Kapitel 6
Ich fühlte mich wie ein neuer Mensch. Als ich die Augen aufschlug, erschienen keine Lichtpunkte, sondern ich konnte sofort klar sehen. Der Prinz war da. Lächelnd fuhr ich mir durchs Haar, worauf er den Blick hob. Das Rascheln der Bettdecke musste ihn auf mich aufmerksam gemacht haben. »Wie lange habe ich geschlafen, Hoheit?« - »Fünf Stunden« Meine fünf Stunden Schlaf schienen ihm zu fehlen. Es sah wie immer akkurat aus mit seinem blaue weißen Jackett und der dunklen Hose. Aber anders als sonst sah alles an ihm zerknittert und müde aus.
Er stand von seinem Schreibtisch auf und kam zu mir ans Bett. Er hatte seine Dokumente extra mit in mein Schlafzimmer genommen. Es war so anders, als früher. Vor fünf Jahren glich ich eher einem Spielzeug. Nun kam es mir so vor, als würde er mich ernsthaft schätzen. Notdürftig strich ich mir meine Haare zurecht, doch der Prinz wuschelte wieder durch, als er mich erreicht hatte. Quietschend wollte ich mich ihm entziehen, doch er war viel schneller als ich. Als er endlich aufhörte, hatte ich schon Lachtränen in den Augenwinkeln. Ich könnte mich daran gewöhnen, neben ihm aufzuwachen. In Gedanken schüttelte ich den Kopf über mich selbst. Er war der Thronerbe und ich eine Magierin. Niemals dürften wir in demselben Bett aufwachen.
Als ich wieder zu Atem gekommen war, fuhr ich die Adern an seinem Handrücken nach. »Die Zeit hat Euch verändert« stellte ich fest und lächelte. Ich mochte den neuen Prinzen lieber, als den Alten. »Dich nicht. Du möchtest Kuchen, nicht wahr?« Scherzte er und ich wandte mich lachend ab. Er stand auf und klingelte nach einem Diener, dem er genaue Anweisungen gab, was er alles zu Essen bringen sollte.
Er setzte sich an mein Bettende und streckte die Beine aus. »Als ich damals geheiratet habe, bis du sang- und klanglos verschwunden. Und nun kehrst du ebenso sang- und klanglos in mein Bett zurück« stellte er fest und fixierte mich mit seinen blauen Augen. Ich erwiderte den Blick, ohne zu Zucken und wartete, ob er weitersprach. Doch er schwieg. »Sag doch etwas Lacrima« - »Wie kommt Ihr auf den Gedanken Hoheit?« Er wusste von meinen Fluchtversuchen. Er wusste auch, dass ich das letzte halbe Jahrzehnt in einem einsamen Haus eingesperrt war. Es gab nur eines, weswegen ich das alles ertragen musste. Weil er mich in seinem Bett haben wollte. Nicht mehr und nicht weniger. Und er war ein Narr, wenn er glaubte, dass ich mir dieser Tatsache nicht bewusst wäre. »Ann sagte heute, dass ich ein Zuhälter sei«
»Habt Ihr denn mehrere Frauen, die Ihr regelmäßig in Euer Bett holt?«
»Nein«
»Dann könnt ihr kein Zuhälter sein«
Der Prinz lachte über meine Logik und beugte sich zu mir vor, um mir einige Strähnen aus der Stirn zu streichen. Ich musste schrecklich aussehen. »Du hättest dich wehren können, Lacrima«, stellte er fest und ich prustete los. So süß ich es fand, dass er nachfragte, so gepflanzt kam ich mir bei diesem Einwand vor. Er hatte fünf Jahre mit sich gehandert. Überlegt, ober er als Kronprinz und Vater von hoffentlich ehelichen Kindern riskieren könnte, sich seiner alten magischen Geliebten zuzuwenden. Ich bin froh, dass die Wahl auf mich gefallen ist.
