Date me happy
„If one heart fits another like a puzzle piece, maybe you could be the missing half of me."
- Harry Styles, „I'll be ready"
POV Harry - ein Dienstag-Vormittag im Februar, in Harrys Haus, London
Langsam rührte ich in meinem Kaffee, stütze dann mein Kinn auf meine Hand und schaute aus dem Fenster auf die Straße. Leise tropfte der Regen an die Scheibe und lief in nassen Spuren hinab. Ich wohnte allerdings in einer recht ruhigen Straße, so dass der Ausblick aus dem Fenster eher langweilig war. Erst recht bei Nieselregen. Wer verirrte sich schon an einem trüben Februar-Vormittag hier hin? Wer außer mir hatte überhaupt um diese Uhrzeit die Möglichkeit, Löcher in die Luft zu gucken?
Seit mittlerweile mehr als einem halben Jahr war meine große Love-On-Tour vorbei und ich hatte wirklich Langeweile. Die letzten Pleasing-Events waren im Dezember gewesen, mein neues Album hatte ich fertig geschrieben und wartete noch auf Studiotermine für den Feinschliff und die Rückmeldung von Kit Harpoon. Auch ansonsten standen im Moment eigentlich keine Termine an. Ich arbeitete wirklich gerne und hasste es eigentlich, nichts Sinnvolles zu tun zu haben. Gemeine Stimmen würden mich als Workaholic bezeichnen. Ich seufzte und trank noch einen Schluck von meinem Kaffee. Vielleicht sollte ich mir ein Kissen ins Fenster legen und „Fenster-Rentner" werden, bis ich wieder was zu tun hatte. Leider wäre da ja dann immer noch das Problem, dass auf meiner Straße nie etwas passiert. Abgesehen davon, dass meine Nachbarin akribisch den Bürgersteig fegte.
Früher, als wir noch mit One Direction unterwegs gewesen waren, hatte ich mich nach solchen Momenten, wo ich ganz alleine war, gesehnt, obwohl ich die Zeit mit den Jungs und insbesondere mit Louis geliebt hatte. Jetzt fiel mir jedoch langsam aber sicher die Decke auf den Kopf. Joggen und draußen Schwimmen konnte ich bei dem trüben Wetter gerade nicht und das Indoor-Fitness-Programm hatte ich für heute schon erledigt. Die meisten meiner Freunde waren natürlich auch beschäftigt. Ob ich mal Niall nach einer Partie Golf fragen sollte? Doch dann fiel mir ein, dass er ja gerade mit den Vorbereitungen für seine Tour beschäftigt war. Und Golf war bei Nieselregen auch nur halb so spaßig. Ich überlegte kurz, meine Mum anzurufen, um mit ihr zu quatschen, aber wie sah das denn aus: 30-Jahre-alter Superstar kann sich nicht alleine beschäftigen und braucht seine Mami. Auch wenn Mum mir das so nie unter die Nase reiben würde, wollte ich das nicht. Ob ich sie dennoch mal wieder besuchen sollte?
Mein Kaffee war mittlerweile abgekühlt und ich schüttete den Rest ins Spülbecken. Dann stellte ich den Wasserkocher an, um mir stattdessen einen Tee zu machen. Mit dem Tee und meinem aktuellen Buch - aus irgendeinem Grund war ich bei „Sturmhöhe" gelandet, weil ich Klassiker lesen wollte - setzte ich mich in meinen Lesesessel im Wohnzimmer. Ich knipste schnell das Licht an meiner Stehlampe an und schlug das Buch auf.
Die Buchstaben tanzten und verschwommen vor meinen Augen. Wirklich konzentrieren konnte ich mich nicht auf das Buch. Dafür, dass es eine Liebesgeschichte war, war es teilweise wirklich seltsam. Heathcliff war jetzt nicht gerade das, was ich mir unter einem tollen, potentiellen Mann vorstellte. Aber auch Catherine war wirklich nicht der Prototyp der Frau, die ich gerne an meiner Seite hätte. Ich seufzte erneut. Jemanden an meiner Seite vermisste ich sehr. Nicht nur auf der körperlichen Ebene, sondern viel mehr auch den Austausch, gemeinsame Erlebnisse oder jemanden, dem ich einfach erzählen konnte, was ich erlebt hatte, bzw. im Moment halt umgekehrt. Ich erlebte ja einfach gar nichts. Oder jemanden, der mir meine Langeweile vertrieb. Jemanden, der mich einfach mal in den Arm nahm. Oder mit mir gemeinsam Tee trank.
Es war schon lange her, dass ich mein Herz wirklich verschenkt hatte. Die Zeit war intensiv gewesen, aufgrund verschiedener Terminpläne hatten wir dann aber immer weniger gemeinsame Zeit und haben uns kaum noch gesehen. Deswegen hatten wir damals beschlossen getrennte Wege zu gehen. Im Laufe der Zeit hatten wir uns dann auch mehr oder weniger aus den Augen verloren. Danach hatte ich nur noch lockere Affären oder auch den einen oder anderen One-Night-Stand, wobei von den meisten Sachen nichts in der Presse bekannt war. Für die Presse war ich immer noch der Womanizer, was bestimmt nicht zuletzt daran lag, dass ich auf Pressefotos immer nur mit Frauen abgelichtet wurde. Wirklich festgelegt war ich aber nicht. Wenn ich mich verliebte, dann in die jeweilige Person und da war es mir reichlich egal, ob diese nun zwei X- oder ein X- und ein Y-Chromosom hatte. Ob sie sich als männlich, weiblich oder auch non-binär definierte. Für mich war der Mensch wichtig. Aber im Moment gab es niemanden in der Richtung - auch wenn ich in der Presse immer noch ab und an mit Taylor auftauchte; allerdings war sie letztlich nur eine Freundin und nicht meine Partnerin und war das auch nie gewesen. Also außer in der Yellowpress. Ich glaube der Großteil meiner Fans hatte auch nie an eine Romanze zwischen uns geglaubt.
Ich schlug mein Buch wieder auf und versuchte mich auf die Geschichte von Catherine und Heathcliff zu konzentrieren und nicht zu sehr in Melancholie zu verfallen.
°°°
POV Louis - am Mittwoch-Nachmittag, bei Lottie zuhause, London
Nach den letzten Konzerten in Australien hatte ich ein wenig Pause, bevor es mit dem Festival in Mexiko und später dann mit meiner Tour in Südamerika weiterging. Erst hatte ich noch ein paar Tage Urlaub in Australien gemacht, aber jetzt war ich wieder in London. Diese Zeit hier nutzte ich weitestgehend, um Energie aufzutanken und Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Zu Freddie würde ich nach meinem Auftritt in Mexiko fahren. Erstaunlicherweise blieb ich zur Zeit meistens unter dem Radar der Presse und konnte die Pause wirklich genießen ohne mich dauernd für irgendwelche Pressefotos rechtfertigen zu müssen. Heute Nachmittag passte ich auf meine Neffen Lucky auf, während Lottie und Lewis bei einem Fotoshooting für ihre neue Fitness-App „Verdure by Lottie" waren.
Langsam rollte ich den Ball in Luckys Richtung, der mit einem Quietschen hinterherlief und den Ball begeistert einsammelte und mir zurückbrachte. Dieses Spiel wiederholten wir noch etliche Male und Lucky hatte die ganze Zeit eine Menge Spaß dabei. Nach einer Weile kam er mit dem Ball wieder zu mir gelaufen und warf sich dann in meine Arme und kuschelte sich an mich. In solchen Momenten vermisste ich meinen Freddie umso mehr. Ich wuschelte Lucky kurz durch die Locken, hob ihn dann hoch und wir gingen gemeinsam zum Esstisch. Ich setzte den kleinen Mann in seinen Trip-Trap-Stuhl, gab ihm seinen Becher und den vorbereiteten Teller mit den Pfannkuchenstreifen. Während er aß, trank auch ich schnell meinen Kaffee aus. Irgendwann war sein Teller leer und nach einer kurzen Säuberungsaktion begannen wir ein Puzzle auf seinem Tisch zu legen. Es war faszinierend, wie akribisch er jedes Teil betrachtete und die richtige Stelle dafür suchte.
Immer häufiger rieb er sich irgendwann mit seinen kleinen Händchen seine Augen. Ballspielen und puzzeln schien müde zu machen. Ich beschloss, den kleinen Mann ins Bett zu legen, aber glücklicherweise kamen in dem Moment auch Lottie und Lewis nach Hause. Lewis nahm mir Lucky ab und brachte ihn ins Bett, während Lottie sich zu mir an den Tisch setzte. Erst berichtete sie vom Shooting, doch dann wollte sie unbedingt eine Nachricht loswerden.
