Kapitel 7.3

N'Arahn versuchte, eine andere Position an der hohen Lehne seines Stuhls zu finden. Eine, in der er sich nicht wie eine blanke Klinge fühlte.

Die anderen Besucher waren erträglicher gewesen, entschied er, während er beobachtete, wie Veidja sich von dem Adjutanten faszinieren ließ. Sie hatte die bisherigen Angebote mit eher steinerner Miene über sich ergehen lassen, war kühl und distanziert geblieben. Den einen oder anderen hatte sie sogar mit kaum verhohlenem Ekel betrachtet.

Rackhar, ein Berg von einem Kriegstreiber mit der Farbe und dem Charme von Asche auf Eis, hatte ihr beispielsweise nicht einmal das Hochziehen einer Augenbraue abringen können. Sein Auftritt war auch weniger ein Angebot als eine Drohung gewesen, gewürzt mit Beleidigungen. Sollte sie nicht für ihn kämpfen wollen, würde er sie eben auf dem Schlachtfeld oder in einer Arena erschlagen. Sie sei so mickrig, dass er das nicht einmal selbst tun müsste, der geringste seiner Diener würde völlig ausreichen.

Als der Höllenfürst seine Tirade losgeworden war und der Engel jede Reaktion vermissen ließ, war Rackhar wieder abgezogen. N'Arahn hatte seinen schnellen Abgang nicht bedauert.

Auch Krehn, eine Ränkeschmiedin mit deutlich feineren Manieren als denen des Kriegstreibers, hatte den Schlachtenengel nicht aus der Reserve locken können. Die angesehene Dämonin hätte eigentlich auf einen Einzeltermin bestehen können, doch sie war sich ihres Einflusses so sicher, dass es sie nicht interessierte, ob jemand sie geringer schätzen würde, weil sie sich in die Linie der Interessenten einreihte, zu Adjutanten und ungeduldigen Höllenfürsten.

Bei ihrem Besuch hatte sie Veidja höflich begrüßt und dann ungezwungen mit N'Arahn geplaudert. Natürlich ließ sie einige Vorzüge ihres Lebensstils, der sich in Prunk und gesellschaftlicher Teilhabe deutlich von dem des Herrn der Festung unterschied, in das Gespräch einfließen, doch blieb sie in ihrer Art unaufdringlich. Sicher, das war ihre Form der Umgarnung, eine Saat zu setzen und ihr beim Aufgehen zuzusehen. Doch er hatte gespürt, dass die Kriegerin misstrauisch geblieben war.

Sie hatte Krehn genau gemustert. Ihre wallende bunte Kleidung, die den üppigen Körper verbarg und gleichzeitig umschmeichelte. Die Krallen an den Händen, zwar überaus gepflegt, doch sichtbar zu lang und dick für simple Fingernägel. Die kurzen, mit Ringen geschmückten Hörner an ihren Schläfen und die längeren Stachel, die an Schultern und Ellbogen durch die Kleidung stießen.

Obwohl die Höllenfürstin keine besonders bedrohliche Erscheinung war und Zurückhaltung sowie Freundlichkeit ihre Haltung gegenüber dem Engel prägten, schien Veidja sie als gefährlich einzustufen. Womit sie natürlich Recht hatte.

Im Laufe der Besuche war ihm aufgefallen, dass Veidja Neugierde oder Überraschung zwar zu verbergen versuchte, sie aber durchaus nicht ausschließlich abgestoßen war von den so unterschiedlichen Gestalten, die sich mit ihr oder N'Arahn unterhielten. Trotzdem war sie immer distanziert und vorsichtig geblieben.

Was, bei Blut und Dreck, war jetzt anders? Beinahe hätte er mit den Zähnen geknirscht. Vorsichtig prüfte der Höllenfürst die Schatten. Nahm der Adjutant vielleicht besonderen Einfluss? Nein, das war es nicht. Er nutzte seine Energie nur, um die Bilder entstehen zu lassen. Vielleicht etwas Suggestion in Richtung des Engels, doch nichts, was ihre Reaktion erklären würde.

