Kapitel 8
Es schien als hätten die Lehrer ihren Lehrplan abgesprochen, denn auch in der folgenden Stunde übten sie praktisch. Ihr Lehrer Mr. Swiff brachte ihnen bei die Luft zu bewegen und damit Wind entstehen zu lassen, was Miriam zuerst beeindruckte, aber auch relativ schnell gelang. Sie hatte außerdem eine für sie unglaubliche Entdeckung gemacht. Die Luft war nicht nichts, sie bestand aus ganz vielen kleinsten Teilchen.
Danach machte sie sich auf in den Essenssaal. Das Frühstück hatte sie weggelassen, aber sie war es sowieso nicht gewohnt so oft und so viel zu essen, wie die anderen, also machte es ihr nichts aus. Miriam nahm sich ein Tablett und einen Teller und ging damit zu dem Buffet, das sich mehrere Meter lang hinzog. In riesigen Töpfen, die von kleinen Feuern warm gehalten wurden, dufteten die Speisen. Sie entschied sich für einen Topf mit Klößen in einer dicken braunen Soße und nahm sich auch noch ein bisschen gekochtes Gemüse.
Allein setzte Miriam sich an einen der Tische unten und bestaunte erneut die vielen Ebenen über ihr.
Sie fühlte sich verletzlich, so wie sie hier saß. Alle anderen hatten ihre Gruppen mit denen sie aßen, redeten und lachten, nur sie nicht. In diesem Moment wünschte sie sich Mo mit seinen Freunden hierher, aber so sehr sie ihre Blicke durch den riesigen Saal schweifen ließ, sie konnte ihn nicht ausmachen.
Miriam verschlang ihr Essen förmlich und holte sich dann noch eine Portion, die ebenso schnell verschwunden war. Sie hatte noch nie so etwas köstliches gegessen. Mit prall gefülltem Magen brachte sie ihr Geschirr weg und verließ den Speisesaal wieder.
Sie ging wieder in den Garten zum Teich. Diesmal waren viele Leute hier, weshalb sie beschloss nicht weiter zu üben, sondern die Sonne zu genießen. In der Mittagssonne wurde ihr sehr schnell warm und ihre Haut begann zu kribbeln. Das einzige was sie störte waren die vielen Stimmen um sie herum. Sie hatte es viel schönes gefunden, als der Garten heute morgen noch verlassen gewesen war.
Die Zeit verging viel zu schnell und sie musste wieder zum Unterricht. Diesmal stand Erdelement - Grundlagen bei Professor Flick auf dem Stundenplan. Flick war alt, doch trotz seines Alters in einer unfassbar guten Form. Unter seiner Kleidung zeichneten sich seine Muskeln ab und er war breit gebaut. Seine grauen Haare hatte er lang wachsen lassen und seinen Bart geflochten.
Er stellte sich als strenger Lehrer heraus. Zwei Schüler die zu spät kamen verdonnerte er zu hundert Liegestützen, während er den Unterricht normal weiter führte. Diesmal wurde nicht praktisch gearbeitet. Miriam lernte etwas über die Techniken des Verformens von Felsen.
Flick erklärte: "Um mit dem Element Erde umgehen zu können braucht ihr immer eine direkte Verbindung. Ihr könnt also keinen Stein verformen solange er sich nicht auf dem Boden, oder in eurer Hand befindet. Zudem muss eure Magie, also eure Willensstärke, sehr stark sein. Auf Wasser, Wind und Feuer können auch normale Menschen ohne Hilfsmittel Einfluss nehmen. Das Wasser können wir ohne Probleme in Behälter füllen, eine Kerze können wir auspusten und nutzen gleichzeitig den Wind, aber mit Felsen ist das nicht so einfach. Sie widersetzen sich uns Menschen. Mit manchen Werkzeugen kann man sie zwar trotzdem Formen, doch mit der bloßen Hand ist es für den normalen Menschen unmöglich.
Deshalb ist das Erdelement am schwierigsten zu kontrollieren. Je stärker eure Magie ist und je besser eure Fähigkeiten sind, desto weniger Kraft werdet ihr benötigen. Also solltet ihr, wenn ihr nicht außerordentlich talentiert seid mit einem täglichen Training anfangen, da ich jedoch weiß, dass die meisten von euch keine Disziplin haben, werde ich unseren Unterricht für die nächsten Wochen um eine Stunde verlängern, in der ihr gemeinsam mit mir trainieren werdet. Erst wenn ich glaube, dass ihr stark genug dafür seid, werde ich mit der Erdmagie in die Praxis gehen."
