Kapitel 4
Ihre feuchte Kleidung ließ sie frieren, doch die Erschöpfung war stärker, sodass sie trotz der Unannehmlichkeiten die ganze Nacht über in einen leichten Schlaf fiel. Am Morgen, als die Luft sich wieder langsam erwärmte, kroch sie aus ihrer Hütte. Sie begann damit sich zu strecken. Jeder ihrer Muskeln schien zu schmerzen und durch die eisige Kälte schien sie ganz steif geworden zu sein. Müde schleppte sie sich zu dem Strauch mit den Beeren und schmiss sich ein paar der von ihnen in den Mund. Dann ging sie zum Bach und trank ein bischen Wasser.
Immer noch erschöpft legte Miriam sich danach in die Sonne, um sich aufzuwärmen. Wenn sie doch nur wüsste wie sie ein Feuer machen könnte um die Kälte in der Nacht fern zu halten. Doch sie hatte keine Ahnung wie sie das bewerkstelligen sollte. Langsam kehrte die Wärme in ihren Körper zurück. Sie spürte das prickeln der Sonne auf ihrer Haut und richtete sich wieder auf. Sie zog sich den Mantel wieder an und warf nochmals einen Blick auf die Taschenuhr - kurz nach zehn.
Miriam beschloss loszugehen und sich auf die Suche nach mehr Essen zu machen. Ihre Füße schmerzten heute sogar noch mehr als am Vortag. Es dauerte nicht lange, da fand sie einen Apfelbaum, doch die Äpfel waren leider noch grün und hingen hoch oben in den Ästen, für sie also erstmal nicht zu erreichen. Aber sie war nicht lange weiter gegangen, bis sie einen Strauch mit lecker aussehenden, kleinen, roten Beeren fand. Sie nahm sich ein paar und probierte. Sie schmeckten nicht gerade lecker, sie waren für ihren Geschmack etwas zu scharf und sie beschloss sich keine weiteren davon mitzunehmen.
Sie ging weiter um nach etwas Besserem zu suchen, doch plötzlich fing es in ihrem Mund an zu brennen. Sie spürte wie ihre Lippen und ihre Zunge anfingen anzuschwellen. Verdammt! Anscheinend waren die Beeren giftig gewesen. Sie steckte sich den Finger in den Hals und versuchte zu erbrechen. Es gelang ihr auch, jedoch nahm das ungute Gefühl dadurch nicht wirklich ab.
Miriam hustete; hatte Angst das die Zunge zu sehr anschwellen würde, sodass sie nicht mehr atmen können würde. Sie war dem Tod in letzter Zeit einfach viel zu häufig zu Nahe gekommen. Würde er sie diesmal wirklich it sich nehmen? Immer mehr Panik breitete sich in ihr aus. Hatte sie den gestrigen Tag nur überlebt um heute zu sterben? Das konnte doch nicht sein.
Sie bekam Kopfschmerzen und ihr wurde schwindelig. Sie konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und sackte zusammen. So lag sie nun auf dem Waldboden und starrte in den klaren blauen Himmel. Alles um sie herum schien zu verschwimmen und sie zuckte ein paar Mal als sich ihr Bauch verkrampfte - Tut mir leid, Anton. Ich habe versucht zu überleben.
***
Ein Schatten bewegte sich am Rande ihres Sichtfeldes. Ihre Gedanken waren zu wirr um ihn einzuordnen. Ihr Kopf wurde gestützt und sie bekam irgendwas in den Mund gesteckt. Reflexartig schluckte sie. Der Schatten entfernte sich wieder. Wirre Stimmen waren zu hören. Dann plötzlich schien sie zu fliegen - der Himmel kam ihr unerwartet nahe. Dann drehte sich alles. Es war zu viel für sie. Miriam schloss ihre Augen und spürte nur ein gleichmäßiges Rückeln unter sich, zusammen mit einer angenehmen Wärme.
***
Miriams Kopf fühlte sich immer noch an als würde er zerbersten, jedoch klärte sich langsam ihr Verstand. Als sie versuchte sich an die verschwommenden Schnipsel zu erinnern, wurde ihr klar, dass irgendjemand sie im Wald gefunden und gerettet hatte. Ihre Lieder schienen tonnenschwer zu sein, als sie versuchte sie zu öffnen, doch irgendwie schaffte sie es. Im ersten Moment war sie von der Helligkeit, die sie umgab, geblendet. Doch dann klärte sich ihr Sichtfeld. Sie lag in einem weichem Bett, in einem Saal mit riesigen Fenstern. In dem Raum standen noch andere Betten, doch die meisten waren leer. Nur auf einem saß ein Junge, mit etlichen Verbänden am Körper, der leise mit einer Frau redete, die verzweifelt gestikulierend vor ihm stand.
