04.12.16; 2. Advent
Pünktlich zwei Stunden später klopfte es an meiner Tür und ein frech grinsender Ryan, mit erstaunlich niedlicher Bommelmütze und Strickschal stand vor mir.
Ich hatte gar nicht gewusst, dass Männern so etwas stand, doch bei ihm lud es gerad zu dazu ein, sich an ihn zu kuscheln und mit den einzelnen Strähnen zu spielen, die unter der Mütze herauslugten.
Ich zwang meine Gedanken zur Beherrschung.
Ohne großartig etwas gesagt zu haben, schnappte ich meine schon fertig gerichtete Tasche von der Kommode und trat zu ihm hinaus. Kurz schloss ich noch meine Haustür ab, dann ging es auch schon los.
Der Marktplatz, auf dem jährlich der Weihnachtsmarkt errichtet wurde, war nur einige Seitenstraßen von unserem Apartmentkomplex entfernt, sodass wir uns die Diskussion, wer fahren durfte, ersparen konnten und einfach durch die frische Winterluft spazierten. War es zu Anfang etwas seltsam und angespannt, witzelten wir schon bald herum und beobachteten die anderen Fußgänger.
Sobald wir den Platz erreichten, stellten wir uns als aller erstes für einen schönen warmen Punsch an und bummelten dann weiter durch die Stände.
Genüsslich sog ich den unvergleichlichen Duft des vom Punsch aufsteigenden Dampfes ein und grinste zufrieden. So ließ sich der Winter doch genießen.
Auch Ryan neben mir nahm einen genüsslichen Schluck und steuerte einen kleinen Laden, der Schnitzereien verkaufte, an.
"Mein Vater hat ein ziemliches Fable für diese kleinen Figuren, schon seitdem ich fünf bin, kaufe ich ihm jedes Jahr zu Weihnachten eine."
Bei der Erwähnung seiner Familie strahlten seine Augen auf und schon fast bedächtig drehte er einen kleinen Wolf zwischen den Fingern. Die Detailtreue der Figur raubte mir den Atem und ich nahm meinerseits eine graziöse Giraffe von der Auslage.
"Das ist eine schöne Tradition. Mein Vater hat jedes Jahr etwas völlig anderes bekommen."
Ein Schmunzeln glitt über mein Gesicht, als ich mich an meine ersten selbst gestrickten Socken erinnerte, die mein Vater schließlich unter dem Weihnachtsbaum gefunden hatte. Jeden Winter hatte er sie aufs Neue ausgepackt, auch wenn die Maschen unregelmäßig waren und die Farbe der Wolle schnell ausgewaschen war.
"Na dann starte doch dieses Jahr eine Tradition". Nichts ahnend zwinkerte mir Ryan zu und deutete auf einen dickbäuchigen Weihnachtsmann. "Der wäre wirklich super für den Start."
Ein dicker Kloß bildete sich in meiner Kehle und ich schaffte es einfach nicht zu sagen, dass ich mich nie wieder um ein Geschenk bemühen musste. Das da niemand mehr war, dem ich etwas kaufen konnte.
Begeistert von seiner Idee stöberte Ryan immer weiter durch die verschiedenen Schnitzereien, bis er schließlich drei Stück unter meine Nase hielt, unter denen ich mir eine aussuchen sollte.
Unbeweglich blieb ich stehen und sah durch den Tränenschleier die Konturen der Figuren nur noch unscharf.
"Also ich denke ich nehme meinen Vater den Skorpion da mit. Irgendwie hat der es mir angetan. Unglaublich, was diese Leute aus einem Stück Holz hinbekommen, oder?"
Ich gab mein bestes die Tränen hinunterzuschlucken und doch klang meine Stimme belegt, als ich antwortete: "Ja, ich war früher ja schon glücklich, wenn ich die Rinde abschnitzen konnte, ohne mir in den Finger zu schneiden."
Durch mein komisches Verhalten aufmerksam geworden, hielt Ryan inne und musterte mich kritisch. "Alles ok mit dir?"
Ich zwang mich zu noch mehr Beherrschung und lächelte tapfer. "Klar, ich bedauere nur meine nicht vorhandene Handgeschicklichkeit. Neben solchen Kunstwerken komme ich mir immer so untalentierter vor."
Misstrauisch zog er eine Augenbraue hoch, schien jedoch zu verstehen, dass ich nicht sagen wollte was los war und ließ das Thema fallen.