Er schaute streng die Klasse an. Und dann auf die beiden Schüler, die immer noch mit ihren Liegestützen zu kämpfen hatten.
"So wie es scheint habt ihr noch viele Stunden harten Trainings vor euch und damit werdet ihr direkt anfangen. In fünfzehn befindet ihr euch alle am Tor. Zieht euch etwas an, indem ihr gut laufen könnt. Allen Nummern kann ich etwas geben."
Miriam war auch eine Nummer. Für alle Familienlosen, die keinen Familiennamen hatten, wurden Zahlen verwendet. Sie war die Dreizehn bei den neuen Novizen und damit auch die Dreizehnte die ohne Hab und Gut hier angekommen war.
Ein dürrer Junge blieb mit ihr im Raum. Professor Flick musterte sie. "Mit solchen wie euch habe ich immer am meisten Scherereien. So ausgehungert brechen mir immer wieder welche zusammen. Dort hinten sind Sportsachen."
Er deutete auf eine große, Holzkiste, mit dicken Eisenscharnieren hinten im Klassenraum.
Zusammen mit dem Jungen stemmte Miriam die Kiste auf. Der Deckel war noch schwerer als sie gedacht hatten. Ihnen wehte ein muffiger Geruch entgegen. In der Kiste lagen weite, dünne Baumwollhosen und Shirts, alle in einem olivgrünen Farbton. Miriam griff nach einer der Hosen, die nicht ganz so groß aussah und fischte nach einem passenden Oberteil. Der Junge tat es ihr gleich. Als sie fertig waren, ließen sie die Truhe wieder zuschnappen.
Professor Flick war schon gegangen und beide beeilten sich, sich umziehen zu gehen und zum Tor zu kommen. Miriam kam gerade noch rechtzeitig. Der Gedanke an Flicks Strafen hatte sie zu besonderer Eile angetrieben. Sie wusste, dass sie hundert Liegestütze nicht schaffen würde, vielleicht noch nicht einmal eine, deshalb musste sie unbedingt den Strafen entgehen.
Professor Flick schaute in die Ferne, dann drehte er sich plötzlich um und sagte: "Versucht mit mir mitzuhalten! Bis zum Ende der Einheit werdet ihr alle fünf Runden um das Schloss gerannt sein. Davor werdet ihr nicht aufhören."
Sie hörte einen der Jungen neben sich.
"Das Schloss hat etwa einen Durchmesser von einem Kilometer, dann sind das mit den Umwegen die wir wahrscheinlich um die Felder herumlaufen müssen etwa zwanzig Kilometer."
Miriam konnte mit den Längenangaben nichts anfangen, aber das Schloss war wirklich riesig und es fünfmal zu umrunden schien ihr eine wirklich unmögliche Aufgabe, zumal es immer noch unerträglich heiß war.
Professor Flick gab ein zügiges Tempo vor. Sie sah wie die ersten losrannten und bemühte sich hinterher zu kommen. Die erste Runde um das Schloss erschien ihr ewig lang und sie war vollkommen aus der Puste, als sie wieder vorne am Tor ankam. Doch die Klasse hielt nicht an. Alle rannten weiter, während Miriams Glieder brannten und sie kaum einen Fuß vor den anderen zu setzen vermochte. Trotzdem war sie entschlossen die anderen vier Runden auch noch zu schaffen. Immer wieder lief sie ein kleines Stückchen, bis sie wieder nach Luft japsend stehen bleiben musste. Als sie tatsächlich die zweite Runde geschafft hatte, kamen von hinten die anderen wieder und überrundeten sie, jedoch schienen nicht mehr ganz so viele von der Klasse noch bei der Truppe zu sein. Andere müssten auch irgendwo auf der Strecke zurückgelassen worden sein. Miriam kämpfte immer weiter. Die dritte Runde war geschafft, der Schweiß rann ihr in Bächen den Körper hinunter und sie sehnte sich nach etwas zu Trinken. Da sah sie wie Flick zusammen mit nur noch zwei verbleibenden Schülern die fünfte Runde abschloss. Während Flick gelassen in die Ferne schaute, japsten die Schüler um ihn herum nach Luft. Miriam war trotzdem von ihnen beeindruckt, da sie das Tempo bis zum Schluss durchgehalten hatten. Vor ihr lagen noch zwei Runden.
