss sich zusammen und formte ein neues, nie da gewesenes Gefühl und drohte, die Überhand über Melodys Verstand und Handlungen zu bekommen. Melody fühlte sich leicht, ließ sich von dem Strom mitreißen und ihr Verstand entglitt ihr. Ihr Kopf schrie, warnte sie davor, sich von ihren Emotionen leiten zu lassen. Aber es war Melody egal, denn zu gut war dieses Gefühl.
Freiheit, das war es, was sie wollte. Sie konnte nur frei sein, wenn ihre Freunde unverletzt und außer Gefahr waren. Und momentan stand zwischen ihr und ihrer Freiheit nur eines.
Die Nixe blendete alles aus, nur noch die Sirene war in ihrem Kopf.
Sie war das Ziel, das Problem, das den Weg blockierte.
Die Sirene wich zurück, nun zeigte sie ihre Angst, wenn auch ungewollt. Melody schwebte weiterhin auf ihre Feindin zu und drängte sie in Richtung Thron. Immer schneller bewegte sie sich vorwärts und ebenso schnell verschwand die Sirene immer wieder aus ihrer Reichweite. Sie war nun an der kleinen Treppe angelangt, die hinauf zum Thron führte. Die Flosse der Sirene verhaspelte sich, sie strauchelte und schließlich fiel die Sirene zu Boden. Fluchend versuchte sie, sich aufzurichten, doch hielt aprupt in der Bewegung inne. Melody ragte bereits turmhoch vor ihr auf und starrte auf ihre Feindin herab. Nackte Panik züngelte ihren den Zügen, ihre Augen weiteten sich ängstlich. Ihr war ihr Schicksal bewusst, und doch besaß sie den Mut, ihre Stimme erneut zu erheben.
"Du bist immernoch meine Gefangene! Füge dich deinem Schicksal und hör auf mit diesem Quallenquark, törichte Nixe! Glaubst du, du hättest eine Chance?!" Ihre Stimme schrille in die Höhe, während sie die Nixe beschimpfte. Doch ihre Worte prallten von ihr ab wie Öl an Wasser. Schließlich stoppte Melody einen Meter vor der Sirene, ihr neutraler Gesichtsausdruck machte die ganze Sache noch bedrohlicher als zuvor.
Langsam senkten sich ihre Augen und sie schaute der Sirene in die ihren - auch wenn es sich anfühlt, als würde sie die Seele der am Boden liegenden Frau lesen. Sie sagte kein Wort, alles was sie tat, war, die Sirene mit ihren glühenden Augen anzuschauen und am Boden festzunageln. Diese unternahm keinen Versuch mehr, zu entkommen, sondern blickte ihre Feindin ebenfalls an, wartete auf eine Reaktion.
Da ertönte die Stimme der Nixe, dunkel und furchteinflößend:"Du hast uns Unrecht getan, meine Freunde verletzt, hältst uns gefangen und beleidigst unser Volk. Du bezeichnest mich als Gefangene, töricht, doch bist du es, die einfältig handelt. Du zweifelst unseren König an, dem ihr einst ewige Treue geschworen hattet. Nun stehe ich hier, über dir und zwänge dich zu Boden. Sag mir, Sirene, wer hat hier keine Chance?"
Melodys Stimme dröhnte durch den Raum, hallte wieder und verstärkte sich um das doppelte. Von weitem sah es so aus, als würde die Sirene zittern - und das konnte man ihr nicht übel nehmen, denn Melodys Gestalt jagte selbst ihren Freunden einen Schauer über den Körper. Mittlerweile sagte keiner mehr ein Wort, teils zerrte der Kampf an den Kräften aller, zum anderen sorgte die Präsenz von Melody für eine Autorität, die niemand im Saal auch nur wagte, anzusprechen.
Langsam hob Melody ihre Hände, drehte sie, sodass die Handflächen auf die geschwächte Sirene zeigten und ließ ihre Stimme klingen.
"Deine Taten und die deines Volkes sind unverzeihlich. Ihr habt Macambrianer gefangen gehalten, Familien entzwei gerissen und tyrannisiert die Gesellschaft. Dies hat nun ein Ende.
Ihr werdet für eure Handlungen einstehen, und wenn euch die Schuldgefühle nicht zerreißen, dann soll es der Tod tun. Eure Seelen wandeln auf ewig durch die Zeit, vernichtet und doch existent. Eine Unendlichkeit in Schmerz und Reue ist eine Strafe, die den Geschehnissen fast nicht gerecht wird. Falls ihr um Vergebung bittet, merkt euch eines: Nichts kann eure Taten rückgängig machen, auch nicht, wenn ihr auf dem Boden kriecht und bettelt. Es ist zu spät, und nun ist es an der Zeit, eure grausame Sippe endgültig zu vernichten."
Melodys Lippen verzogen sich zu einem unheimlichen, emotionslosen Lächeln, das selbst die Grausamkeit der Sirenen in den Schatten stellten. Sie senkte ihre Stimme und verkündete dann gefährlich flüsternd:
"Und mit dir fange ich an."
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Als diese Worte den Mund ihrer Freundin verließen, zogen die Gefangenen scharf Luft ein.