Gerade zeigte der Lockenkopf ein Modell der Festung seiner Herrin: Weißer Stein, grüne Stoffe; N'Arahn erinnerte sich, dass das die Farben der Höllenfürstin waren, Weiß und Grün.

Völlig versunken betrachtete Veidja die Bilder, neigte ihren Kopf seitlich, als könne sie dem Dämonen so besser lauschen. Und wieder dieses Lächeln.

Warum siehst du mich nicht so an?

Moment. Das klang nicht nach ihm. Er seufzte verhalten. Es interessierte sich ja eh gerade niemand für ihn, also würden sie das wohl überhören. Auch wenn es ihm ein ungebeten schmerzhaftes Ziehen bescherte, beobachtete er weiter das Gesicht seines Engels ohne einzugreifen.

Der Adjutant war aufgestanden und verbeugte sich tief vor dem Engel. Seine Stimme passte zu seinem sonstigen Erscheinungsbild: Kultiviert, zuvorkommend, für N'Arahns Geschmack ein wenig zu enthusiastisch. Doch Veidjas Blick folgte ihm, fast ein wenig entrückt. Sie schien nur ihn zu sehen und alles andere auszublenden.

Er begann wirklich, diesen unwerten Dämon zu hassen.

„Teuerste, darf ich um ein Zeichen Eurer Gunst bitten? Nur eine Kleinigkeit, die ich in meiner Seele einschließen darf?" Der Herr der Festung wollte kotzen. Wer redete denn so?

„Würdet ihr mir Eure Flügel zeigen?" Seine Haltung war ganz Unterwerfung und Bitte. Er ist gut. Eine Welle von Hitze brandete durch N'Arahn, doch er konnte nicht sagen, ob vor Wut oder Entsetzen. Sein Kopf ruckte zu Veidja herum.

Bevor der Engel reagieren konnte, hatte der Adjutant hinzugesetzt: „Wartet, ich zeige Euch zuerst meine!"

Der Höllenfürst hätte auch ohne den jubelnden Ausruf des Dämons sagen können, wann dieser seine Schwingen entfaltete. Etwas zerbrach in seinem Engel. Ihre Augen weiteten sich, sie hielt den Atem an. Blinzelte einmal langsam, atmete dann tief durch. Da war sie wieder, die Distanz.

Was hatte der Adjutant getan?

Doch der angehende Verführer stand nur da, in einer Pose, die seine durchscheinenden, beinahe gläsern wirkenden Flügel gut zur Geltung kommen ließen. Sie schillerten; einzelne Platten, ähnlich angeordnet wie Federn, schoben sich mit leise klirrenden oder schabenden Lauten übereinander. Die Flügel passten hervorragend zu seinem sonstigen Erscheinungsbild, was fast verwunderlich war. Ausschließlich ihre Flügel konnten die Dämonen in keiner Weise verändern, so dass so mancher Eitle unter ihnen sie lieber nie zeigte, wenn sie zu sehr von seinen Vorstellungen abwichen. Bei diesem Adjutanten stimmte alles; er hatte wahrscheinlich noch eine großartige Laufbahn vor sich.

Nur nicht hier und jetzt.

„Geh. Du bist hier fertig."

Mit einem Blick auf den Engel, in dem sich seine Verwirrung deutlich abzeichnete, ließ der Lockenkopf seine Flügel wortlos verschwinden. Er verbeugte sich kurz vor dem Höllenfürsten und verließ eilig den Saal. Er hatte ebenfalls die Veränderung an der Kriegerin gespürt, verstand aber nicht, was geschehen war.

N'Arahn hätte sich gerne gerühmt, dass er die Gründe für den Stimmungsumschwung des Engels durchschaute, doch er hatte höchstens eine vage Ahnung.

