Schuld


Ein kalter Wind zog von Morkhul aus den Berg hinunter. Schneeflocken tanzten in den schwachen Böen und begrüßten die aufgehende Sonne. Sie fingen das Licht der Morgendämmerung ein und ließen den Berg in einen blutigen Rot erstrahlen. 

Wen man von den betrüblichen Ereignissen im Keller des Tempel, welcher oben auf der Bergspitze thronte, absah, so war es doch ein ruhige Nacht gewesen.  Es war eine Nacht wie jede Andere auch und so unterschied sich auch der Morgen kaum vom gestrigen. Die Lärchen zwitscherten, die Nachtigallen verstummten und das Getier, welches im Wald am Fuße des Berges lebte, begann langsam aufzuwachen. Frischer Morgentau bildete sich auf den Nadeln der Tannen und tröpfelte in den kalten, matschigen Schnee. Frühjahrsblüher kämpften sich hoch zu einem Leben an der Erdoberfläche, genau wie sie es den Tag zuvor getan hatten. Ein Stamm von Waldameisen krabbelte in einen toten Baum herum, wo sie Schutz vor den eisigen Morgenwind hatten. 

Der Wind streichelte die Äste der Bäume und tänzelte über die Steinklippen, wo Runhild bereits stand. Doch irgendetwas war anders an ihr. Sie trug einen dunklen Lederharnisch und ein altes Eisenschwert, nicht die verwaschenden Lumpen, die sie von den Priesterinnen bekommen hatte. Ihr Gesicht war kalt und steif als hätte man es aus  Eis geschnitzt. Normalerweise konnte man alle ihre Gedanken darin ablesen, egal ob sie von freudiger oder boshafter Natur waren. Sie wirkte nicht einmal mehr wie ein richtiger Mensch. Blaue Adern zogen sich um ihren ganzen Körper und in ihren Augen war nichts mehr als eine stumme, traurige, weiße Leere, die in den Wald vor ihr starrte. 

Runhild war natürlich noch da. Sie war ganz weit in eine Ecke gedrängt worden. Dafür hatte der Allfluch gesorgt, welcher nur mit einen Auftrag in den Wald gekommen war.

'Vernichte die Banditen'; diese Worte füllten sein Inneres. Es war für diesen Moment seine Bestimmung, diesen Befehl zu befolgen. Für Gurdur war es nicht mehr als ein Testdurchlauf. Wenn der Allfluch so mächtig sei wie die alten Legenden es sagen, dann wäre dieser Auftrag ein Kinderspiel für ihn. Sie blieb trotzdem in dieser Zeit in Morkhul, nur falls doch etwas schief gehen sollte. 

Der Allfluch stampfte durch den Schnee und machte sich direkt auf dem Weg zum Lager der Banditen. Das Lager war eine stillgelegte Mine. Vor einer Ewigkeit wurde hier Eisen abgebaut, aber nicht für sehr lange. Im Frühjahr, wenn das Eis und der Schnee auf den Berg anfangen zu schmelzen, steigt der Grundwasserspiegel extrem an. Keiner hatte damals die armen  Bergarbeiter gewarnt als in ihrer Mine ein kleiner Fluss entstand und das Arbeiten quasi unmöglich wurde, da aus allen Rinnen Wasser kam. Am Ende schloss die Mine und war nun das Zuhause einer kleinen Räuberbande, die es für eine gute Idee hielten alte Pilger zu bestehlen. Mit den unerwünschten Wasserzufluss konnten sie sich abfinden, doch sie wussten nicht, dass ihr Handeln, die Priesterinnen von Morkhul dazu brachten eine weit aus schlimmere Plage zu wecken.

Der Allfluch erreichte eine Hütte, die damals den Arbeiter als Unterkunft diente. Jetzt war sie nur noch ein verkohlter Holzhaufen, doch ihre Feuerstelle wurde immer noch genutzt. Ein Mann saß daneben und rührte mit einen Stock in der Brühe herum. Er trug einen dicke Umhang aus Bärenfell, welcher ihn vor der Kälte schützte. Sein Kopf hob sich geschwind als er im Unterholz etwas knarzen hörte. Sofort nahm seine Axt, die er neben sich hingelegt hatte. 

"Wer ist da?", rief er in den Wald und versuchte die Ursache des Geräusches zu finden. Doch er sah nichts als den kalten Morgenwind wie er an den Ästen raschelte. Der Bandit warf einen letzten misstrauischen Blick in die Leere, bevor er sich umdrehte. Ein fataler Fehler. Im Moment, wo er sich umdrehte bemerkte er ein rothaariges Mädchen hinter hin. Mit einem Satz war sie bei ihn und der Mann konnte nichts tun als schreien als er ihr Gesicht sah. 