Ihnen war klar, dass das, was die Sirenen getan hatten, unverzeihlich und grauenvoll gewesen war, doch gleich das gesamte Volk zu vernichten, wäre ebenso grausam und nicht besser. Sie hatten keine Ahnung, was Melody als nächstes tun würde, doch in ihrem derzeitigen Zustand war es unvorhersehbar.
Arelè öffnete den Mund und rief laut in Melodys Richtung:"Melody, nein! Was auch immer du vorhast, sie sind es nicht wert. Diese Strafe ist selbst für unsere ärgsten Feinde zu qualvoll! Bitte, lass das Sirenenvolk am Leben."
Verzweifelt schaute sie zu ihrer Freundin, die sie kaum wiedererkannte. Nicht nur der Charakter der sanften Nixe hatte sich verändert, auch ihre äußerliche Erscheinung glich nicht der, die sie kannte.
Auch Will, Luke und Arizona erhoben ihre Stimmen.
"Egal, was du ihnen jetzt antust, du bist nicht besser als sie. Lass sie uns gefangen nehmen, wir liefern sie aus, aber begeh nichts, was du später bereust! Melody, hör zu! Wenn du sie vernichtest, bist du genauso schlimm, wenn nicht sogar schlimmer als sie. Ich weiß, sie haben uns und ganz Macambria Unrecht getan, aber lass dich nicht treiben und werde wie sie! Hör auf damit!"
Als Melody den Blick zu ihnen wandte, erschrak Arelè heftig. Es schien, als stünden ihre Augen in Flammen, denn die sonst so funkelnd grauen Augen glühten in einem unheimlichen Braunton, und wenn sie es genau nahm, war es eher ein flammendes Rot. Auch die normalerweise goldbraunen Haare ihrer Freundin hatten einen leichten Rotstich und - auch wenn es absurd klang - die rothaarige Nixe könnte schwören, dass die Spitzen in Funken sprühten.
Doch Melody wandte den Blick ebenso schnell wieder ab, und Arelè war sich im selben Moment nicht mehr sicher, ob das, was sie gesehen hatte, Einbildung oder die Wirklichkeit gewesen war. Konzentriert stierte Melody auf die Sirene herab, ihr Worte jedoch richteten sich an ihre Freunde.
"Keine Strafe der Welt könnte verzeihen, was dieses Volk der Meerwelt angetan hat. Was sie uns, euch, angetan hat! Sie werden dafür bezahlen, und ich werde die Zeit genießen, so wie sie es genossen haben, als sie unser Volk überfallen hatten. Ihr werdet mich nicht aufhalten, mein Entschluss steht. Und nun, schweigt."
Ihre Arme spannten sich an und sie krampfte leicht die Finger zusammen. Melody schloss genussvoll die Augen, ließ sich durch ihren Körper führen, folgte dem Ruf und setzte die Kraft frei, die tief in ihr schlummerte. Zu lange lauerte sie in ihr, wartete darauf, frei zu sein, so wie sie es sein wollte.
Glühend heißes Feuer schoss durch ihre Adern, erfüllte ihren gesamten Körper, bevor sie es gezielt und konzentriert durch ihre Hände gleiten ließ. Die Augen der Sirene weiteten sich, als sie die Flammen sah, die auf sie zurasten. Panisch blickte sie ihnen entgegen, und doch lag sie auf dem Boden, unfähig, zu fliehen.
Die Flammen hüllten die silberhaarige Anführerin ein, strichen über ihre Haut und umarmten sie wie einen alten Freund. Die Sirene hatte den Mund zu einem Schrei verzogen, doch kein Laut drang über ihre Lippen.
Ihr Körper brannte. Panisch und entsetzt sahen die Gefangenen dem grausamen Schauspiel zu, durch ihre Fesseln waren sie verhindert und konnten nicht eingreifen. Fassungslos wandte Arelè den Blick ab, und Will, Cole, Lennox und Lagoona, die sich schluchzend weggedreht hatte, senkten ihre Blicke. Auch Calima, die immernoch gefesselt neben den anderen kniete, schlug die Augen nieder, lies sie jedoch kurz darauf wieder nach oben huschen. Einzig und allein die übrigen Sirenen, Arizona und Nyx beobachteten die Szene, teils mit Entsetzen, und zum anderen mit Mitleid. Als Arelè das nächste Mal den Kopf leicht hob, um einen Blick zu erhaschen, stand der Körper der Sirene immernoch in Flammen. Ein entsetzlicher Gedanke kam ihr in den Sinn.
Melody - oder die dunkle Version ihrer Freundin - genoss das Leiden der Sirene. Arelè war sich sicher, dass der Körper schon nach dreißig Sekunden verbrannt hatte sein können, doch die Flammen zuckten weiterhin um den mittlerweile ruhigen Körper. Die Sirene lebte noch, atmete flach, wand sich jedoch nicht mehr unter der Hitze, sondern lag still da und quälte sich ihrem Ende entgegen. Sofort senkte die Nixe den Kopf wieder. Sie konnte es nicht fassen, dass eine solche Wut in ihrer Freundin hauste. Niemand würde sie stoppen können, sie würde das gesamte Sirenenvolk auslöschen.
