Wichtelpäckchen 17 🌟
Von singenden Pinguinen
präsentiert von Hasenkind687
🎁Kälte · haselnussbraun · Stern · abwimmeln🎁
Schon von der anderen Straßenseite aus sehe ich ihn auf mich zukommen. Verdammt. Natürlich hat er sich die Zeit genommen, warme Stiefel anzuziehen und sich den dicken Schal umzuwickeln. Während ich ein ganz anderes Bild abgebe.
In rot-weißen Plüschpantoffeln stehe ich unter der Straßenlaterne. Die Shorts mit Rentierköpfen darauf entblößt meine schlotternden Knie und einen Großteil der Gänsehaut an meinen Oberschenkeln. Immerhin trage ich auch die passende dämliche Mütze und eine halbwegs wärmende Weste in den gleichen Farben. Ein süßes Outfit – für unter dem Tannenbaum, wenn die Heizung alles muckelig warm macht. Stattdessen legt sich dezembertypischer Nieselregen auf meine nackte Haut und sickert durch die einfachen Stoffschichten. Die Kälte hat sich innerhalb weniger Minuten bis in meine Knochen gefressen.
Wenigstens sehe ich heiß aus, auch wenn ich friere, geht es mir durch den Kopf. Wobei ich mir auch da längst nicht mehr sicher bin. Hektisch reibe ich mir die verschränkten Arme mit meinen eisigen Fingern und meine Wangen leuchten sicher mit den Christbaumkugeln um die Wette, die ich vor ein paar Stunden noch aus dem Keller hochgetragen habe.
Und jetzt kommt er - mit seiner schönen Strickkombi aus Schal und Mütze - auf mich zu und schmunzelt so schrecklich gönnerhaft. Ich recke meinen Hals und wende den Blick ab. Das kann er sich schenken, hier jetzt als der Held aufzukreuzen, der mich vorm Erfrieren rettet. Das hat er sich so schön gedacht, dass ich dann nicht mehr böse auf ihn sei, nur weil er mich zuhause vor den Kamin setzt und mir einen Kakao kocht.
Kurz flackert mein Blick doch wieder zu ihm herüber, bei dem Gedanken an heiße Schokolade aus meiner Lieblingspinguintasse. Die bringt er mir immer. Eines seiner schrulligen Geschenke, denn wenn man sie vom Regalfach oder der Tischplatte anhebt, piepst sie „Somewhere over the rainbow" in schrillsten Tönen.
„He, Schnuckelchen! Komm und dreh 'ne Runde mit mir!" Mein stetiges Zittern wird von einem abrupteren Zusammenzucken unterbrochen, als mir klar wird, dass der ältere Herr zu meiner Linken mich meint. Der Geruch, den er verströmt, verrät zweifelsfrei, was und wie viel er zuletzt getrunken hat, und trotz eines funkelnden Goldzahns sieht er nicht danach aus, als könne er sich eine Runde mit mir leisten. Wenn ich zu diesem Zweck unter der Laterne stünde, versteht sich.
Gerade spulen sich ein paar Fragen in meinem Kopf ab: Wie viel man wohl so nimmt an dieser Ecke? Und gibt die Weihnachtsmütze extra Cash? Ob ich mitgehen würde, nur um für eine Weile der Kälte zu entfliehen? Also nur, wenn ich es nötig hätte, ich meine...
„Hey." Der Mann mit der Strickmütze kommt vor mir zum Stehen und überrascht mich mit seiner Stimme. Tief und warm ist sie immer, aber ich hätte nicht diese Sanftheit in ihr vermutet, nicht nach unserem Streit. Mein Blick verfängt sich in seinen dunklen Augen, sinkt dann ausweichend auf den Wintermantel, der ihn wärmt. Haselnussbraun, hatte die Verkäuferin behauptet. In meinen Augen sieht es eher aus wie Matsch, doch Achim hat freudestrahlend zugeschlagen. Mein Blick fällt auch auf das helle Innenfutter, das die Kapuze entblößt. Wie gerne ich mich da hineinkuscheln würde!
Seine Hand – in Kaschmir-Handschuhe gehüllt, die tatsächlich einen schönen nussigen Braunton haben, doch die habe ich ausgesucht – gleitet mittig an dem Kleidungsstück hinab und zieht damit den Reißverschluss auf. In einer fließenden Bewegung gleitet ein Arm aus dem Mantel, dann der andere und er hält mir das Teil auffordernd hin. Ich rieche unser Waschmittel und einen leichten Hauch von Zedernholz. Wenn ich den Mantel annehme, dann hüllt er mich sofort wohlig in Achims Wärme und...