„Lou, ich weiß, du bist eigentlich nicht auf der Suche, aber weißt du, was der Fotograf eben erzählt hat? Es gibt wohl eine Dating-App extra für Promis. Sam Smith hat sich da wohl nach seiner Trennung angemeldet. Und nein, ich will dich nicht mit Sam Smith verkuppeln, aber das wäre doch eine Möglichkeit, jemanden kennenzulernen, der in einer ähnlichen Situation ist wie du."
„Äh, Lottie, nee, das klingt seltsam. Und wieso sollte ich jemanden prominentes kennenlernen wollen?", fragte ich zurück. Meine kleine Schwester hatte manchmal wirklich verrückte Ideen.
„Naja, du müsstest nicht erklären, warum du wenig Zeit hast, warum du nicht so oft zuhause bis und die Person wäre es vielleicht auch gewohnt, regelmäßig auf Pressefotos aufzutauchen. Und es wäre niemand, der dich nur benutzten würde, um berühmt zu werden, so wie Eleanor damals."
„Nee, klingt immer noch doof. Überleg mal, wie das bei Danielle war. Wir haben uns ja noch seltener gesehen, weil unser beider Terminkalender voll waren. Ich weiß nicht", erwiderte ich und schüttelte den Kopf, „und wie wollen die überhaupt sicherstellen, dass man prominent ist und viel wichtiger: warum willst du mich denn unter die Haube bringen?"
„Ach Lou, ich will dir doch nichts Böses. Aber ich glaube schon, dass es für dich schön wäre, wieder jemanden zu haben. Außerdem hättest du dann direkt dein „+1" für meine Hochzeit", sie zwinkerte mir kurz zu.
„Und das „+1" muss ein fucking Promi sein? Nachher melden sich da nur so Z-Promis, die bei irgendwelchen Reality-TV-Shows ihr Glück gesucht und nicht gefunden haben oder welche, die im Dschungel irgendwelchen Ekelkram in sich reingestopft haben. Die wollen mich dann nur treffen, um dann noch „berühmter" zu werden. Danke. Aber nein danke. Keine Promi-Dating-App!"
„Und eine andere Dating-App?", bohrte Lottie weiter nach.
„Lots, ehrlich, warum sollte ich das tun? Auf keinen Fall melde ich mich bei Tinder oder Grindr an", grummelte ich.
„Weißt du Bruderherz, in der freien Wildbahn ist es nahezu unmöglich für dich, jemanden zu treffen, der nicht irgendwie prominent oder im gleichen Business wie du unterwegs ist. Also zumindest, wenn es niemand von deinen Fans sein soll. Und das fände ich zumindest seltsam", erklärte sie, „schau mal: du bist auf Tour und triffst da nur die Leute, mit denen du eh unterwegs bist oder halt Fans. In deiner freien Zeit hängst du im Studio rum oder bist bei Freddie oder hier bei uns allen in England. Wo willst du denn da jemanden treffen?"
Wir unterhielten uns noch ein Weilchen und wechselten recht bald zu anderen Themen. Irgendwann war auch Lewis wieder dazu gekommen, nachdem Lucky eingeschlafen war. Unweigerlich kamen wir dann auch auf die neue Fitness-Ernährungs-App der beiden zu sprechen, für die heute auch das Shooting stattgefunden hatte.
„Lou, gib mir mal eben dein Handy", meinte Lottie, „dann installiere ich dir die App und für dich ist das auch kostenlos, ich speicher' dir einen Gutschein-Code ein."
Ich schob ihr mein Handy lustlos entgegen und antwortete: „Mach ruhig. Aber bitte erwarte nicht, dass ich jetzt so ein Fitness-Programm absolviere, wie ihr immer. Und ich bleibe auch weiterhin bei Kaffee, Bier, Zigaretten und Fast Food."
„Schau es dir einfach mal an. Wir haben uns echt Mühe gegeben", erwiderte Lottie und tippte auf meinem Handy rum, um die App zu installieren. Zwischendurch grinste sie kurz und schaute mich musternd an, bevor sie weiter auf dem Handy tippte. Irgendwann reichte sie mir mein Handy zurück und ich verabschiedete mich, um mich auf den Heimweg zu machen.
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POV Harry, am Donnerstag-Nachmittag, zuhause
Gestern hatte ich im Großen und Ganzen den Tag ebenso wie schon den Dienstag in meinem Lesesessel vertrödelt und war abends vor dem Fernseher bei irgendwelchen absurden Reality-Shows versumpft. Ich fragte mich wirklich, wie verzweifelt man sein musste, um sein Glück als Prince Charming oder Bachelor zu suchen. War das mehr das Geltungsbedürfnis oder erwarteten die Teilnehmer wirklich dort den Partner fürs Leben zu finden?
Ich rührte mir einem Eiweiß-Shake in der Küche an und nahm danach einen großen Schluck davon. Wirklich lecker war der nicht, aber Brad, mein Personal-Trainer, hatte mir geraten, davon mindestens zwei am Tag zu trinken. Schließlich brauchte mein Körper eine Menge Eiweiß, da ich trotz meiner Auszeit fleißig trainierte. Mittlerweile war Sport ein wirklich wichtiger Teil in meinem Leben geworden und ohne mich irgendwie sportlich betätigt zu haben, fühlte sich ein Tag für mich unvollständig an. Brad war zwar derzeit in L.A., aber er hatte mir einen ausführlichen Trainingsplan erstellt und wir hatten auch regelmäßige Videocalls, um gemeinsame Trainingssessions zu absolvieren.
Meine Gedanken wanderten zurück zum gestrigen Fernsehprogramm und der Partnersuche. Wie ich schon vorgestern festgestellt hatte, vermisste ich mittlerweile wirklich eine Person in meinem Leben. Leider hatte ich anders als die meisten Menschen nicht die Chance, einfach so in einem Club, auf einer Party oder beim Job jemanden wirklich kennenzulernen. Die meisten Leute, die ich dort traf, waren entweder Fans, die irgendwas von mir erwarteten oder Arbeitskollegen. Beides keine potentiellen Partner für mich. Und andere Promis wollte ich auch nicht unbedingt daten. Wo sollte ich also jemanden kennenlernen, der Harry wollte und nicht „Harry Styles".
Ich scrollte durch meine Instagram-Timeline, darauf bedacht, kein Foto versehentlich zu liken. Sowas konnte schnell missinterpretiert werden. Das war mir in der Vergangenheit schon mehr als einmal passiert und meine Fans merkten alles. Selbst wenn ich das „Like" quasi im gleichen Moment wieder entfernte. Ich lächelte bei den verschiedenen Fanseiten und war immer wieder aufs Neue begeistert, wie kreativ meine „Harries" waren. Auf einmal erschien ein Werbeclip für eine Dating-App: „Date-Me-Happy". Die App warb damit, inklusiv zu sein und niemanden ausschließen zu wollen. Anders als Tinder, wo die meisten nur nach einer schnellen Nummer suchten oder Grindr, das auf homosexuelle Nutzer abzielte, stand Date-Me-Happy - oder kurz D-M-H - jedem offen: Männlein, Weiblein, Non-Binär, völlig unabhängig von der sexuellen Orientierung. Das klang doch gut. Ein weiteres Feature der App war es, dass die User sich ohne Profilbild vorstellten, da man sich unbefangen kennenlernen sollte. Außerdem waren lediglich Textnachrichten und weder der Austausch von Bildern noch von Sprachnachrichten erlaubt. Insbesondere das mit den fehlenden Profilbildern war ein wirklicher Pluspunkt, da ich niemals mein eigens Foto nehmen könnte - entweder würden die Leute mich sonst für einen Hochstapler halten oder ich würde als verzweifelter Single in der Presse landen. Beides nicht gerade erstrebenswert für mich. Ich klickte auf die Werbung und las mir im App-Store die Rezensionen durch. Die meisten klangen durchweg positiv. Sollte ich es einfach mal wagen? Mein Finger schob sich auf „installieren" und schon einen Moment später öffnete sich die neue App.
Als erstes musste ich meinen Namen eingeben. Meinen eigenen konnte ich natürlich nicht nehmen. Im ersten Moment wollte ich aus Gewohnheit „Oliver Sudden" eingeben, den Namen, unter dem ich eine Zeit lang in Hotels eingecheckt hatte. Allerdings war dieser Name mittlerweile an die Presse geraten und damit verbrannt. Stattdessen wählte ich „Oliver Twist" als Kombination meines alten Pseudonyms und dem Namen meiner Mutter. Und falls mich jemand fragte, konnte ich immer noch sagen, dass ich mich an der Romanfigur orientiert hatte.
