52 | Badespaß

Mit @LonelyArktis

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How to drown your feelings

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„Zwei Jahrzehnte Quälen für nichts und wieder nichts."
Die Beine angezogen saß Aries am Ufer des Styx. Der Fluss hatte sich in der Zwischenzeit nicht verändert, sah harmlos wie eh und je aus. Trotzdem scheute sie sich davor auch nur die Hand ins Wasser zu halten. Sie hatte nicht viel Wissen aus der Schule über die griechische Mythologie mitgenommen und für Fantasy Romane hatte Aries noch weniger die Zeit zu gehabt. Aber irgendwann hatte sie aufgeschnappt, dass es im Land der Toten einen Fluss gab, der alles vergessen ließ.

In den Händen hielt sie ein Notizbüchlein, malte krakelige Linien an den Rand der Seite und versuchte verzweifelt sich an irgendetwas Gutes zu erinnern. Ein schönes Erlebnis, das sie aufschreiben könnte.
- Papa hat mich dort zurück gelassen?
- Mutter säuft nicht mehr?
- Die Geburt meiner Geschwister und weiterer Probleme?
Nichts davon war schön. Warum sollte sie sich daran erinnern wollen?

Ihre Hand mit dem Stift in der Hand zitterte gefährlich, als sie zum Schreiben ansetzte:

Mein Name ist Aries.
Ich bin intelligent und kitzelig, aber ich sollte nicht alleine los laufen, weil mein Orientierungssinn beschissen ist.
Ich bin gestorben und möchte gerne in den Himmel. Darum will ich jetzt täglich beten.
Etwas Schlimmeres als böse Gedanken haben, habe ich nie im Leben gemacht.
Ich möchte glücklich sein.
Ich kann mich an nichts mehr erinnern, weil ich es so wollte.
Die schwarzhaarigen Dämonen mit roten Augen sind die Schlimmsten.
Ich muss mich von keinem anfassen lassen, egal was die Dämonen sagen.
M ist ein Arsch und sozusagen mein Vorgesetzter, aber K hat mehr Macht.
Der mit den blauen Augen ist vielleicht in Ordnung.

Seufzend starrte sie auf die wenigen Zeilen. Es fühlte sich kindisch und übertrieben dramatisch an, einen Brief an sich selbst zu schreiben und alles andere auch. Aber sie hatte sich entschieden, jetzt würde sie es auch durchziehen.

Als wäre ein Seufzen nicht genug, tat sie es wieder beim Abstreifen der engen Ledergarnitur. Nur noch in Unterwäsche stand sie vor dem sanft reißenden Fluss, holte tief Luft und tat den Schritt ins Nass. Kaltes Wasser umspielte ihre Knöchel. Aries stieg tiefer hinein, bis nur noch ihr Hals aus der Flut raus ragte. Als würde sie ein Bad nehmen, fing sie an sich zu waschen. Rubbelte sich über die Oberarme, tauchte den Kopf kurz unter und vergaß immer mehr. Gedanken, die eben noch wie dichter Qualm ihr Hirn belästigt haben, verflüchtigten sich, wurden mit dem Flusswasser fort gespült.

Es gab nur noch diese Ruhe und Leere. Nichts war mehr von Bedeutung. Alles war, wie es war, sie ein Mädchen, das im Fluss badete bis es zu kalt wurde. Sie zog die Kleidung an, die am Boden lag, denn es musste die ihre sein. Und dann saß sie da, mit leerem Kopf, ein bisschen wie eine Mondsüchtige starrte sie vor sich. Tränen rannen über ihre Wangen. Zuerst merkte sie es nicht, aber es wurden immer mehr und mit ihnen legte sich diese bleierne Schwere wieder auf ihre Schultern, Kopf und Herz.

Lederne, fest geschnürte Stiefel stoppten vor dem kleinen Notizbuch, das im Staub am Flussufer lag. Eine große, raue Hand, an dessen Handgelenk ein ledernes Armband befestigt war, auf dem man, wenn man ganz genau hinschaute, einen eingeritzten Fisch erkennen konnte, griff nach den zerknickten Seiten, hob es  hoch, als wäre es etwas unglaublich Kostbares.