„Eh, ich war zuers' da!", brüllt der Alte den Neuankömmling an und ich könnte schwören, ein Spucketropfen gesellt sich zu dem feinen Schleier aus Regen auf meiner Wange. Unbeeindruckt fahre ich mit dem Handrücken darüber und starre weiterhin auf Achims Mantel. Es ist wirklich sehr kalt und wenn ich mich nicht langsam entscheide, wird das Angebot des Fremden doch immer reizvoller.
„Willst du deinen Freier nicht mal abwimmeln?" Achim zieht einen Mundwinkel hoch, aus seiner samtenen Stimme klingt diese ewige Ruhe heraus, die mich einfach rasend macht. Sogar wenn wir uns streiten ist er so. Entrüstet blase ich die Backen auf. Meinen Freier!? Ist das sein Ernst? Geht er wirklich davon aus, dass ich jetzt in seinen Mantel schlüpfe, nachdem er mir sowas an den Kopf wirft?
Kurzerhand tritt er hinter mich und pfriemelt meine willenlos erschlafften Arme in die warme Hülle. Erleichtert atme ich ein, lasse seine dem Stoff noch anhaftende Körperwärme in meine Haut dringen. Achim kommt um mich herum und zieht den Reißverschluss zu.
„Eh, hör'n Sie schlecht? Ich hab' den Süßen zuers' entdeckt!" Noch immer hat sich „mein Freier" mit meiner Ignoranz nicht abgefunden und pflaumt Achim für seine Dreistigkeit an. Der schenkt ihm einen milden Blick, lächelt. „Das ist wohl Definitionssache, werter Herr. Ich würde es begrüßen, wenn Sie meinen Mann jetzt in Ruhe lassen könnten." Nichts an der Art, wie er die Worte ausspricht, lässt darauf hindeuten, dass der Herr mit dem Goldzahn in seinen Augen nicht „wert" sei.
Während der staunend den Rückzug antritt, hebt Achim in Seelenruhe die Mütze von seinem Kopf und tauscht sie mit meiner, die nur aus einer dünnen Schicht Plastikflusen besteht. Für einen kurzen Moment liegt sein dickes, dunkles Haar frei, in dem sich feine Regentröpfchen verfangen, um im gelben Licht der Straßenlaterne wie Sterne zu funkeln. Schon im nächsten Augenblick sieht er so dämlich weihnachtlich aus wie zuvor ich.
„Komm mit nach Hause.", sagt er, betrachtet mit einem dünnen Lächeln, wie ich in seiner Wintermontur vor ihm stehe. Sichtlich zufrieden mit sich. Kurz geht mir durch den Kopf, dass ich nicht bereit bin, ihm für ein bisschen Wärme schon zu verzeihen, aber dann trifft mein langsam tauender Körper die Entscheidung und trottet mechanisch neben Achim her in Richtung unseres Wohnhauses.
Kurz darauf sitze ich mit einer Wolldecke um die Schultern und einer singenden Pinguintasse voll warmem Kakao vorm Kamin und frage mich, wieso eigentlich alles wie immer ist. Können wir nicht einmal einen Streit zu Ende führen? Muss Achim immer alles abwiegeln und totlächeln?
„Wieso willst du nicht, dass wir uns was schenken, dieses Jahr?" Ich versuche es auf seine Weise. Mit Ruhe und Offenheit. Spreche meine Sorge an, statt wie vor einigen Minuten einfach meine Annahme zu treffen und davonzulaufen.
Achim schmunzelt, lässt sich neben mich auf seinen heißgeliebten Ohrensessel mit dem unsäglichen Muster sinken. „Meinst du das ernst? Ich verstehe nicht, dass dich der Gedanke, kein Geschenk zu bekommen, so wütend macht. Jedes Jahr kriegst du irgendwelchen Blödsinn von mir." Er zeigt beweisführend zu der Tasse in meiner Hand, unter die ich beim Trinken stets die flache Hand presse, um sie im Glauben zu lassen, sie stünde noch im Regal.
Nun löse ich den Kontakt, warte die ersten Töne ab. „Some-wheeeere-..." Ich schließe die Lücke und grinse Achim an. „Was meinst du mit Blödsinn?"