Ich machte noch ein paar Angaben zu meiner Person, die mich zwar beschrieben, aber keine Rückschlüsse darauf zulassen würden, wer ich wirklich war. Schließlich war es mein Ziel, als Privatperson wahrgenommen zu werden. Die Medienperson „Harry Styles" hatte hier gar nichts zu suchen. Wer mein Profil anklickte würde zukünftig also erfahren, dass ich ein 30-jähriger Mann war, Sport, insbesondere Fitness, Joggen und Outdoor-Schwimmen mochte, gerne las - das passte ja auch zu meinem Profilnamen, mein Kopf zu 80 % aus Musik und Songtexten bestand und ich durchaus gerne in Gesellschaft war und Dinge gemeinsam unternahm. Und dass ich nach genau dieser Gesellschaft hier suchte.
Besonders kreativ war das jetzt nicht und ich wusste nicht, ob ich jemanden, mit diesem Profil anschreiben würde, aber mir fiel auf die Schnelle nichts besseres ein. Ändern könnte ich das ja später immer noch. Ich stellte den Suchradius auf 25 Meilen ein und begann, mich durch die Vorschläge zu scrollen.
Bei Profilnamen wie „Loverboy", „Italian Stallion", „Lonely Heart", „Herzkönig", „Held im Erdbeerfeld", „Little Miss Perfect" oder „Barbiegirl" swipte ich direkt weiter. Erwarteten Leute wirklich, dass sie mit solchen Namen angeschrieben würden? Das Profil „Sunflower" hingegen erweckte meine Aufmerksamkeit. Laut Beschreibung versteckte sich dahinter eine 34-jährige Frau, die „im Herzen barfuß" war, Yoga und Radfahren liebte und ihre Freizeit gerne in der Natur verbrachte. Sie arbeitete mit Menschen, hatte darüber hinaus aber keine Angaben zu ihrem Beruf gemacht. Als geheime Spezialfähigkeit gab sie an, jeden Film der späten 90er, frühen 2000er anhand von Zitaten erkennen zu können. Ich bookmarkte ihr Profil und beschloss, ihr später zu schreiben. Erstmal wollte ich aber schauen, ob ich noch weitere interessante Menschen finden könnte. Ich scrollte weiter und merkte mir vier weitere Profile, die ich später vielleicht anschreiben wollte - wenn ich mich denn dazu überwinden könnte.
Als nächstes wurde das Profil eines jungen Mannes angezeigt: „Lucky Luke - ich spreche schneller als ich denke". Auch wenn ich eigentlich nicht der Typ war, der auf Comic-Figuren oder Cowboys im Speziellen stand, brachte der Spruch mich zum Lächeln. Ich klickte auf das Profil: 32 Jahre alt, liebte Musik, trank mehr Kaffee, als für ihn gut war, ein Familienmensch, Fußball- und Sportfan. Das las sich doch ganz gut. Er war auf der Suche nach Männern oder Frauen in seinem Alter. Auch das sah in meinen Augen positiv aus. Schnell speicherte ich auch sein Profil.
Mein Handy klingelte und ich schloss schnell die D-M-H-App, bevor ich das Gespräch annahm und meine Mum begrüßte.
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POV Louis, Freitag-Nachmittag auf dem Spaziergang mit Cliff
Mein Handy vibrierte und kündigte eine Nachricht an. Ich zog es aus der Tasche und las die Nachricht auf dem Sperrbildschirm. „Hi-Ho Cowboy, lässt du dich auch reiten?" Ich verdrehte die Augen und löschte die Nachricht. Und gleichzeitig verfluchte ich meine Schwester. Neben ihrer Fitness-App hatte sie mir auch eine Dating-App installiert und mir direkt ein Profil eingerichtet. Seit Mittwoch-Abend trudelten in unregelmäßigen Abständen ähnlich bescheuerte Nachrichten ein, wie diese gerade. Ich nahm mir vor, die App zu löschen, wenn ich wieder zuhause war. Und Lottie die Ohren lang zu ziehen, wenn wir uns das nächste Mal sehen würden. Ich dachte, ich hätte mich klar genug ausgedrückt, dass ich keine beschissene Dating-App wollen würde.
Ich hatte schon so viele schmierige Nachrichten bekommen, da wollte ich nicht wissen, wie manche Menschen so im echten Leben drauf waren. Und noch viel schlimmer, ob sie da bei einigen ans Ziel kamen. Eigentlich hatte ich gedachte, diese Dating-App sei anders als Tinder, denn zumindest warb sie damit inklusiv zu sein - ganz vielleicht hatte ich mir doch ein paar Rezensionen durchgelesen, nachdem ich festgestellt hatte, dass Lottie mir „Date-Me-Happy" installiert hatte. Aber inklusiv schloss natürlich auch übergriffige Dummköpfe mit ein, die nur eins im Sinn hatten. Ich wollte kein Ranking der schlimmsten Nachrichten machen, aber wenn ich eins machen würde, käme der heutige Spruch ggf. mit in die Top-10. Zusammen mit solchen wie:
„Behältst du deine Stiefel auch im Bett an?"
„Kannst du mich mit deinem Lasso einfangen und mir die Sporen geben?"
„Können wir uns treffen und du trägst nur Chaps und Cowboyhut?"
„Ziehst du deinen Colt immer so schnell, wie man sagt?"
„Lucky Luke! Bereit für ein Pistolen-Duell? Mein Colt ist schon geladen."
„Hey, mein Zeigefinger ist schon ganz wund vom Swipen, weil ich dich so lange suchen musste."
„Kann ich dich auf etwas aufmerksam machen? Auf mich."
„Darf ich eine Zeile aus einem Lied zitieren, die auf dich zu passen scheint? Waking up beside you I'm a loaded gun. Darf ich neben dir aufwachen?"
Die Person von der letzten Nachricht hatte ich sofort blockiert. Offenbar handelte es sich hier um einen Directioner und Fans standen auf der Liste potentieller Date-Partner noch weiter unten als Arbeitskollegen. Never ever.
Ich war froh, dass es in der App nicht möglich war, Bilder zu verschicken, sonst hätte ich wahrscheinlich schon eine ansehnliche - haha - Sammlung von Dick-Pics, Topless-Frauen und anderen anzüglichen Bildern. Darauf konnte ich durchaus verzichten. Was mich am meisten irritierte war, dass die Frauen den Männern dabei in nichts nachstanden. Eigentlich hatte ich denen doch ein bisschen mehr Niveau zugetraut. So kann man sich irren.
Cliff und ich liefen weiter, während ich gedanklich den Beschluss fasste, die App wirklich zu löschen, wenn ich wieder daheim war. Es reichte schon, dass ich meinen Freunden Stan und Oli gestern davon erzählt hatte als wir uns auf ein Bier getroffen hatten, dass Lottie mich bei einer Dating-App angemeldet hatte. Seitdem machten die beiden sich immer lustig und schickten mir Bilder aus den Lucky-Luke-Comics oder anzügliche Sprüche in unseren Gruppen-Chat. Ich war bereits mehrfach kurz davon gewesen die App zu löschen. Aber ja, jetzt würde ich es wirklich tun. Was sich jetzt schon in diesen zwei Tagen angesammelt hatte, würde ja wahrscheinlich nicht besser werden, wenn ich die App noch länger auf meinem Handy hätte. Eher im Gegenteil.
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POV Harry, Freitag-Nachmittag, zuhause nach einer ausgiebigen Joggingrunde
Ich ließ mich auf den Stuhl in der Küche fallen und trank erstmal ein großes Glas Wasser. Dann öffnete ich die Dating-App, um zu schauen, ob mir jemand geschrieben hatte. Push-Nachrichten hatte ich ausgestellt, weil ich nicht wollte, dass irgendwer in meinem Umfeld mitkriegte, dass ich mich dort angemeldet hatte. Teilweise bekam man nämlich wirklich richtig schlimme Nachrichten. Eine war „Oliver, nenn' mich Sir, dann bekommst du mehr!". Zuerst war ich nur verwirrt und verstört, aber dann fand ich raus, dass es sich auf ein Zitat aus Oliver Twist bezog - „Please Sir, I want some more". Verstörend fand ich die Nachricht jetzt immer noch, aber immerhin hatte der Schreiber sich die Mühe gemacht nach Oliver Twist zu googeln oder das Buch sogar gelesen. Dennoch hatte ich die Nachricht nicht beantwortet. Weder hatte ich einen Sir- noch einen Daddy-Kink.