Plötzlich hörte sie, wie Nyx sich bewegte. Sie sah zu ihm, entdeckte, wie er sich langsam aufrichtete. Arizona nickte ihm zu, und irgendwie hatte Arelè das Gefühl, dass die Amazone ihn dazu aufgefordert hatte. Vielleicht nicht wörtlich, aber irgendwie.
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Sie genoss es. Sie genoss den Schmerz der Sirene, genoss ihr Leid und fraß sich satt an ihrer Angst. Diese Hilflosigkeit rüttelte irgendwo tief in ihr drin etwas wach, doch Melody verdrängte es schnell wieder. Zu gut war dieses Gefühl von Freiheit, Unbeschwertheit und Rache.
Sie wusste nicht, wie lange sie dort stand und wie lange das Feuer aus ihren Händen geschossen kam, aber aus dem Augenwinkel nahm sie eine kleine Bewegung wahr. Kurz war sie abgelenkt, spürte, wie sich das Feuer zurückzog, aber sogleich beschwor sie es erneut herauf. Die Sirene lag inzwischen bewegungslos unter ihr, Melody wusste nicht, ob sie noch lebte, und ehrlich gesagt, war es ihr auch egal.
Konzentriert ließ sie sich von dem Feuer leiten, das auch in ihrem Inneren wütete. Auf einmal drang eine leise Stimme an ihr Ohr. Sie war schwach, rau, und weckte eine Sehnsucht in der Nixe, die sie nicht zu kennen vermochte. Verärgert über diesen Gedanken schüttelte sie den Kopf.
Doch die Stimme erklang erneut, und Melody erlaubte es sich, kurz den Klängen der Worte zu lauschen.
"Hör auf." Melodisch halten die Worte in ihrem Kopf wieder. Wie aus weiter Ferne drängen sie zu ihr durch.
Aufhören? Womit?
"Hör auf damit. Das bist nicht du."
Verwirrt zog Melody die Augenbrauen zusammen. Die Stimme war verstummt. Wo war sie hin?
Melody wollte sie erneut hören. Sollte sie aufhören? War es das, was die Stimme verlangte?
Unsicherheit machte sich in ihr breit. Wieso tat sie das? Das war falsch!
Melodys Kopf hämmerte, wehrte sich gegen das Gefühl, welches sich bis vor Sekunden noch fantastisch angefühlt hatte und sie jetzt wie ein schwerer Stein nach unten zog.
Verzweifelt versuchte sie, sich dem Strom zu entreißen, versuchte, das Feuer zu ersticken.
"Hör auf damit, Melody. Das bist nicht du."
Da! Da war sie wieder, die Stimme, diesmal näher. Melody nickte verzweifelt, kämpfte gegen den Drang an, doch schaffte es nicht, aufzuhören. Es war wie eine Sucht.
"Ich kann nicht!", rief sie verzweifelt, öffnete die Augen und blickte in die tosenden Flammen, unfähig, ihren Blick zu lösen.
"Doch, du kannst. Ich weiß, dass du das kannst. Melody, hör auf. Lass los.", ertönte die Stimme, diesmal direkt neben dem Ohr der Nixe. Kurz wog sich die Nixe in dem Klang, ließ sich von den Worten treiben. Dann nickte sie entschlossen, kehrte in sich und drängte das tosenden Feuer zurück in die Dunkelheit, aus der es gekommen war.
Erschöpft ließ sie ihre Hände sinken, konnte auf einmal wieder klar denken und sehen, doch was sie sah, ließ ihr Herz stoppen. Vor ihr lag, vom Feuer geprägt, die Anführerin der Sirenen. Ihre Haut war verkohlt, die Haare verbrannt und nicht mehr da, der Fischschwanz zerfressen. Stöhnend atmete die Sirene, ganz flach, doch sie atmete.
Bestürzt schlug Melody die Hand vor den Mund, taumelte, prallte gegen jemanden. Instinktiv hielt sie sich an ihm fest, als ihr Fischschwanz nachgab und sie gemeinsam zu Boden sanken.
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Hallihallo! :)
Erst einmal, ich hoffe, ihr seid alle gut ins neue Jahr gestartet und nicht ausgerutscht, war ja doch recht glatt xD
Oh man, der war flach haha
Auf 2021! Kann ja nur besser werden <3
Aber erstmal: wow. Da hat Melody aber ganz schön Chaos angerichtet.
Was passiert als nächstes?
Habt ihr damit gerechnet?
Ich will euch ja nichts versprechen, aber irgendwie habe ich gerade jetzt Lust zu schreiben, also setze ich mich einfach mal ans nächste Kapitel und schaue, wie weit ich komme. Vielleicht - okay eventuell - naja eher unwahrscheinlich, so wie ich mich kenne, wird demnächst dann auch das neue Kapitel erscheinen.
Wir lesen uns warscheinlich - eventuell - wohl eher unwahrscheinlich - demnächst ^^
- ʟɪᴛᴛʟᴇꜱᴇᴄʀᴇᴛꜱᴛᴏʀʏ -
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