Viel zu ernst betrachtet er mich bei meinem Scherz. „Jetzt mach dich nicht lustig über mich. Ich kann das eben nicht wie du, mir lange Gedanken zu machen und dann das perfekte Geschenk finden. Jedes Jahr entdecke ich irgendeinen Ramsch im Ausverkauf, der mich anlächelt, und denke ‚lieber das als gar nichts'. Aber um ehrlich zu sein, wird es peinlich. Mir wäre gar nichts lieber als das."
Verwirrt kann ich nur den Kopf schütteln. „Als du gesagt hast, wir sollten uns nichts schenken... Ich musste dran denken, wie mal jemand gesagt hat, wenn einem kein Geschenk mehr für den Partner einfällt, dann hat man auch kein Interesse mehr an ihm. Aber einander etwas zu schenken, ist für mich ein Zeichen von Wertschätzung. Da geht es nicht drum, viel Geld auszugeben, sondern aneinander zu denken."
Zweifelnd deutet Achim erneut auf die Tasse. „DAS ist für dich ein Zeichen von Wertschätzung?"
Ich lache, hebe die Tasse erneut an und lasse die Melodie ein Stück abspielen. Dann stelle ich sie neben dem Sofa auf dem Boden ab und versuche, Achims Blick aufzufangen. „Weißt du noch, was ich dir vor drei Jahren zu Weihnachten geschenkt habe?" Seine Brauen zucken zusammen, grübelnd blickt er aufwärts, bis er betrübt die Augen niederschlägt. „Tut mir Leid, das..." „Ist doch nicht schlimm!", unterbreche ich ihn. „Ich weiß das ja selbst nicht mehr. Aber ich kann mich an jedes von deinen Geschenken erinnern. Die singende Tasse, die Fußwärmer mit Katzengesichtern, die blinkende Badeente, die Rentiershorts, ..." Ich zupfe unter der Decke an meiner knappen Beinbekleidung. „Du hast den Plug mit dem Regenbogen-Einhorn-Schweif vergessen.", wirft Achim kichernd ein. Er hat rote Wangen bekommen, wie immer, wenn ihn etwas rührt.
Ich schüttele vehement den Kopf. „Den habe ich ganz sicher nicht vergessen. Und weißt du was? Alle deine Geschenke sind regelmäßig im Einsatz. Weil ich Weihnachten mag. Und Kakao. Und gerne Bade. Und schnell kalte Füße kriege." Achim lacht nun richtig, seine Augen glänzen liebevoll. „Manche nicht regelmäßig genug.", befindet er mit einem Zwinkern, das ich für den Moment übergehe.
„Manche Menschen würden deine Geschenke vielleicht geschmacklos finden, aber ich finde sie wunderbar. Ich will ja nicht, dass du mir etwas schenkst, weil ich etwas brauche. Aber du zeigst mir damit jedes Jahr, wie gut du mich kennst. Du bist überhaupt nicht schlecht im Geschenke machen."
„Bei dir vielleicht.", räumt er jetzt wieder milde gestimmt ein. „Meine Mama hat die sprechende Teekanne gleich mit zum nächsten Polterabend genommen."
Entschlossen, ihn nun endgültig zu überzeugen, klettere ich vom Sofa herüber auf seinen Schoß, nehme sein Gesicht zwischen meine kakao-warmen Handflächen und blicke ihn mit aller Ernsthaftigkeit an. „Dann hat eben nicht jeder einen Sinn für deine subtilen Liebesbekundungen. Für mich sind sie genau richtig."
Mit einem ehrlichen Lächeln werde ich belohnt, spüre wieder diese tiefe Ruhe, die mein Mann verströmt und die ihm kurz abhandengekommen war. „Hast du dich gut aufgewärmt?", lenkt er ab, umfasst meine Hände an seinen Wangen mit seinen, wie um sicherzugehen, dass sie von beiden Seiten keine Eisklumpen mehr sind. „Natürlich. Ich bin schließlich bei dir.", flüstere ich ihm zu, stupse mit meiner Nasenspitze gegen seine. Auch die hat wieder Wohlfühltemperatur, wodurch für Achim das Thema beendet ist.
„Weißt du – ″, schließt er das vorige ab, „ – es ist mir egal, ob du mir dieses Jahr irgendwelche tollen Manschettenknöpfe schenkst oder nicht, solange du nur hier zusammen mit mir sitzt. Und so wird es auch im Jahr darauf sein. Und im Jahr darauf und im Jahr darauf..."
Lachend küsse ich seine Stirn und lehne mich dann zurück, um ihm ins Gesicht zu schauen. „Manschettenknöpfe also, ja?"
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