Der Junge hatte lange, gelockte, schwarze Haare, die er locker in einem Zopf zusammen gefasst hatte. Er sah anders aus, als die Personen die sie kannte. Er hatte bronzefarbene Haut und war überall mit goldenen Ketten und Lederbändern geschmückt. Außerdem wirkte er nicht schlaksig und dürr wie die Jungen aus ihrer Welt, sondern war wohlgenährt und muskulös.
Als hätte sie Miriams Blick bemerkt, drehte sich die Frau um. Sie trug die Kleidung einer Krankenschwester. Sie schaute Miriam ernst an und kam zu ihr rüber. Mit tadelnder Stimme begann sie zu sprechen: "Mensch Mädchen, du hast mir aber Sorgen bereitet. Was hat ein junges Ding wie du allein im Wald zu suchen? Als Jonathan mit dir hier ankam, hätte man dich fast füt tot halten können. Nur ein bisschen später und ich hätte nichts mehr für dich tun können. Weißt du eigentlich wie leichtsinnig es ist Pflanzen zu essen, die man nicht kennt?! Und dann suchst du dir auch noch eine der giftigsten Pflanzen aus! Ab zehn Beeren ist Seidelbast tödlich! Du wolltet dich doch nicht etwa umbringen?!" Sie schien sich immer mehr in Rage geredet zu haben und versuchte sich nun mit einem tiefen Atemzug zu beruhigen. "Nun gut, genug davon. Ich habe dich ja irgendwie noch entgiftet bekommen. Versprich mir nur das du nicht wieder so leichtsinnig bist." Miriam nickte nur überrascht von der Fürsorglichkeit der alten Dame.
Die Frau sah sie mit bohrendem Blick an. "Welcher Gruppe bist du zugehörig?", fragte sie dann. Miriam war verwirrt. "Gruppe?", platzte es heiser aus ihr heraus. Und da schien auch die Frau zu verstehen. "Du bist noch nicht im Schloss gewesen." Ein ungutes Gefühl beschlich Miriam. Die Frau musste zu den Weltenwanderern gehören. Würde sie ihr auch gleich nach dem Leben trachten?
Sie versuchte aufzustehen und dem plötzlichen Drang wegzulaufen zu folgen, doch es fiel ihr unerwartet schwer. Die Frau hatte keine Mühe sie mit einer Hand wieder auf die Matratze zu drücken. Ihr Gesicht wurde mit einem Mal weicher. "Es muss alles sehr verwirrend für dich sein, doch das du hier bist bedeutet, dass du durch das erste Prüfungsportal gekommen sein musst. Bleib liegen. Ich werde einen Professor holen." Die Frau eilte durch eine großes, knarrendes Tor aus dem Saal heraus.
Erst jetzt bemerkte Miriam, dass der Junge mit den Verbänden sie ansah. Sein Blick war forschend und als sie ihn erwiderte begann er zu lächeln. "Ich dachte ich rette einen verirrten Grüni, doch anscheinend bist du eine ganz frische Novizin." Miriam dachte nach und ihr wurde bewusst, dass sie es ja tatsächlich geschafft hatte die Prüfungen des Portals zu überstehen. Das man danach eine Novizin war hatte sie in ihrem Überlebensmodus ganz verdrängt.
"Wo genau bin ich hier?"
"Weißt du das wirklich nicht?"
Miriam schüttelte den Kopf. Das hätte sie nicht tun sollen. Ihre Kopfschmerzen flammten erneut heftig auf.
"Du bist in der Schule der Weltenwanderer. Hier kommt jeder an, der zum ersten Mal ein Portal benutzt."
Die Schule der Weltenwanderer. Sie erinnerte sich an den Mann auf der Straße. Hatte er nicht gesagt sie solle hier hin kommen?
Der Junge brach in schallendes Gelächter aus. "Man sieht dir richtig an, wie die Zahnräder in deinem Kopf anfangen zu rattern. Gahahaha." Als er sich wieder halbwegs beruhigt hatte sah er sie wieder mit durchdringenden Blick an.
"Bist du rechts oder links lang gegangen?"
"Wie bitte?"
"Ich meine in der Zwischenwelt, Prüfungsphase, Seelingang oder wie auch immer es in deiner Welt genannt wurde."
Einen Augenblick dachte Miriam nach. "Links."
