5. Dezember
Fröhlich packt ihr schließlich die zwei Geschenke wieder ein und verseht sie mit Wichtelaufklebern.
„Mum hat ja gesagt, sie würde sie uns irgendwie unterjubeln, damit wir sie verstecken, aber diesmal war sie dabei ja wirklich kreativ!" kichert Soley und stupst Elina dabei neckisch mit dem Ellenbogen an.
Die streicht sich kichernd eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Du hast recht." meint sie zufrieden. Dann blickt sie kritisch auf das Chaos um euch herum und beginnt seufzend, die aus der Küste gefallenen Strohsterne, Christbaumkugeln und Lichterketten wieder einzusammeln. „Aber lasst und aufräumen, bevor dein Dad das hier sieht und wir uns die Hände abfrieren..."
Soley schnaubt nur, hilft ihr dann aber, ebenso wie du und mit vereinten Kräften habt ihr schließlich alles wieder eingepackt und seid unterwegs in der „Gasse die keiner kennt.", wie Soley es nannte.
Inzwischen verstehst du dich recht gut mit den beiden Mädels, schlechte Laune oder Streit scheinen sie nicht zu kennen, und diese ausgelassene Stimmung ergreift irgendwann auch dich.
Das ist es, was man unter Advent versteht, denkst du, und „All I want for Christmas..." von Mariah Cary vor dich hin summend, hilfst du schließlich mit, Lichterketten quer über die Straße zu spannen, sämtliche Bäume am Wegrand mit Strohsternen und Christbaumkugeln zu dekorieren und überall Lichter zu verteilen.
Irgendwann stimmen auch Elina und Soley in dein Summen mit ein und kurze Zeit später singt ihr alle gutgelaunt vor euch hin.
Es ist nicht Bühnenreif, nicht im selben Rhythmus und an manchen Stellen etwas schief, aber das stört euch in diesem Moment überhaupt nicht. Alles was zählt, ist die Gemeinsamkeit, mit der ihr alles dekoriert. Du fühlst dich richtig weihnachtlich.
„Oh Baby all I want for Christmas is youuuu!" beendet ihr schließlich den Refrain und euer Werk und fangt vor Freude an zu lachen.
Die Gasse, die vorhin noch kalt, grau und irgendwie freudlos aussah, strahlt nun in hellem Lichterglanz, der sich funkelnd in hunderten Christbaumkugeln spiegelt. Überall hängen Strohsterne und du bist dir fast sicher, dass diese einst ärmliche „Gasse die keiner kennt" gerade die schönste in ganz Nolaya sein muss.
Selbst die wenigen Passanten, die eigentlich immer schnell und hektisch von Haus zu Haus und von Straße zu Straße huschen, bleiben nun stehen, um euer Werk zu bewundern.
Eine ältere Dame öffnet sogar das Fenster im 2. Stock und winkt einem kleinen Jungen unten auf der Straße, der dort gerade beginnt, einen kleinen Schneemann auf ihrem Briefkasten zu bauen.
„Wärst du so lieb, mir auch die Post hoch zu bringen?" hörst du sie rufen. „Ich hätte als Belohnung auch ein paar Kekse für dich!"
„Aber klar!" ruft der Junge zurück, strahlt übers ganze Gesicht, was eine kleine Zahnlücke neben dem rechten Schneidezahn entblößt und öffnet den Briefkasten, um die Post herauszuholen.
Als er schließlich den Weg nach oben zu der Frau antritt, siehst du, wie er noch schnell ein Blatt Papier aus seiner Hosentasche zu den Briefen steckt und musst grinsen, als du die krakelige Schrift erkennst, die neben einem bunten, selbstgemalten Wichtel auf der Rückseite steht.
„Für LOONYmeb" steht da. Und auch die Vorderseite, auf die du noch einen kurzen Blick erhaschen kannst, hätte schöner nicht sein können.
⊷─────≺⋆≻─────⊷
Plitsch platsch. Schwere Tropfen fallen gen Erde. Nachdenklich blickt Harry aus dem Fenster. Sie haben keinen Namen, keine Verpflichtungen, sie sind frei. Plitsch platsch. Manchmal wäre Harry gern solch ein Regentropfen. Frei von der Meinung anderer. Er will darauf scheißen. Was hat ihn die Meinung anderer zu interessieren? Harry stützt seinen schweren Kopf mit den Händen und schnieft. Er kann es nicht. Er kann nicht so tun, als wäre ihm alles andere egal. Es geht einfach nicht. Plitsch platsch.
