Morkhul
Morkhul war einmal das Zentrum der Macht. Die Heimat der mächtigen Priesterinnen von Oltmur. Nun war es kalt und dunkel und feucht und in den langen Steinhallen verstaubten die Erinnerungen glanzvollerer Tage. Seine Hüterinnen zogen einst die Fäden der Welt. Sie verführten Könige und befehligten Armeen. Ihre Magie war berüchtigt und gefürchtet. Ihr Wissen um die Geheimnisse des Universums fast so alt wie die Menschheit selbst.
Doch jene Tage liegen weit zurück.
Morkhul ist nun ein Ort, wo die Priesterinnen sich zurückgezogen haben um von der neuen Welt vergessen zu werden. Sicherlich gibt es noch einige alte Gläubige bei denen sie noch hohes Ansehen genießen, doch diese Menschen bekommen eigentlich nie eine echte Zauberin der vier Allmächtigen zu Gesicht. Ihre Macht lebt nur noch von Geschichten und Legenden. Ihr Tempel ist zu ihren Grab geworden und zu meinem Gefängnis.
Ich war vierzehn Jahre alt, als meine Mutter mich zu ihnen schickte. Meine Mutter diente den Priesterinnen als Wächterin. Wächterinnen sind ausgewählte Frauen, die den Zauberinnen als Leibgarde dienen. Als der Krieg um Neethram begann, schloss meine Mutter sich König Eirik an, um als Schildmaid an seiner Seite zu kämpfen. Dort lernt sie auch meinen Vater Hallgrim kennen. Um mit ihn eine Familie zu gründen, verließ sie den Orden. Trotzdem hoffte sie, dass ich als ihre einzige Tochter, die gleiche Ausbildung wie sie erhalten würde.
Sie starb letzten Winter. Man erlaubte mir nicht zu ihrer Beerdigung zu gehen. Stattdessen hörte ich mir an, was für eine feige Verräterin sie doch war, während ich mit halberfrorenen Händen den Boden schrubbte.
Ich hatte hier in Morkhul noch nie ein Schwert in der Hand gehalten und noch nie war mir eine Wächterin begegnet. Somit war ich, hoch oben in Morkhul, allein mit den Priesterinnen und hatte die Ehre ihren Dreck wegzuräumen, wenn sie sich wieder hinter einen der vielen verschlossenen Türen versammelten.
Meine Kammer befand sich hinter den Kamin im Speisesaal, sodass es dort wenigstens warm war. Die Schlafgemächer der Priesterinnen lagen stattdessen im hellen Ostflügel. Dicke, schwere Federbetten hielten die Tempelhüterinnen in den dunklen Nächten warm. Es war kein angenehmer Ort. Einst mussten diese Gemächer prächtig gewesen sein, Abdrücke von riesigen Gemälden, die vor langer Zeit dort hängten, erinnerte dran, jetzt wirkten die Räume auf mich wie Krankenzimmer. Der Geruch von alten Menschen verdünnte die Luft.
In Morkhul gab es keine jungen Priesterinnen mehr. Bevor ich hier her geschickt wurde, flogen sie aus, in der Hoffnung das Leben zu führen, das ihre Vorgängerinnen vor ihnen hatten. Ein Leben in Luxus und mit politischer Macht. Ich konnte sie gut verstehen. Dieser abgeschiedene Ort spendete für keinen Trost oder Hoffnung. Weder für mich, für die Pilger oder die Priesterinnen selbst. Wäre das Versprechen, welches ich meiner Mutter gab, nicht gewesen, so hätte ich bei der nächstbesten Gelegenheit die Pilger auf den Weg nach Hause begleitet.
Ich beobachtete die Pilger oft, die hier vorbei kamen. In ihren Gesichtern lag oft ein Schatten der Melancholie. Sie mussten sehr verzweifelt sein, um die tausenden Treppenstufen, die nach Morkhul führten, zu besteigen. Es muss schrecklich sein, eine solche anstrengende und gefährliche Reise zu bewältigen, nur um am Ende doch keine Hilfe zu erhalten. Ich frage mich, ob es für sie enttäuschend ist, das Zentrum der geistlichen Macht zu besuchen, nur um dann festzustellen, dass es quasi nur noch eine Ruine ist.
Die Pilger durften in Morkhul nur zwei Räume betreten. Das Foyer, wo die Statuen der vier Allmächtigen standen, die sie anbetten konnten, und ein ungeheizter Saal auf der linken Seite, der mit Stroh und alten Matten zum Schlafen ausgelegt war.
Nie erhielte diese armen geplagten Menschen seelische Unterstützung von den Zauberinnen. Tagsüber versteckten sie sich in einen der vielen abgeschlossen Bereiche, wo meine Anwesenheit strengstens untersagt war. Immer wieder warfen sie mir verstohlene Blicke zu und damit wusste ich, dass ich lieber nicht erfahren wollte, welche düsteren Gedanken in ihren Köpfen schwebte.
