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Mit einem Schlag öffnete Melody die Augen. Sie fuhr hoch, wollte die Beine über die Bettkante schwingen, konnte sie aber nicht bewegen. Sie sah an sich herunter und hätte beinahe einen Schrei aus ihrem Mund entkommen lassen. Gerade rechtzeitig schlug sie ihre Hand vor den Mund. Das konnte nicht sein. Sie schloss ihre Augen und kniff sie für zehn Sekunden fest zusammen, bevor sie sie erneut aufschlug. Ihr Blick wanderte sofort wieder zu ihrem Unterkörper und obwohl sie es mit ihrem eigenen, voll funktionstüchtigen Augen sah, konnte die Sechzehnjährige die Wirklichkeit nicht begreifen.

Wo eigentlich von der Sonne braungebrannte Menschenbeine hätten sein sollen, wuchs aus ihrer Hüfte ein langer und funkelnder Fischschwanz! Sie stemmte die Hände in die Matratze - eigentlich wirkte sie eher wie blaues Moos - und hob ihren Oberkörper aus dem weichen Ding. Die Flosse, die nun ein Teil ihres Körpers zu sein schien, lag bewegungslos auf dem Bett und Melody musterte sie mit gemischten Gefühlen, während ihre Gedanken abschweiften. 

Verschwommen erinnerte sie sich an ihren Traum. Sie war am Ende eine Klippe hinabgestürzt, soweit sie sich erinnern konnte.
War es ein wirklich ein Traum gewesen? Schließlich hatte sich herausgestellt, dass manche Träume der Wirklichkeit entsprachen und manche nur Träume waren. Da kam man ziemlich schnell durcheinander. Sie hatte keine Ahnung, ob sie überhaupt wach war. Was, wenn sie in Wirklichkeit in ihrem Bett in Spanien schlummerte und den ganzen Mist nur träumte? Melody bezweifelte es, denn erstens würde sie dann bestimmt nicht in ihrem Traum über ihren Traum nachdenken - was in der Tat, wenn man länger darüber nachdachte, nur noch verwirrender war, als der Traum an sich - und außerdem war die Sechzehnjährige nicht so kreativ, um überhaupt erst auf solche Gedanken zu kommen.

Es war ja nicht so, dass Melody nicht kreativ oder begabt war. Als sie noch jünger gewesen war, hatte sie oft gezeichnet und war sogar im Chor gewesen, weil ihr Vater ihre Stimme vergöttert hatte. Es hatte sich jedoch herausgestellt, dass ihre Gesangslehrerin nicht derselben Meinung war. Jedes Mal, wenn Melody ihre Stimme erhoben hatte, waren wunderschöne und hohe Töne herausgekommen und ihr Vater hatte gemeint, dass sie die höchsten Töne singen konnte, die er je gehört hatte, genau wie ihre Mutter. Die Töne an sich waren nicht das Problem, sondern eher die Zuhörer. Es war Melody bis heute noch ein Rätsel, wieso ihre Musiklehrerin ihren Gesang gehasst hatte.

Auch das mit dem Zeichnen war so eine Sache gewesen. Wo die anderen Kinder Menschen, Tiere oder andere Kunstwerke gemalt hatten, war davon auf Melodys Blatt nie etwas zu sehen gewesen. Anstatt mit Farben zu arbeiten oder komplizierte Gemälde zu verfassen - was im Kindesalter von zehn Jahren nicht wirklicher Kunst entsprach -, hatte Melody Symbole gezeichnet. Irgendwelche Zeichen, die keine Bedeutung hatten und auch nicht wirklich dem entsprachen, was Zehnjährige im Kunstunterricht tun sollten. 

Schlussendlich hatte sie beides aufgegeben, nicht, weil sie es nicht gekonnt hatte oder zu unkreativ war, sondern weil sie anders gewesen war. Melody schüttelte den Kopf, um ihren Erinnerungen zu entkommen und dachte scharf nach. Die ganze Sache war verdammt verwirrend und Melody fühlte ihren Kopf schon jetzt qualmen.
Melody hob ihre Beine - ihre Flosse - aus dem Bett. Nachdenklich starrte sie auf die blau-grüne Flosse herunter und überlegte, was sie tun konnte. Sie sah sich in ihrem Zimmer um und entdeckte - nicht wissend, ob sie sich darüber freuen sollte - einen riesigen Kleiderschrank. Melody seufzte, denn eigentlich hatte sie gehofft, sich anderweitig beschäftigen zu können als irgendwelche Klamotten zu durchstöbern. Da sie nichts entdeckte, was sie von ihren Gedanken ablenken könnte, beschloss die Sechzehnjährige, das Inventar des Schrankes ausfindig zu machen, auch wenn sie sich eigentlich nicht sonderlich mit irgendwelcher Art von Mode beschäftigte. 