Jetzt sitzt er da und heult, während im Hintergrund Musik einer Boyband läuft. Bedauert sich selbst und wünscht sich ein Regentropfen zu sein. Noch schwuler geht es nicht, oder? „Please believe me, don't you see the things you mean to me?", tönt es aus der Ecke, in der der alte CD-Player steht. Er hat ihn hier gefunden, zusammen mit der CD, „Best 1D Songs" steht darauf. Also hat er sich mal ein bisschen schlau gemacht. 1D, das ist die größte Boyband der Mugglewelt. One Direction. Harry seufzt. „Oh I love you, I love you, I love, I love, I love Olivia." Er hat seine persönliche Olivia. Und das schlimmste ist, dass es keiner weiß. Es frisst ihn von innen aus auf, dieses Gefühl, niemandem etwas erzählen zu können. Er wird es nie jemandem erzählen können, das weiß er genau. Dann hassen sie ihn alle nur noch mehr. „Harry Potter, der Goldjunge, seit Jahren unsterblich verliebt in..."
"Draco?", erschrocken starrt er den Slytherin an, der hektisch die Tür des Gewächshauses hinter sich schließt und sich dagegen fallen lässt. "Draco?", fragt dieser dann nach einer kurzen Verschnaufpause. "Malfoy.", verbessert sich Harry knapp. "Malfoy. Was willst du hier?" Der Blonde stößt sich von der Tür ab und nähert sich ihm in langsamen, lauernden Schritten. "Mal sehen, was der Auserwählte so treibt, wenn er alleine ist." "Das siehst du doch.", entgegnet Harry. "Einsam herumsitzen und den Sinn des Lebens hinterfragen." "Darf ich mitmachen?", fragt der Malfoy und schwingt sich dicht neben den Gryffindor auf den wackeligen Tisch. Zu dicht, wenn man Harry fragt. Viel zu dicht. Er spürt Dra- Malfoys Oberschenkel an seinem und gelegentlich berühren sich ihre Füße. Hilfe. Was tut er hier?
„Don't you know all night?", singt Liam da aus dem kleinen CD-Player, der in der Ecke steht. Merlin. Den hat er ja ganz vergessen, was wird der Malfoy jetzt nur tun? Nun, der Malfoy steigt ein. Das, was Harry am meisten verwundert, ist keineswegs, dass der Malfoy zu One Direction mitsingt, nein, das wirklich Komische an dem Ganzen ist die Tatsache, dass er die Lyrics von „girl" in „boy" tauscht. „I've been waiting for a boy like you to come around, round, round", er singt ein wenig schief, doch das stört Harry nicht. Er ist ja selbst nicht besser. „Under the lights tonight, you turned around", singen Harry und Harry, und der Slytherin ist überrascht. „And you stole my heart with just one look.
When I saw your face, I fell in love", trällern sie zusammen das Lied weiter.
„Ich dachte One Direction hören nur hysterische Mädchen, Schwule und Geisteskranke?", fragt Harry, nachdem der CD-Player ein Signal in Form eines Piepen von sich gegeben hat, um ihnen zu signalisieren, dass dies das letzte Lied war, und schaut den Anderen provozierend an. Doch der zuckt nur mit den Schultern. „Ich wette, Dumbledore hört das auch.", sagt er. Harry kann sich bei der Vorstellung ein Lachen nicht verkneifen. „Aber ich dachte der gehört zur zweiten Kategorie?" „Ist Dumbledore nicht eine eigene Kategorie?", entgegnet Draco ihm. „So könnte man das auch sehen.", sagt Harry und grinst.
Kies knirscht und die beiden hören das Gestiefel zweier Schülerinnen. „Ich habe gehört, Harry Potter hat im letzten Geschichte der Zauberei Aufsatz ein Troll kassiert.", sagt eine helle Stimme und ein Kichern ertönt. „Kein Wunder bei den Haaren.", entgegnet ihre Freundin und Harry ist urplötzlich kotzübel. Was hat seine Frisur mit seinen Noten zu tun? Warum? Warum müssen sie ihn für alles verurteilen, was er ist oder tut? Warum können sie ihn nicht einfach sein Leben leben lassen? Er tut schließlich nichts anderes. Harry schluckt, doch der große Kloß in seinem Hals verschwindet davon nicht. Er wird jetzt nicht heulen, nein, nicht vor Malfoy.
