Kapitel 7.1
Die Müdigkeit hatte sich in ihre Knochen gesetzt, lähmte sie, seit sie vor Seinen Thron gezwungen worden war. Sie versuchte nicht daran zu denken, Ablenkung gab es in der Kammer jedoch kaum.
Eine Weile hatte sie geschlafen, doch auch wenn ihre Seele gerne noch etwas Zuflucht in der Umarmung des traumlosen Dunkels gefunden hätte, war ihr Geist rastlos geworden.
Jetzt saß sie an der Kante ihres Bettes, mit hängendem, schmerzenden Kopf und versuchte zu ignorieren, dass ihre Kleidung noch nach Asche und Unangenehmerem roch.
Wie geht es nun weiter?
Müde. Wund. Zerschlagen. Leer.
Bisher hatte sie immer noch etwas Zuversicht in sich gefunden. Und wenn ihr diese ausging, hatten Trotz und Sturheit übernommen, die ihr bei allen Rückschlägen eine Brücke zur nächsten Insel an Hoffnung bauten.
Aber jetzt gerade wusste sie nicht mehr, woran sie sich noch klammern sollte. Vom stetigen Strom an Zuneigung und Unterstützung abgeschnitten. Allein. Nur Feinde um sie herum. In wenigen Umläufen wurde eine Entscheidung fällig, die sie im Grunde nicht treffen konnte, wollte sie sich nicht verlieren. Und dann Er.
Es war eine Gnade, dass sie sich kaum erinnern konnte, was mit ihr vor Seinem Thron geschehen war. Zersetzung. Sterben. Ihres, das anderer Engel, jeglichen Gefühls, des Lebens selbst. Veidja zitterte wieder, jedes Mal, wenn die Erinnerungsfetzen sie einholten.
Warum nicht einfach aufgeben? Sie konnte hier nicht gewinnen, konnte nichts herausschlagen. Vielleicht, wenn sie aufgab, würden die Dämonen schnell das Interesse an ihr verlieren. Sie würde eine Weile leiden müssen, aber dann würden sie sie töten. Oder einfach vergessen... Es war gleichgültig.
Ihr Kopf lag schwer in ihren Händen, ihre Ellbogen bohrten sich in ihre Knie.
Schwer. Einsam. Dunkel.
Veidja atmete flach. Ihr war bewusst, dass Panik am Rande ihrer Wahrnehmung lauerte, war sich aber nicht sicher, ob sie sie noch zurückdrängen wollte.
Wie lange sie so dasaß wusste sie nicht und sie reagierte auch kaum, als die Tür zu ihrer Kammer geöffnet wurde.
Sie wurde geholt, um ein Bad zu nehmen und ihre Kleidung zu wechseln, als hätte sie bloß in der Arena gekämpft. Das, was hinter ihr lag, war schlimmer. Sie wehrte sich nicht gegen die Routine, aber dieses Mal konnte sie nicht einmal einen Hauch Genuss fühlen, während das warme Wasser ihre Haut reinigte. Sie wusch sich geistesabwesend ab, stellte sich in den Luftstrom und zog sich die bereitgelegte Kleidung an. Hosen, Bänder, ein Hemd mit Stehkragen, alles in gedämpftem Grau. Wie passend.
Sie war schneller fertig als sonst, also setzte sie sich auf den Boden, Kopf und Rücken an die Wand gelehnt und wartete, möglichst ohne zu denken. Sie starrte in das Wasser des Beckens, zählte die winzigen Wellen, die sich aus Gründen, für die sie sich nicht zu interessieren in der Lage sah, bildeten.
Als sich die Tür öffnete, blieb sie einfach sitzen. Wozu beeilen? Milde überrascht nahm sie den Geruch des Höllenfürsten wahr. Nicht deine Diener dieses Mal?
„Komm."
Sicher, warum nicht. Befehle zu befolgen kostete sie gerade am wenigsten.
Langsam stand der Schlachtenengel auf. Ihr Körper gehorchte ohne Murren, aber ihr Blick blieb trübe auf den Boden geheftet. Sie folgte dem Dämon, ging seinen leisen Geräuschen hinterher, ohne aufzusehen. Den Willen, herauszufinden wohin er sie führte, brachte sie nicht auf.
Erst als N'Arahn stehenblieb, sah sie sich ohne Interesse um. Der Gang war aus dem gleichen schwarzen Gestein geschlagen oder geformt, wie alle anderen Gänge der Festung des Kriegstreibers, doch endete dieser vor einem verschlungenen Gittertor. Wirbelnde Schatten verhinderten, dass Veidja erkennen konnte, was hinter dem Tor lag.