Ich selbst hatte mich bis jetzt immer noch nicht getraut, eine Nachricht zu verfassen. Von den sechs Profilen, die ich favorisiert hatte, hatte ich bei zweien den Merker auch schon wieder entfernt. Irgendwie war der Vibe doch nicht so, dass ich mich da melden wollte.
Mein Puls hatte sich mittlerweile wieder normalisiert und ich beschloss Duschen zu gehen. Und danach würde ich allen meinen Mut zusammennehmen und Sunflower und einem der Männer eine Nachricht schicken. Ich war schließlich 30 Jahre alt und weder auf den Kopf gefallen noch ein Feigling. Da würde es doch auch eine schüchterne Person wie ich hinkriegen, zwei Nachrichten zu verfassen.
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POV Louis, Freitag am späten Nachmittag, zuhause
Cliff hatte sich auf dem Sessel, auf dem er eigentlich gar nicht sitzen durfte, zusammengerollt und schnarchte vor sich hin. Ich zündete mir eine Zigarette an und zog mein Handy wieder aus der Hosentasche. Ich öffnete die Dating-App, um diese gleich zu löschen. Vorher wollte ich aber noch mein Profil löschen, damit es gar nicht mehr existierte. Als erstes öffnete ich das Postfach - verdammte Neugierde. Bisher hatte ich dort noch gar nicht reingeschaut, sondern die Nachrichten immer nur auf dem Sperrbildschirm gelesen, bis auf das eine Mal, als ich die Absenderin direkt blockiert hatte.
Die Anmachsprüche löschte ich, direkt, nachdem ich sie gelesen hatte. Dann fiel mein Blick auf eine Nachricht mit dem Namen „Danny Zuko". Als passionierter Grease-Fan öffnete ich die Nachricht neugierig.
Danny Zuko an Lucky Luke: „Hallo Luke, du wurdest mir hier gerade vorgeschlagen und dein Profil hat mich neugierig gemacht. Falls du mein Profil auch angeschaut hast und ebenfalls neugierig bist, gebe ich dir gerne noch ein paar mehr Hintergrund-Infos zu mir: wie du dir vielleicht denken kannst, mag ich Grease ziemlich gerne. Überhaupt mag ich die Tanzfilme aus der Zeit sehr gerne. Und Musicals auch. Und nein, damit bin ich kein wandelndes Schwulen-Klischee ;) Wie du trinke ich übrigens gerne Kaffee. Vielleicht hast du ja irgendwann mal Lust, einen gemeinsam mit mir zu trinken. Ich würde mich auf jeden Fall freuen, wenn du mir antwortest. XO Danny"
Nach den ganzen Anmachsprüchen war die Nachricht von diesem Danny eine angenehme Abwechslung. Und bei der Sache mit den Musicals musste ich kurz schmunzeln. Ich verließ die Nachricht, ohne ihm zu antworten - schließlich hatte ich vor, die App zu löschen - allerdings löschte ich seine Nachricht anders als die vorherigen nicht, sondern wandte mich direkt den nächsten zu. Einige weitere musste ich löschen, manche hätte man sicherlich auch wegen sexueller Belästigung zur Anzeige bringen können, und dann stieß ich auf die Nachricht von „Rainbow-Goddess". Ach je, war das jemand, der seine queere Identität wie ein Plakat vor sich hertrug? Kurz überlegte ich, die Nachricht ungelesen zu löschen, doch dann siegte die Neugier.
Rainbow-Goddess an Lucky Luke: „Hey! Ich hoffe, mein Nickname hat dich nicht verschreckt. Mein Dad hat mich früher immer „mein kleiner Regenbogen" genannt, weil ich kunterbunt rumgelaufen bin und der Name außerdem an meinen echten Namen erinnert und mir ist nichts Besseres eingefallen, als ich mich hier angemeldet habe. Du brauchst also keine Angst zu haben, dass ich ein wandelnder CSD bin oder ein regenbogen-pupsendes Einhorn. Tatsächlich bin ich nicht einmal queer, sondern als heterosexuelle Frau auf der Suche nach einem Partner. Huch, ich hoffe, das klingt jetzt nicht ablehnend, da ich gesehen habe, dass du für beides offen bist. Also keine Angst, ich akzeptiere nahezu jede Sexualität - außer es geht um Kinder, dann ist es ein absolutes No go - und einige meiner Freunde sind lesbisch oder schwul. Also alles gut.
Ach je, ich gerate hier ins Labern. Ich hoffe, du liest meine Nachricht trotzdem weiter... Ich habe gesehen, dass du ein Familienmensch bist und Fußball magst. Das finde ich toll. Ich selbst bin tatsächlich Fußballtrainerin von mehreren Jugendmannschaften und habe auch lange Zeit selbst gespielt. Wenn es sowas wie „alte Herren" auch für Frauen gäbe, würde ich wahrscheinlich auch immer noch auf dem Platz stehen. Und ein Familienmensch bin ich auch. Bisher habe ich noch keine Kinder, bin dem aber nicht abgeneigt. Ich verbringe auf jeden Fall auch sehr gerne Zeit mit meinen Nichten und Neffen. Oh, ich hinterlasse dir hier ja einen Roman. Das war nicht so beabsichtigt. Aber ich würde mich voll freuen, wenn wir uns schreiben könnten. So, ich muss jetzt zum Training. Bis hoffentlich bald! I."
Okay, diese I. Rainbow-Goddess schien wirklich ein großes Mitteilungsbedürfnis zu haben. Sie klang dabei eigentlich ganz nett, aber irgendwie auch neben der Spur oder verpeilt. Aber lieber verpeilt und nett, als übergriffig. Ich schloss die Nachricht, ohne auf ihr Profil zu klicken. Dann löschte ich die weiteren Nachrichten in meiner Inbox und klickte auf die Einstellungen in der App. Hier war auch der Button, um sein Profil zu löschen.
Als mein Daumen schon über dem Button schwebte ging eine neue Nachricht ein.
Oliver Twist an Lucky Luke: „Hi Luke, darf ich dich Luke nennen? Seit gestern überlege ich schon, ob ich dich anschreibe, aber bis gerade habe ich mich nicht getraut. Du hast bestimmt auch so viele bescheuerte Nachrichten bekommen, wie ich. Ist das nicht gruselig? Das, was ich auf deinem Profil gelesen habe, klingt sehr sympathisch. Deswegen habe ich mich letztlich doch überwunden, dir zu schreiben. Vielleicht hast du ja Lust, dich bei mir zu melden. Ich fänd' das sehr schön. Oliver"
Hatte Stan und Oli sich jetzt ein Profil gemacht, um mich zu verarschen? Hätte ich den beiden doch nur nie von der App erzählt. Und besser hätte ich denen auch nicht das Best-Of der Anmachsprüche geschickt. Die Nachricht klang zwar total zögerlich und zurückhaltend, aber das könnte ja auch eine Masche der beiden sein. Kurz raufte ich mir die Haare und überlegte, ob ich Oli anrufen sollte. Oder ich würde einfach mal darauf eingehen und so tun, als ob ich mich nicht über die Verarschung ärgern würde. Dann würden die beiden mal sehen, wer als letztes lachte.
Statt also die App zu löschen, öffnete ich meine In-Box und ging auf die Nachricht von „Oliver Twist".
Lucky Luke an Oliver Twist: „Hallo Oliver. Ich hoffe, du hast nicht annähernd so blöde Nachrichten bekommen, wie ich bisher. Ich bin hier erst zwei Tage angemeldet, aber hier tun sich Abgründe auf. Deine Nachricht klingt hingegen total nett. Deswegen habe ich dir auch jetzt geantwortet, obwohl ich die App schon löschen wollte. L."
Ich sendete die Nachricht ab und öffnete noch einmal die Einstellungen. Hier stellte ich die Push-Nachrichten ab. Jetzt konnte ich selbst entscheiden, ob ich die Nachrichten anschauen wollte oder nicht. Dann schloss ich die App für heute und beschloss, mir eine Pizza zum Abendessen zu bestellen.
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POV Harry, Freitag am frühen Abend, zuhause
Ich schob das Hähnchen in den Ofen und stellte das Nudelwasser an. Während ich darauf wartete, dass das Wasser kochte, öffnete ich erneut die D-M-H-App, nachdem ich mich vorhin getraut hatte, sowohl Sunflower als auch Lucky Luke eine Nachricht zu schicken. Tatsächlich hatten beide auch schon geantwortet. Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Leider schrieb Sunflower mir, dass sie sich zwar über meine Nachricht gefreut habe, aber auf der Suche nach jemand älterem wäre und ich ihr zu jung sei. Sie wünsche mir aber weiterhin viel Erfolg bei der Suche.