In den letzten Wochen kamen keine Pilger mehr zu uns. Dies beunruhigte sogar Gurdur- die Matriarchin von Morkhul- da die gesamte Versorgung des Tempels durch die Mitbringsel der Gläubigen abhing. Sie schaute aus den Fenster als würde der Anblick des funkelnden Schnees ihre eine Vision zur Lösung des Problemes zeigen. Gurdur hatte das Gesicht einer starrköpfigen Autorität und den verweichlichten, dicklichen Körper von einem Leben im puren Luxus. Der Ausdruck Sorge passte ihr nicht.
"Ich mach mir langsam Gedanken", gestand ich der alten Priesterin als sie wieder am Fenster stand.
"Dann solltest du vielleicht einfach nicht Denken", schnaubte sie grimmig.
"Was glauben Sie, was mit den Pilgern gesehen ist?" Ein merkwürdiger Schauer begleitete mich seit Tagen. Wir waren hier oben so abgeschottet. Ein Krieg oder eine Hungersnot könnten das Land bereits verwüstet haben und wir würden erst Monate später davon erfahren.
"Ach, die", Gurdur zuckte mit den Schultern. "Wahrscheinlich wurden Sie von den Banditen überfallen, die ihr Lager in einer Höhle in der Nähe aufgeschlagen haben."
Ich war außer mir! "Banditen!? Es gibt Banditen auf den Berg? Habt Ihr da keine Angst, dass sie hierher kommen?"
Die Zauberin erhob stolz ihre Schultern. "Wir sind die großen Priesterinnen der allmächtigen Vier. Unsere loyalen Wächterinnen, nicht so wie deine Mutter, beschützen uns."
"Die Wächterinnen sind nicht hier!"
Gurdur zuckte erneut mit den Schultern. "Das entbindet sie noch lange nicht von ihren Eid!"
Sie dreht sich um als wäre sie des Gespräches müde geworden. "Sobald die Sache mit diesen Gesindel erledigt ist, werden die wahren Gläubigen wieder herkommen. Sorg dafür, dass das Foyer bis dahin sauber ist, Erinur."
Ich warf Gurdurs Rücken einen wütenden Blick zu. Mein Name war nicht Erinur. Erinur war meine Mutter gewesen.
"Ich heiße Runhild", verbesserte ich eingeschnappt. "Und das wissen sie auch! Sie mögen mich zwar bis zum beginn meiner Ausbildung in der Hand haben, aber ich werde Ihnen niemals das Recht geben, mir meinen Namen entehren zu lassen."
"Du bist die Tochter eines Krüppels und einer Verräterin. Ich kann niemanden entehren, der keine Ehre hat", erwiderte sie bissig. "Und jetzt erledige deine Arbeiten, Rotschopf."
Ich schaute sie mit zusammengekniffen Augen, doch zwang mich keine weiteren Widerworte zu äußern. Gurdur war immer noch eine mächtige Zauberin, trotz ihres hohen Alters und ihrer abstoßenden Persönlichkeit. Außerdem konnte ich ohne ihren Segen nie eine Wächterin werden und somit in die Fußstapfen meiner Mutter treten. Deswegen war sie im Moment noch im Vorteil, doch ich konnte es kaum erwarten bis endlich meine Ausbildung anfangen würde und ich für immer diesen schrecklich depressiven Ort verlassen konnte.
Ich holte auf dem Weg zum Foyer einen rostigen Eimer und ein abgenutztes Putztuch aus einer kleinen Abstellkammer am Ende des Flurs des Erdgeschosses und stellte die Utensilien neben der vierköpfigen Statur. Wie immer war es kalt im Altarzimmer und ich legte meine beiden Hände auf die Brust und schaute zum Kopf, der den Krieger abbilden sollte.
"Ich hoffe, du hast mich hier oben nicht vergessen, Gunskyt.", bettete ich. "Du weißt, welche Fähigkeiten ich habe. Bitte lass mich nicht bei den alten Hexen, wo sie nur versauern."
Sollte ich vielleicht auch zu den anderen Allmächtigen meine Worte richten? Es blieb mir allerdings fern, wie sie mir helfen konnten. Morna war die Mutter der Natur und die Natur der Mutter. Sie war für ihr Mitgefühl bekannt, jedoch wusste ich nicht, ob sie mich anhören würde, seit dem ich keine Mutter mehr habe. Magus war der Schöpfer aller magischen Geschöpfe. Mein Großvater Grimdur erzählte mir, dass er die ehrenhaften Menschen verabscheute und er deswegen den schwachen und korrupten Seelen die Macht der Magie gab. Eine Behauptung, die sich hier in Morkhul leider bestätigt hatte. Doch noch schlimmer als Magier waren heimtückische Diebe und hinterhältige Meuchelmörder, deren verdorbenes Wesen unter den Deckmantel von Fundur gedeiht. Nichts mit dem ich irgendeine Verbindung hätte, also nahm ich den Eimer und ging raus zum Brunnen.
