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Zusammen schwammen sie im Meer, Wellen schlugen gegen die beiden und erschwerten ihre Bewegungen, warfen sie sanft hin und her und wiegten sie im Wasser wie eine Mutter ihr Neugeborenes. Sie sah zu ihrer Begleiterin und fühlte einen Strom aus Geborgenheit in sich aufsteigen. Diese lachte aus vollem Halse und es war so ansteckend, dass das Mädchen befreit mitlachte. Meerwasser spritzte in ihre Gesichter und der Wind fegte als leichter Hauch über ihre Häupter.
Plötzlich und wie aus dem Nichts zogen dunkle Wolken auf und der Wind drehte sich gegen die zwei schwimmenden Gestalten. Wo vorher ein strahlend blauer und wolkenloser Himmel über dem Meer thronte, verschluckten die Sturmwolken das letzte bisschen Licht und tunkten den Horizont in ein undurchdringliches Grau. Das Meer tobte. Die Wellen stemmten sich gegen die beiden Körper und behinderten die verzweifelten Versuche, den tosenden Riesen zu entfliehen. Zunehmende Erschöpfung und mangelndes Sehvermögen erschwerten den Kampf der Gefährten. Das Mädchen wagte einen Blick nach links, wo ihre Mutter geschwommen war und stellte mit wachsendem Entsetzen fest, dass ihre Begleiterin von ihrer Seite verschwunden war.
Als sie den verschwommenen Blick wieder auf das wendete, was vor ihr lag, sah sie das Objekt ihrer Suche. Sie lag im brausenden Wasser, leblos und ohne die Oberfläche zu verlassen, ihre silbergrauen Haare umspielten sanft ihre entspannten Gesichtszüge, in denen sich die ewige Ruhe widerspiegelte. Die Augen der im Wasser treibenden Mutter waren geschlossen, die langen Wimpern streichelten liebevoll die Wangen der Toten. Um sie herum war das Wasser dunkel verfärbt, lag vollkommen still da, und das Blut breitete sich aus. Schrecken erfasste sie und das Mädchen paddelte unter Tränen weiter, versuchte, ihre Mutter zu erreichen, doch wurde binnen eines Wimpernschlags ruckartig in die Tiefe gezogen. Mit panischen Armzügen schlug sie um sich, versuchte, wieder an die Oberfläche zu gelangen. Sie sank immer weiter in die Dunkelheit hinab und erkannte die Rückseite des Körpers ihrer Mutter nur noch schemenhaft, dessen Blut mittlerweile weit getrieben war. Hektisch suchend blickte sie nach unten, das salzige Meerwasser floss ihr in den Mund, als sie ihre Lippen von einem Schrei teilen ließ. Gurgelnde Laute entflohen ihr, als sie sah, was sie nach unten zog. Wer sie nach unten zog.
Ihre Laute hallten durch das ruhige Wasser, wurden mit ihr hinab in die unendliche Tiefe und Dunkelheit gezogen, wo niemand sie je hören könnte.
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Melody wachte schreiend und schweratmend auf, ihr Bett von Angstschweiß durchnässt, ebenso ihre Schlafkleidung. Sofort flutete Licht den Raum, als ein erschöpfter Quentin ins Zimmer gestürmt kam und sich auf die Bettkante setzte: "Alles gut, alles gut. Ich bin da", beruhigte er sie und legte eine Hand an die Wange seiner verängstigten Tochter, um eine erhöhte Temperatur ausschließen zu können. Er nahm die Hand von ihrem Kopf, griff ihre Hand und streichelte leicht darüber. Melody ließ ihn schweigend gewähren und fühlte trotz der langsam abebbenden Angst eine kleine Woge der Zuneigung über sich gleiten.
"Willst du über den Traum reden?", fragte er nach einigen stillen Augenblicken sanft und bedeutete ihr, ein Stück weit in die Mitte des Bettes zu rutschen, damit er sich daneben legen konnte. Diese tat genau das und hob die Decke leicht an.
Anschließend schüttelte sie kurz den Kopf und starrte auf den schmalen Türspalt, durch den ein wenig Licht gespendet wurde. "Nein", sagte sie, die Stimme leicht zitternd. Sie kuschelte sich in die schützenden Arme ihres Vaters, der etwas hin- und herrutschte, bevor er eine angenehme Schlafposition gefunden hatte und schlief wieder traumlos ein.
Der hektische Schrei ihres Vaters riss Melody aus dem kurzen Schlaf, in den sie nur ein paar Stunden zuvor hineingerutscht war: "Melli! Wir haben verschlafen, du musst in die Schule!"