Ich antwortete ihr und bedankte mich für Ehrlichkeit und die freundlichen Worte. Dann wünschte ich ihr ebenfalls noch viel Glück, damit sie den richtigen Partner fand.
Bei Lucky Luke wusste ich gar nicht so genau, was ich antworten sollte. Er hatte mir nur geschrieben, dass er die App eigentlich löschen wollte, mir aber keine Fragen gestellt oder sowas. Hieß das, dass er mit mir schreiben wollte? Oder hatte er nur aus Höflichkeit geantwortet, weil ich keinen dummen Anmachspruch geschrieben hatte?
Da mein Nudelwasser kochte, schloss ich die App wieder und kümmerte mich erstmal um mein Essen. Während ich aß, dachte ich weiter darüber nach, was ich Lucky Luke denn antworten könnte, ohne dass ich irgendwie creepy rüberkam. Anschließend verzog ich mich noch für eine Cardio-Runde in meinen Fitnessraum. Auf meinem Spinning-Rad konnte ich meine Gedanken weiter wandern lassen.
Oliver Twist an Lucky Luke: „Hey Luke, lieb, dass du mir geantwortet hast. Ich weiß zwar nicht, was du dir schon für Sprüche durchlesen musstest, aber die, die ich bekommen habe, waren teilweise wirklich unterste Schublade.
In deinem Profil schreibst du, dass du ein Familienmensch bist. Das finde ich schön, ich habe selbst eine Schwester und auch noch Stiefgeschwister. Leider sehen wir als Familie uns super selten, weil wir alle immer viele Termine haben. Außerdem wohnt der Großteil meiner Familie nicht in meiner Nähe, weil ich berufsbedingt nach London gezogen bin. Magst du mir ein bisschen von deiner Familie erzählen?
Oliver."
Ich beschloss, den Tag zu beenden und schlafen zu gehen. Im Bett las ich noch ein paar Zeilen von Sturmhöhe, doch irgendwie kam ich immer noch nicht richtig in die Geschichte hinein. Stattdessen schlief ich recht schnell ein.
Am nächsten Morgen absolvierte ich als erstes mein heutiges Trainingsprogramm und beschloss im Anschluss noch eine Runde im nahegelegenen See schwimmen zu gehen trotz des Februar-Wetters. Nass wurde man beim Schwimmen sowieso, da war der Regen letztlich auch egal. Erst als ich frisch geduscht mit meinem Müsli und Obstsalat am Tisch saß, schaute ich nach, ob ich eine neue Nachricht bekommen hatte. Natürlich waren wieder einige seltsame Nachrichten gekommen, die ich direkt löschte. Dann hatte ich noch eine Nachricht von Rachel Green, bei der ich über den Namen schmunzelte. Offenbar war da jemand ein ebenso großer Friends-Fan wie ich. Bevor ich die Nachricht öffnen konnte, trudelte aber eine Antwort von Lucky Luke ein.
Lucky Luke an Oliver Twist: „Morgen Oliver, ja, die Sprüche, die man hier teilweise bekommt, sind wirklich unterste Schublade. Ich habe schon überlegt, ob ich eine Top-10 der schlechtesten Sprüche küren sollte, aber hell no! Lieber habe ich die gelöscht.
Du wolltest was von meiner Familie wissen? Nun, die ist ziemlich groß. Und eigentlich liebe ich die auch alle und verbringe gerne Zeit mit denen. Aber auf meine Schwester bin ich gerade verdammt sauer. Die hat mich hier einfach angemeldet. Von daher kann die sich in der Zukunft erstmal einen anderen Babysitter suchen. L."
Ich beschloss, direkt zu antworten.
Oliver Twist an Lucky Luke: „Oh, du passt auf die Kinder deiner Schwester auf? Das finde ich niedlich. Meine Schwester hat leider noch keine Kinder. Sonst wäre ich gerne auch mal Babysitter."
Lucky Luke schien online zu sein, denn kurz danach kam schon eine neue Nachricht.
Lucky Luke an Oliver Twist: „Um das klar zu stellen: Ich bin NICHT niedlich! Ansonsten: So oft habe ich dazu gar nicht Zeit. Ich bin beruflich häufig unterwegs und das auf der ganzen Welt. Aber sonst verbringe ich schon gerne Zeit mit meinem Neffen. Und es ist auch schön, dass die in meiner Nähe wohnen. Meine andere Schwester mit meiner Babynichte wohnt leider auch ne ganze Strecke entfernt. Die sehe ich dann seltener."
Wir schrieben noch weiter hin und her und ich war überrascht, wie schnell die Zeit vergangen war. Die Unterhaltung mit Luke war so einfach und machte Spaß. Irgendwann schrieb er mir, dass er jetzt Fußball gucken würde und sich deswegen für heute verabschiedete.
So ging das die ganze Woche über weiter und ich hatte manchmal schon das Gefühl, dass ich sehnsüchtig auf die nächste Nachricht von Luke wartete. Das Thema Beruf hatten wir bisher aus unseren Unterhaltungen ausgeklammert. Aus bekannten Gründen konnte ich nicht zu viel dazu schreiben, ohne dass man vielleicht erraten könnte, wer ich war. Luke schien das Thema aber ebenso zu umschiffen. Außer, dass er häufig beruflich auf der ganzen Welt unterwegs war, wusste nicht viel darüber. Auch seinen echten Namen wusste ich ebensowenig wie er meinen kannte. Dennoch genoß ich unsere Unterhaltungen.
Neben Luke hatte ich noch mit ein paar anderen Leuten geschrieben, aber bei den meisten verliefen die Unterhaltungen doch recht schnell im Sande, da viele auf ein kurzfristiges Treffen aus waren. Auch wenn bei den meisten, mit denen ich Kontakt hatte, kein Sex oder ähnliches im Raum stand, sondern es lediglich um das persönliche Kennenlernen ging, war ich nicht bereit, mich jetzt schon mit jemandem zu treffen, mit dem ich nur ein paar Nachrichten gewechselt hatte. Heute Abend hatte ich auf jeden Fall erstmal ein Date mit meiner Schwester und würde Gemma fragen, was sie von einem Treffen mit Luke halten würde und wie ich das am besten anstellen würde, ihn zu fragen und einen Ort zu finden, an dem ich nicht direkt erkannt würde.
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POV Louis, Freitag-Nachmittag, bei Louis' Großeltern, Doncaster
Über das Wochenende war ich zu meinen Großeltern gefahren. Nach Mum's Tod waren sie einer der Anker in meinem Leben und für Samstag war mal wieder ein großes Familienessen geplant. Ich war schon heute angereist, damit ich ein wenig mehr Zeit mit den beiden, aber auch mit Phoebe und Olive hatte. Wahnsinn, wie sehr meine Nichte in den paar Wochen schon gewachsen war und sich entwickelt hatte. Und trotz ihres echt noch sehr jungen Alters war Phoebe eine tolle Mutter. Ich war stolz auf sie und die Frau, zu der sie sich entwickelt hatte.
Während der Autofahrt dachte ich ein wenig über Oliver nach. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass es sich bei „Oliver Twist" nicht um einen Fake-Account von Stan und Oli handelte, hatten wir etliche Nachrichten getauscht und uns über Gott und die Welt unterhalten. In der Woche, die wir uns jetzt schrieben, hatte ich mich sehr an unsere Unterhaltungen gewöhnt und wollte sie nicht mehr missen. Bei Oliver konnte ich irgendwie ich selbst sein und es wirkte nie krampfig. Fast so, als ob wir uns schon ewig kennen würden.
Alle anderen Anfragen hatte ich weiterhin ignoriert. Aber irgendwas an Oliver und seiner Art zu schreiben gefiel mir gut. Ich hatte nur immer noch keine Ahnung, ob wir je über den Austausch von Nachrichten hinaus kommen würden. Schließlich wollte ich nicht unbedingt als Louis Tomlinson erkannt werden. Aber spätestens, wenn wir mal telefonieren sollten, würden ihm ggf. meine Stimme und mein Dialekt bekannt vorkommen. Dazu war beides leider zu einprägsam. Irgendwas würde uns vielleicht einfallen, wenn wir uns weiterhin so gut verstehen würden.