Es war ein kurzer Schrei, aber gerade laut genug, dass alle Banditen in der Mine alarmiert waren. Den Allfluch schien das überhaupt nichts auszumachen. Mit geschmeidigen Schritten betrat er  den Stollen. Blut tropfte noch von seiner Klinge in den weißen Schnee. Es dauerte nicht lange bis der zweite Räuber auf das Mädchen traf. Er konnte allerdings den Anblick dieser unnatürlichen Kreatur besser verarbeiten als sein Vorgänger. Nicht das es ihn viel gebracht hätte. Der Allfluch musste sich kaum bewegen, da lag er schon auf den Boden.  Die mädchenhafte Gestalt stieg über seinen Leichnam und stolzierte weiter ins Innere des Bergwerks. 

Runhild beobachtete die Szenerie in der Ecke ihres Verstandes aus. Ein nagendes Gefühl breitete sich in ihr aus. Das waren doch nur Banditen gewesen. Sie waren Diebe und somit böse Menschen gewesen. Es gab keinen Grund ein schlechtes Gewissen zu haben. Zudem war nicht sie diejenige, die diese sündhaften Sellen ins Jenseits schickte. Sie hatte keinerlei Kontrolle über ihren Körper und so blieb ihr nichts anderes übrig als den Allfluch bei seinem Abschlachten zu zugucken. 

Ein halbes Dutzend Männer näherten sich den rothaarigen Mädchen gleichzeitig. In ihren Augen brannte keine Wut über ihre verstorbenen Kameraden, sondern Angst und aus dieser Angst wurde Entschlossenheit. Sie wollte dieses Ding vor ihnen töten, egal was dafür notwendig wäre. 

Sie wollte sich gleichzeitig auf die Gestalt stürzen und somit überwältigen, doch dieser Zug scheiterte schnell als der Allfluch plötzlich einen riesigen Feuerball in seiner Handel beschwörte und ihn auf die Menge warf. Die Banditen sprangen zur Seite. Die Flammen trafen einen von ihnen in der Brust und verletzte zwei die daneben standen. Die Beiden wollten sich nicht einschüchtern lassen und liefen mit erhobenen Schwertern auf den Allfluch zu. Dieser parierte den Schlag des ersten Angreifers und trat den Zweiten in die Brust, sodass er nach hinten taumelte. Mit einer geschickten Bewegung durchschnitt die Gestalt die Kehle des einen Banditen und durchstach mit einen zweiten Hieb den Taumelnden. Die drei anderen Angreifer hatten sich in der Zeit wieder aufgerappelt und verfolgten ihre Strategie von Vorhin, doch der Allfluch kam ihnen zuvor. Mit einen Sprung war er bei ihnen. Nur durch Glück konnte der Anführer von ihnen den Schlag ausweichen. Diesmal wich der Allfluch aus als der linke Angreifer, ein grauhaariger Mann mit einen Auge, mit den Schwert auf ihn einstechen wollte. Er duckte sich und schnitt im Schwung den rechten Mann den Bauch, sodass sein Inneres zu Boden entglitt. Er schrie auf und begann sich instinktiv nach hinten zu beugen um einen höheren Blutverlust zu erleiden. Der Allfluch nutzte die Gelegenheit und stellte den Mann ein Bein und ließ ihn gegen die Felswand fallen. Die Gestalt parierte einen mächtigen Hieb des Anführers, indem sie seinen Angriff  zum Einäugigen schwenkte. Er traf ihn zwar nicht, doch stolperte er etwas nach vorne. Die Chance nutzte das Mädchen und hämmerte ihr Schwert zwischen seine Rippen. Mit einer unnatürlichen Kraft zog sie es wieder heraus und enthauptete den Einäugigen in einer windigen Umdrehung. 

Runhild war erschrocken, aber auch fasziniert von den Fähigkeiten des Allfluches. Sie konnte nicht glauben, dass er mit ihrer Hand gezaubert hatte. Eine Blutlache bildete sich auf den Boden  und floss in den kleinen Bach, der sich durch die Gänge zog.

Der Allfluch wollte gerade weiter ziehen als plötzlich etwas ihn von hinten rammte. Der Mann, der den Feuerball abbekommen hatte war noch am Leben und hatte mit letzter Kraft mit seinem Schwert die unheimliche Gestalt von hinten durchbohrt. Er atmete erleichtert auf im Glauben, dass er seine Gefährten gerächt hätte, doch das Mädchen fiel nicht um. Sein Gesicht verzehrte sich vor Schreck als er sah, dass der Allfluch das Schwert einfach aus seinen Rücken zog. Er erhaschte noch einen Blick in die leeren, weißen Augen, bevor die Kreatur es in gleich tat und das herausgezogene Schwert in seinen Rücken pfählte. Die Wunde schloss sich innerhalb von Augenblicken und der Allfluch ging tiefer in die Minen.

