Kapitel 14

Wie meistens war der Prinz bereits im Morgengrauen zurück ins Schloss geeilt. Dieser Mann hatte Energie ohne Ende, stellte ich wiedereinmal bewundernd fest. Ich räkelte mich in meinem Bett und genoss für einen Moment die Wärme. Immerhin musste ich jede Minute aufstehen. Mit Sicherheit würde mich der König im Schloss erwarten und ein Bote in den Besucherräumen bereits mit Anweisungen auf mich warten.
Nachdem ich ordentlich gekleidet war, klopfte bereits ein Bote an der Tür mit einem versiegelten Umschlag. Lunch im Schloss. Seufzend zwirbelte ich eine Haarsträhne um meinen Fingern und überlegte, ob ich Elisei dazu bewegen konnte, mich bereits jetzt in Schloss zu geleiten. Desto mehr mir Anns Onkel traute, umso schneller und schmerzfreier konnte ich in seinen Geist eindringen.
Elisei stand wie erwarten mürrisch an der Wand und ich gab bereits jede Hoffnung auf.
»Weißt du von dem Lunch heute«
»Ja«
»Wirst du im Schloss schlafen?«
»Das weiß ich nicht«
Die Mundwinkel meines Bruders sackten nach unten und ich legte ihm eine Hand auf die Schulter. Abgesehen von der Schwierigkeit, eine Person zu bewachen, deren Aufenthaltsort ständig von einem Dritten abhing, musste er noch damit umgehen lernen, dass ich die Geliebte des Prinzen war. »Aber ich weiß, dass ich dringend mit der Prinzessin und ihrem Onkel sprechen muss. Es ist im Sinne des Königs« Elisei betrachte mich einen Moment zweifelnd. Ich konnte spüren, wie sich eine Verneinung in seinem Kopf bildete und drängte sie weg. Nach einem kurzen Blick in seine Augen konnte ich fühlen, wie sehr ihn das alles verwirrte. Ich schob einige Gedanken hin und her. Verstärkte Eindrücke und schwächte andere ab. Nur im Kurzzeitgedächtnis. Er würde es kaum merken. Meine Brust zog sich zusammen, als Elisei zaghaft nickte. Ich hatte gerade meinem Bruder meinen Willen aufgedrängt. Wenn das der König erfährt, ist Elisei so gut wie tot.