Meine Großeltern empfingen mich wie immer äußerst liebevoll und Granny hatte so viel Essen auf den Tisch gestellt, dass es den Anschein hatte, sie würde meinen, dass ich alleine verhungerte. Dennoch schmeckte es bei den beiden und in Gesellschaft natürlich besonders gut. Abends hatte mein Granddad seine monatliche Pokerrunde bei sich zuhause, die natürlich auch bei Besuchen des Enkels nicht ausfallen konnte. Ich setzte mich also zu den älteren Herren an den Tisch und spielte mit. Besonders erfolgreich war ich allerdings nicht, so dass ich schon schnell All-In ging und dann ausschied. Ich verabschiedete mich und ging zu Granny in die Küche, wo wir noch einen Tee tranken, bevor ich ins Bett ging.
Nicht lange später lag ich frisch geduscht mit noch feuchten Haare - hoffentlich würde ich das morgen früh nicht bereuen - im Bett und öffnete die D-M-H-App. Wie ich gehofft hatte, hatte ich eine neue Nachricht von Oliver.
Oliver Twist an Lucky Luke: „Hi Luke, ich hoffe, dass du Spaß bei deiner Familie hast. Mein Abend mit meiner Schwester war toll. Sag mal, darf ich dich was fragen? Ich finde es total schön, wie wir hier miteinander schreiben, aber kannst du dir auch vorstellen, dass wir außerhalb der App Kontakt haben? Und keine Sorge, ich mutiere hier nicht plötzlich zum Creep und das ist kein Angebot zum Sex. Ich bin kein Mann für Sex beim ersten Date. XO Oliver"
Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Ja, ich würde Oliver total gerne mal treffen. Aber wie sollte das gehen, wenn er mich möglicherweise direkt als Louis Tomlinson erkannte. Auf die Schnelle fiel mir keine Lösung ein. Obwohl ich ja schon heute Nachmittag darüber nachgedacht hatte. Dennoch wollte ich Oliver eine kurze Rückmeldung geben.
Lucky Luke an Oliver Twist: „Hey Oliver, bei meiner Familie ist es toll. Aber kannst du dir vorstellen, dass mein Granddad und seine Freunde mich voll beim Poker abgezogen haben? Und Granny hat so viel Essen aufgetischt, dass das für die dreifache Menge Personen gereicht hätte. Zu deiner Frage: du willst ein Date mit mir, habe ich das richtig verstanden? Das ist ja süß von dir. Versteh' das jetzt nicht falsch, aber darf ich darüber nachdenken? Schlaf schön und träume süß! L."
Ich schloss die App wieder und versuchte schnell in den Schlaf zu finden. Leider kreisten meine Gedanken viel zu sehr um die Unterhaltungen mit Oliver. Es war schon irgendwie Wahnsinn, wie schnell ich mich mit ihm verbunden fühlte und das Gefühl hatte, dass ich ihn schon ewig kennen würde. Hätte ich an Schicksal geglaubt, würde ich es fast als solches beschreiben, dass er sich getraut hat, mich in dem Moment anzuschreiben, als ich gerade dabei war, die App zu löschen. Aber ich glaubte ja nicht an sowas wie Schicksal. Wahrscheinlich war es also einfach nur ein passender Zufall.
Irgendwann war ich offenbar doch über meine Gedanken eingeschlafen, denn am nächsten Morgen weckte mich der Duft nach typisch englischem Frühstück. Das gab es immer, wenn ich bei meinen Großeltern zu Besuch war und ich freute mich sehr darüber.
„Ich komme gleich runter, Granny", rief ich, nachdem ich aus meinem Zimmer gegangen war.
„Du musst dich nicht beeilen, Louis, Daisy und Ryan sind auch noch nicht da. Wenn du magst, kannst du also erstmal in Ruhe ins Bad", entgegnete sie fröhlich.
Ich ging ins Bad und wie zu erwarten war, standen meine Haare in alle Richtungen ab. Da ich aber keine Lust hatte, erneut zu duschen, führte ich nur die übliche Morgentoilette durch. Danach schlüpfte ich in gemütliche Trainingshosen und T-Shirt, setzte mir eine Base-Cap auf und lief die Stufen hinunter. In der Küche begrüßte ich meine Großmutter mit einem Kuss auf die Wange und schmunzelte kurz. Granny hatte immer noch Lockenwickler in den Haaren. Seit ich sie kannte, also seit meiner Geburt, sah sie jeden morgen so aus. Ich schnappte mir das Tablett mit den Würstchen und dem gebratenen Speck und ging hinüber zum Esstisch, wo ich den Rest meiner Familie begrüßte.
Wir frühstückten gemütlich und wie immer, wenn alle Tomlinson-Deakin-Poulstons an einem Tisch saßen war es laut und turbulent. Nicht einmal Olive schien die Lautstärke etwas auszumachen, denn sie schlummerte friedlich auf dem Arm ihres Vaters. Irgendwann verdrückte ich mich kurz auf die Terrasse, um zu rauchen. Ich zog mein Handy aus der Tasche und checkte schnell, ob Oliver mir geschrieben hatte. Und ich hatte Glück.
Oliver Twist an Lucky Luke: „Hey Luke, natürlich darfst du darüber nachdenken. Ich will und wollte dich zu nichts drängen. Ehrlich gesagt, fühle ich mich auch nicht ganz wohl dabei, wenn du mich siehst. Nenn' es von mir aus Paranoia, aber ich habe im Beruf schon einiges erlebt. Dennoch würde ich dich gerne richtig kennenlernen. Deswegen habe ich mich gestern kurz mit meiner Schwester darüber unterhalten. Kennst du „Dinner in the Dark"? Da isst man komplett im Dunkeln und sieht sein Gegenüber nicht. Vielleicht wäre das eine Idee für ein Treffen. Du kannst mir ja mal schreiben, was du davon hältst. Ansonsten wünsche ich dir weiterhin viel Spaß bei deiner Familie. XO O."
Ich musste beim Lesen grinsen. Oliver hatte sich wirklich einige Gedanken gemacht. Und ich konnte seine Paranoia wirklich nachvoll ziehen. Ich schloss die App, drückte meine Zigarette aus und ging zurück zu meiner Familie.
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POV Harry - am Freitag-Abend eine Woche später, vor dem Dinner-in-the-Dark, London
Tatsächlich hatten Luke und ich uns darauf geeinigt, uns heute im Dunkeln zum Essen zu treffen. Die ganze Woche über hatten wir zig Nachrichten ausgetauscht und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass ich Luke schon ewig kennen würde. Dennoch war ich so aufgeregt wie schon lange nicht mehr. Deswegen hatte ich den halben Tag im Badezimmer und in meinem Ankleidezimmer verbracht. Zufrieden war ich immer noch nicht. Wobei das ja letztlich egal war, weil wir uns erstmal gar nicht sehen würden. Vorsichtig drehte ich die Ringe an meinen Fingern. Meine Siegelringe hatte ich zuhause gelassen, weil die doch ggf. einen Rückschluss auf meine Identität wären. Stattdessen trug ich meinen Peacering, den Löwen und einen Ring mit Perlen, den meine Mum mir zu Weihnachten geschenkt hatte.
Wir hatten uns darauf geeinigt im Abstand von etwa 10 Minuten am Restaurant einzutreffen, damit wir uns nicht versehentlich schon vorher sehen. Ich drückte auf die Klingel und ein Kellner empfing mich freundlich. Im Vorraum war es halbdunkel, damit sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnen konnten.
„Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?"
„Oh, sehr gerne. Ich hatte einen Tisch für zwei unter dem Namen Twist reserviert. Mein Begleiter kommt erst ein paar Minuten später. Ich hoffe, das ist okay", antwortete ich und reichte dem Mann meinen Mantel.
„Aber natürlich. Möchten Sie dennoch schon Platz nehmen?", fragte er, was ich nickend beantwortete.
„Ich führe Sie gleich an Ihren Tisch und erkläre Ihnen, was sie wo finden. Für manche unserer Gäste ist es angenehmer, zusätzlich eine Augenbinde zu tragen", fuhr er daraufhin fort, reichte er mir eine Augenbinde und brachte mich zu einer Türe, „ab hier wird es dunkel. Keine Sorge, ich finde mich hier zurecht. Ich würde Sie aber jetzt an die Hand nehmen, damit ich Ihnen den Weg zeige, ich hoffe, das ist okay für Sie."
Ich nickte, schob mir die Augenbinde über den Kopf und reichte dem Kellner meine Hand.
„Dann kommen Sie mal mit."
