| SEVEN |

ℒ𝒾𝒶

»Na, bist du schon aufgeregt?», wollte ich von Ally wissen, die seit geschlagenen zehn Minuten auf und ab tigerte. Nick hatte mir heute Morgen geschrieben, dass sie ziemlich früh wach war und die Küche aufgeräumt hatte, weil sie nicht schlafen konnte.

»Und wie! Ich habe nicht einen Bissen von meinem Frühstück herunterbekommen! Hoffentlich ist etwas Schönes dabei.«

»Da bin ich mir sicher.«

»Hast du schon Vorstellungen, wie dein Brautkleid aussehen soll?« Auch Adele schien nicht ein Auge zubekommen zu haben. Max hatte furchtbare Bauchschmerzen und sie deshalb die ganze Nacht lang wach gehalten.

Mir ging es nach meiner Begegnung mit Mitch ähnlich.

Findest du sie abstoßend? Die Prothese, meine ich ...

Seine Worte schwirrten mir seit gestern im Kopf herum, weshalb ich gar nicht richtig abschalten konnte.

»Alles in Ordnung, Lia?« Ally lächelte. »Du wirst so nachdenklich ...«

Aber heute war ihr Tag, weshalb ich es als unpassend empfand, sie mit meinen Belangen zu belasten. »Ja, alles gut! Vor meinem ersten Kaffee bin ich nie wirklich gesprächig.«

»Geht mir genauso! Aber heute ist es irgendwie anders ...«

»Das ist völlig normal«, warf Adele ein. »Nachdem du dein Brautkleid hast, wird der Druck mit Sicherheit abfallen.«

Mein Handy klingelte. Ein flüchtiger Blick auf das aufleuchtende Display verriet mir, dass es meine Mom war, die ich vorsorglich als »Achtung, Stimmungskiller!« für den heutigen Tag eingespeichert hatte.

»Isadora?«, hakte Adele nach, woraufhin ich nickte.

»Entschuldigt mich bitte.« Ich stand auf und ging in den Nebenraum, um in Ruhe zu telefonieren. »Hey, Mom. Was ist los?«

»Wieso gehst du davon aus, dass etwas los ist, mein Schatz?«

Das war mal wieder typisch für sie. Anstatt einer Begrüßung geriet ich unmittelbar in ein Kreuzverhör. »Das sagt man doch nur so ...«

»Aha«, eine kurze Minute des Schweigens, die mir vorkam, wie eine halbe Ewigkeit, »na ja, sei's drum. Ich wollte euch lediglich mitteilen, dass dein Vater und ich uns direkt zum Brautmodengeschäft begeben. Edward hat Nick versprochen, Adeles ... Freund ... vorher abzuholen.«

»Verstehe.«

Unfassbar. Selbst nach zwei Jahren konnte sie sich Jonahs Namen nicht merken. Vermutlich, weil sie noch immer den Kriminellen in ihm sah.

Adele ist so eine wunderbare Frau, aus einem guten Elternhaus. So jemanden hätte ich mir für unseren Nikolas gewünscht, sagte sie nach der ersten Begegnung mit ihm. Ich kann einfach nicht verstehen, was sie in ihm sieht.

Ihre Worte hallten in meinen Ohren wider, als hätten sie erst gestern ihren Mund verlassen. Adele hatte damals mit offenen Karten gespielt. Und selbst, wenn sie das nicht getan hätte, blieben noch immer seine unzähligen Tattoos, die in ihren Augen keine Kunstwerke, sondern nur eine unnötige Verschandelung des äußeren Erscheinungsbildes waren.

Und du bist dir wirklich sicher, dass du Alabama heiraten möchtest, Nikolas? Was ist mit ihrer Krankheit? Wird sie überhaupt dazu in der Lage sein, Kinder zu bekommen? Immerhin nimmt sie wegen ihrer Epilepsie unzählige Medikamente ... Ganz zu schweigen von ihrer Tollpatschigkeit.

Ich war heilfroh darüber, dass Nick seinen Standpunkt klargemacht hatte. Mein Bruder war bodenständig, was man auch daran merkte, dass er schon immer sein eigenes Geld verdiente und nichts von meinen Eltern annahm. Noch heute beklagt sich unsere Mom über seine viel zu kleine Wohnung und seinen viel zu bescheidenen Lebensstil.

»Gut, dann ... sehen wir uns wohl dort.«

»Einen Moment noch!« Ich verdrehte die Augen. Was ist denn nun schon wieder? »Ich würde mich wirklich sehr darüber freuen, wenn wir beide nach der Anprobe zusammen brunchen gehen würden. Ist gibt da etwas, über das ich gerne mit dir reden würde.«

Oh, oh ... Wenn sie schon so anfing, verhieß das eindeutig nichts Gutes.