N'Arahn legte eine Hand auf die Gitterstäbe und zeichnete mit der anderen sein Siegel auf eine neben dem Tor eingelassene Metallplatte. Die Schatten zwischen den Metallstäben zogen sich zurück und unwillkürlich machte der Engel einen Schritt nach vorne, um besser sehen zu können.
Der Höllenfürst drehte sich zur Seite und winkte sie einladend heran.
„Ich möchte dir etwas zeigen."
Nur flüchtig sah sie ihn an, ließ den forschenden Blick seiner strahlend grünen Augen an sich abgleiten. Dieses Gefühl, diese Neugierde, sie wollte sie nicht verlieren. Sie war überzeugt gewesen, dass sie nicht mehr so fühlen könnte, dass nichts sie aus ihrer inneren Dunkelheit holen würde. Doch nun... Das hier war etwas Besonderes, Wichtiges. Sie spürte es einfach.
Und da war dieser Geruch. Fremd, aromatisch.
Mit wenigen Schritten war sie an dem Dämonen vorbei. Hinter dem Tor öffnete sich der Gang zu einem weiten und hohen Raum. Vielleicht so groß wie die Arena, waren die wirklichen Ausmaße dieser Höhle schlecht abzuschätzen, denn überall wuchsen Pflanzen.
Ein Garten!
Veidja blickte sich fassungslos um. Nicht eine der Pflanzen kannte sie, alle hatten seltsame Farben, von Rot über Violett bis zu Grau und Braun; Grün war höchstens als Farbtupfer zu sehen. Einige der Pflanzen schienen Früchte zu tragen. Die Luft war feucht und nicht zu warm.
Fast hatte sie vergessen, dass N'Arahn hinter ihr stand. Das leise Klicken des sich schließenden Tors erinnerte sie wieder daran.
Sie wandte sich nur halb zu ihm um, wollte diese Fülle an Leben nicht aus den Augen lassen. Gierig, durstig sog sie die Luft ein, die die Gerüche mit sich trug, die sie am Tor gelockt hatten. Hätte sie den Duft mit einem Wort beschreiben müssen, wäre es lebendig gewesen.
„Wie...?" Wie hatte er das gemacht? Wie war es möglich? Doch sie konnte die Antwort des Höllenfürsten nicht abwarten, musste näher heran.
Bevor sie loslaufen konnte, hielt N'Arahn sie am Arm fest.
„Langsam." Er lächelte. „Nicht alles hier ist ungefährlich." Dann ließ er sie wieder los.
Für einen Moment sah Veidja ihn an, ihr Blick plötzlich wieder klar. Sie atmete frei. Der Höllenfürst sah über ihren Kopf hinweg in diesen seltsamen Wald. Er wirkte... zufrieden, vielleicht sogar glücklich. Und erleichtert? Warum ließ er sie einfach gehen?
Später.
Veidja ließ sich von den Pflanzen, ihren Farben und Gerüchen verschlucken, nutzte keinen der Wege, sondern drang abseits weiter vor in diese Oase tief im Stein. Das Licht hier stammte nicht von Fackeln oder Feuern, sondern von Kristallen und moosartigen Pflanzen, die die Wände bedeckten. Es konnte nicht die Sonne ersetzen, aber das Leben in dieser Höhle benötigte anscheinend nicht so viel, war an karge Ressourcen gewöhnt. Und trotzdem war es prächtig. Der Schlachtenengel lachte, als ein Tropfen von einem riesigen Blatt kalt an ihrem Nacken zersplitterte. Das Leben findet immer einen Weg.
Ihre Füße glitten über die weichen Moospolster am Boden. Fast tanzte Veidja. Die Schwärze und Hoffnungslosigkeit, die sich ihrer bemächtigt hatte, wichen vor diesen kleinen, ungetrübten Freudetupfern zurück. Der Engel fühlte sich zunehmend kräftiger und leichter.
Vor ihr öffneten sich die Pflanzen zu einer Lichtung, überschattet von einem gewaltigen Baum, der bis zur Decke der Höhle zu reichen schien. Veidja staunte, schritt langsam um den imposanten Stamm herum. Die Rinde war rau und rissig; sie konnte sich gut vorstellen, an ihr hinaufzuklettern. Wie wohl der Blick aus seiner Krone über den Garten war?
Ein Rascheln ließ sie herumfahren. Etwas hatte sich zwischen den großen Blättern am Rande der Lichtung bewegt. Da, wieder; dieses Mal konnte sie das Schwanken einiger Äste beobachten.