'Wer braucht schon Schule, man passt sowieso nicht auf', dachte sich Melody missmutig und immer noch gerädert von ihrem Alptraum. Ihr Vater setzte aber genau in diesem Moment noch nach: "Schreibst du nicht heute Geographie?", was die Augen der Sechzehnjährigen - und somit leider immer noch schulpflichtigen - aus ihren Höhlen treten ließ. Blitzschnell schwang Melody ihre Beine aus dem Bett, ignorierte die Müdigkeit gekonnt und rannte hinunter in die Küche, um eine kleine Mahlzeit zu sich zu nehmen. Morgens hatte sie immer einen kleinen Hunger, der es vermochte, wenn sie ihn nicht stillte, gerne mal in eine schlechte Laune umzuschlagen. Ein Blick auf die Wanduhr verriet ihr, das es bereits kurz vor acht Uhr war, was bedeutete, dass die erste Stunde beinahe begonnen hatte. Sie schnaufte gestresst durch, öffnete den Brotschrank in der Ecke, aus dem sie sich einen Toast in den Mund stopfte und sprintete wieder nach oben in ihr Zimmer. Sie zog eine kurze graue Hose aus dem Schrank, da die Temperaturen jeden Tag die dreißig Gradmarke knackten, und ein mehr oder weniger passendes Top. "Der Bus fährt in einer Minute, beeil dich", tönte es von unten und Melody lief in Windeseile ins Bad, putzte sich in Null-Komma-Nichts die Zähne - eventuell auch etwas kürzer als sonst - und band sich die Haare zu einem schnellen Zopf. Für einen kurzen Blick in den Spiegel reichte ihre Zeit gerade so und sie beeilte sich, das Bad zu verlassen.
Melody sprang die letzten fünf Stufen nach unten, zog ihre Schuhe an (stopfte dabei die Schnürsenkel in die Seiten, was Quentin mit einem skeptischen Blick begutachtete) und schnappte sich ihre Schultasche. "Bis heute Mittag, Dad. Hab dich lieb", rief sie, als sie bereits halb zur Tür hinaus gelaufen war und bekam nicht einmal mehr mit, wie ihr Vater den Satz erwiderte, da genau in diesem Moment die Tür ins Schloss fiel. Dann hetzte sie zum Bus, der zum Glück noch auf sie wartete und bedankte sich für die gute Tat des Busfahrers, der sie schweigend durchwinkte.
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"Melody, würden Sie bitte meine Frage beantworten?", rief Ms. Corner sichtlich genervt und schenkte ihrer Schülerin einen scharfen Blick. Die Lehrkraft hatte viel Geduld, aber manchmal reizten bestimmte Klassen diese bis zum letzten Stück aus. Melody zuckte aus ihrer Tagträumerei und linste an die Wand, an die der Beamer das Arbeitsblatt mit der Frage projizierte: "Ja, Miss Corner, entschuldigen Sie. Die richtige Antwort ist C", antwortete sie höflich und hoffte, dass diese Antwort stimmte, da sie mit ihren Gedanken an einem komplett anderen Ort gewesen war. Miss Corner zog leicht genervt eine Augenbraue in die Höhe und schnaubte wie ein wütender Stier, enttäuscht, da sie Melody nicht hatte ermahnen dürfen, um ihrem Ärger an diesem schwülen Sommertag Luft zu machen: "Sie sollten lieber im Unterrichtaufpassen anstatt die ganze Zeit nur Löcher in die Luft zu starren, Melody. Aber die Antwort C ist richtig."
'Ja, bla bla bla. Es passt sowieso niemand in Physik auf', dachte Melody und verdrehte still die Augen. Auch sie war an diesem Tag genervt und obwohl sie sich sonst stets höflich den Lehrern gegenüber verhielt, hoffte sie, so bald wie möglich aus diesem Klassenraum zu entkommen, damit ihr die schrille Stimme ihrer Physiklehrerin nicht weiterhin Kopfschmerzen verursachte. Im selben Augenblick zog Miss Corner scharf Luft ein, schenkte Melody einen Blick, der töten könnte, und quietschte mit hochrotem Kopf - sehr zum Leid ihrer Schülerin: "Also so etwas muss ich mir nicht bieten lassen! Mein Unterricht ist überaus interessant, und wenn Sie, Melody, da anderer Meinung sind, können Sie das gerne mit dem Direktor aushandeln."
Melody erstarrte mit geröteten Wangen und fragte sich, warum in Gottes Namen sie das laut gesagt hatte. Die ganze Klasse starrte sie an, was wiederum Bestätigung genug war. "Wenn sie nachher doch zu mir kommen würden, Melody", fügte Ms. Corner wütend hinzu, bevor sie sich wieder dem Unterricht widmete und sich insgeheim schwarz über die Beleidigung ärgerte.
