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September 1974

„Black Horse" Bar, England

Die Luft ist verschmutzt durch den Geruch von Tabak und Schweiß. Grelles Scheinwerferlicht brennt auf meine Haut hinab und blendet meine Augen, sodass ich kaum das Publikum erkennen kann. Ich glaube, ich kann noch einen kurzen Blick auf die atemberaubende Frau in der zweiten Reihe erhaschen. Sie schwingt ihren ganzen Körper im Rhythmus zur Musik und lässt ihre dunklen Haare um ihr perfektes Gesicht wehen. In wenigen Sekunden muss ich den letzten Takt spielen. Einer der Griffe ist besonders schwierig. Ich spiele noch nicht lange. Gerade einmal ein Jahr. Meine Augen driften hinüber zu Mint. Er steht rechts von mir, vielleicht einen Meter weiter vorne als ich. Seine vollen Lippen sind ganz nah am Mikrofon, das er mit beiden Händen zu sich hält. Bevor er seine nächste Zeile singt, sieht er kurz in meine Richtung. Seine Augen verraten mir, was er gerade nicht aussprechen kann.

Du schaffst das.

Zumindest hoffe ich, dass sein Blick mir das mitteilen möchte.

Danke, Mint.

Ich atme tief durch. Sehen die Leute im Publikum meine Nervosität? Zuvor habe ich noch nie vor so vielen Menschen gespielt. Dabei ist das hier nur eine kleine Bar, kein richtiges Konzert. Ich bin noch kein Rockstar, ich fühle mich auch nicht wie einer. Wenn ich aber Mint zusehe, wie er anmutig auf der Bühne stolziert und die unterschiedlichsten Töne in sein Mikrofon singt, dann sehe ich meine Zukunft. Unsere Zukunft, als Band.

Ich bin in Gedanken vertieft und verpasse fast meinen Einsatz. Mit aller Energie, die mir von der Aufregung und dem Alkohol übrigbleibt, schlage ich zum letzten Mal heute Abend eine Saite meiner Bassgitarre an. Dann verschwimmt das Bild und für einen Moment höre ich gar nichts, als hätte mich diese Show meinen Gehörsinn gekostet.

Ich spüre mein Herz klopfen und sehe hinunter auf den Boden. Schweiß rinnt über meinen Nacken und meine Stirn. Mir ist unendlich heiß.

Dann höre ich ihn. Den Applaus. Die Pfiffe und Rufe der Zuschauer. Ein Lächeln breitet sich auf meinen Lippen aus, ich spüre noch einmal das High von heute Abend über mich rollen, als ich mich kurz verbeuge und der Frau in der zweiten Reihe eine Kusshand zuwerfe. Sie tut so, als würde sie den Kuss fangen und ihn in ihren Ausschnitt schieben.

Ich glaube, ich werde rot, aber zum Glück sieht das niemand, weil ich mich schon umdrehe und über die kleine Treppe zurück in den Umkleideraum stolpere.

Ein Mitarbeiter der Bar nimmt uns unsere Instrumente ab und fragt, ob wir noch irgendwelche Wünsche haben. Die anderen schütteln ihre Köpfe und beginnen dann eine Diskussion, wer zuerst unter die Dusche darf. Wahrscheinlich gewinnt Mint.

Ich sehe den Mitarbeiter an und senke meine Stimme ein wenig.

„Es gibt da eine Frau...", beginne ich. Er nickt verständnisvoll und ich rede weiter.

„...Sie hat dunkle Haare und glänzende dunkle Haut. Sie ist schön, ich glaube, Sie erkennen sie, wenn Sie sie sehen. Sollte sie nach Zutritt zum Backstage-Bereich fragen, lassen Sie sie bitte rein."

Der Mann nickt erneut und spricht über ein kleines Funkgerät mit jemandem, während er sich dem Ausgang zur Bar nähert.

Ich gehe ein paar Schritte weiter in unseren kleinen Aufenthaltsbereich. Marina hat sich auf der ganzen Couch ausgebreitet und versucht, mit ihren schwarzen Fingernägeln ihre Haare zu kämmen. Ihre gelben Lederstiefel bilden einen starken Kontrast zum roten Stoff der Couch. Sie grinst mich an.

„Was?", frage ich mit einem Schulterzucken.

„Du hast wieder eine Kleine aufgerissen, ha?", fragt sie direkt und provokant.

Ich grinse ebenfalls und lasse mich auf den Sessel neben ihr fallen.

„Gute Arbeit", kommentiert sie, als sie mir auf die nackte Schulter klopft. Ich spüre, wie rau ihre Haut sich vom Holz der Drumsticks anfühlt.

„Naja, aufgerissen ist vielleicht nicht ganz richtig. Ich hab möglicherweise von der Bühne aus ein wenig geflirtet", meine ich mit einem leicht sarkastischen Ton in der Stimme. Dann werfe ich dramatisch meine Haare nach hinten und trällere: „So machen das Rockstars, weißt du?"

Marina lacht. Nur bin ich mir nicht ganz sicher, ob sie mich auslacht, oder ob sie sich tatsächlich für mich freut.