Sie fokussierte sich auf ihr Ziel und lief erneut los. Sie merkte wie die Zeit verging. Die Sonne stand immer tiefer und zu ihrer Freude wurde es auch etwas kühler.
In der Ferne sah sie schon das Tor. Flick stand immer noch davor und betrachtete die ankommenden Schüler. Zu ihrer Überraschung stand Mo neben ihm. Er lächelte ihr entgegen, als er sie in der Ferne entdeckte. Miriam schöpfte aus ihren Kraftreserven und viel in einen leichten Trab, um sich nicht vor ihm zu blamieren. Sie wusste nicht wieso, aber seine Meinung war ihr wichtig.
Als sie kurz vor dem Tor war rief Professor Flick ihr zu: "Noch eine Runde für dich, du bist die letzte. Motaka wird dich begleiten und die anderen die auf der Strecke verblieben sind aufsammeln."
Mo gesellte sich zu ihr und innerlich stöhnte Miriam auf. Jetzt würde auffliegen, dass sie sich nur auf den letzten Metern bemüht hatte gut auszusehen. Doch kaum waren sie um die Ecke blieb Mo stehen. Er lächelte sie an: "Flick ist streng, aber eigentlich ein guter Kerl. Wenn du dich wirklich anstrengst wird er dich akzeptieren, egal wie klein deine Fortschritte sind."
Dann hielt er ihr einen Trinkschlauch hin. Miriam dankte ihn und trank ein paar große Schlücke. Dann gab sie ihm seinen Schlauch zurück. Sie liefen langsam weiter. Da entdeckte Miriam drei Schüler ihrer Klasse, die sich vor dem Laufen drückten und sich durch eines der kleinen hinteren Tore wieder ins Schloss schlichen.
Mo schien das Laufen genauso wenig anzustrengen wie Flick. Er deutete auf die Schüler und meinte: "Sie denken vielleicht so können sie dem Training entkommen, aber Flick hat hier alles im Blick er weiß, wer sich anstrengt und wer nicht. Sie werden ihre Strafe noch bekommen."
Dann liefen sie wieder eine Weile still weiter. Nur der keuchende Atmen Miriams durchbrach die Abendruhe. Als sie mehr als die Hälfte der Runde geschafft hatten, sah sie den dürren Jungen, der wie sie eine Zahl war, auf dem Boden liegen. Mo rannte schnell zu ihm herüber und gab ihm etwas von dem Wasser. Es schien nichts Ernstes zu sein, was Miriam beruhigte. Mo rief ihr zu: "Lauf weiter, ich bringe ihn kurz auf sein Zimmer und komme dann wieder." Mo hob den Jungen hoch als wäre er nicht und lief in einem unglaublichen Tempo auf eine der Seitentore des Schlosses zu.
Wenn ich doch nur seine Kraft hätte, dachte Miriam bei sich. Sie erinnerte sich an die Worte von Flick der die Willensstärke angepriesen hatte und an Anton, der ihr gesagt hatte, sie solle die Zähne zusammen beißen und kämpfen und genau das wollte sie. Sie hatte sich ihr Ziel gesetzt und sie würde jetzt nicht aufhören zu laufen bis sie die Runde geschafft hätte. Als sie wusste das es nicht mehr weit sein konnte, hörte sie schnelle Schritte hinter sich. Mo kam wieder. Er sagte nichts weiter, denn er sah wie Miriam zu kämpfen hatte um überhaupt auf den Beinen zu bleiben. Das Tor kam in Sichtweite, sie keuchte nur noch ein paar Meter. Als sie ankam war die Sonne schon vollends hinter den Bäumen verschwunden, kaum hatte sie das Tor durchquert brachen die Beine unter ihr zusammen. Zitternd und keuchend lag sie am Boden. Mo beugte sich zu ihr runter, stützte ihren Kopf und gab ihr den Wasserschlauch. Gierig leerte sie ihn.
Mo hob sie hoch. "Ich werde dich auf dein Zimmer bringen. Flick hat dafür gesorgt das du und ein paar andere Morgen frei bekommt. Du wirst dich noch sehr darüber freuen. Heute war schrecklich, aber ich würde mich wundern, wenn du morgen überhaupt aus dem Bett kommst."
Miriam brachte ein gehauchtes "Danke" zustande, zu mehr war sie gerade nicht in der Lage. Während Mo sie mühelos, als wäre sie eine Feder zu ihrem Zimmer trug und als Elena aufmachte, Miriam auf ihr Bett legte.
Danke an Artgirl89 für das schöne Cover :D
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