Auf dem Weg nach Hause, Melody hatte wegen Ms. Corner den Bus verpasst, da diese sich verpflichtet gefühlt hatte, der Sechzehnjährigen einen Vortrag über Höflichkeit sowie die enorme Wichtigkeit von Physik im Bildungsplan zu halten, grübelte sie über die merkwürdige Gestalt am Wrack während ihrer gestrigen Tauchaktion nach. Außerdem flogen ihre Gedanken zu ihrem Traum, den sie seit Jahren nicht mehr gehabt hatte. Doch jetzt auf einmal kam er mit voller Wucht zurück und dem Mädchen war bewusst, dass dies ihr eine lange Zeit den Schlaf rauben würde - und Quentin auch. Melody beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen, um den Traum ein für alle mal aus der Welt zu schaffen.
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"Und wie war Geographie?" begrüßte ihr Vater sie, als sie nach Hause kam. "Wurde auf Montag verschoben, Mr. Jordan hat Kaffee über die Arbeiten geschüttet", berichtete Melody sobald sie die Küche betreten hatte, in der Quentin mit roter Schürze am Herd stand. Dieser lachte und schüttelte leicht den Kopf, während er die Töpfe von der Platte nahm und das Nudelwasser abließ. "So, dein Lieblingsessen! Penne Rigatte mit Salat für die Dame", sagte Quentin und trug einen Topf zum Tisch, um ihn darauf abzustellen. Melody schnappte sich den zweiten, in dem sich eine etwas angebrannt riechende Tomatensoße befand und setzte sich anschließend auf ihren Platz. Die Sechzehnjährige schaufelte sich hungrig den Teller voll und probierte ihre Lieblingsmahlzeit, während Quentin nochmal in die Küche lief, um den geriebenen Käse aus dem Kühlschrank zu holen. Sie spuckte es jedoch gleich wieder angeekelt auf den Teller, tupfte sich mit einer Serviette den Mund ab und schlich sich zum Mülleimer, der glücklicherweise direkt am Durchgang zwischen Küche und Esszimmer befand, sodass sie unbemerkt den Teller von dem Zeug befreien konnte. Danach rief sie in die Küche, dass sie bereits fertig gegessen hatte, was ihr Vater mit einem "Oh wirklich, willst du noch einen Nachschlag?" beantwortete. Melody verneinte freundlich und ging Melody in ihr Zimmer, um den alten Computer ihres Vaters zu starten.
Nach fünf Minuten fand Melody das, wonach sie gesucht hatte. Ecosia, eine alternative Plattform für Google, zeigte der Suchenden jedoch 70500 Suchvorschläge für das Stichwort Tiefseetiere. Sie hatte keinen bestimmten Anhaltspunkt, konnte also stundenlang suchen, ohne fündig zu werden. Ein paar Minuten lang klickte Melody durch verschiedene Suchergebnisse, bevor sie seufzte und ihr eine andere Idee in den Sinn kam. Sie klappte den Computer zu und war kurze Zeit später auf dem Weg zur Buchhandlung. Ihr Vater hatte sich auf zum Bootsverleih gemacht, aber Melody hatte ihm trotzdem gut sichtbar einen Zettel mit den nötigen Informationen über ihre Vorhaben auf dem Esstisch hinterlassen.
Die Glocke der Tür läutete, als eine weitere Person die Bibliothek betrat. Melody hatte mittlerweile bestimmt zehn Bücher in den Fingern gehabt, die jedoch nur über die Anatomie bestimmter Fische oder Algen informierten. Ein Mann, vielleicht um die 30 Jahre alt, ging mit großen Schritten auf die Theke zu und startete eine leise Konversation mit der Bibliothekarin, die nicht sehr erfreut über sein Kommen zu sein schien. Melody stand in nicht allzu weiter Entfernung und stöberte in den Regalen, suchte nach weiteren Werken, die ihr weiterhelfen konnten und vernahm hin und wieder das beruhigende Knarzen der alten Bücherregale. Der Staub auf einigen Büchern war so dicht, dass sie ihn herunterblasen musste, um überhaupt den Titel lesen zu können. Sie blickte seufzend auf, als eine weitere Staubwolke ihre grauen Augen tränen ließ, und bemerkte die hitzige Diskussion zwischen der älteren Bibliothekarin und dem jungen Mann. Sie schnappte einzelne Wortfetzen des Gesprächs auf, wie 'sofort geben' oder 'sonst wird es teuer', 'ein Unikat', 'sehr wichtig' und 'harte Strafe'. Stirnrunzelnd lauschte die Sechzehnjährige dem Gespräch, aber konnte nicht mehr herausfinden. Dann schlug der unfreundliche Mann auf die Theke und ließ sowohl die Bibliothekarin als auch Melody erschrocken aufatmen. Beinahe hätte Melody das Buch in ihren Händen fallen gelassen, rettete es aber noch im letzten Moment. Sie war nicht sicher, ob das Buch eine solche Erschütterung aushalten würde und wollte ungern in die Situation kommen, für den Schaden aufzukommen.
