Das offene Grab
Mein Arm war schon taub vor Erschöpfung als wir die Ländereien meiner Heimat erreichten. Fenris hatte Recht gehabt; das Schwert war mir zu groß. Deswegen zog ich es schleppend über die staubige Straße und die Klingenspitze schnitt schlängelnde Ritze ins Gestein. Die Prozedur war weder gut für mich, noch für das Schwert, doch ich würde nicht zu lassen, dass weder mein Oheim Fenris, noch sonst irgendein Dieb es an irgendeinen Tiraner verkauft.
Tiran hatte das Svadland,mein Zuhause, angegriffen. Sie hatte das berüchtigte Volk aus dem Norden von Norden angegriffen. Man könnte über diese Ironie lachen, würde die Sache in Wahrheit nicht so unglaublich schmerzlich und demütigend sein.
Um uns herum waren frisch geerntete Felder. In dieser Jahreszeit hätte die Bauern eigentlich schon längst mit der neuen Saat begonnen, doch nun lag wegen dem Krieg alles brach. Keine Menschenseele seit den Flüchtlingen war uns mehr begegnet. Sehr zum Leidwesen von Oswald, welcher immer wieder versuchte mich in kleinere Gespräche zu verwickeln, die jedoch alle jedes Mal wieder in unangenehmes Schweigen endeten.
"Oswald", ich gab einen tiefen Seufzer von mir. "Du musst hier nicht sein."
Der junge Druide lief locker neben mir her und warf sich ein paar Nüsse in den Mund, die er auf den Weg gefunden hatte. "Ist schon ok. Das hier ist meine Bestimmung."
Glaubte er das wirklich? Wenn das die Wahrheit ist, dann habe ich noch nie etwas Schrecklicheres gehört. "Der Allfluch ist böse. Ich kann nicht glauben, dass du ihn unterstützen willst."
"Habe ich eine andere Wahl?", seine Stimme wurde überraschenderweise düsterer. "Die Götter haben mir diese Vision geschickt. Warum hätte sie das tun sollen, wenn sie mich nicht zu dir bringen wollten. Sich gegen mein Schicksal zu wehren, wäre doch Blasphemie, oder?"
Er war seinen Blick zur Seite. "Außerdem...wo soll ich sonst hin. Ich habe alles dafür aufgegeben."
Ich ballte meine frei Hand zu einer Faust. "Soll ich jetzt Mitleid für dich fühlen? Mach mich nicht für deine Entscheidungen verantwortlich. Du wolltest deinen Schicksal folgen und ich habe mich dafür entschlossen meins zu verhindern. Folge mir ruhig, wenn du willst. Es wird dich nirgendwo hinführen."
"Warum so garstig? Du hast dich doch dafür entschieden der Allfluch zu werden."
Wären Blick Messerstiche, dann wäre Oswald in diesen Moment gestorben.
"Ich habe mich für gar nichts entschieden!", brüllte ich. "Weißt du was sie mit mir gemacht haben? Sie haben mich betäubt und menschliche Asche in meine Haut tätowiert." Ich riss meinen Ärmel hoch und zeigte ihn die Runen, die ich vor Scham versteckt gehalten hatte. "Sie haben mich in einen Leichenkeller geführt und mich aufgeschnitten wie ein Reh, dessen Eingeweide entfernt werden muss. Sie haben mein Herz herausgeschnitten und durch irgendeine Wurzel ersetzt. Indem sie mich zum Allfluch machten, haben sie mir meine Freiheit geraubt. Du hast keine Ahnung wie demütigend das ist."
Oswald schaute mich mit großen, entgeisterten Augen an. "Aber warum...?
"Ich dachte, sie wollten mich zur Wächterin machen. Dafür hatte meine Mutter mich dahin geschickt.", seufzte ich.
"Wenn deine Mutter dich dahin geschickt hat, hört es sich so als hätte sie dich nicht wirklich geliebt."
Ich packte den Jungen am Kragen und hob ihn bis er nur noch mit Zehenspitzen den Boden berührte. "Pass mal auf, Knirps! Halte dich in Zukunft zurück irgendwelche Unterstellungen über meine Mutter zu sagen. Du hast keine Ahnung von was du redest. Sie war die tapferste, edelst und und gutmütigste Frau, die je einen Fuß auf diese gottverlassene Welt gesetzt hat."
Ich ließ ihn los und er fiel ungeschickt zu Boden.
"Weißt du was", sagte ich mit einen ruhigen Gesichtsausdruck. "Das hat richtig gut getan. Über all das mit dir zu reden. Wir sollten öfters solche Gespräche führen."
Oswald klopfte sich etwas Staub von seiner grauen Robe. "Wenn du möchtest. Aber bitte mit den Drohungen sein lassen."
"Einverstanden.", sagte ich und half ihn wieder auf seine Beine.