Er signalisierte seinem Hauptmann, dass es eine kurze Pause geben sollten, worauf sich der Saal leerte und alle Türen geschlossen wurden.

Müdigkeit und, hm, Trauer, wenn er es richtig erkannte, strahlten von Veidja ab. Der kurze Blick, den sie ihm zuwarf, war ungewohnt stumpf, doch schien auch etwas Dankbarkeit mitzuschwingen. Mit der Verschnaufpause hatte er wohl richtig gelegen.

„Brauchst du etwas?" Sie schüttelte nur stumm den Kopf. Dann streckte sie sich und stand auf, um ein paar Schritte vor den Stühlen auf und ab zu gehen.

„Wie viele noch?"

Es war ungewöhnlich, dass sie ihn ansprach. Vielleicht ein Zeichen ihrer Erschöpfung.

„Nur ein paar." Er griff in die Schatten und entzog ihnen einen kleinen Becher, den er mit etwas Mana füllte. Geschmacksneutral, es gab gerade keinen Grund eine Diskussion anzufangen.

Sie hatte ihm den Rücken zugedreht, also erhob er sich, um ihr den Becher zu bringen. Sanft berührte er sie an der Schulter, trotzdem zuckte sie zusammen. Ebenfalls ungewöhnlich und ganz sicher kein Ausdruck von innerer Gelassenheit. Ein mulmiges Gefühl machte sich in seinem Bauch breit.

Sie ist angeschlagen. Nutze das. Zieh sie auf deine Seite. Manipuliere sie.

Sie ist angeschlagen. Gib ihr Zeit. Lass sie Vertrauen fassen.

Sie ist angeschlagen. Beschütze sie.

Was sollte er tun?

Den Weg einschlagen, der seiner Bestimmung entsprach?

Oder den, der vielleicht eine Art Mittelding darstellte?

Oder folgte er dieser neuen Stimme. Dieser unvernünftigen, gefährlichen Weisung, die sich langsam zu einem Zwang auswuchs?

„Hier, trink. Es hilft sicher."

Veidja hatte sich halb zu ihm umgedreht und musterte ihn. Fuhr sein Gesicht mit ihren Blicken nach, blieb an seinen Hörnern hängen, folgte dem Schwung seiner Haare bis zu seiner Schulter, fixierte seine Narbe am Hals.

Als wären es nicht ihre Augen, sondern ihre Fingerspitzen, die ihn abtasteten, fühlte N'Arahn jeden Blick als Spur auf seiner Haut, berauschend und verstörend zugleich. Bevor der Engel das beginnende Zittern seiner Hände bemerken konnte, drückte er ihr den Becher in die Hand und unterbrach sie so.

Als ihre Finger sich kurz berührten, griff er mehr aus Reflex als aus bewusster Entscheidung nach ihren Gedanken. Sie war kein Dämon, also konnte er sie eigentlich nicht lesen, doch dieses Mal... Eindrücke von hellen Türmen, grünen Hängen und zahllosen lichten Gestalten flackerten kurz auf und erloschen. Dann Flügel, weiße Federn. Und Trauer, schmerzhafte Einsamkeit.

Tief in N'Arahn brüllte etwas wie ein waidwundes Tier. Darum hatte sie auf den Adjutanten so seltsam reagiert.

Die Verbindung brach, als Veidja ihre Hand zurückzog, um zu trinken. Sie hatte nicht gemerkt, was sie preisgegeben hatte und schaute nun gedankenverloren die Tischreihen im Saal entlang. Der Höllenfürst trat einen Schritt zurück, noch benommen von der Erkenntnis. Schwäche flutete ihn für einen Moment, halb Erleichterung, halb Verzweiflung.

Nicht hilfreich. Reiß dich zusammen.

Mit einem Räuspern brachte N'Arahn seine Stimme unter Kontrolle. „Komm. Bringen wir den Rest auch noch hinter uns."


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