»Prinzessin« ich sank direkt nach der Tür in einen tiefen Knicks. Elisei wäre beinahe über mich gestolpert. »Lacrima. Was kann ich für dich tun?«, fragte sie und ihre Stimme klang bei Weitem nicht mehr so freundlich wie gestern. Nachdem ich einige Schritte näher getreten war, konnte ich ihre Unsicherheit fühlen. Vielleicht wusste sie bereits von dem Lunch. »Es geht um Euren Onkel, Prinzessin«, erklärte ich und sie deutete mir, näher zu kommen. Ihre braunen Haare hingen stumpf und glanzlos in ihrem geflochtenen Pferdeschwanz und sie sah schrecklich müde aus. Irgendwo im Hintergrund lief ein Radio, aber davon abgesehen, war es still im Zimmer. Mit einem Wink gebot sie mir weiterzusprechen. »Um dem König das zu beschaffen, dass er möchte und möglichst schmerzfrei, brauche ich die Sympathie Eures Onkels« erklärte ich und Anns Augenbraun hoben sich gefährlich. Ich konnte spüren, wie ihre Stimmung umschlug. »Solange er mich als Eure Feindin betrachtet, komme ich nicht in seinen Kopf« fuhr ich fort und zuckte hilflos mit den Schultern. »Zumindest nicht auf zivilisierte Weise«, fügte ich noch hinzu und die Ann nickte. Der König würde nicht nachgeben. Auf die Eine oder andere Weise muss ich in diesen Kopf hinein und ich wünschte dem Engländer wirklich nicht, dass er sich zur Wehr setzt.
»Der Prinz befindet sich gerade in Verhandlungen. Ich unterrichte ihn von Eurem Erscheinen« beendete sie das Gespräch und ich wich ihrem Blick aus. Sie wusste es also. Der ganze Hof war in Kenntnis darüber, dass ich mich nicht unbewacht bewegen durfte.
Sie klopfte an der Tür, damit Elisei wieder hereinkam, und verließ das Zimmer. Ich blinzelte mehrere Male und schluckte meine Tränen hinunter. Warum behandelte man mich wie einen Hund, der alleine nichts tun durfte! Ich war doch auch nur ein Mensch, der respektiert werden wollte.
Ich lehnte meinen Kopf gegen die Scheibe und ließ einige Tränen zu. Ich wollte frei sein! Die Gedanken überschlugen sich in meinen Kopf, wie ich hier am besten herauskäme, bis Elisei irgendetwas hinter mir sagte. Die Erkenntnis, dass der Preis für meine Freiheit sein Tod sein würde, bohrte sich in meinen Kopf und ich schluchzte auf.
»Was habt Ihr denn, Mylady?« flüsterte Elisei und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Ich will hier raus« murmelte ich und noch mehr Tränen bahnten sich ihren Weg nach oben. Eliseis Hand glitt von meiner Schulter und ich hörte ihn aufseufzen. »Das muss ich melden« teilte er mir mit und ich schnellte herum. Er wischte mir eine Träne von der Wange, doch ich schlug seine Hand weg. Wie konnte er? Er selbst sagte immer wieder, dass er es verabscheute mich hier gefangen zu halten.
»Lacrima!« seine Stimme erfüllte den ganzen Raum und ich schluckte mühsam. Nach einem kurzen Blick auf Elisei sank ich in einen tiefen Knicks. »Es gibt etwas, das Ihr wissen solltet, Hoheit« behauptete Elisei und presste meine Lippen zusammen. Warum tat er das? Er hielt den Prinzen für das ausgemachte Böse und mich für todunglücklich. Jetzt war ich gerade verzweifelt und hätte ihn gebraucht.
»Lady Lacrima hegt Fluchtgedanken«
Der Satz hallte in meinem Kopf immer wieder, gemeinsam mit dem entsetzten Blick des Prinzen. »Dann habt Ihr sie zu durchkreuzen, Wachmann« erwiderte der Prinz harsch und streckte seine Hand nach mir aus. »Begleite mich zu meinen Verhandlungen. Bei einigen Dingen bin ich mir noch nicht ganz sicher« erklärte der Prinz.

Durchwegs abwesend durchforstete ich die Absichten von seinen Geschäftspartner und schickte die Zusammenfassungen in seinen Kopf. Anfangs sah er noch überrascht zu mir, aber mit der Zeit gewöhnte er sich an meine Stimme in seinem Kopf. Gedankenübertragung war etwas Wunderbares.
Die Zeit verging viel zu schnell und ich merkte, wie der Prinz immer weiter von mir weg glitt. Ich wollte nach seiner Hand greifen oder irgendetwas tun, damit er sich nicht so im Stich gelassen fühlte. Aber er stellte sich mein Leben leichter vor, als es sich lebte. Hatte ich überhaupt eine Chance jemals wieder alleine durch den Garten gehen zu dürfen? Oder meinen Sohn alleine zu sehen? Ich war es leid wie ein Hund weitergereicht zu werden.
»Warum willst du fort?« - »Das will ich gar nicht« Mir stiegen erneut Tränen in die Augen und der Kloß in meinem Hals wurde so dick, dass ich kaum noch etwas sagen konnte. Ich griff nach der Hand des Prinzen und zog ihn zu einem Kuss zu mir. Das er zu ließ. Seine Hände legten sich um mein Gesicht und für einen Moment konnten wir beide vergessen. Schmetterlinge tobten in meinem Bauch. Genauso wie am Anfang. »Ich will nur frei sein, Hoheit«, flüsterte ich, als er sich kurz von mir löste, um nach Luft zu schnappen. »Ständig weitergereicht zu werden ...« ich schüttelte den Kopf und zwang ihn, mir in die Augen zu sehen. Er konnte meine Gefühle zwar nicht lesen, aber er kannte mich. »Ich bin mächtig, Hoheit. Genauso möchte ich auch behandelt werden. Nicht wie ein Tier, das von einem Zwinger in den nächsten kommt« Der Prinz ließ seine Hände von mir gleiten und trat einige Schritte zurück. Vielleicht hatte ich den Bogen gerade überspannt, aber bei den Göttern, er konnte nicht länger wegsehen. Ich würde nicht länger wegsehen!

