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"Hey Dad! Wie geht es dir?", fragte Melody leise, nachdem sie in das Zimmer eingetreten war. Quentin schlief mit einer Atemmaske auf dem Kopf, welche ihm künstliche Luft zufügte. Sie wusste, dass er sie vermutlich nicht hören konnte, aber manchmal musste man einfach alles rauslassen. "Weißt du, ich hab nie gedacht, dass du einfach so umkippen könntest. Ich dachte immer es wäre halb so schlimm. Aber du schaffst das, ich glaube an dich. Der Arzt sagt, du bist stabil. Egal was passiert, ich hab' dich lieb, Dad", flüsterte sie und versuchte, den Kloß im Hals runterzuschlucken. Plötzlich hatte sie das Bedürfnis, ihn in den Arm zu nehmen, aber sie wusste nicht, ob das okay war, also ließ Melody es lieber bleiben.

Sie küsste Quentin auf die Stirn. Dann setzte sie sich zu ihm an das Krankenbett, nahm seine Hand und beobachtete ihn beim Schlafen. Eine plötzliche Müdigkeit machte sich bemerkbar, doch Melody ignorierte sie und blinzelte den Schlaf aus ihren Augen. 

Irgendwann musste sie dann wohl doch eingeschlafen sein, denn laute Stimmen drangen an ihr Ohr und eine große Hand rüttelte an ihrer Schulter. Verwirrt öffnete Melody die Augen und hörte nur mit halbem Ohr, was der Typ, der sie geweckt hatte, zu ihr sagte. Sie war immer noch verdammt erschöpft - die ganze Rettungsaktion hatte sie wohl mehr mitgenommen, als vermutet - und verstand nicht, warum alle auf einmal so hektisch waren. Langsam klärte sich ihr Verstand und sie bekam mit, wie das Bett ihrer Vaters aus dem Raum geschoben wurde. 

Schnell.
Sehr schnell.

Das Mädchen brauchte zwei Sekunden, bis sie begriff, was los war, fünf Sekunden, um sich aus den Armen des Typen zu befreien, der wohl mit einer solchen Reaktion gerechnet hatte, und eine Sekunde, um dem Bett ihres Vaters zu folgen. Die Pfleger, die das Bett schoben, liefen schnell und hektisch durch die Flure und hatten keine Probleme damit, sich den Weg freizumachen. 

Melody jedoch rannte durch die Flure hinterher, quetschte sich durch Menschenmassen, die zu den hektischen Pflegern gafften und Melody anschließend empört hinterherriefen, weil sie wenig Sanftheit aufbrachte, als sie sich durch diese hindurchdrängelte. Fast grätschte sie einen Verpflegungswagen um und verlor bei der Vollbremsung das Objekt ihrer Begierde aus den Augen. Suchend blickte die Sechzehnjährige umher, doch es war hoffnungslos. Das Bett, auf dem Quentin lag, konnte sie nicht mehr finden.

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Er öffnete die Tür zu dem Zimmer von Quentin Bright, neben ihm Daphne und Chris, zwei Ärzte. Neben Mr. Bright lag ein junges Mädchen, geschätzt 16 Jahre alt. Es hatte die Augen geschlossen, war vermutlich eingeschlafen. Chris weckte sie ziemlich unsanft, wofür er einen strengen Blick von Daphne erhielt, während sie und der Chefarzt das Bett aus der Verankerung in der Wand lösten und es zur Tür hinaus rollen. Als sie draußen waren stieß Catherine zu ihnen, Dr. Rhodes nickte ihr zu und sie grüßte wie immer freundlich lächelnd zurück.

Plötzlich vernahm er Chris' Rufe und acht Sekunden später stürmte ein Mädchen aus dem Zimmer von Mr. Bright. Sie sah sich suchend um. Als sie den Trupp entdeckte, rannte sie los. Hinter ihr kam Chris hilflos hinterhergelaufen. Catherine sagte etwas zu ihm und sie beschleunigten ihre Schritte. Der Patient hatte einen kritischen Zustand erreicht, obwohl er ein paar Stunden zuvor noch stabil gewesen war und sie mussten so schnell wie möglich eine Notoperation durchführen.

Der Trupp bog um eine Ecke. Als Dr. Miro Rhodes zurück sah, erblickte er nur das Mädchen, welches fast gegen einen Verpflegungswagen rannte und beinahe einen Unfall baute. Sie sprang auf und blickte suchend umher. Dann schloss er die Tür und wendete sich seinem Patienten, Mr. Bright, zu.