Der sieht ihm das Unwohlsein wohl an, denn er meint leise „Also ich mag deine Haare." und zieht an einer besonders widerspenstigen Haarsträhne. Daraufhin wirft ihm Harry einen besonders bösen Blick zu. Zumindest sollte er das sein, aber anscheinend ist ihm der wenn-du-nicht-sofort-die-Klappe-hälst-erdolche-ich-dich-Blick nicht so gut gelungen, denn der Malfoy bricht in haltloses Gelächter aus. „Du", japst er, „kannst einfach nicht böse gucken!" Er lacht und lacht und die erste Träne verlässt seinen Augenwinkel. So langsam hat Harry genug von ihm. Nach mehr als fünf Minuten hat er sich dann auch mal wieder beruhigt. „Also wie gesagt, ich mag deine Haare.", sagt sein Nachbar atemlos. Trotzdem entgeht ihm das freche Funkeln in diesen grauen Augen nicht und doch löst es eine Wut in ihm aus, dass er einfach-
"Das ändert nichts daran, dass ich völlig alleine, von den anderen verachtet und schwul bin!", ruft Harry. Hippogreifkacke. Warum hat er das nur getan? Malfoy wird das sofort jedem erzählen und dann- Harry mag nicht einmal daran denken. Und so blickt er nur starr geradeaus die Glastüren des Gewächshauses an. Plitsch platsch. "Dann sind wir eben zusammen völlig alleine, von denen anderen verachtet und...", Draco stockt. "schwul." Harry blickt ihn erstaunt an. Was soll das? Er ist doch nicht...? Er, der große Draco Malfoy, der... Nein. Er muss ihn veräppeln. Mit großen Augen starrt er seinen eigentlichen Erzfeind an. Nur dass er das nicht mehr ist. Draco Malfoy ist schon lange viel mehr für ihn. Plitsch platsch. Was nun? Doch dieser nimmt ihm die Entscheidung ab, in dem er langsam nach seiner Hand greift und seine Finger vorsichtig mit den seinen verschränkt. Plitsch platsch. Harry grinst glücklich. Und Draco tut es auch.
⊷─────≺⋆≻─────⊷
„Wie lieb." seufzt du verzückt. „Ist das nicht herzlich? Es ist einfach so schön, wie ihr euch gegenseitig beschenkt, so weihnachtlich!"
Doch du erhältst keine Antwort. Etwas verwirrt drehst du dich zu Soley und Elina um.
Die beiden haben die Köpfe zusammengesteckt und tuscheln aufgeregt. Elina scheint ziemlich aufgewühlt zu sein, während Soley vor unterdrückter Wut und Verachtung geradezu zu explodieren droht.
Du bist davon ziemlich überrascht, kannst ihr Verhalten kurz nicht einordnen, dann folgst du ihrem Blick.
Es ist ein Mädchen, dass die beiden so seltsam macht.
Unscheinbar gekleidet und doch auffällig wie ein bunter Hund.
Über ihren abgewetzten Ledermantel wallen ein bunter Schal und langes dunkles Haar gleichermaßen und ihre großen klobigen Stiefel scheinen das einzig glänzende an ihr zu sein. Ansonsten sieht das Mädchen fast schon erbärmlich aus, einsam und verloren - einfach anders als die anderen.
Trotzdem macht sie dich unglaublich neugierig.
„Wer ist das?" fragst du Elina, während du beobachtest, wie das Mädchen sich von Tür zu Tür, von Schatten zu Schatten schleicht und von allen Menschen um sie herum auffällig gemieden wird.
„Das..." antwortet Soley an Elinas Stelle, „das ist nur Auri." Ihre Verachtung für das Mädchen ist nicht zu überhören. „Eine dumme, naive und noch dazu hässliche Schnepfe, nicht der Rede wert... ich meine, wär trägt schon so einen Mantel? Von wann soll der sein - 1908?" Sie lacht abfällig.
Du schweigst, während Elina sich nervös räuspert.
„Los komm, Soley. Wir sind hier fertig und müssen noch die Wichtelgeschenke verteilen. Lass uns gehen. Ich brauch dann echt dringend ne warme Dusche." Und sie zieht ihre Freundin mit sich mit. „Kommst du mit?" ruft sie dir zu.
„Nein, Danke." Du schüttelst den Kopf und schenkst ihr ein Lächeln. „Ich muss auch nach Hause!"
Die beiden nicken, winken und sind schließlich verschwunden.
Satt nach Hause zu gehen, siehst du dich jedoch nach der seltsamen Auri um. Alles, was du aber entdeckst, ist ein kleiner Umschlag aufgeweichtes Pergament, das vor dem Haus, vor dem sie gerade noch gestanden hat, in einem Blumentopf liegt.
Mit geschwungenen Buchstaben steht neben einem Wichtel aus Tinte: „Für Raliflower"
Und auch den Inhalt hättest du dir nicht schöner vorstellen können. Er ist herzlich und kreativ und überhaupt nicht so, wie du ihn dir von einer „dummen, hässlichen Schnepfe" vorgestellt hättest.
Lächelnd und neugierig zugleich legst du den Umschlag schließlich wieder weg. Eins ist dir klar: Du willst dieses Mädchen finden.
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