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ℒ𝒾𝒶
»Das gibt es doch nicht ...«, stöhnte ich genervt auf, als ich vorsichtig die Sicherheitsfolie an meinem Surfbrett löste.
»Guten Morgen, Lia.« Adele stand mit einer Tasse Kaffee in der Tür. »Du bist schon so früh wach? Das liegt hoffentlich nicht an Max?«
»Oh, hey!« Ich schenkte ihr ein schiefes Lächeln. »Nein, nein ... Ich hab' generell etwas unruhig geschlafen. Ist vermutlich die Aufregung, Nick und die anderen zu sehen.«
»Verstehe ...«
»Mein Problem ist nur, dass ich scheinbar das falsche Surfboard vom Gepäckband mitgenommen habe.«
»Was, wirklich?« Adele verschluckte sich und japste verzweifelt nach Luft. Ich stand auf und klopfte ihr auf den Rücken.
»Alles gut?«, hakte ich besorgt nach.
»Ja, alles gut! Ich würde bloß durchdrehen, wenn mein Surfbrett vertauscht werden würde ... Ich glaube, es kann sich niemand vorstellen, was ich mit dem Ding schon alles erlebt habe.«
»Ich empfinde da genauso ... Nick hat es mir damals zum Abschied geschenkt und als ich das erste Mal damit in Kapstadt surfen war, hat es sich wie ein Stück Heimat angefühlt, das ich in meinem Herzen mit mir getragen habe.«
»Sowas verstehen eben nur Menschen, die an ihrem Brett hängen.«
»Oh ja! Und wie ich daran hänge.« Mein Blick wanderte gen Boden und für einen kurzen Moment lang schwelgte ich in Erinnerungen. »Ich hatte vor einem halben Jahr einen Unfall, weil ich zu dicht an einem Riff dran war ... «, ich deutete auf das Surfbrett, »mein Board hat genau an dieser Stelle eine feine Kerbe. Sie erinnert mich immerzu daran, dass die Sache auch übel hätte ausgehen können.«
»Hast du es schon am Flughafen versucht?«
»Nein, noch nicht. Das wäre der nächste Schritt gewesen.«
»Soll Jonah dich hinfahren?«
»Ich würde erstmal anrufen ... Mal sehen, ob das Flughafenpersonal da überhaupt etwas machen kann.«
Nachdem ich angerufen und erfahren hatte, dass das Personal aus datenschutztechnischen Gründen keine Informationen über andere Fluggäste herausgeben durfte, beschloss ich, auf die Hilfe des Universums zu hoffen. Ich hinterließ meinen Namen und meine Telefonnummer, in der Hoffnung, dass sich jemand melden würde.
»Du kannst dir gerne eines unserer Bretter ausleihen«, bot Adele mir an.
»Danke, das ist wirklich nett von dir.«
»Hey ... mach dir keine Gedanken. So etwas passiert ständig. Ich bin mir sicher, dass dein Surfboard früher oder später wieder auftauchen wird.«
Ein flüchtiger Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich spät dran war. »Scheiße! Bis ich beim Strand bin, fangen schon die ganzen Surfkurse an ...«
Bis vor Max' Geburt wohnten Adele und Jonah noch in Strandnähe. Und weil in den Semesterferien ziemlich viele Studentenpartys, Events und Festivals stattfanden, stieg der Lärmpegel bereits in den frühen Abendstunden bis ins Unermessliche. Daraufhin hatte Adele beschlossen, sich etwas weiter außerhalb niederzulassen.
»Ist doch nicht schlimm! Fahr einfach zur Ostseite. Dort wird verhältnismäßig wenig los sein. Abgesehen davon hat mir ein Vögelchen gezwitschert, dass Nick gegen Mittag mit seinem mysteriösen Trauzeugen dort aufschlagen wird, um zu surfen.«
»Was, wirklich? Wollte er diese Info nicht bis zur Hochzeit geheim halten? Und dann geht er an einem öffentlich zugänglichen Strand mit ihm surfen?«
»Männerlogik ... Muss man nicht verstehen.«
Ich fragte mich noch immer, weshalb Nick so ein Geheimnis daraus machte, wen er sich zum Trauzeugen genommen hatte. Immerhin war ich seine Schwester. Selbst unseren Eltern wollte er es nicht sagen, weil es eine in Anführungsstrichen große Überraschung wäre. Jedenfalls meinte er das, als wir letzte Woche miteinander telefoniert hatten.
»Sehr gut, dann erfahre ich zumindest, wer meinen herzallerliebsten Bruder zum Altar führen darf.«
»Vorausgesetzt er existiert wirklich«, scherzte Adele. »Jonah und ich haben schon eine Wette am Laufen, ob es sich bei der besagten Person möglicherweise um einen Geheimagenten oder um den Papst handeln würde.«
Ich zuckte mit den Achseln. »Würde mich nicht mal schockieren ... Dass der Papst surfen kann, dagegen schon.«
»Ich erwarte eine ausführliche Berichterstattung von dir, wenn du wieder zurück bist!«
»Selbstverständlich.«
Im nächsten Moment stand Jonah im Türrahmen. »Können wir dann los?«
Adele warf ihn einen verwirrten Blick zu. »Wohin denn?«
»Na, zum Kinderarzt. Heute steht doch diese Routineuntersuchung an. Hast du das etwa vergessen?«
Sie schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund. »Scheiße, du hast recht!« Dann sah sie mich entgeistert an. »Ich meinte natürlich Scheibenkleister. Ich arbeite noch an meiner Wortwahl ... Schließlich soll klein Max nicht fluchen, wenn er in den Kindergarten kommt.«
Mit viel Mühe versuchte ich mir mein Lachen zu verkneifen.