Peters braune Haare hingen ihm zerzaust ins Gesicht, das einfache beige Wollhemd mit V-Ausschnitt hing verrutscht über seinen Oberkörper und die Jeans war so zerknittert, dass es nicht viel Fantasie brauchte, um zu wissen, dass er gerade erst aus dem Bett gestiegen war – unter welchen Umständen genau ist unbekannt.

„Ich möchte gerne in den Himmel...Etwas Schlimmeres als böse Gedanken haben, habe ich nie im Leben gemacht...ich möchte glücklich sein", formten seine Lippen andächtig die geschriebenen Worte, bevor er verstummte.

Nachdenklich das Büchlein in seiner Hand betrachtet, die Schrift mit einem langen, schlanken Finger nachfuhr, so, als müsse er eine gewichtige Entscheidung treffen, bevor er schließlich den Kopf aufrichtete, der Blick seiner strahlend blauen Augen auf das Mädchen fiel, das nun am Ufer kauerte.

„Vielleicht...vielleicht kann ich dir helfen", begann er langsam. „Ich kann dich mitnehmen. Nach oben." Er hüstelte verlegen, wählte jedes seiner Worte mit Bedacht. „Vor dem Himmelstor...müsstest du Petrus, dem Wächter, deinen Fall vortragen. Vielleicht entscheidet er dann, dass du rein darfst."

Sie war nicht allein. Die Erkenntnis traf sie wie ein Blitzschlag. Im Krankenhaus benutzten Ärzte Defibrillatoren um im Moment verloren gegangene Menschen mit Elektroschocks wieder zurück zu holen. Peters Stimme zu hören verursachte bei ihr den gleichen Effekt. Ihr Herz schlug plötzlich wieder, laut und beständig, aber nicht etwa weil sie sich in Blauauge verliebt hätte. Es war nur... scheiße unangenehm. Wieso jetzt, wieso nicht später?

Trotzig wischte Aries sich mit den Handrücken über die verheulten, geröteten und etwas geschwollenen Augen. Sie hatte keine Kraft und auch nicht die Zeit ein auf lieb getrimmtes Minenspiel aufzusetzen. „Was?", wollte sie schroff wissen und erschrak selbst über die kratzige Stimme. Kein Wort aus seinem Mund ergab einen Sinn, bis sie das Notizbuch in seinen diebischen Fingern erblickte. Die Wangenknochen in ihrem Gesicht traten stärker hervor, wegen der fest aufeinander mahlenden Zähne. Langsam zwang sie ihre müden, kalten Knochen aufzustehen, nicht in einen weiteren Wut- oder Heulkrampf zu fallen – diese beiden Möglichkeiten bestanden – stattdessen auf den Mann zuzugehen und fordernd die Hand auszustrecken.

Die Bedrohung, die sie zuletzt von ihm ausgehen glaubte, fehlte derzeit gänzlich. Er sah ausgeruht aus, zwar völlig zerknittert, aber erholt.

Fast, nein, sie war neidisch auf ihn und sein Bad Hair. „Das ist mein Buch. Gib es zurück", grummelte sie leiser, um die Stimmbänder zu schonen. „Bitte." Es war ihr so unangenehm ihn um etwas zu fragen, irgendjemanden um etwas zu bitten. Peinlich berührt ging ihr Blick zur Seite, zum Fluss, war viel spannender als ein Mann, der den Himmel in den Augen trug, während ihr Arm immer noch nutzlos in der Luft hing.

Schon bei ihrer ersten Aufforderung es ihr auszuhändigen hatte Peter ihr das Buch hingehalten, mit der flachen Hand verlegen den Nacken reibend. Die Angewohnheit anderen Personen ständig helfen zu wollen, hatte ihm schon mehr als einmal eine unwirsche Anfuhr eingebracht, aber dem Drang, dem Kribbeln in den Fingerspitzen, gab er – besseren Wissens – dennoch oft nach.

„Lies die Kacke nicht", wünschte Aries sich, quiekte auf wie ein erstickendes Ferkel, konnte die Tränen doch nicht drinnen behalten. Freudloses Lachen sollte sie verstecken. „Dann – dann bring mich dahin." Ein Schluckauf mischte sich in ihre Sprache ein, machte ihr das Reden schwer.


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