»Wieso nimmst du es dir nicht?« fragte er und seine Stimme klang furchtbar kalt. Ich ging wieder einige Schritte auf ihn zu, aber er drehte sich weg. »Wieso?« schrie er und ich hielt überrascht inne. Was sollte ich mir nehmen? Meine Macht war eine ganz andere als seine. Auf mich würde niemand hören. »Warum veränderst du das Gedächtnis der Wache nicht einfach?« bohrte er nach und ich zuckte zusammen. Wie kam er auf diese Idee? »Dazu muss man sehr stark sein« wandte ich ein und der Prinz schnaubte verächtlich. Ich würde Elisei den Löwen zum Fraß vorwerfen, wenn ich den Prinzen seinetwegen verlor. »Ich dachte, du bist mächtig« - »Verhöhnt mich bitte nicht« Der Prinz lachte auf und drehte sich um. Da war so viel Wut in seinem Blick, in seiner Seele. Doch ich wich nicht zurück. Ich wartete, bis sich die Wut legte und murmelte beschwichtigende Worte in seine Seele. Mit Sicherheit wusste ich nicht, ob er das mitbekam, aber es beruhigte ihn ein wenig.
Er sackte zusammen. Von einer Sekunde auf die Andere wich die Wut Verzweiflung und Angst. Als er drohte nach vor zu kippen, stemmte ich mich gegen ihn, aber er war zu schwer und wir gingen beide langsam zu Boden. »Ist schon gut, Hoheit« beruhigte ich und deckte meine Wangen mit seinen Händen ab. Was trieb ihn bloß in eine solche Verzweiflung. »Ich brauche dich hier« - »Ich gehe auch nicht weg« Ich verschwieg den Teil, dass er mich dazu zwang. Er konnte nicht in meine Seele sehen und den Schmerz wahrnehmen. Er sah nur mein besorgtes Lächeln und dachte, alles würde gut werden. Das würde es auch. Sobald ich Elisei versetzen haben lasse, würde ich mich stärken. Mehr Gedanken auf einmal beeinflussen. Schneller werden, flexibler. Dann könnte ich hinaus und nicht Mal die gesamte Armee des Prinzen könnte mich davon abhalten. Ich war mächtig. Das würde ich sie alle spüren lassen.
Als sich seine Atmung allmählich beruhigte, strich ich mit meinem Daumen über seine Wange. Meine Lippen fanden die Seinen von ganz alleine und er zog mich näher an sich. »Ich werde mit Vater sprechen«, sagte er und ich zog mich überrascht ein Stück zurück. Vielleicht musste ich gar nicht bis zum Äußersten gehen. Die Wachen manipulieren, Elisei fortschicken. »Das würde mir alles bedeuten, Hoheit« - »Bitte kämpf dir nicht den Weg frei« Ich hatte ihn noch nie weinen gesehen. Für mich war er immer ein starker Mann. Wenn er nicht glücklich oder zufrieden war, dann meistens wütend mit ein wenig Trauer, aber fast nie traurig alleine.
»Lasst uns aufstehen, Hoheit« schlug ich vor und krabbelte von ihm herunter. Mir war die Situation unangenehm und das konnte er sicherlich spüren. Ein wenig umständlich richtete ich mich auf und reichte ihm meine Hand. Als sein Blick meinen streifte, konnte ich sehen, wie er sich schämte. »Nicht, Hoheit« flüsterte ich und kniete mich wieder vor ihn hin. Ich hätte das niemals laut aussprechen sollen. Niemals hätte ich mir gedacht, dass ihn das so verletzen könnte. »Ich werde mich arrangieren« versprach ich und jetzt traten mir ebenfalls Tränen in die Augen. Niemals würde ich gehen, wenn das so etwas mit ihm anrichtete.

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