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Um kurz vor zwei huschte Jim in die Bahnhofshalle hinein. Er wollte nicht sofort gesehen werden, wollte erst mal gucken, wer sonst noch so dabei war.

Er entdeckte sie sofort. Sie standen auf dem Bahnsteig an dem der Freitagszug halten würde. Gleis drei.

Der Alte schien nicht da zu sein. Nur Fred und zwei Muskelprotze mit dunklen Haaren, die sich unglaublich ähnlich sahen.

Jim musste wider willen lächeln.

Früher hatte er sich immer danach gesehnt, ein Zwillingskind zu sein. Am liebsten mit einer Zwillingsschwester.

Stattdessen sollte er mit zwei älteren Brüdern auskommen. Fred und William. Beide arbeiteten eng mit dem alten Arschloch zusammen. Verehrten ihren Vater regelrecht.

Jim holte tief Luft. Er stellte sich vor, Tapferkeit und Mut wären hier im Sauerstoff enthalten und er müsste nur tief genug einatmen, dann würde er alles heil überstehen.

Er trat aus dem Schatten und eilte auf die Typen zu. Versuchte, aufrecht und stolz zu gehen. Mit erhobenem Kopf.

Angestrengt kramte er in seinen Gedanken nach einem Lied. Irgendetwas, das er pfeifen könnte.

Aber sein Kopf fühlte sich seltsam leer an. Wie in Watte verpackt.

„Hey! Mann,  wir ham schon auf dich gewartet...", Fred schlug ihm ein paar mal auf den Rücken.

Jim musste sich beherrschen um nicht zu husten.

Die Zwillinge starrten ihn stumm an. Jim versuchte es mit einem Lächeln. „Hallo?"

„Das sind Paul 1 und Paul 2. Coole Typen." Fred fuchtelte kurz mit den Armen in der Luft herum zeigte auf die beiden Männer und dann schien die Sache für ihn erledigt.

Sie gingen in ein altes Cafe in einer verlassenen Ecke der Bahnhofshalle. Jim sah sich neugierig um. Hier war er noch nie gewesen.

Vermutlich betraten sie deshalb dieses Cafe und nicht eines der neueren. Fred wollte ungestört sein.

Er steuerte ein kleines Tischchen im hinteren Teil an und sie quetschten sich alle mit Mühe auf die Bänke.

Jim fühlte sich höchst unwohl. Er wusste nicht, was er tun sollte. War sich nicht einmal sicher, wie er seine Hände hinlegen sollte.

Er versuchte, sich etwas bei den anderen abzuschauen, aber Paul 1+2 starrten nur finster vor sich hin, die Hände vor der Brust verschränkt. Und Fred tippte mit einer Hand auf seinem Handy herum, während die andere entspannt auf der Tischplatte lag.

Wahrscheinlich berichtete er gerade dem alten Arschloch, dass Jim tatsächlich gekommen war.

Jim legte eine Hand auf den Tisch und zog sie augenblicklich wieder zurück. Der Tisch war mit einem dicken Fettfilm überzogen.

Also harrte er in der Stille aus und ließ Paul 1 und Paul 2 nicht aus dem Blick.

Irgendwann standen die beiden auf und auch Jim erhob sich. Endlich würden sie gehen. Fred sah ihn verwirrt an. „Wo willst du hin?"

„Ich dachte, wir gehen?"

Fred kicherte. „Nö. Die beiden gehen, wir nicht. Wir haben einiges zu bereden!"

Jim erblasste ein wenig. „Okay – Ich... Ich geh mal kurz auf die Toilette..."

Fred warf ihm einen forschenden Blick zu und nickte dann. „Mach ma."

Das Klo war ebenso heruntergekommen wie der Rest des Cafes. Jim starrte sich selbst in dem milchigen Glas eines Spiegels an.

Er versuchte abzuschätzen, wie lange er würde wegbleiben können, bis Fred nach ihm suchen würde.

In was hatte er sich hier nur verfrachtet...

Die Tür knarrte. Jim fuhr herum. War Fred etwa schon...

Da stand nicht Fred. Es war eine Frau in alten Klamotten, die einen Putzeimer voller Dreckwasser schleppte.

Jim sah sie erstaunt an. Nie hätte er geahnt, dass hier tatsächlich manchmal geputzt wurde.

Er räusperte sich leise. Wollte sie nicht erschrecken. Sie zuckte trotzdem zusammen und blickte ihn aus großen braunen Augen an.

„Entschuldigen Sie bitte!" Jim lächelte sie an. „Ich wollte Sie unter keinen Umständen erschrecken!"

Die Frau biss sich auf die Unterlippe, wie um ein Lächeln zu verbergen. „Kein Problem!"

„Kann ich Ihnen mit dem Wasser helfen?"

Erstaunt sah sie ihn an. „Halten Sie mich für schwach?"

„Nein! Ich dachte nur -"

„Denken Sie nicht zu viel. Danke für Ihr Angebot, aber ich komme zurecht."

Und sie hob den Eimer wieder hoch. Ein Schwall Wasser platschte auf Jims Schuhe. Erschrocken starrte sie auf den Boden. Auf seine Lederschuhe, die sündhaft teuer gewesen sein mussten.

Jim schüttelte sanft den Kopf. „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich mochte diese alten Treter noch nie."

„Was machen Sie hier eigentlich?"

„Wie bitte?", fragte Jim. Einigermaßen verwirrt.

„Ich habe gefragt was Sie hier machen. Schauen Sie sich doch mal an! Sie passen hier nicht rein. Das hier ist vermutlich das abgewrackteste Cafe der ganzen Stadt und Sie stehen hier in überteuerter Kleidung, sauber und ordentlich und unterhalten sich auf dem Männerklo mit der Putzfrau! Haben Sie sonst nichts zu tun? Kein wichtiges Meeting, kein Date mit einer reichen Dame?"

Jim starrte sie einen Moment perplex an. Dann lachte er. „ Sie haben Recht. Ich stehe hier und unterhalte mich!", dann wurde er wieder ernst. Von einem Moment auf den nächsten. „Ich muss gehen!" Und er eilte zur Tür hinaus.

Diesmal starrte die Frau ihm perplex hinterher und fuhr sich verwirrt durch das kastanienbraune Haar.

Sie fragte sich ernsthaft, ob sie gerade einen Geist getroffen hatte.

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