Vorm Einbruch der Nacht erreichten wir Schönwalde. Meine Heimat. Der Anblick überraschte mich. Ich hatte damit gerechnet, dass die Tiraner das Dorf gebrandschatzt hätten, doch die Häuser standen noch. Sie waren jedoch komplett leer. Die Menschen hatten alles mitgenommen, bevor die Armee es in die Hände bekommen hätte. Keine einzige Seele war zu sehen. Alles war so still als hätte man das Dorf in der Zeit eingefroren.
Ich sah mein altes Haus und erkannte es kaum wieder, obwohl es sich kaum verändert hatte. Es war das selbe Haus wie früher. Es waren dieselben Wände, dasselbe Dach und derselbe Grundriss. Trotzdem wirkte es befremdlich. Machte das überhaupt Sinn? Ich war doch nur drei Jahre weg gewesen.
"Was machen wir hier?", fragte Oswald. Er öffnete gerade ein paar Fässer um nach Vorräten zu suchen. Ohne Erfolg.
"Das hier war mein Zuhause!", antworte ich leise. Das Wort 'Zuhause' wirkte wie Gift auf meiner Zunge.
"Schön hier. Etwas einsam vielleicht.", sagte er als er die Gegend begutachtete. "Aber was wollen wir hier?"
Ich schaute auf das Schwert meines Vaters. "Keine Sorge", beruhigte ich ihn. "Wir bleiben nicht lange. Wir geben nur etwas ab."
Wir verließen das Dorf auf der Westseite und betraten offenes Gelände. Ein paar Meilen weiter hörte das flache Land auf und eine unnatürliche Hügellandschaft begann. Die Bodenerhebungen waren nicht besonders hoch und saftiges Gras wuchs über ihnen. Trotzdem schienen sie nie wirklich in die Umgebung zu passen.
"Das sind ja Grabhügel!", rief Oswald erstaunt. Der Junge hatte wohl die Angewohnheit seine Gedanken immer laut auszusprechen. Aber er hatte Recht. Mein Heimat lag im Landes Innere und hatte somit andere Bestattungsrituale als die stolzen Stämme am Meer. Die Menschen an den Küsten begruben ihre Toten nicht wie wir. Wie die eigentliche Tradition es verlangt werden sie auf kleineren Schiffen aufgebahrt und der Strömung der See überlassen. Danach werden die Boote mit einen brennenden Pfeil entzündet, damit der Geist vom Leichnahm getrennt werden und nach Bortenforte gehen kann. Unsere Gewässer sind zu flach und moorartig für diese Prozedur, weswegen für unsere Toten Hügel errichtet werden. Massive Steinplatten mit den Abbildern der Vergrabenen soll die Rückkehr der Verstorbenen verhindern.
Wir kamen zu einen Hügel, wo eine Frau mit einen Neugeborenen abgebildet worden war.
Oswald wischte etwas Staub weg und begann die Inschrift laut vor zu lesen: Hier ruht Jorun Hammerschlag, die Schmiedefrau und mit ihr Iselin Hammerschlag, die Schmiedetochter. Gemeinsam gestorben. Gemeinsam begraben."
"Jorun war meine Tante gewesen", erklärte ich. "Sie starb bei der Geburt ihres ersten Kindes und ihr Kind gleich mit ihr. Ich hatte gehofft, sie hätten meine Mutter nach dem sie gestorben war auch hier begraben."
Ich schaute mich um. Meine Mutter und Jorun waren in der selben Familie eingeheiratet und zudem enge Freundinnen gewesen. Ihre Gräber konnten nicht weit von einander entfernt sein. Der Hügel meiner Großeltern war schließlich auch in der Nähe. Meine Augen suchten die Umgebung ab und blieben plötzlich bei einer Erderhebung am Rand stehen. Sie war kaum von Gras überwachsen und ein paar Ringelblumen waren dort gepflanzt worden. Die gelben Blütenblätter strahlten in der Sonne und wärmten mich an den Stelle, wo einst mein Herz war. Doch die eingebildete Wärme verschwand als ich den Grabstein sah, der das Grab verschlossen halten sollte. Er war aufgebrochen.
Ich wurde rot vor Wut und stürmte auf das geöffnete Grab zu. Es war mir egal, ob es das meiner Mutter war oder ob diese gierigen Grabschänder noch dort waren. Dies war eine Beleidigung gegen alle Werte, die mein Volk hoch hielt und kein wahrer Svad würde je so etwas Widerwärtiges tun.
Die Kammer hinter den aufgebrochenen Stein war dunkel und kleine Staubböen flogen aus ihr entpor. Es hätte nur einen Augenblick gefällt, dann hätte ich sie erreicht, doch plötzlich stürtze sich aus der Dunkelheit jemand auf mich. Er sprang aus dem Grab heraus und sein Dolch blitze kurz im Licht der untergehenden Sonne. Instiktiv warf ich mich zur Seit und mein Angreifer lag auf dem Boden, mit den Dolch in die Erde gerammt, wo ich vorher gestanden hatte. Ich zog das alte Schwert raus, das mir die Priesterinnen gegeben hatten. Wenn der Allfluch damit eine ganze Räuberbande damit ausschalten konnte, dann konnte ich das wohl auch einen einzelnen Dieb.