Der Prinz zog mich an meinen Hüften näher zu sich und sah mir fest in die Augen. So wunderschön blau. »Ich wollte mich aber nicht wehren, Hoheit« erwiderte ich schließlich und hob meinen Kopf, um ihn zu küssen. Die einzige und die beste Art, ihn vom Reden abzuhalten. »Bist du schon wieder kräftig genug?«, keuchte er, als er mir mein Nachtkleid hochschob. Ich ließ seine Frage unbeantwortet, aber schob meine Becken gegen seines. »Bleibt Ihr über Nacht, Hoheit?« - »Ich laufe Gefahr, mich daran zu gewöhnen« Ich lächelte und der Prinz legte sich auf den Rücken und starrte die Initialen an der Decke an. Ich erhob und huschte zum Schreibtisch, auf dem die Diener unser Essen gestellt hatten. Zum Glück gab es ausreichend Kuchen. »Darf ich meinem Bruder sagen, dass ich in Eurem Bett bin, Hoheit?«, fragte ich, nachdem er einige Happen gegessen hatte. Ich reichte ihm gerade das Nächste, doch er schlug meine Hand weg. Überrascht lehnte ich mich zurück und widerstand dem Drang, die Decke weiter nach oben zu ziehen. Das würde ihn maßlos erzürnen, wenn ich mich so offensichtlich zurückzog. »Dein letzter Fluchtversuch wäre beinahe erfolgreich gewesen. Wärst du zu deiner Familie zurückgekehrt?« - »Ich war niemals so töricht zu glauben, ich könnte der Palastwache entkommen. Als ich bei meinem letzten Fluchtversuch den Wald erreichte, der das Anwesen umgab, habe ich gezögert. Das war der Moment, in dem mich die Wache fangen konnten« Ich schob meine eigene Dummheit von mir weg und zögerte noch einmal kurz, bevor ich weitersprach. »Ich hätte nie daran gedacht, zu meinen Eltern zurückzukehren. Ich wüsste nicht, was ich ihnen über meine sechsjährige Abwesenheit sagen könnte«, erklärte ich und schluckte. Niemals würde ich es übers Herz bringen meiner Mutter zu gestehen, dass ich eine Hure bin und ein uneheliches Kind habe. Das würde ihr Herz brechen, dass sowieso schon so viel Leid hatte ertragen müssen. Ob Vater mich nach dieser Geschichte überhaupt noch in seinem Haus haben wollte? Bis jetzt hatte ich nie darüber nachgedacht, da es unwirklich ist, sie jemals wiederzusehen.
Der Prinz sprang plötzlich auf und sammelte seine Kleider ein. Er war nicht wirklich wütend. Er schien einfach nur ... ich konnte es nicht beschreiben. Doch als ich kurz seinem Blick begegnete, konnte ich Verwirrung und Wut spüren, aber auch Trauer, Schmerz. »Untersteh dich, in meinem Kopf zu sehen«, fauchte er und ich wandte meinen Blick sofort ab. Er wusste, dass ich es niemals wagen würde, in seine Gedanken einzudringen. Denn ich habe ihm oft gesagt, wie sehr es mir zuwider ist, in fremden Köpfen zu sein. Außerdem würde ich seine Privatsphäre niemals auf diese Weise verletzen.
Er hatte das Zimmer ohne ein weiteres Wort verlassen und ich ließ mich resigniert zurücksinken. Ich wollte ihn mit meiner Frage nicht brüskieren, sondern ihm zeigen, dass ich nach seinen Wünschen handeln würde. Seit wann erzürnte ihn das? Während ich auf die Initialen auf der Decke starrte, musste ich wieder an diesen englischen Mann denken. Keinesfalls wollte ich mit ihm tauschen. Seine Eltern waren gestorben, als er zehn war und dann kam er als großgroßgroß Neffe des Königs an den Hof. Er wurde von mittelmäßigen Lehrern unterrichtet und der König nahm nie weiter Notiz von ihm. Doch seine Tochter schon. Er war trotz der Tatsache, dass er ein Vollwaise war, trotzdem adelig und so war es nie ein Problem mit der Prinzessin zu sprechen. Als er älter wurde, musste er eine militärische Ausbildung machen, da ihm seine Zuneigung zur Prinzessin anzumerken war. In den nächsten Jahren lernte er sein Begehren zu zügeln, aber die Prinzessin war ihm zugetan und verlor ihre Unschuld. Wofür man ihn mit dreißig Peitschehieben bestrafte und ihn in ein weit entferntes Militärlager schickte. Als er zehn Jahre später zurückkehrte, keine Gerechtigkeit mehr kannte und ihm Liebe fremd war, baute ihn die Prinzessin, die Königin geworden war, wieder auf. Bis der König davon erfuhr und als Gesandten von Hof zu Hof hetzte.
»Mylady?«, ich wandte mich um und sah meine beiden Hofdamen zögerlich in der Tür stehen. »Der König bittet Euch zu einer Unterredung in den Sitzungssaal«-»Seine königliche Hoheit bittet?« Die beiden Damen schienen ein wenig verlegen zu werden und ich beschloss sie nicht weiter zu quälen. Zum Glück hatten sie mir ein frisches Kleid mitgenommen, dass einen tieferen Ausschnitt hatte, als mir Lieb war. Sie steckten meine Haare hoch, so das mein Hals freilag und wodurch ich mich noch nackter fühlte. Doch ich sagte nichts dazu.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top