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Wütend und ängstlich zugleich, lief Melody den Gang entlang zur Rezeption. Sie klingelte Sturm, und als niemand kam, marschierte sie schnurstracks in das Büro von Mr. Rhodes hinein.

Jedoch fand sie nur einen leeren Raum vor, mit Unterlagen zugemüllt. Inmitten dieser Unordnung stand der Schreibtisch, dahinter der Stuhl. Ihre Wut stieg und irgendwo in ihr fing es an, zu brodeln. Sie spielte kurz mit dem Gedanken, alles zu durchsuchen, verwarf ihn aber schnell wieder, da ihr, wenn sie erwischt würde, eine Strafe drohte.

Also verließ sie das Büro wieder und machte sich auf die Suche nach Catherine Thomson, welche sie nach ein paar Minuten, auf einer Bank sitzend, ausfindig gemacht hatte.

Mit großen Schritten ging Melody auf sie zu und fragte sie unvermittelt in einem bemüht höflichen Tonfall: "Wo ist mein Vater, Miss?" Diese sah auf und lächelte dabei. Dieses Lächeln verblasste aber wieder, als sie den Gesichtsausdruck der Sechzehnjährigen bemerkte. Sie stand auf, aber da sie eine sehr kleine, runde Frau war, überragte Melody sie mindestens um einen Kopf. Unter anderen Umständen hätte Melody jetzt triumphierend gelächelt, aber es ging ihr gewaltig gegen den Strich, dass ihr Vater irgendwo war und sie nicht darüber Bescheid wusste. 

"Mr. Bright ist im OP, Miss. Aber in fünfzehn Minuten wird er fertig sein, dann kommt er auf die Intensivstation. Morgen kannst du ihn besuchen", sagte Catherine, die wohl wieder ihr Lächeln gefunden hatte. 

Melody schaute sie finster an. Sie war zwar dazu erzogen worden, immer höflich und freundlich zu sein, aber ihre Wut vermischt mit der Unwissenheit machte es ihr gerade ziemlich schwer, höflich zu sein. "Und warum weiß ich davon nichts?" fragte sie leise, denn einige Besucher hatten schon die Köpfe gedreht, um sich das Schauspiel anzusehen. Catherine antwortete ruhig: "Das war kurzfristig. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, da ich eine Schweigepflicht einzuhalten habe. Jetzt gehen Sie am besten nach Hause und ruhen sich aus. Morgen können Sie ja wieder kommen."
Mit diesen Worten schenkte sie Melody einen entschuldigenden Blick, drehte sich um und schritt davon. Fassungslos starrte Melody ihr nach und fragte sich im gleichen Moment, ob Catherine ihre Schweigepflicht einem Familienmitglied gegenüber auch einhalten musste. Wahrscheinlich war Melody mit ihren sechzehn Jahren einfach zu jung und wieder einmal verfluchte sie ihr Alter.

Dann drehte sich das junge Mädchen ebenfalls um, und fing an, in die entgegengesetzte Richtung zum Ausgang zu gehen. Zuhause angekommen warf Melody sich auf die Couch im kleinen Wohnzimmer ihres Hauses. Zwanzig Minuten lag sie da und starrte an die weiße Decke, ohne auch nur im Entferntesten daran zu denken, sich irgendwie noch zu bewegen. Dann änderte sie ihre Meinung und kochte sich in der angrenzenden Küche einen Kamillentee mit Honig. Als dieser fertig war, holte sie sich noch eine Packung Oreo-Kekse aus der Süßigkeiten-Schublade, bevor sie sich wieder auf die Couch vor dem Fernseher pflanzte und ihre Lieblingsserie anschaltete.

Nach einer halben Stunde, in der sie erst eine Folge angesehen hatte, klingelte das Telefon.

Melody stand träge auf und lief langsam zu dem klingelnden Apparat. Sie nahm ab und leierte die übliche Begrüßungsfloskel herunter: "Ja, Melody Bright, wer spricht da?"

Die Stimme, die einem Mann gehörte, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren: "Hallo Melody. Ich habe gehört, dass dein Vater im Krankenhaus liegt. Wie geht es ihm, alles okay bei dir?", fragte der Mann am Telefon und machte tatsächlich einen interessierten Eindruck.

"Hallo Gideon. Ja, mein Vater liegt im Krankenhaus. Und wie es mir geht? Das erst dein Bruder im Krankenhaus liegen muss, damit du dich meldest, ist schon erstaunlich. aber danke der Nachfrage, mir geht es scheiße", sagte sie leicht angesäuert und verdrehte genervt die Augen. Eigentlich war Melody ruhig und höflich, nicht etwa aufbrausend und jähzornig, aber die Verkettung der Ereignisse der letzten drei Tage hatten ihr den letzten Nerv geraubt und sie stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch.
Gideon seufzte leise und antwortete: "Können wir das Kriegsbeil nicht einfach begraben? Es ist doch alles schon ewig her. Elf Jahre sind eine lange Zeit, in der sich viel ändern kann."