»Fein. Dann machen wir das. Bis später ...«

***

»Das Kleid ist perfekt! Nikolas wird es lieben!«

Adele und ich warfen uns einen vielsagenden Blick zu, weil Mom darauf bestanden hatte, Ally in eines dieser altmodischen, langärmligen Brautkleider für Anstandsdamen zu zwängen.

»Ich finde, Ally sollte das kurzärmlige mit dem V-Ausschnitt nochmal anprobieren«, warf ich ein.

»Dieser grauenvolle Fetzen Stoff?«, Mom zog eine Augenbraue nach oben, »Ich glaube kaum, dass das Grandma Darleen gefallen wird.«

»Und ich glaube, dass Grandma Darleen mit einer Dioptrien von minus acht froh sein kann, wenn sie das Besteck an ihrem Platz vor sich noch erkennen kann.«

»Liana! Was fällt dir ein, in ihrer Abwesenheit so von deiner Großmutter zu sprechen?!«

»Und was fällt dir ein, für Ally ein Urteil zu fällen?! Es ist ihre Entscheidung!«

Adele räusperte sich für einen kurzen Augenblick, um die Lage zu entschärfen. »Ich denke, wir sollten uns alle ein wenig beruhigen.« Dann wandte sie sich der Verkäuferin des Brautgeschäftes zu. »Entschuldigen Sie bitte ... Wäre es möglich noch ein wenig Sekt zu bekommen?«

»Für mich bitte Champagner!«, rief Mom dazwischen.

»Für mich bitte einen Doppelten Whiskey«, ergänzte ich nachäffend.

Ist ja nicht auszuhalten ...

»Tut mir wirklich leid, Miss, aber wir haben keinen Whiskey.«

»Nein, mir tut es leid!« Ich musste mich wieder einkriegen und meine Bedürfnisse für den heutigen Tag zurückstellen, schließlich ging es hier um Ally und nicht um die Streitigkeiten zwischen meiner Mom und mir. »Ich hätte nicht so reagieren sollen. Ein Glas Sekt wäre schön, vielen Dank.«

Nachdem jeder abgesehen von Adele an seinem Glas genippt hatte, entspannte sich die Lage.

»Wenn ich auch etwas dazu sagen dürfte«, meldete Ally sich plötzlich zu Wort. »Ich finde, dass man merkt, dass ihr Mutter und Tochter seid.«

Mom und ich starrten Ally entgeistert an.

»Wie ist das jetzt bitte gemeint, Alabama?«

»Na ja, ich finde ...«, sie hielt für einen kurzen Augenblick lang inne, »ihr habt beide einen vorzüglichen Geschmack, wenn es darum geht, jemanden einzukleiden.«

Nicht zu fassen ... Ally hatte es doch tatsächlich geschafft, meiner Mutter ein leichtes Mundwinkelzucken zu entlocken.

»Und weil Nick mir alles bedeutet ... und ihr mir natürlich auch, möchte ich, dass wir diesen Laden allesamt mit einem Lächeln verlassen.«

Sie war einfach der liebste Mensch, der auf diesem verkommenen Planeten existierte.

»Das Kleid, das Lia für mich ausgesucht hat, steht mir einfach besser. Es ist schlicht und einfach, betont aber dennoch meine Figur. Allerdings denke ich, dass ich mich wohler fühlen würde, wenn meine Schultern beim Gang zum Traubogen bedeckt wären. Deshalb habe ich mir gedacht, dass es doch toll wäre, beide Ideen miteinander zu kombinieren.«

Dass meine Mutter nichts dazu sagte, hattes etwas zu bedeuten.

»Auch bei der Auswahl des Schmuckes tue ich mich wahnsinnig schwer und ich weiß«, sprach sie an meine Mutter gewandt, »dass du dich sehr gut mit solchen Dingen auskennst, Isadora. Ich kenne wirklich niemanden, der so schöne Glitzerhaarspangen besitzt, wie du!«

Adele verschluckte sich bei dem Wort »Glitzerhaarspangen« an ihrem Wasser.

»Und mein Haar würde ich auch gerne offen tragen ... Mein Gesicht ist eher rund, während Isadoras deutlich schmäler ist.« Sie lächelte. »Versteh mich bitte nicht falsch, aber ... dir steht eine Hochsteckfrisur einfach viel besser, als mir. Da könnte ich einfach nicht mithalten. Und an meiner Hochzeit soll es schließlich um mich gehen, da kann ich mir natürlich nicht von meiner Schwiegermutter die Show stehlen lassen. Auch wenn das wahnsinnig schwierig wird.«

Mom lief rot an. So hatte ich sie wirklich noch nie gesehen. Ich konnte förmlich hören, wie das schlechte Gewissen bei ihr anklopfte.

»Nun denn, ...« Mom trank ihr Glas Champagner in einem Zug leer und erhob sich von dem roten Samtsessel, in dem sie sich breitgemacht hatte. »Dann werde ich mich mal auf die Suche nach einem geeignetem Jäckchen und dem dazu passenden Schmuck begeben.«

Ein flüchtiger Blick in Adeles Richtung bestätigte mir, dass sie genauso fassungslos war, wie ich.

