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ℳ𝒾𝓉𝒸𝒽ℯ𝓁𝓁

»Scheiße, Mitch!« Lia stand plötzlich mitten im Badezimmer und drehte sich schlagartig um. Sie konnte sagen, was sie wollte, aber ich hatte genau beobachten können, wie sie meinen eingeseiften Körper mit ihren tiefbraunen Augen fixiert hatte. »W-was zur Hölle machst du hier?! Vor fünf Minuten war das Bad noch frei!«

»Duschen«, antwortete ich trocken. Dabei musterte ich jede ihrer Kurven eindringlich und bis ins kleinste Detail. »Wie wäre es mit anklopfen?«

»T-tut mir leid ... I-ich habe nur nach einer Haarbürste gesucht und ...«

Sie stand da wie angewurzelt. Irgendwie niedlich, dass sie sich so sehr vor mir genierte, obwohl sie am Strand noch so eine große Klappe hatte.

Ich griff nach der Haarbürste, die am Waschbecken lag und ging ein paar Schritte auf sie zu. Danach hielt ich ihr sie so hin, dass sie sich nicht umdrehen musste. Dabei wisperte ich in ihr Ohr: »Findest du sie abstoßend?«

Sie zuckte für einen kurzen Augenblick lang zusammen und versuchte blitzschnell nach der Haarbürste zu greifen. Doch ich hielt sie hoch, weil ich zuerst eine Antwort von ihr hören wollte.

Daraufhin entfuhr ihr ein genervter Laut. »Ich weiß nicht, wen oder was du meinst, Mitch.«

»Die kaum zu übersehende Beinprothese ...«

Sie warf einen flüchtigen Blick zur Seite. »Die habe ich gar nicht gesehen, weil ich damit beschäftigt war ...«

»Was, auf meine nackten Körper zu starren?«

Sie schluckte schwer. »Unter anderem, ja. Aber bilde dir bloß nichts darauf ein! Es war mehr oder weniger wie ein Autounfall ... Man konnte weder hin- noch wegsehen.«

Wie ein Autounfall ...

Unfall-Unfall-Unfall, hallte es in meinem Kopf wider. Und wieder und wieder.

»Hier ...«, krächzte ich. »Deine Bürste. Und das nächste Mal klopfst du gefälligst an.«

Lia griff nach dem Bürstenstiel und stürmte aus dem Badezimmer. Als die Tür ins Schloss fiel, sperrte ich vorsorglich ab, damit so etwas nicht noch einmal passierte.

Anschließend strich ich mir mein feuchtes Haar aus dem Gesicht, ehe ich mich unter die Dusche stellte und das heiße Wasser auf mich einprasseln ließ.

Scheiße, was war das?!

Ich konnte einen deutlichen Stich in meiner Brust spüren, als Lia das Wort »Autounfall« ausgesprochen hatte. Vielleicht, weil ich schon lange nicht mehr darüber nachgedacht hatte. Aber bei dem abwertenden Klang in ihrer Stimme, wurde ich sofort in der Zeit zurückkatapultiert.

Es war hart für mich, damit klarzukommen, dass ich nach einem schweren Autounfall mein linkes Bein vom Knie abwärts verloren hatte. Und obwohl niemand verletzt wurde und ich unzählige Therapiestunden hatte, gab ich mir nach wie vor die Schuld an der Miesere. Es kostete mich viel Kraft, erneut laufen und vor allem surfen zu lernen.

Deshalb konnte ich auch nicht akzeptieren, wenn mich jemand als Angeber bezeichnete. Weil ich mir verdammt nochmal alles selbst erarbeitet hatte. Ich war einer der Wenigen, die in der normalen Surf-Liga mithalten konnten. Es erforderte enorm viel Disziplin, Training und schlaflose Nächte, an den Worldcups teilnehmen zu können und zu gewinnen. Daher wollte ich mir von niemanden nachsagen lassen, dass ich meinen Platz auf der Welt nicht verdient hatte.

***

Während des Essens würdigte mich Lia nicht eines Blickes. Stattdessen schob sie die Einzelteile ihrer Lasagne von der einen Seite des Tellerrandes zur anderen.

»Was ist los, Lia?«, wollte Ally von ihr wissen. »Schmeckt es dir etwa nicht?«

»Nein, das ist es nicht ... mir ... ist bloß irgendwie schlecht, weißt du?«

Schlecht, weil sie meine Prothese gesehen hat und damit überfordert ist.