Plötzlich schoss ein kleines Tier hervor, ein Wirbel aus grauen Schatten. Es jagte mit hektischen, langen Sprüngen zur nächsten Deckung, die langen Ohren eng an den gestreckten Körper gelegt.
Wie kann...
Veidja hatte kaum den Anblick des flüchtenden Hasens verarbeitet, als wieder ein Schatten aus dem Gebüsch sprang. Der geschmeidige Jäger stoppte abrupt, als er den Engel sah. Der Hase war nicht vergessen, doch der Wolf blickte sie aus wachsamen Bernsteinaugen an. Nur ein Augenblick gefrorener Zeit, dann verschwand das Raubtier wieder im Unterholz, der Beute nach.
Der Engel stieß den Atem aus, den sie unwillkürlich angehalten hatte.
„Faszinierend, nicht wahr?" N'Arahn Stimme war direkt an ihrem Ohr.
- - - - -
Veidja zuckte nicht zusammen. Beeindruckend. Er war sicher, dass sie ihn nicht bemerkt hatte.
Er wusste, er hatte den Moment, ihre Versunkenheit gestört. Das bedauerte er zwar, aber er hatte den Stolz auf sein Werk nicht länger zurückhalten können.
Der Garten war sein Geheimnis, seine Zuflucht. Wenn er sich erholen musste, kam er hierher. Und wie es aussah, hatte der Garten auch auf den Engel eine belebende Wirkung. Er hatte es gehofft. Der Besuch beim Herrn der Hölle hatte Veidjas Licht auf eine Art gedämpft, die genauso beunruhigend für ihn gewesen war, wie damals ihr Erlöschen aufgrund des Mangels an Sonnenlicht.
Sie wusste es noch nicht, aber sie war bereits einmal hier gewesen. Er hatte sie getragen und in die Krone des Baumes gebracht, unter dessen ausufernden Ästen sie nun standen.
Es hat geholfen. Ihr Licht ist zurück. Mit geradezu betäubender Erleichterung hatte N'Arahn beobachtet, wie sein Engel den Garten erkundete. Ihr Lachen hatte ihm den Atem genommen, jede Faser seines Körpers unter brennender Anspannung.
Er hatte ihr den Garten sowieso zeigen wollen, doch als er sie vorhin abgeholt hatte, sie so geschlagen und verhangen sah... Waren das wirklich seine Worte gewesen, dass Hoffnung ein armseliges Konzept ist? Ein Selbstbetrug und nur etwas für Schwächlinge? Er würde mal ein ernstes Wort über engstirnige Sichtweisen mit sich reden müssen.
Veidja drehte sich zu ihm um, verschränkte langsam die Arme. Ihre Augen hatten den gleichen wachsamen, abwartenden Ausdruck, wie die des Schattenwolfs. Und die gleiche Farbe...
„Wie?" Sie war wirklich kein Freund großer Reden. Aber sie würde sich etwas genauer ausdrücken müssen, wenn sie an seinen Geheimnissen Teil haben wollte. N'Arahn lehnte sich mit der Schulter an den Baum und zog nur eine Augenbraue hoch.
Der Engel nickte leicht, als wollte sie ihm zugestehen, dass er mehr verlangen konnte.
„Wie ist das möglich? Die Pflanzen. Die Tiere." Sie machte eine Handbewegung, die die ganze Höhle einschloss.
Der Höllenfürst neigte den Kopf zu Seite.
„Ich bin ein ziemlich mächtiger Dämon. Falls du das noch nicht mitbekommen hast", grinste er. Ah, er konnte es einfach nicht lassen, sie zu necken. Dieser ungeduldige Ausdruck auf dem Gesicht des Engels war zu schön. Aber heute wollte er sie nicht wirklich verärgern.
Ernster erklärte er: „Es hat sehr lange gedauert. Ich konnte nur Samen herüberbringen." Er zuckte mit den Schultern. „Die Tiere sind nicht echt." Sein Blick wanderte zu dem Gebüsch, in das der Wolf verschwunden war. „Aber ein Schattenleben ist besser als gar keines."
Es hatte eine Zeit gegeben, in der er länger unter Menschen war. Damals hatte er sich auch entschlossen, Seinen Hof so gut wie möglich zu meiden, sich von den anderen Höllenfürsten weitgehend zurückzuziehen. Die Menschen hatten ihn zwar nicht sonderlich interessiert, aber er war doch irritiert gewesen, wie sie brutal übereinander herfallen konnten, um sich dann mit Hingabe der Aufzucht von Tieren und dem Hegen von Pflanzen zu widmen. Nicht ausschließlich, um sich zu ernähren.