Er führte mich zu einem Tisch und rückte mir den Stuhl zurecht. Dann nahm er meine Hände und führte sie zu den Gläsern und der Serviette.
„Mit jedem Gang wird Ihnen auch das Besteck serviert. Die jeweiligen Kellner werden Ihnen dann das Besteck in die Hand drücken, damit Sie nicht im Dunklen suchen müssen. Ich habe gesehen, dass Sie zweimal das Fischmenü gewählt haben, bleibt es dabei? Möchten Sie bereits etwas Wein haben oder gleich gemeinsam entscheiden?"
„Ja, ich denke, wir bleiben beim Fisch. Danke. Mit dem Wein würde ich gerne warten, was mein Begleiter sagt. Ich bin schon sehr gespannt, wie es sein wird, zu essen, ohne etwas zu sehen!", erklärte ich dem Kellner.
„Machen Sie sich keine Sorge, wir erklären Ihnen genau, was es zum Essen gibt und bisher hat sich noch fast niemand beschwert."
Ich hörte ein kurzes Quietschen, offenbar wurde der Stuhl mir gegenüber zurück geschoben. Mein Kellner räusperte sich noch kurz.
„Herr Twist, Ihr Begleiter wird gerade auch zum Tisch gebracht. Ich verabschiede mich jetzt und wünsche Ihnen beiden einen schönen Abend."
„Herzlichen Dank", antwortete ich und versuchte mich auf meine Umgebung zu konzentrieren. Es war ziemlich ungewohnt, nichts zu sehen und sich auf seine anderen Sinne verlassen zu müssen. Die Geräuschkulisse im Raum war auch irgendwie anders als gewohnt. Wahrscheinlich damit die Kellner sich im Dunkeln orientieren könnten. Es war nicht leise, im Gegenteil, aus jeder Richtung hörte man unterschiedliche Geräusche.
Dann hörte ich, dass zwei Personen in meine Richtung kamen. Jemand schien sich hinzusetzen und der Stuhl wurde nach vorne geschoben.
„Mr. Twist, ich bringe Ihnen Ihren Begleiter", sprach eine Frauenstimme in meine Richtung, „Mr. Luke, Mr. Twist sitzt Ihnen schon gegenüber. Hier stehen Ihre Gläser. Mein Kollege sagte mir, Sie wollten noch gemeinsam den Wein aussuchen?"
„Hallo Luke", sprach ich leise und weil ich aufgeregt war, hörte sich meine Stimme deutlich höher an als sonst, „ist es okay, wenn wir Weißwein wählen? Ich denke, der passt gut zum Fisch."
„Hallo Oliver", antwortete Luke ebenso mit gedämpfter Stimme, als ob er sich auch nicht traute im Dunkeln laut zu sprechen. Außerdem klang er leicht heiser. „Ja, Weißwein ist in Ordnung für mich."
„Okay, dann bringen Sie uns bitte Weißwein", sprach ich in die Richtung, in der ich die Kellnerin vermutete.
„Alles klar die Herren. Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Abend, der Wein und der erste Gang kommen gleich", mit diesen Worten verabschiedete sie sich und ließ uns zu zweit am Tisch zurück.
Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Irgendwie war ich damit überfordert, jetzt hier gemeinsam mit ihm zu sitzen, obwohl ich mir das gewünscht hatte. Ich atmete tief durch die Nase ein und ein herber, aber sehr angenehmer Männerduft strömte mit der Atemluft hindurch.
„Findest du das auch irgendwie seltsam?", fragte Luke mich, immer noch leise und mit heiserer Stimme.
„Ja, irgendwie schon. Und ich habe totale Angst, dass ich hier gleich mein Glas umwerfe oder mit der Gabel nachher nicht meinen Mund treffe. Hast du gut hergefunden?"
Die ersten paar Minuten unterhielten wir uns etwas verkrampft und über allgemeine Themen. Luke erklärte mir, dass er leicht erkältet wäre, er hätte sich am letzten Wochenende bei seinem Neffen angesteckt. Eigentlich wäre aber nur noch seine Stimme angeschlagen. Über das Familienthema wurde unser Gespräch auch etwas lockerer. Er erzählte gerade, dass seine Grandma zum Frühstück so viel aufgetischt hatte, dass später zur Kaffee- und Kuchenzeit niemand mehr Hunger hatte. Plötzlich wurden wir unterbrochen, weil unser erster Gang gebracht wurde. Wir hatten jeweils drei Brotscheiben mit verschiedenen Aufstrichen auf den Tellern vor uns. Den ersten Gang konnten wir also gefahrlos mit den Fingern essen, ohne uns mit dem Besteck zu verletzen.
Das Essen schmeckt richtig gut, dennoch konnte ich gar nicht genau zuordnen, was ich gegessen hatte. Nach verschiedenen Fisch-Aufstrichen schmeckten alle drei Brote. Und wenn ich richtig vermutete, lagen auf einem kleine Kavierkugeln. Nachdem ich den letzten Bissen gegessen hatte, legte ich meine Serviette zurück auf den Tisch. Offenbar wollte Luke im gleichen Moment nach seinem Wasserglas greifen, so dass meine Fingerspitzen seine Hand streiften.
Ich zuckte zurück, obwohl sich seine Hand angenehm warm angefühlt hatte. Dennoch war die Berührung überraschend gewesen. Auch Luke schien seine Hand zurück zu ziehen und hätte beinahe sein Wasserglas umgeworfen. Offenbar fing er es im letzten Augenblick noch auf.
„Fuck! Jetzt hätte ich hier fast gebadet, erschrecke mich doch nicht so", kicherte er. Und sein helles Lachen klang so vertraut und angenehm in meinem Ohren, dass ich es gerne jederzeit wieder hören wollte.
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POV Louis - am Freitag-Abend, im Restaurantbereich des Dinner-in-the-Dark, London
Ich zuckte zurück, als die Fingerspitzen mich berührten. Darauf war ich nicht vorbereitet gewesen. Obwohl seine Fingerspitzen weich und warm waren, war es, als ob Blitze durch meine Hand zuckten. Gut, dass ich mein Wasserglas noch retten konnte.
Kurz darauf wurden unsere Teller weggeräumt und es wurde uns mitgeteilt, dass es mit zum nächsten Gang noch einen Moment dauern würde. Ich legte meine Hände vor mir auf den Tisch, irgendwie war ich es gewohnt, sonst immer damit wild zu gestikulieren, während ich sprach, aber im Dunkeln kam ich mir dabei doof vor. Unser Gespräch war mittlerweile relativ locker und vertraut geworden. Wir unterhielten uns über Filme und Serien, die wir gerne sahen. Irgendwann wechselten wir zu Orten, die wir gerne mal bereisen würden. Wir waren beide schon an vielen unterschiedlichen Orten auf der ganzen Welt gewesen. Allerdings war das bei uns beiden meistens beruflich bedingt gewesen, so dass wir selten Zeit hatten, die Orte wirklich kennenzulernen. Oliver träumte von einem ausgiebigen Besuch in Rom und auf meiner Bucketlist stand Paris recht weit oben.
Oliver schien seine Hände ebenfalls auf dem Tisch abgelegt zu haben, denn ich spürte eine Wärmequelle in der Nähe meiner Finger. Vorsichtig schob ich meine rechte Hand nach vorne und legte sie auf Olivers Hand. Er schien kurz den Impuls zu haben, die Hand wegzuziehen, widerstand diesem jedoch.
„Ist das okay?", fragte ich leise. Da er seine Hand liegen ließ, nahm ich das als Zustimmung. Oliver erzählte mir derweil, dass er zur Zeit „Sturmhöhe" las und das Buch eigentlich schrecklich fand. Aber da er den Spleen hatte, Bücher, die er einmal angefangen hatte, auch zu Ende lesen zu müssen, konnte er das Buch nicht halb gelesen zurück ins Regal stellen. Während er sprach, erkundete ich mit meinen Fingern seine Hand. Sie schien größer zu sein als meine. Die Hand war warm, aber nicht schwitzig, sondern fühlte sich angenehm weich unter meinen Fingern an. Er schien zwei Ringe an der Hand zu tragen, genau konnte ich das jedoch nicht sagen. Ich beendete meine Erkundungstour und legte meine Hand mehr oder weniger still auf seiner ab und bewegte lediglich meinen Daumen auf seinem Handrücken.