»Oh Mann, ich muss so dringend auf die Toilette«, wandte Adele plötzlich ein. »Jonah, könntest du Max kurz halten?«

»Ich kann ihn halten!« Nicht zu fassen, dass Lia sich freiwillig als Tribut meldete. »Natürlich nur, wenn das für euch okay ist.«

»Klar, dann kann ich in Ruhe weiteressen und Adele kann Wasser lassen.«

»Jonah!« Adele verdrehte spielerisch die Augen.

»Was denn? Im Gegensatz zu dir achte ich auf meine Wortwahl.«

»Ha-ha! Das hab' ich jetzt mal überhört.« Adele stand auf und überreichte Lia ihren kleinen Sohn, der in aller Seelenruhe zu schlafen schien.

Wie gerne ich gerade an seiner Stelle wäre ...

»Wow, Lia! Du machst das toll!« Ally strahlte ihre zukünftige Schwägerin an. »Du wirst irgendwann bestimmt eine tolle Mutter!«

»Um ehrlich zu sein ... weiß ich nicht, ob ich überhaupt ein Kind bekommen möchte«, gestand sie, woraufhin Nick sich so heftig verschluckte, dass er sich fest gegen die Brust hämmern musste, um nicht zu ersticken.

»Mach langsam, Schatz! Ansonsten stirbst du noch, bevor wir uns das Ja-Wort geben können!« Ally klopfte ihm behutsam auf den Rücken. »Gehts wieder?«

»Ja, danke ...«, krächzte er. »Das wird Mom und Dad aber nicht gefallen, wenn ihnen das zu Ohren kommt.«

»Na und?«, mischte ich mich ein, woraufhin mich allesamt entgeistert ansahen. »Es ist Lias Körper und ihre Entscheidung, ob sie Kinder möchte oder nicht. Eltern hin oder her, aber es geht sie schlichtweg nichts an.«

»Da muss ich Mitch recht geben«, Ally warf ihrem Verlobten einen ernsten Blick zu, »in der heutigen Zeit ist es durchaus legitim bewusst zu sagen, dass man keine Kinder möchte.«

»Und was ist ... mit dir?«, wollte Nick von ihr wissen.

»Ich?« Sie hielt für einen kurzen Moment lang inne. »Ich möchte schon gerne ein oder zwei Kinder haben ... Allerdings frage ich mich manchmal, ob ich dem Ganzen überhaupt gewachsen bin. Meine Tollpatschigkeit bringt mich öfter in Schwierigkeiten, als mir lieb ist.«

»Na wenigstens ist dein Zeh nicht gebrochen«, fügte Jonah hinzu.

»Ja, da hast du recht!«

»Keine Sorge, Ally«, Adele stand plötzlich hinter ihr und legte eine Hand an ihre Schulter, »man wächst in die Rolle hinein. Ich hatte zu Beginn auch keine Ahnung und habe wegen jeder Kleinigkeit meinen Dad angerufen. Ich werde nie vergessen, dass ich Jonah am ersten Tag nach unserer Rückkehr aus Krankenhaus ganze zehnmal in den Drogeriemarkt geschickt habe, weil ich andauernd etwas vergessen habe.«

»Um genau zu sein, war ich elfmal in dem Laden. Irgendwann hat die Verkäuferin gedacht, es wäre nur ein Vorwand, um sie zu stalken.«

Ich musste lachen, konnte mir aber meinen dämlichen Kommentar nicht ersparen: »War sie wenigstens heiß?«

»Ja, im Jahr 1995 bestimmt.«

Wir lachten, bis Max durch den Lärm aufwachte und anfing zu weinen. Anschließend dauerte es keine zehn Minuten, ehe Adele und Jonah zusammenpackten und sich gemeinsam mit Lia und Max auf den Heimweg machten.

Zu schade, ... ich hätte Lia gerne noch länger dabei beobachtet, wie sie Max in aller Seelenruhe im Arm hält und ansieht, als würde die Welt sich nur um ihn drehen.

Aber ich war mir sicher, dass wir uns spätestens dann wiedersehen würden, wenn es an die Hochzeitsvorbereitungen ging.

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Na, wie findet ihr Lia und Mitch?

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