***

Meine Lippen streifen über die zarte dunkle Haut der fremden Frau. Sie hat die Farbe von Haselnüssen und fühlt sich weich an. Ich streichle ihren dünnen Hals mit meinen langen Fingern und sie betrachtet meine unordentlich lackierten Fingernägel.

Wir teilen einen nach Bier schmeckenden Kuss nach dem anderen und ich genieße jede einzelne ihrer Berührungen. Ihr pfirsichfarbener Lipgloss, der nebenbei auch nach dieser Frucht schmeckt, verteilt sich über meinen Lippen und meinem Hals. Ich drücke die Frau kurz zur Seite, um mir mein schulterfreies Shirt vom Leib zu reißen.

Das Kleidungsstück landet ein Stückchen neben mir in einer Ecke des engen Badezimmers.

Die Frau grinst beim Anblick meines Oberkörpers. Ich sehe zu, wie ihre Hände in ihren Auschnitt wandern. Sie tut so, als ziehe sie etwas von dort hervor. Ich erinnere mich an den Kuss, den ich ihr zugeworfen habe und den sie daraufhin eingesteckt hat.

„Willst du den wieder?", höre ich ihre zuckersüße Stimme fragen.

Ich nicke und presse sie gegen das Waschbecken. Es wird immer heißer im Raum. Ich spüre die Hitze ihres Körpers, meine Beine werden schwach und doch will ich mehr von ihr. Beziehungsweise weniger.

Ein amüsiertes Lächeln überquert mein Gesicht, als ihre rote Bluse am Fliesenboden landet. Ich betrachte den schwarzen Stoff ihres BHs. Diese Frau ist wunderschön...

Jetzt will ich sie wirklich. Ich spüre das High von der Show zurückkommen und genieße das glückliche Gefühl, das mir der Alkohol und das Betrachten dieser großartigen weiblichen Kurven geben.

Während meine Küsse ihren ganzen Oberkörper eruieren, befindet sich meine Hand schon an meinem Gürtel und ich will beginnen, ihn zu öffnen, als ich höre, wie sich die Tür öffnet.

„Oh Gott, Are, kannst du denn nicht zusperren?!", beschwert sich Tyler.

Er dringt sich an uns vorbei zur Toilette und wir starren ihn entsetzt an.

„Verpisst euch", murmelt er, aber ich weiß, dass er es nicht böse meint. Trotzdem verlassen wir schnell das Badezimmer und ich verabschiede mich von der Frau. Sie schiebt mir einen kleinen Zettel mit ihrem Namen und ihrer Telefonnummer in den Hosenbund.

Oder zumindest denke ich, das auf dem Papier diese Informationen stehen.

Ich höre das Wasser beim Waschbecken rinnen und wenige Sekunden später sehe ich Tyler aus dem Raum kommen. Er trocknet seine Hände an den blauen Jeans ab, die er kurz zuvor angezogen hat. Auf seinen Lippen sehe ich ein Grinsen.

„Nett, die Kleine", kommentiert er.

„Ich geh jetzt duschen", antworte ich schlicht.

Am Weg zur Dusche lasse ich den Zettel in meinen Rucksack fallen. Später will ich ihn mir genauer ansehen.

Das warme Wasser der Dusche hat einen beruhigenden Effekt auf mich. Der Alkohol weicht ein wenig aus meinem Körper und ich fühle mich besser als zuvor.

Während ich mich mit einem alten, ausgewaschenen Handtuch abtrockne, betrachte ich mich selbst im Spiegel. Auf meinem Gesicht und meinen Schultern klebt pfirsichfarbener Lipgloss. Schnell wasche ich ihn mit kühlem Wasser ab und seufze dann. Ob aus Erleichterung oder Trauer weiß ich nicht so genau.

Ich ziehe gerade ein einfaches schwarzes Hemd an, als mich Mint von draußen ruft. Er hat eine schöne Stimme, selbst wenn er genervt ist, weil ich zu viel Zeit in der Dusche verbringe.

Mit einem Kamm versuche ich verzweifelt, meine aschblonden Haare in den Griff zu kriegen. Wenn sie nass und frisch gewaschen sind, sind sie sogar noch schwieriger zu bändigen als normalerweise. Genervt stecke ich den Kamm in meine Hosentsche, werfe einen Blick hinter mich, um zu kontrollieren, ob ich etwas vergessen habe, und verlasse dann den Raum.

„Was los?", frage ich Mint und werfe mein Handtuch zu meinen anderen Sachen.

„Ach nichts Wichtiges", sagt er, und ein Grinsen formt sich auf seinen Lippen, „...Es sei denn, es kümmert dich, dass wir jemanden haben, der sich für uns interessiert!"

Seine Augen leuchten förmlich und er strahlt mich an.

Ich brauche ein paar Sekunden, um seine Aussage einsacken zu lassen.

Dann realisiere ich es. Wir könnten berühmt werden. Wir könnten Stars sein!

Ich falle fast auf Mint und umarme ihn so fest ich kann. Auch Tyler und Marina kommen dazu. Sie sehen alle so glücklich aus!

Jetzt interessiert es mich aber wirklich, wer dieser jemand ist, der uns gut findet.

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