Der Junge zog die Augenbrauen zusammen. "Weißt du was lustig ist. Man würde denken, dass die Hälfte der Absolventen nach rechts und die andere Hälfte nach links gegangen ist, doch wenn du hier die Leute fragst, sind die meisten nach rechts gegangen. Dort warten anscheinend ein Haufen voll Monster auf einen, die man besiegen muss, bevor man zum Portal kommt. Nur wenige sind nach links gegangen. Aber ich freue mich jedes Mal, dass ich es getan habe. Meine alte Welt war ziemlich grau und trist und all die Blumen die man dort gesehen hat waren so wunderschön, ich kann mich heute noch an jedes Detail erinnern." Ein seeliges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
Dann sah er sie wieder mit seinem durchdringenden Blick an. "Wie bist du dem Feuer und dem verdammten Rauch entkommen?" Miriam hatte mitlerweile verstanden, das anscheinend alle die gleiche Prüfung absolvieren mussten.
"Ich bin in den Teich gesprungen."
"Der Teich... Auf die Idee bin ich nicht gekommen. Aber ich glaub ich wäre auch nicht mehr schnell genug hingekommen. Das Feuer hatte mich in dem Moment schon eingeschlossen. Ich fing an mit einem Stein auf die Kuppel einzuschlagen und irgendwann gab sie nach. Ich wurde nach draußen geschleudert. Ich hatte das Gefühl auseinander gerissen zu werden, doch ich wollte nicht sterben. Da habe ich meine Magie entdeckt und das Portal hat sich geöffnet."
"Magie?"
"Ja, du musst sie doch auch entdeckt haben. Sonst wärst du nicht hier."
Miriam konnte sich noch an das Aufleuchten der Uhr erinnern, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass das ihre Magie gewesen sein sollte. "Nein, ich besitze keine Magie. Ich wäre fast ertrunken und ganz unten am Teich war einfach ein Portal, durch das ich durchgefallen bin."
"Du kannst hier viel erzählen, aber man kann nicht in diese Welt gelangen ohne Magie zu besitzen. Vielleicht hast du sie im bewusstloden Zustand benutzt, ohne es selbst zu..."
Die Tür wurde geöffnet und die Frau kam zurück im Schlepptau einen alten, kleinen, rundlichen Mann. Miriam musste sich ein Lachen verkneifen so ulkig sah er aus. Er hatte eine riesige Brille auf seiner kleinen, spitzen Nase, die seine Augen unnatürlich groß erscheinen ließ. Seine Wangen waren tiefrot, als hätte ihn jemand hinein gekniffen und sein gesamtes Gesicht wurde von einem wuscheligen Bart umrahmt. Er trug einen viel zu großen, bunten Strickpullover, der ihm bis zu den Knien ging und darunter eine lange, weite Hose die in offenen Sandalen mündete.
Seine durch die Brille vergrößerten Augen musterten sie kurz dann drehte er sich zu der Frau. "Mrs. Mavel. Wie sieht es aus; wann kann ich sie zur Einstufung mitnehmen?"
"Heute Abend sollte sie wieder imstande sein, sich normal körperlich zu betätigen."
"Gut."
Sein Blick ruhte nun wieder auf Miriam. "Miss, wie ist ihr Name?"
Sie schluckte ihre Heiterkeit hinunter, dann antwortete sie: "Miriam." Auch wenn der Mann ulkig aussah, musste sie sich zusammenreißen. Er war hier anscheinend einer der Lehrer und sie wollte es sich nicht gleich verscherzen.
"Miriam, ein schöner Name. Ich glaube wir haben noch keine Miriam auf der Schule..." für einen Moment wirkte er leicht abwesend, doch dann fragte er weiter, "Und von welcher Welt kommst du?"
"Ich.. ich weiß es nicht.. Ich wusste noch nicht einmal, dass meine Welt einen bestimmten Namen besitzt", stotterte sie verwirrt von der Frage.
"Das sagt schon vieles aus, Miss. Ich bin Professor Gallewin, der Leiter der Versorgungsgruppe. Zuständig dafür, dass alle hier auf dem Schloss genügend zu Essen und zu Trinken haben. Ich werde dich später im Schloss herumführen und dir alles zeigen. Es erscheint dir vielleicht im Moment noch etwas surreal, doch du bist jetzt eine Novizin, ein Teil unser kleinen Gemeinschaft hier. Du musst keine Angst haben. Egal was du in deiner alten Welt, oder während der Prüfung erlebt hast. Das hier ist der sicherste Platz im ganzen Universum."
Seine sanfte Stimme ließ Miriam tatsächlich alle ihre Sorgen vergessen.
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