"Einfach begraben? Hast du dich mal selbst sprechen gehört? Du hast uns, deinen Bruder und deine Nichte, im Stich gelassen, genau da, wo wir dich am meisten gebraucht haben. Und wann waren wir für dich da? Immer. Als du alles versoffen hast, als du alles verspielt hattest, wir waren immer da und haben dir geholfen. Ja, viele Dinge können sich ändern, aber du hast dich garantiert nicht verändert!"
Melody reagierte über, das wusste sie, aber sie konnte nichts mehr dagegen tun. All ihre Emotionen waren in einen Topf geworfen worden und dieser Anruf hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. In ihrem Körper brodelte es und sie war blind vor Wut und Trauer, und vor allem vor Angst. Gideon tat ihr leid. Sie schrie beinahe ins Telefon. "Und weißt du was? Du wirst dich auch nie ändern, denn um sich zu ändern, muss man Dinge bereuen und das kannst du nicht und deshalb hasse ich dich! Ich will dich nie wieder sehen, Gideon Bright!" Nun war Melody richtig in Fahrt. Und so merkte sie nicht, was ihr Gefühlsausbruch anrichtete.

Wutentbrannt schmiss sie das Telefon in die Ladestation. Als sie sich umdrehte, sah sie das Chaos, welches sie angerichtet hatte. Die Wand hatte Brandflecken und das Telefon, welches sie in der Hand gehabt hatte - sie wunderte sich, dass es noch funktioniert hatte. Sie schlug die Hand vor den Mund, um einen entsetzten Schrei zu unterdrücken. Sie sackte in sich zusammen, zitternd, die Tränen in den Augen.

Dann hob sie ihre Hände, welche brannten wie Feuer. Sie nahm sie vor das Gesicht und schrie, halb weinend, halb wütend, in diese hinein. Sie schrie was das Zeug hielt. All ihren Frust, all ihre Trauer und Wut und Angst, einfach alles. Sie wusste nicht, wie lange sie im Flur saß, bis sie sich benommen aufrappelte. Ihre wackeligen Beine trugen sie in ihr Zimmer und sie lief an dem bodenlangen Spiegel ihres Schrankes vorbei, der ihr Aussehen offenbarte. Melody stockte in der Bewegung und betrachtete ihr Spiegelbild mit Entsetzen. 

Ihre Augen waren blutunterlaufen, weil sie die Tränen zurückhielt, oder vielleicht konnte sie gar nicht weinen und hatte alles hinausgeschrien, sie wusste es ehrlich gesagt nicht. Ihre Lippen waren angeschwollen vom Schreien und ihre Mundwinkel hingen ausdruckslos herunter. Doch das Schlimmste waren ihre Haare. Die sonst braunen Haare, die von der Sonne geküsst waren und wellenförmig über ihre Schultern fielen, verliefen plötzlich von eben diesem Goldbraun zu einem dunklen Rotton, der sich wie Feuer von den Haarspitzen hinaufzüngelte. 

Melodys Gefühl sagte ihr jedoch, dass sie ihrem Spiegelbild in die Augen blicken sollte. Zögernd hob sie den Blick von den zerzausten Haaren und zu eben diesen und - nichts. Vielleicht waren all ihre Emotionen einfach aus ihrem Körper herausgeflossen, im Gegensatz zu ihren Tränen, denn als Melody sich selbst in die Augen sah, empfand sie weder Überraschung noch Entsetzen. 

Musternd stand sie vor dem Spiegel. Das Grau war nicht wiederzuerkennen. Ihre Augen waren kein Sturm mehr, der durch die Lüfte tobte.

Sie sahen aus wie das Höllenfeuer selbst. 


Hallo!

Ich bin unzufrieden, vor allem mit dem Schluss, aber ich habe einfach alle Gedanken zusammengemischt und das kam heraus :)

Das war ja mal ein Gefühlsausbruch! Was haltet ihr davon? Und vor allem: Was ist danach mit unserer lieben Melody passiert?

Die Kommentare warten auf euch! :)

Das nächste Kapitel kommt.
Keine Ahnung wann, irgendwann in den Ferien, aber ich muss erst mal entspannen XD

Schöne Ferien! Read us soon,

- ʟɪᴛᴛʟᴇꜱᴇᴄʀᴇᴛꜱᴛᴏʀʏ -


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