Die Bibliothekarin schien ebenfalls verängstigt und verschwand mit einem kurzen Nicken im hinteren Teil der Theke. Der Mann drehte sich um, ließ seinen Blick mit einem gehässigen Ausdruck in den Augen durch die Bibliothek schleichen und schaute dann geradewegs in die grauen Augen von Melody. Diese zuckte zusammen als sie die dunkelbraunen, beinahe schwarzen Augen des Mannes wahrnahm. Es war eine ungewöhnliche Farbe für ein Augenpaar und Melody konnte den Blick fast nicht abwenden. Ihre Blicke trafen sich und der Mann verzog seine Lippen zu einem leicht spöttischen Lächeln, das den Blickkontakt unterbrach und vielleicht nicht so gruselig gewirkt hätte, hätte er sich nicht danach umgewandt und wäre nicht mit langen, bedrohlichen Schritten ebenfalls im hinteren Teil verschwunden. Melody, die all das aus dem Augenwinkel mitverfolgt hatte, weil der Mann ihr einfach nicht geheuer war, schnappte nach Luft und beschloss zu warten, bis er und die Bibliothekarin wieder herauskämen, obwohl sie ihre Suche eigentlich bereits beendet hatte. In der Hand umklammerte sie ein dickes Buch, dessen Einband genauso vergilbt war wie die Seiten, die er bewahrte.
Ein paar Minuten später kam er tatsächlich wieder heraus, ein kleines, unscheinbares Büchlein in der Hand, welches er mit gierigen Augen betrachtete. Er schaute sich prüfend um und verließ die Buchhaltung genauso schnell wie er gekommen war. Kälte breitete sich in dem kleinen Geschäft aus und die Sechzehnjährige fröstelte. Die Dame tauchte nicht wieder auf und Melodys Besorgnis wuchs mit jeder weiteren Minute, die seit dem Verlassen des Mannes verstrichen war. Nach weiteren zehn Minuten, in denen die Bibliothekarin nicht wieder auftauchte, trugen ihre Füße sie wie selbstverständlich zur Theke. Sie betätigte die Klingel, die eigentlich das Personal auf einen Kunden aufmerksam machen sollte. Sie hatte keine Ahnung, was ihre Erklärung wäre, wenn die Bibliothekarin einfach erscheinen würde, denn eigentlich hatte sie das gefunden, wonach sie gesucht hatte. Der Gedanke daran war jedoch unnötig, da die Dame nicht erschien und Melody erneut auf den abgenutzten Knopf nach unten drückte.
Nichts passierte.
Melody rief zögerlich nach ihr: "Hallo?" Ihr Gewissen meldete sich und drängte sie dazu, ein weiteres Mal zu rufen, diesmal lauter: "Entschuldigung? Ich, ähm, hätte eine Frage...zu diesem Werk." Langsam, aber sicher stieg die Besorgnis und ratlos stand Melody an der Theke, nicht wissend, was sie nun unternehmen sollte. Die Frau hatte auf ihre Rufe nicht geantwortet und gab auch sonst kein Lebenszeichen von sich. Mittlerweile waren fast fünfzehn Minuten vergangen, seit der unheimliche Mann die Buchhandlung verlassen hatte. Normalerweise wäre die Besitzerin direkt mit ihm aus dem Lagerraum gekommen, oder hätte ihn zwei bis drei Minuten später verlassen. Melodys Sorge erreichte den Höhepunkt und ihre Gedanken überschlugen sich. Sie fasste einen Entschluss, zögerte nicht lange und ignorierte das 'Nur für Mitarbeiter'- Schild, dass am Eingang zum hinteren Teil der Theke hing. Tief durchatmend folgte sie der Frau in den hinteren Teil der Buchhandlung, unwissend, was sie dort erwarten würde.
Hallöchen!
Ich weiß, mieser Cut, aber ich muss mal ein bisschen Pause machen! XD
Schreibe jetzt schon drei Tage lang an dem Kapitel und das ist schon Zeitaufwand. Aber wie ihr hoffentlich wisst, geht es bald weiter und es bleibt spannend :)
Schreibt mir mal in die Kommentare, wie ihr das Buch findet und ansonsten fleißig weiterlesen, Kommentare schreiben und Voten ♡
- ʟɪᴛᴛʟᴇꜱᴇᴄʀᴇᴛꜱᴛᴏʀʏ -
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