Der Grabräuber hatte sich wieder aufgerappelt und seinen Klinge aus den Boden gezogen. Sein Gesicht war vermummt also wusste ich nicht, was er dachte als Ich mein Schwert auf ihn richtete. Es war Ewigkeiten her, dass ich einen richtigen Kampf hatte, wo der Allfluch mir nicht geholfen hat. Das war in Ordnung. Ich hatte von den besten Kriegern gelernt; meinen Eltern.
Ich schwang mein Schwert nach ihn. Er ließ meine Klinge auf seiner abrutschen. Ich machte einen weiteren Schwerthieb, er parierte wieder und diesmal glitt ich mit, wo bei sein Dolch meinen Gesicht gefährlich nahe kam. Ich wusste nicht einmal, dass man mit einen Dolch ein Schwert abweichen konnte. Hätte ich doch nur eine Ausbildung bei den Wächterinnen gehabt. Die hätten es mir bestimmt gesagt.
Doch auch ich hatte Tricksereien auf Lager. Ich wirbelte mein Schwert herum als er es erneut zu parieren versuchte und rammt ihn den Griff in sein Gesicht. Er stolperte nach hinten und hielt sich mit seiner freien Hand die gebrochene Nase fest. Das Seil, dass er an seinen Gürtel trug löste sich aus seiner Halterung und wickelte sich um seine Beine. Es war aber nicht so, dass er einfach über ein losgelöstes Seil taumelte. Es war als wäre es lebendig und würde sich durch fremde Hand um seine Gliedmaßen wickeln. Der Mann schrie vor Entsetzen und ich starrte mit offenen Mund wie der Dieb von seinen eigenen Strick gefangen genommen wurde.
Oswald rannte von einen der Hügel runter. "Es hat geklappt!", jubelte er.
Ich schaute ihn überrascht an. "Du warst das?"
Der Druidenjunge nickte zufrieden und grinste von einem Ohr zum anderen.
Ich schaute derweil auf den kaputten Grabstein und versuchte die zerbrochenen Runen zu lesen. Als ich erkannte, wenn das Grab gehörte riss ich den Dieb seines Gesichtsverhüllung runter, packte ihn an den Kragen und warf gegen den überliegenden Hügel.
"Was hattest du im Grab meiner Mutter gesucht?", zischte ich. Der junge Mann schaute mich mit großen braunen Augen an. Seine Gesicht war voller Staub und Schmutz, die sich mit den Blut seiner gebrochenen Nase vermischten. Er hatte sehr kantige Gesichtszüge, die ihn stattlicher wirken ließen als er durch seine Tätigkeit eigentlich war.
"Du bist ihre Tochter?", lachte er und zeigte auf die Kammer. "Mach dir keine Sorgen. Ich hole nur das, was ihr eh nicht gehört. Also bindet mich los und wir gehen hier alle unsere Wege."
Ich hielt das Schwert gegen seine Kehle. "Du bekommst gar nichts. Du hast die Totenruhe einer ehrbaren Svad gestört. Das Einzige, was du verdienst ist der Tod."
Der Dieb hob eine Augenbraue. "Ehrbare Frau? Ich bitte dich!"
Meine Augen verengte sich. "Glaub ja nicht zu behaupten, dass du meine Mutter kennst..."
"Du meinst Erinur Schwarzklinge?", unterbrach er mich. Ich wisch überrascht einen Schritt zur Seite.
Er legte seinen Kopf zur Seite. "Du weißt schon, warum sie den Namen Schwarzklinge trug."
"Aufgrund ihrer schwarzen Klinge", sagte ich stumpf.
"Reines Obsidian von den Feuerinseln im Süden.", erklärte der Dieb. "Seltsam. Wie kommt eine einfach wilde Svad daran? Das wäre sogar für eure sogenannten Jarls zu teuer."
Er war also ein Tiraner. Ich hatte nichts anderes erwartet. Doch die Andeutungen über meine Mutter entsetzten mich.
"Ich tue dir einen Gefallen", fuhr er fort. "Das Schwert gehört ein Mitglied der Bruderschaft der Schatten, den deine Mutter vor zwanzig Jahre gemeuchelt hat. Seine Brüder haben lange danach gesucht und ich habe es nun gefunden. Ich und die Bruderschaft...wir hatten eine...Meinungsverschiedenheit. Also gib mir einfach das Schwert und ich gebe es seinen rechtmäßigen Besitzer zurück."
"Ich glaube dir kein Wort, Dieb." Meine Klinge schnitt schon fast seine Klinge.
"Er hat Recht." Oswald kam aus der Kammer. Ich hatte nicht einmal gemerkt, dass er darein gegangen war. Er hielt die schwarze Klinge meiner Mutter in den Händen und zeigte auf ein Symbol am Knauf, dass mir zuvor noch nie aufgefallen war. Es zeigte zwei gekreuzte Klingen in einen Zirkel.
Der Dieb schenkte mir das arroganteste Lächeln, dass ich jemals gesehen hat. "Sieht so aus als wäre deine Mutter doch nicht so ehrbar gewesen."
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