Zögerlich richtete sie sich auf und rutschte an die Kante des Bettes. Melody hatte keine Ahnung, wie man mit einer Flosse schwamm, es konnte jedoch nicht viel anders sein, als mit Schwimmflossen zu tauchen. Trotz ihrer Erfahrung im Wasser blickte sie ratlos umher und beschloss nach kurzem überlegen, es einfach zu versuchen. Sie atmete einmal tief durch, straffte die Schultern und erhob sich aus dem Ding von Matratze.

Kurz schwebte sie ihm Wasser und lächelte triumphierend. 'Wirklich schwer war das ja nicht', dachte sie. Das Gefühl von Triumph verschwand im selben Moment, denn plötzlich sank sie hinab in Richtung Boden. Hektisch paddelte Melody mit ihren Armen und irgendwie musste sie es geschafft haben, ihre Flosse zu bewegen, denn die Weltenwandlerin schoss ruckartig nach oben und stieß sich den Kopf an der Decke. 

''Au, verdammt'', fluchte Melody und hielt sich ihren Kopf. Langsam ließ sie sich wieder nach unten in Richtung Boden gleiten und seufzte teils erleichtert, teils genervt auf. Ihre Augen wanderten zu ihrer Flosse, die seelenruhig zwischen den Wellen wog und versuchten, das unbekannte Ding mit Blicken zu töten. Dann schüttelte Melody den Kopf und konzentrierte sich wieder auf ihre Absicht, zum Schrank zu gelangen. 

Sie schwamm - oder paddelte, denn egal, ob sie die Flosse nun bewegen konnte oder nicht, nach diesem Zwischenfall würde sie es nicht erneut versuchen - auf den Kleiderschrank zu und zog an den beiden Türknäufen. Die Türen schwangen auf und zum Vorschein kamen leere Kleiderbügel. Melody verzog ihr Gesicht und musterte den leeren Innenraum. Obwohl sie sich überhaupt nicht für Klamotten interessierte, wären sie eine gute Ablenkung zu dem leeren Zimmer gewesen. Sie ließ ihren Blick erneut ziemlich desinteressiert durch den Raum schweifen, als ihre Augen an etwas hängen blieben.

Auf dem Schminktisch (auf dem sich im Übrigen keine Schminkutensilien befanden) lag eine kleine, unscheinbare Schatulle, die ihr vorher nicht aufgefallen war. Neugierig löste sie sich vom Schrank und bewegte sich auf den Tisch zu. Als sie bei der Schatulle ankam, nahm sie diese in die Hand und öffnete sie mit einem Klacken. Luftbläschen stiegen auf und bahnten sich den Weg zur Zimmerdecke.

In der Schmuckschachtel, die aus marineblauem Samt bestand, befanden sich vier Muscheln, die wohl als Ablage dienten. Auf ihnen thronte eine kleine Kette. Melody klappte der Mund auf.

Ihr Amulett.

Sie zog es mit zittrigen Händen heraus und öffnete den muschelförmigen Anhänger, der an einer goldenen Kette hing.

In der Muschel befand sich ein Name. Melody. Die Kette war in ihrem Besitz seit sie denken konnte. Ihr Vater hatte sie ihr anscheinend gegeben, nachdem ihre Mutter gestorben war, Melody konnte sich daran nicht mehr erinnern. Sie wusste nur, dass sie einst ihrer Mutter gehört hatte. Nur einmal hatte sie das Schmuckstück verloren und Melody erinnerte sich genau an diesen grausamen Tag. HERE

"Mäuschen, komm endlich. Wir müssen los!", rief Maria vom Auto aus. Melody rannte zu ihr und setzte sich ins Auto. Maria setzte sich auf den Fahrersitz und fuhr los. Nach kurzer Zeit fragte sie Melody: "Schatz, hast du alles? Ich habe da so ein ungutes Gefühl."

Melody verdrehte die Augen." Ja, Maria. Ich habe alles." Dann dachte sie nach.
"Glaube ich.", fügte sie unsicher hinzu. Sie öffnete ihre Sporttasche und wühlte darin herum, auf der Suche nach der kleinen Kette. Aber sie fand das Amulett nicht. Wahrscheinlich hatte Melody es zuhause vergessen. Maria warf ihr einen Blick zu.
"Was suchst du, Kleines?" Melody blickte erst zu ihr, dann aus dem Fenster.
"Nichts."

Später hatte sich herausgestellt, dass Clear O'Connor, das Mädchen, mit dem sich Melody beim besten Willen nie verstehen würde, sie mitgenommen hatte. Aber das war erst zwei Jahre danach und da war ihr kleiner Kleinkrieg schon beendet gewesen, da Clear das Schwimmteam verlassen hatte.