»Sorry, Lia! Ich habe wirklich angenommen, dass wir noch ein bisschen Zeit haben. Schaffst du es allein zum Surfbrett-Verleih, oder sollen wir dir ein Taxi rufen?«
»Macht euch keinen Kopf! Ich laufe einfach. Ohne Surfboard dürfte das ja kein Problem sein.«
»Okay ...«, seufzte sie. »Matias und Dalia sind heute den ganzen Tag lang in der Surfschule. Ich gebe ihnen Bescheid, dass du kommst. Einer von den beiden kann dich auf jeden Fall zum Ostabschnitt fahren.«
»Gut, danke dir. Dann mache ich mich mal auf die Socken, damit es nicht noch später wird. Am Ende verpasse ich Nick noch ... Dann erfahren wir nie, ob James Bond oder Papst Franziskus ihn traut.«
***
Nachdem ich mir eines der Standart-Surfbretter ausgeliehen hatte, ließ ich mich von Matias - wie geplant - an den Oststrand fahren.
»Danke dir! Zurück schaffe ich es allein. Ich nehme mir einfach ein Taxi, oder fahre mit Nick, wenn ich ihn finde.«
»Alles klar. Ich wünsche dir viel Spaß! Das Wetter ist heute perfekt zum Surfen.«
Matias hatte recht. Es war angenehm warm und laut Google die optimale Windstärke, um an der ein oder anderen Figur zu feilen.
Deshalb hielt ich nach unserer Verabschiedung nicht allzu lange nach Nick ausschau und begab mich stattdessen direkt ins kühle Nass. Die Wassertemperatur war deutlich angenehmer, als ich ursprünglich gedacht hatte. Allerdings knallte die Sonne extrem herunter, weshalb ich dennoch froh war, mich für ein langärmliges Outfit entschieden zu haben.
Hoch konzentriert übte ich eine Figur nach der anderen aus. Ich spannte jeden einzelnen Muskel in meinem Körper an und merkte relativ schnell, dass ich trotz kontinuierlichen Surfens in Kapstadt etwas aus der Übung war.
Das Studium an der Uni war enorm zeitintensiv und die Anforderungen extrem hoch, weshalb ich es mir nicht leisten konnte, täglich surfen zu gehen. Hinzu kamen noch die Wind- und Wetterverhältnisse, sowie Stoßzeiten und Ferien, die mir oftmals einen Strich durch die Rechnung gemacht hatten.
Die Zeit verging wie im Fluge und ich beschloss, eine kurze Pause einzulegen, um nach meinem Bruder Ausschau zu halten. Doch als ich langsam in Richtung Strand trieb und aufsah. Stand er in lockeren Badehosen vor mir und blickte mir mit einem kecken Grinsen entgegen. So wie man Nick eben kannte.
»Lia, was machst du denn hier?« Er reichte mir seine Hand und half mir beim Aufstehen. »Ich dachte, du wärst bei Adele und Jonah.«
»War ich auch, aber sie mussten mit Max zum Kinderarzt.«
»Und was machst du auf der Ostseite?« Er zog eine Augenbraue nach oben. »Spionierst du mir etwa nach?«
Mir entfuhr ein empörter Laut. »Hallo, meine liebe Schwester. Wie schön, dass du aus dem entfernten Kapstadt angereist bist, um deine Semesterferien für die Vorbereitungen für meine Hochzeit zu opfern. Ich freue mich so sehr dich zu sehen ...«
Nick verdrehte die Augen. »Jetzt fahr mal 'nen Gang runter! Ally und ich hatten ohnehin vor, heute gemeinsam mit dir und den anderen zu Abend zu essen.«
Plötzlich trat noch jemand weiteres an uns heran. Weil die Sonne mich aber dermaßen blendete, konnte ich nicht genau erkennen, um wen es sich bei dem ominösen Mann handelte.
»Hör auf zu flirten, Nick. Immerhin heiratest du in weniger als drei Wochen. Abgesehen davon ist die Tussi hier nicht mal halb so scharf, wie deine zukünftige Braut.«
Mir klappte die Kinnlade herunter. Ich konnte nicht fassen, was dieser Kerl sich da erlaubte. Allerdings war ich so schockiert über seine Worte, dass nichts weiter als ein glucksender Laut meine Lippen verlassen konnte.
»Das ist meine kleine Schwester, du Trottel!«, klärte Nick ihn freundlicherweise auf.
Mein Blick wanderte entlang von muskulösen Waden und Oberschenkeln, bis hin zu einem wohlgeformten Sixpack.
Wer um alles in der Welt rennt denn so herum?
Der obere Teil des Neoprenanzug hing auf halb acht und bedeckte nichts weiter, als die Beine des dreisten Unbekannten, der sich mit nur einem Satz gleich drei Strikes auf einmal eingehandelt hatte.
Und gerade als ich dachte, dass mich nichts mehr irritieren würde, als ein Fremder, der mich für den heißen Sommerflirt meines Bruders hielt, fiel mir das Surfboard in seinen Händen ins Auge.
Ich streckte meinen Zeigefinger danach aus und sagte: »Keine Ahnung, wie du da herangekommen bist, aber ... das ist mein Surfboard.
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