Sein Auftrag war noch nicht erfüllt. Ein Mitglied des Banditengruppe gab es noch, das es auszulöschen galten.  Die Stollen waren ungewöhnlich leise geworden. Ein unheimlicher Schleier hatte sich über sie gelegt. Sie kamen  zu einen Knotenpunkt der Tunnel, wo Kisten und Säcke mit Material und Vorräten gestapelt waren. Ein schlunzendes Atem aus einen der Fässer erhielt die Aufmerksamkeit der Gestalt. Es war sehr leise und  heiser. 

Plötzlich hob sich der Deckel und ein kleiner Junge sprang heraus. Er wollte fliehen, doch der Allfluch war schneller und packte den Buben am Kragen.

"Nein!", flehte Runhild. "Das ist ein Kind, nur ein kleines Kind! Tue ihn nicht weh. Hörst du? Tue ihn nichts!" Doch ihre Stimme fand keine Zunge, die sie für sich aussprechen konnte.   Alles stand unter den Einfluss des Allfluches und dieser hörte nicht auf sie. 

Runhild schrie! Sie schrie wie eine Furie als der tote Knabe zu Boden fiel und doch konnte sie keiner hören.

Der Auftrag war erledigt und der Allfluch zog sich zurück die Ecke, wo vorher ihr Verstand verweilte. Es war an der Zeit, dass Runhild ihren Körper wieder bekam.

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Es war ein kalter Morgen und der Wind streichelte über die Äste der Tannen.  Schritt für Schritt zwang ich mich aus der Mine. Mein Gesicht war rot angeschwollen und von Tränen übersät. Mein Atem war flach und schwer. Als ich es endlich aus den Höllenloch geschafft hatte, begrüßten mich die hellen Strahlen der Sonne und das Zwitschern der Vögel. Das Blut der Banditen klebte noch an mir und ich konnte meinen Würgreflex nicht mehr unterdrücken. Ich übergab mich über den blutverschmierten Schnee und stützte mich an einer Felswand ab. Der Allfluch hatte mir all meine Kraft geraubt. Am Liebsten hätte ich mich hingelegt und meinen Körper den Wald und seinen Tieren hinterlassen. Es wäre ein besseres Schicksal gewesen, als dass ihn der verdammte Allfluch wieder bekommt. 

So saß ich schlunzend im Schneematsch, während ich darauf wartete das die Kälte oder sonst irgendetwas mich holen würde.  Bis auf einmal eine Frau auf mich zu hatte. Sie hatte einen Wanderstab bei sich und trug einiges an Reisegepäck mit sich. 

"Runhild!", rief Hedda entsetzt aus als mich anblickte. Sofort nahm sie ihren Umhang ab und begann mich darin einzuwickeln. 

"Es ist gut. Alles wird gut", versicherte sie mir, während sie mich versuchte warm zu reiben. "Wir müssen jetzt gehen. Komm! Wenn wir jetzt nicht gehen wird Gurdur dich holen. Komm!"

Sie half mir aufzustehen und stützte mich als wir durch den Wald liefen.

"Ich habe furchtbare Dinge getan", heulte ich und vergrub mein Gesicht in den weichen Mantel.

"Ich weiß. Ich weiß, mein Kind. Es ist nicht deine Schuld", sie warf mir eine mitleidigen Blick zu und klopfte mir sanft auf den Rücken. 

"Wie hast du mich gefunden? Hast du gewusst, was sie vor hatten?", fragte ich nach einer Weile. Meine Lippen zitterten und waren schon ganz blau vor Kälte.

"Ich habe es geahnt.", gab sie zu. "Oder hätte besser gesagt was ahnen sollen. Aber jetzt ist keine Zeit zum Reden. Du musst deine Kräfte sparen. Und jetzt lass uns zu sehen wie  wir von diesen viermal verfluchten Berg runter kommen!"


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Hallo meine kleinen Ninjas,

ich habe drei Kapitel innerhalb von sieben Tagen geschrieben. Ich weiß nicht wie es euch geht, aber für mich ist das ein Rekord. Was man nicht alles in Quarantäne schafft, nicht wahr?

Bleibt auf jeden Fall dran, wenn ihr wissen wollt wie es weiter geht.

LG,

eure Halb-Ninja



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