Mittlerweile hatte sie das Schmuckstück wieder, trug es jedoch selten, aus Angst das wertvolle Amulett zu verlieren. Sie legte es sich um den Hals und schloss den Verschluss. Dann trat sie vor den Spiegel und betrachtete sich. Die Kette funkelte genauso hell wie ihre Flosse, als wären sie aufeinander abgestimmt. Melody verwarf den Gedanken und wandte den Blick ab. 

Plötzlich klopfte es. Melody legte die Kette in die Schachtel zurück, schoss unkontrolliert zur Tür und öffnete sie, nachdem sie beinahe dagegen geknallt wäre. Tiara lächelte ihr höflich entgegen.
"Die Königin wünscht dich zu sehen", sagte sie freundlich und schwamm ein Stück zur Seite. Melody nickte und folgte ihr aus der Tür hinaus.
"Tiara? Kann ich dich etwas fragen?", sagte Melody nach einer Weile des Schweigens, in der sie sich ziemlich auf das Schwimmen konzentrieren musste, um mit Tiara mithalten zu können.
"Natürlich", antwortete Tiara lächelnd und sah sie abwartend von der Seite an. 
Melody legte sich die Wörter sorgsam zurecht: "Ich hatte einen seltsamen Traum." Sie erzählte der königlichen Dienerin alles und diese lächelte verhalten.
"Das war keine Traum. Das war real", antwortete sie ruhig und Melody schaute sie entgeistert an. Tiara sprach weiter: "Du musstest wählen, zwischen dem Meer und dem Land. Da du noch hier bist, nehme ich an, dass du dich für das Meer entschieden hast."
"Was? Warum musste ich wählen? Ich dachte, ich wäre eine Wandlerin!", empörte sich Melody und verstand die Welt nicht mehr. Tiara lächelte traurig: "Das bist du. Aber du hast die Seite des Meeres gewählt. Du bist nun eine Nixe. Für immer."
Melody stoppte. "Ich - , wieso wusste ich das nicht? War es dass, was Calima meinte? Was, wenn ich mich dann anders entschieden hätte!" Tiara stoppte ebenfalls und schwebte im Wasser vor Melody. "Hättest du das denn?" fragte sie Melody ruhig und schaute sie aus ihren ozeanblauen Augen an. Melody zuckte ratlos die Schultern, viel zu verwirrt, um einen klaren Gedanken zu fassen.
"Ich weiß es nicht. Es gibt so vieles, dass ich nicht weiß", antwortete Melody verzweifelt. 'Und keiner scheint mir auch nur im entferntesten irgendwie helfen zu wollen', dachte sie leise.

"Du wirst lernen, vertrau mir", lächelte Tiara und legte Melody eine Hand auf die Schulter. Tatsächlich beruhigte sie sich ein wenig. Trotzdem brannte ihr eine Frage unter den Fingernägeln.
"Warum? Warum musste ich wählen?", schoss es aus ihr hervor. Tiara warf ihr einen undefinierbaren Blick zu.
"So besagt es das älteste Gesetz. Die Kinder der Nixen und Menschen sind verflucht, mit einer halben Gabe gesegnet. Nur Neptun selbst und dem königlichen Geschlecht ist die Fähigkeit des Wandelns vorgesehen. Weltenwandler sind dem Gesetz nach Halbblüter, und somit verboten. Genauso wie die Ehe zwischen Mensch und Nixe. Nixen, die es wagen, werden des Hochverrats angeklagt und verbannt."
"Und das alles nur, weil sie sich verlieben? Wegen eines dummen Gesetzes?", fragte Melody ungläubig.
"Nur so überleben wir."

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Sie schwammen in den gleichen Saal wie gestern. Melody erkannte die Königin sofort. Sie stach aus der Menge heraus und ihre Eleganz übertraf alles und jeden im Raum, sogar die prächtige Staue Neptuns. Sie lächelte ihr zu.

Dann fing sie an zu sprechen: "Melody. Du bist hier, weil du nun eine von uns bist. Eine Auserwählte. Du hast deine versteckte Gabe entfesselt. Nun bist du vollständig, endlich heimgekehrt. Wir empfangen dich, wir brauchen dich. Du bist eine von uns. Sei eine Tochter des Meeres."

Hallöchen!

Es hat jetzt etwas länger gedauert als erwartet. Aber der ganze Schulstress ist überwältigend :/

Melody ist also eine Tochter des Meeres. Übersetzt heißt das übrigens Nixe, wem das bisher nicht klar war ;)

Ich hoffe es gefällt euch!
Es wird etwas länger dauern, bis das nächste Kapitel kommt XD

Fleißig voten und kommentieren :)

Read us soon,

- ʟɪᴛᴛʟᴇꜱᴇᴄʀᴇᴛꜱᴛᴏʀʏ -

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