Er hatte es selbst nicht von sich erwartet, doch seine Neugierde brachte ihn dazu, Energie für die Erforschung dieses verwirrenden Verhaltens auszugeben. Was konnte so fesselnd an einem Garten sein?
Es war schwierig, aber nicht unmöglich, Gegenstände durch die Portale zu ziehen. Alles nur eine Frage der Energie, die man bereit war, dafür aufzubringen. Allerdings fehlte diese dann an anderer Stelle, bei N'Arahn also für das Erschaffen und Erhalten seiner Festung und Legionen, weshalb er äußert vorsichtig hatte vorgehen müssen. Jeder Besuch des anderen Reiches brachte ihm eine Handvoll Erde ein, ohne die hier nichts gewachsen wäre. Einzelne Samen waren das Höchste, das er mitbringen konnte, lebendige, wachsende Pflanzen wären zu teuer gewesen, zu auffällig. Tiere... Sie überlebten den Gang durch ein Portal nur eine kurze Zeit, in der sie aber schon dem Wahnsinn verfallen waren.
Dennoch hatte sein Garten mehr gebraucht, als nur seine eigene Pflege. Trotz der Pflanzen, die nach und nach wuchsen, wenn auch nur als verdrehte und veränderte Versionen, blieb der Garten irgendwie leer.
Also erschuf er Tiere aus Schatten. Halbstoffliche Illusionen, die verschwanden, sobald der Höllenfürst den Garten verließ. Er wusste, dass es ungebührlich war, wie viel Zeit er in dieser Höhle verbrachte. Wie viel Seiner Ressourcen er verwendete, um seinen Garten am Leben zu halten. Und doch saß er immer wieder unter dem alten Baum und ließ sich von dem Treiben der Schattentiere und dem langsamen Rhythmus der Pflanzen umspülen. Es beruhigte ihn, hielt seinen Kopf kühl und klar.
Der Schlachtenengel sah ihn noch immer unverwandt an. Spürte sie, wie viel ihm dieser Ort bedeutete?
Mit einem Ruck löste N'Arahn sich von dem Stamm, blickte in die Äste hinauf und legte eine Hand flach auf die Rinde.
„Sieh hinauf."
Es war ein Kraftakt, sich gegen den Schutz der Festung zu stemmen, die Höhlendecke aufzubrechen und den roten Sand daran zu hindern, seinen Garten zu verschütten. Doch er war geübt darin, gönnte dem alten Baum immer wieder etwas Zeit in der Sonne.
Durch einen höchst willkommenen Zufall schien ein Lichtstrahl durch das dichte Blätterdach genau vor Veidjas Füße. Die Augen des Engels wurden groß. Für einen Moment war ihre Beherrschung dahin, schmolz ihr innerer Schild, ihr Widerstand sichtbar.
N'Arahn hatte sie überrascht. Er sah zu, wie die Erkenntnis durch sie brandete, wie das Licht sie erfüllte, als sie ihr Gesicht in das flackernde Aufleuchten hielt.
Ein Schaudern lief über seine Haut; er konnte den Blick nicht von der Kriegerin wenden.
Der Stolz und die Erleichterung, die er empfunden hatte, als er Veidjas Reaktion auf seinen Garten sah, wie angenommen er sich gefühlt hatte, war nichts gegen das Glücksgefühl, dass ihn nun durchströmte. Sein Engel glühte, wirkte so... ganz. Wild. Lebendig. Wunderschön.
Viel zu schnell war dieser Moment wieder vorbei. Veidja trat einen Schritt zurück, aus dem Lichtstrahl heraus. Doch in ihren Augen schien die Sonne noch nachzuhallen. Sie hatte nie gefragt, wie er ihren Pakt damals hatte erfüllen können. Jetzt wusste sie es. Er hatte ihr dieses Geschenk machen wollen, egal wie sie sich entschied. Wobei er nicht leugnen wollte, dass er auch hoffte, dass dieses Wissen die Waagschalen etwas zu seinen Gunsten verrückte.
Sorgfältig verschloss N'Arahn die Höhlendecke wieder. Dann geleitete er Veidja zum Tor und zu ihrer Kammer. Sie schwiegen beide auf dem Weg dorthin, wachsam, erfüllt von neuen Gewissheiten.
Wenn sie ging, war die Höhe seines Verlustes wahrscheinlich gerade gestiegen. Der Garten war aus gutem Grund ein Geheimnis. Und doch bereute er nichts.
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