● girl in red ●
{An meine einstige Deutschprofessorin, die uns nach einer Schreibblockade ein Bild ins Heft klebte. Ihre Worte: ,,Schreibt all das, was euch einfällt. Schreibt was das Zeug hält. Schreibt, bis eure Gedanken leer sind.}
Ich stehe dem kleinen Retrocafé gegenüber.
Du stehst vor dem kleinen Retrocafé.
Ich werde von großen, dicken Regentropfen durch und durch durchnässt, während du seelenruhig einen orange-pinken Regenschirm in deiner Hand hältst und so deinen Körper vor der quälenden Nässe und Kälte schützt.
Zuvor habe ich dich noch nie gesehen, doch du weckst meine innere Neugierde.
Bist du so froh, wie es der Regenschrim vorgibt?
Trägst du immer so gewagte Farben und läufst mit einem Lächeln über den Lippen durch die Stadt? Auch wenn es Tonnen schüttet?
Bist du vielleicht mit einem der vielen Fahrräder hinter dir da?
Das könnte ich mir tatsächlich vorstellen.
Am bestem würde das Schwarze mit den roten Farbakzenten passen. Zu deinem knalligen Lippenstift, deinen Neonnägeln und deinem Regenschirm.
Aber auch zu deinen leuchtend orangen Haaren, die dir glatt und geschmeidig auf die Schultern fallen.
Ich bewundere dich und deine offene Art.
Ich beneide dich und deine offene Art, weil ich weiß, dass ich mich niemals mit grün-gelb karierten Jeans und lilanem Top aus dem Haus trauen würde.
Weil ich weiß, dass mich der rosane Lidschatten und dieser perfekt gezogene Eyeliner nur lächerlich machen würden.
Und dass mich die Leute schief ansehen würden.
Aber du passt perfekt in diese Kulisse.
In diese kleine Vorstadtkulisse mit Regenschauern und antikeartigen Gebäuden, die im Hintergrund in die Höhe ragen.
Mit Retrocafés, in denen Latte Macchiato mit Karamellsirup verkauft wird und die Wände rot und weiß gefließt sind.
Vor denen Radfahrer ihre Runden ziehen und Menschen wie du bei roten Ampeln stehen bleiben, um den Autos Vorfahrt zu geben.
Mich haben Menschen wie du, Menschen, die ihr Leben fröhlich leben, noch nie wirklich wahrgenommen. Mich würden Menschen wie du nie in eines dieser süßen Retrocafés einladen oder mich unter einem Regenschirm anlächeln. Menschen wie du gehen an mir vorbei und suchen Menschen, die wie sie sind. Glücklich und weltoffen.
Du hängst dir deine weißen JBL Kopfhörer um den Hals, als die Ampel grün wird und du die Straße überquerst.
Du strahlst unter all dem Regen und lächelst jeden Menschen, der dir begegnet freundlich ins Gesicht. Dein Lächeln reicht bis zu deinen Augen und du tust es aus vollstem Herzen.
Nicht, weil du es mittlerweile täglich tust und es zur Gewohnheit geworden ist, sondern weil du es gerne tust. Du tust es gerne und zeigst es Menschen gerne.
Auch Menschen wie mir.
Denn als du an mir vorbeiflitzt, lächelst du mich strahlend an, ehe du schon wieder weg bist.
Ich drehe mich um und kann meine Kontrolle kaum im Zaum halten.
Ich laufe dir nach und berühre vorsichtig deine senfgelbe Strickjacke, die um deine Schultern hängt.
Wieder legst du die weißen JBL Kopfhörer um deinen Hals und drehst dich verwirrt zu mir um.
Verwirrt und doch freundlich, denn du lächelst immer noch.
,,Kann ich Ihnen helfen?", fragst du mich.
Du. fragst mich, ob du mir helfen kannst, dabei kann ich mir doch selbst nicht einmal helfen.
,,Sag mal, hörst du vielleicht girl in red?", platzt es aus mir heraus.
Sie lächelt noch strahlender und hält sofort den orange-pinken Regenschirm auch über mich.
Ich muss total lächerlich aussehen, mit meiner Schwarzen durchnässten Kapuze auf dem Kopf und meiner wahrscheinlich verschmierten Mascara unter den Augen.
,,Manchmal höre ich girl in red, ja", erwidert die bunte Schönheit und zwinkert mir zu.
Ich bin sprachlos. Dass sie mit mir flirtet, hätte ich nicht erwartet.
,,Also, du machst das nicht oft oder?", fährt sie fort.
,,Was?"
,,Fremde Frauen fragen, ob sie lesbisch sind", klärt sie mich auf.
,,Nein."
,,Okay, also. Da drüben befindet sich mein allerliebstes Retrocafé in dem es den allerbesten Latte Macchiato mit Karamellsirup gibt und zudem arbeiten dort meine allerbesten Freunde, die mich vor deiner Axt bewahren, falls du eine Mörderin bist, die wahllos Fremde auf der Straße anbaggert, um sie danach abzuschlachten. Ich glaube zwar nicht, dass du das tun wirst, aber sicher ist sicher."
Wurde ich gerade wirklich von einem Menschen wie ihr in ein Retrocafé eingeladen? Und hat sie mich gerade wirklich unter ihrem orange-pinken Regenschrim angelächelt?
Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung für mich.
Vielleicht werden Regentage ab jetzt meine liebsten Tage.
,,Ja, das hört sich toll an", lächle ich.
Auch sie lächelt und wir gehen zurück zum Zebrastreifen. Sehen uns an, lächeln und warten, bis die Ampel grün wird.
,,Ich höre übrigens auch wirklich girl in red", sagt sie.
Das dachte ich mir schon.
Wenn ich so darüber nachdenke, könnte sie das sein.
Das Mädchen in rot.
Sie mit ihren knallroten Lippen, ihren knallroten Fingernägeln und ihren lieblich roten Wangen.
Sie mit ihren grün-gelb karierten Jeans, dem lilanen Top und der senfgelben Strickjacke, die über ihren Schultern hängt.
Sie mit ihrem rosanen Lidschatten und ihrem perfekt gezogenen Eyeliner.
Sie mit ihren weißen JBL Kopfhörern in ihrer kleinen, verregneten Vorstadtkulisse.
Sie mit ihrem orange-pinken Regenschirm.
Dem Regenschirm, unter dem nun auch ich stehe.
,,Oh, ja ich auch. Ihre Lieder sind großartig."
●●●
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top