„Meine Herren, darf ich Ihnen die Hauptspeise bringen", unterbrach uns ein Kellner. Ich zog ein wenig frustriert meine Hand zurück und ließ den Kellner den Teller hinstellen. „Auf Ihren Tellern haben Sie ein Lachsfilet, dazu Kartoffel-Sellerie-Stampf mit Meerrettich und einer leichten Zitronenjus. Darf ich Ihnen Ihr Besteck in die Hände legen?"
Wir stimmten zu. Zunächst wurden unsere Hände zum Teller geführt, um uns zu zeigen, wo dieser stand. Dann bekam jeder von uns ein Fischmesser und eine Gabel in die Hand gedrückt.
„Dann wünsche ich Ihnen einen guten Appetit. Lassen Sie es sich schmecken", mit diesen Worten verabschiedete der Kellner sich von uns.
„Den wünsche ich dir auch, Oliver", fügte ich hinzu.
„Danke gleichfalls", entgegnete er.
Die Hauptspeise schmeckte ebenso gut wie die Vorspeise und erstaunlicherweise schafften wir es unfallfrei zu essen. Während wir uns auf das Essen konzentrierten, stockte unsere Unterhaltung. Beides gleichzeitig war im Dunkeln dann doch etwas zu schwierig. Als mein Teller leer zu sein schien, legte ich mein Besteckt darauf ab. Und bereits kurz darauf hörte es sich so an, als ob auch Oliver sein Besteck abgelegt hätte.
Wir nahmen unser Gespräch wieder auf und im Gegensatz zu ihm, der gerne Romane, durchaus auch Klassiker las, bestand mein Bücherregal hauptsächlich aus Biografien oder Sachbüchern rund um Musik. So kamen wir auch auf das Thema Musik zu sprechen und stellten fest, dass wir beide mehrere Instrumente spielten. Allerdings merkte ich, dass Oliver immer wortkarger wurde, je mehr wir uns über Musik unterhielten. Das wunderte mich ein wenig, da er doch in sein Profil geschrieben hatte, dass sein Gehirn zu 80 % aus Songtexten bestand. Ich wollte aber auch nicht weiter nachbohren, da das Thema Musik für mich auch einige Stolpersteine beinhaltete. Die Gefahr war zu groß, mich jetzt zu verraten. Wobei wir uns in kurzer Zeit ja sowieso Auge in Auge gegenüber stehen würden. Dann würde er mich voraussichtlich eh erkennen. Oder hatte er geplant, dass wir getrennt das Restaurant verlassen würden, wie wir auch getrennt gekommen waren?
Plötzlich wurde ich ein wenig unsicher, denn ich hatte weiterhin das Gefühl, dass wir uns auch live genauso gut verstanden, wie schon bei unseren Unterhaltungen in der App. Ich nahm einen großen Schluck von meinem Wein und stellte mein dann leeres Glas auf den Tisch zurück.
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POV Harry - am Freitag-Abend, im Restaurantbereich des Dinner-in-the-Dark, London
Ein wenig war ich froh, dass der Kellner uns mit dem Dessert unterbrach, als Luke relativ leidenschaftlich von Musik und den Instrumenten, die er spielte sprach. Musik war irgendwie ein vermintes Terrain und ich hatte Angst, mich jetzt schon zu verraten.
Das Dessert bestand aus klassischem New York Cheesecake mit einem Blaubeer-Kompott. Ich befürchtete schon, ich müsse nachher mit blauen Zähnen vor Luke stehen. Das wollte ich keinesfalls. Ob er mich überhaupt sehen wollte? Ich hatte zwar Angst davor, dass er zurückschrecken würde, wenn er erkannte, dass ich nicht Oliver Twist, sondern Harry Styles war, aber bisher hatten wir uns doch gut verstanden. Oder hatte ich das falsch interpretiert? Als er vorhin meine Hand gestreichelt hatte, hatte ich sich das so angenehm und vertraut angefühlt. Ein Prickeln war von meinem Handrücken durch meinen Arm und bis in meinen Nacken gewandert. Das Gefühl würde ich gerne in der Zukunft noch einmal spüren.
„Darf ich abräumen? Hat es Ihnen geschmeckt?", sprach der Kellner und trat an unseren Tisch, um die leeren Teller abzuräumen. „Möchten Sie noch einen Absacker trinken?"
„Es hat mir sehr gut geschmeckt", entgegnete ich, „es war ein spannendes Erlebnis und ich hoffe, ich habe alles richtig rausgeschmeckt."
„Ich fand es auch richtig lecker", sagte Luke, „Oliver, was hältst du davon, wenn wir noch einen Cocktail in einer Bar trinken und hier auf den Absacker verzichten?"
Ich spürte, wie meine Wangen vor Freude rot wurden. Er wollte mich also wirklich gleich sehen.
„Das ist eine gute Idee, Luke", stimmte ich ihm zu. An den Kellner gewandt sagte ich dann: „Wir möchten keinen Absacker mehr. Ich danke Ihnen aber wirklich für den Abend hier."
„Darf ich Sie dann in den Vorraum führen? Dort können wir uns auch noch um die restlichen Formalitäten kümmern", sprach der Kellner und rückte meinen Stuhl ein wenig zurück. Er nahm kurz meine Hand und legte sie in seinen gebeugten Ellbogen, um mich hinaus zu führen. Ich folgte ihm in den Vorraum und trug immer noch meine Augenbinde.
Luke folgte mir und plötzlich hörte ich ein lautes Keuchen.
„DU?", sprach Luke und seine Stimme klang aufgeregt und gleichzeitig entsetzt und verwirrt.
Ich riss mir die Binde vom Kopf. Meine Augen mussten sich trotz des eher schummerigen Lichts im Vorraum erstmal an die Helligkeit gewöhnen. Ich drehte mich zu der Stimme meines Begleiters um. Mein Atem stockte. Die Person, die mir jetzt gegenüber stand, war mir mehr als bekannt. Diese Augen, diese wuscheligen Haare und diese Figur würde ich immer und überall erkennen. Warum hatte ich ihn nicht an der Stimme erkannt, hatte mich die Heiserkeit so in die Irre geführt? Oder hatte ich einfach nie in Erwägung gezogen, dass die gefühlte Vertrautheit eben nicht nur gefühlt war? Ich legte meine Hand an seine Wange.
„Lou?", fragte ich fassungslos. Hatte ich wirklich die letzten zwei Wochen damit verbracht, mich mit Louis auszutauschen?
„Ja, Harry, sieht so aus, als ob ich das bin", schmunzelte er.
Er nahm kurz meine Hand von seiner Wange und betrachtete meine Ringe.
„Dein Ring kam mir vorhin schon beim Tasten so bekannt vor. Ich wusste nicht, dass du den Ring immer noch hast", sprach er und sah mir in die Augen. Ich konnte seinem Blick nicht ausweichen und starrte wie gebannt in diese meerblauen Augen, die schon vor einigen Jahren eine wahnsinnige Faszination auf mich ausgeübt hatten. Die Umgebung und die Leute um uns hatte ich völlig ausgeblendet. So geflasht war ich davon, nach Jahren ohne persönlichen Kontakt endlich wieder Louis gegenüber zu stehen.
Ich strahlte ihn an und entgegnete: „Als könnte ich jemals etwas wegwerfen, was du mir geschenkt hast, Lou!" Dann zog ich ihn in eine feste Umarmung und wollte ihn am liebsten nie wieder loslassen.
ENDE
Vielen lieben Dank für das Lesen der Geschichte. Die Idee dazu ist mir neulich gekommen, als ich im Radio hörte, dass Sam Smith jetzt Single ist und sich bei dieser Promi-Dating-App angemeldet hat. Und keine Sorge Louis, die prüfen das tatsächlich nach und verlangen Nachweise dazu, dass man einen bestimmten Status hat. Allerdings zählen, sofern ich das richtig mitbekommen habe, auch eine gewisse Anzahl Follower und ein blauer Haken in den sozialen Medien dazu. Ob man also wirklich geschützt ist, konnte - und wollte - ich nicht recherchieren.
Auf jeden Fall fand ich die Idee ganz nett, dass die beiden sich zufällig so wieder treffen und nicht wirklich erkennen. Und es hat mir Spaß gemacht, die Geschichte zu schreiben.
Ich hoffe, ihr hattet genauso viel Spaß beim Lesen. Falls euch die Geschichte gefallen hat, freue ich mich auf jeden Fall über Sternchen und Kommentare. Gerne dürft ihr mir aber auch schreiben, was für euch nicht so ganz gepasst hat. Ich lerne ja noch...
Ich kann noch nicht genau sagen, wann hier die nächste Geschichte kommt, aber ich habe noch etliche Ideen.
Ganz liebe Grüße und bis demnächst!
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