»Kann es sein, dass Ally sie um den Finger gewickelt hat?«, flüsterte Adele mir zu, als meine Mom im Nebenraum verschwunden war.

»Scheint so ...«

Schockierend. Dass man diese Frau jemals umstimmen konnte, hätte ich nicht erwartet. Umso schöner zu sehen, dass Ally ihr eisiges Herz zumindest anteilig zum Schmelzen gebracht hatte.

***

»Schieß los, Mom.« Ich griff nach der Tasse Kaffee vor mir und nahm einen kräftigen Schluck davon. Allerdings bekam mir die Mischung nicht so gut, da der Sekt noch immer in meiner Magengrube blubberte, wie ein dampfender Topf Nudeln. »Was gibt es so Dringendes zu besprechen?«

»Nun, ich weiß, dass dein Abschluss unmittelbar bevorsteht und ...«

»Und was?«, hakte ich ungeduldig und in einem patzigen Unterton nach.

»Und ich ... Ich meine wir - also dein Vater und ich - haben uns gefragt, ob du nicht doch an ein örtliches College wechseln möchtest, damit du bei uns in der Nähe bist.«

»Auf gar keinen Fall!« Ich wusste, dass so etwas kommt. Es war immer wieder dasselbe leidige Thema. »Es gefällt mir in Kapstadt und ich habe auch nach meinem Abschluss nicht vor, in die Staaten zurückzukehren.«

»Liana, ich bitte dich, es dir noch einmal zu überlegen«, sie legte ihre Hand betroffen auf meine, was mich schlagartig die Luft anhalten ließ, »dein Vater und ich machen uns seit deinem Unfall große Sorgen um dich.«

»Mom ...«, meine Stimme wurde sanfter, »schlimme Dinge passieren eben. Man kann nicht alles im Leben planen oder vorhersehen. Aber genau das ist doch das Schöne daran! Die Ungewissheit darüber, was der Tag so mit sich bringt!«

»Herrgott, Kindchen! Du hörst dich an, wie deine Tante Marissa!«

»Na, und?« Ich verengte meine Augen zu Schlitzen und zog dabei meine Hand unter ihrer weg. »Tante Marissa hat wenigstens gelebt, bevor sie bei diesem Bergunfall ums Leben kam!«

»Deine Tante liebte das Spiel mit dem Feuer ... Und du bist ihr ähnlicher, als mir lieb ist. Ich wünschte, du würdest mit diesem ganzen Surfquatsch aufhören und dir ein weniger gefährliches Hobby suchen.«

»Ach, ja?« Ich lehnte mich zurück und verschränkte schnaubend die Arme vor meiner Brust. »Und was soll ich deiner Meinung nach tun? Pullover Stricken?«

»Wie wäre es mit Schach? Da gibt es immerhin keine gigantischen Stricknadeln, die man sich versehentlich ins Auge rammen könnte.«

»Ja, oder atmen. Ist auch ein schönes Hobby ...«

Vorausgesetzt, man erstickt nicht.

»Liana ... Du weißt, dass ich dich zu nichts zwingen werde. Aber ich bitte dich darum, es dir zumindest zu überlegen. Wir würden dich gerne in unserer Nähe wissen ...«

Um mir irgendwelche Vorschriften zu machen? Nein, danke!

»Ich glaube, es ist alles gesagt.« Ich stand auf, doch da spürte ich plötzlich, wie ein paar kühle Finger mein Handgelenk umfassten.

»Setz dich! Ich bin noch nicht mit der fertig!« Genervt ließ ich mich wieder auf den Stuhl sinken. »Und trink gefälligst deinen Kaffee aus! Wir sind zwar wohlhabend, aber nicht verschwenderisch.«

Ich verdrehte die Augen. »Begreifst du denn nicht, dass dein Vater und ich Höllenqualen erlitten haben, als du in diesem Krankenhaus gelegen hast und wir uns nicht sicher waren, ob du überleben würdest?!«

»Es ist alles gut, Mom.« Als Tränen in ihren Augen glänzten, was ich diejenige, die nach ihrer Hand griff. Ich war eindeutig zu hart zu ihr, schließlich sorgte sie sich bloß um mich. Manchmal ging mein Temperament eben mit mir durch. »Ich bin hier und ich lebe.«

»Nikolas weiß noch nicht einmal etwas davon ... Hätten wir es ihm erzählt ...«

»Hätte es auch nichts daran geändert, dass es passiert ist, Mom!«, fiel ich ihr ins Wort. »Versteh mich bitte nicht falsch ... ihr seid meine Familie und ich liebe euch mehr als alles andere auf der Welt. Aber es ist mein Leben und ich entscheide, wie ich es führen möchte.«

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Denkt ihr, Ally wird sich durchsetzen?

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