Der Himmel war klar und die Schneedecke war um diese Tageszeit dünn geworden. Nur die Bergluft schmerzte aufgrund der eisigen Kälte in der Kehle. In der Ferne hörte man ein merkwürdiges Rascheln. Ich schaute über die Klippen und sah wie eine Gestalt mit einem Bollerwagen sich den Weg hochkämpfte. Zum ersten Mal seit langem war etwas Freude in mein betrübliches Leben zurück gekehrt. Die Pilger waren zurück!
Sofort rannte ich der Gestalt entgegen. Es war eine alte Frau, doch sie war das komplette Gegenteil von den Priesterinnen. Die Bewohnerinnen von Morkhul trugen alte, staubige und einst prachtvolle Gewänder, während die Pilgerin Lumpen trug. Es war jedoch nicht die Art von Lumpen, die man einen Bettler vermuten würde. Ihre Klamotten waren eindeutig sehr alt, jedoch auch sehr sauber und gepflegt. Sie hatte keine üppige Figur wie die Zauberinnen. Ihr Körper war dünn und überraschend athletisch für ihr Alter. Je näher ich zu ihr kam, konnte ich auch ihr Gesicht besser erkennen. Es strahlte eine unglaublich Vitalität aus. Ihre kleinen Lachfältchen zeugten von einen freudevollen Leben.
Als sie mich bemerkte, winkte sie mir lächelnd zu.
"Warum so ein überraschtes Gesicht?", fragte sie fröhlich.
"Ich hatte nicht mit neuen Besuchern gerechnet. Auf den Weg sollen sich irgendwo Räuber eingenistet haben. Hattet ihr keine Probleme?" Ich betrachtete verdutzt die alte Frau, doch sie schien vollkommen gesund zu sein.
"Ach, die...", winkte sie ab. "Ja, die habe ich getroffen. Keine große Sache."
"Keine große Sache? Seit Wochen halten sie uns die Pilger fern!"
Die Frau setzte ihren Weg mit einen Grinsen. "Bei den Allmächtigen sei dank, bin ich keine Pilgerin"
"Nicht?", ich nahm den Rückweg mit ihr auf und schaute sie bei der Frage verwirrt an.
"Mein Name ist Hedda. Ich bin mir sicher, dass Gurdur gesagt hat, dass ich komme."
"Nein, hat sie nicht", korrigierte ich.
Hedda gab einen genervten Laut von sich. "Dieses alte Weibsstück muss sich immer so auf mysteriös machen. Aber ihre Marotten sollen mich nicht weiter kümmern. Sei doch bitte so lieb und sag mir wie du heißt."
"Runhild."
"Runhild", wiederholte sie langsam als wolle sie sich den Namen ganz genau einprägen."In der Tat, ein sehr ausdrucksstarker Name. Sag mir, Runhild, gehe ich richtig davon aus, dass du hier mit diesen Priestern lebst?"
Ich nickte zustimmend.
"Ha! Ich würde gerne wissen, welcher der Götter dir das Gemüt geschenkt hat, mit den du es bei diesen Wichtigtuerinnen aushalten kannst."
Ich senkte den Kopf. "Ich habe keine andere Wahl. Ich bin Anwärterin für die Ausbildung zur Wächterin."
Hedda runzelte ihre Stirn. "Aber die Wächterinnen sind schon lange nicht mehr hier.", sie gab mir einen mitleidvollen Blick. "Ich versuche bei Gurdur ein gutes Wort für dich einzulegen. Was hälst du davon?"
Mein Gesicht strahlte. "Das wäre fantastisch. Vielen Dank!"
Sie verzog ihre Lippen zu einen Strich. "Bedank dich erst, wenn es soweit ist. Und nun sei so gut und helfe mir doch bei diesen verdammten Wagen."
Ich tat wie geheißen und nahm ihr den Ziehstock aus der Hand. Hinter mir hörte ich wieder dieses merkwürdige Klappern und ich fragte mich, was die gute Frau alles mit auf den Berg gebracht hatte.
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Hallo meine kleinen Ninjas,
ich weiß, es ist erst das erste Kapitel, trotzdem hoffe ich, dass es die Laune nach mehr versüßt hat. Ich versuche spätestens alles zwei Wochen ein neues Kapitel zu veröffentlichen. Also schreibt mir doch so eure Meinungen und Theorien, damit mir nicht langweilig wird, wenn ich eure Lieblingscharaktere umbringe (und damit ich überhaupt erfahre, wer eure Lieblingscharaktere sind...). Das ist alles natürlich nur Spaß, aber es würde mir helfen bis zum Ende motiviert zu bleiben.
LG, eure Halb-Ninja
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