"Willst du jetzt auch eine Schnitzerei kaufen?"
"Nein, nein. Das ist die Tradition von dir und deinem Vater. Ich find schon etwas Anderes."
Mein Herz krampfte sich bei den Worten zusammen. Gott, wie gerne ich doch wieder den Weihnachtsgeschenkestress hätte.
Obwohl er nicht wusste, was los war lächelte mir mein neuer Nachbar aufmunternd zu. "Okay, wir haben ja noch ein paar Stände vor uns."
Während er bei dem älteren Mann bezahlte, ließ ich meinen Blick über die Stände streifen. Ja, wir hatten noch einige vor uns.
Ich versuchte mich mit einem Schluck Punsch zu wärmen.
Als wir schließlich weite gingen, breitete sich wieder eine unbehagliche Stille zwischen uns aus. Ich hatte immer noch mit den Erinnerungen an meine Familie zu kämpfen und Ryan konnte unwissend wie er war, natürlich nicht ahnen was mich bedrückte.
Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und lief zum nächst besten Schmuckstand den ich fand, um vorzugaukeln, mich für die Ketten und Ringe zu interessieren.
Ohne einen Kommentar folgte er mir.
Eingehend betrachtete ich die verschiedenen Steine, die in die Ringe eingelassen waren, als könnten sie mir eine Antwort liefern, wie ich diese unbehagliche Situation beenden konnte. Aber natürlich begannen sie nicht plötzlich mit mir zu sprechen.
Schlussendlich blieb mein Blick an einer fein gearbeiteten Silberkette hängen, deren Anhänger aus einer funkelnden Schneeflocke bestand.
Unterdrückt kicherte ich ohne es verhindern zu können.
Gott wie kitischig. Meine Mutter hätte sie geliebt.
Bevor ich es bewusst lenkte, strich ich schon vorsichtig über die kleinen Strasssteine.
Mom hatte schon immer alles übertrieben Funkelndes schön gefunden.
Ryans tiefe Stimme erklang direkt neben mir.
"Gefällt sie dir."
Ich blickte zu ihm auf und lächelte sanft. "Nein, eigentlich ist das gar nicht mein Geschmack, aber meine Mutter würde sie mögen." Wenn sie noch hier wäre.
Gedankenverloren starrte ich wieder auf den Anhänger und drehte ihn zwischen den Fingern.
"Entschuldigung, wir würden gerne die Kette kaufen."
Erstaunt riss ich den Kopf nach oben und registrierte Ryan, der sich zur Verkäuferin vorgelehnt hatte, die mit einem sympathischen Lächeln nickte.
"Dürfte ich?", fragte sie zaghaft und deutete auf die Kette, sodass ich augenblicklich die Hand zurückzog.
"Aber, aber...", mehr als ein Stottern bekam ich nicht zusammen.
"Wenn sie deiner Mutter gefällt, nehmen wir sie natürlich mit." Aufmunternd stieß er mich leicht an der Schulter und lächelte entwaffnend.
Trotzdem beobachtete ich zweifelnd die Verkäuferin, wie sie die Kette in einem kleinen Papiertütchen verschwinden ließ.
Jetzt wäre wohl definitiv der Zeitpunkt, zu erzählen, dass meine Eltern nicht mehr lebten. Doch meine Lippen wollten sich einfach nicht bewegen und so streckte ich der jungen Frau einen zehn Euro schein hin, als sie schließlich den Preis nannte.
Meine Hand umklammerte dien Flockenanhänger durch die Tüte hindurch.
Was sollte ich damit denn jetzt anfangen?!
Ein Blick in Ryans herzliches Gesicht ließen mich den Schmuck schließlich mit einem leisen Seufzen einstecken.
Vielleicht war es ja ganz schön, ein Andenken an meine Mutter zu haben...
Nur langsam kehrte die lockere Stimmung im Verlaufe des Tages wieder zurück, doch als wir wieder auf dem Rückweg nach Hause waren, scherzten wir wieder über eine Frau, die in ihrer Winterjacke unterging, als würde nicht sie die Jacke, sondern die Jacke sie tragen, als wäre nichts geschehen.
Unser Lachen wurde jedoch auf einmal von dem Klingeln eines Handys unterbrochen und Ryan fummelte fluchend sein iPhone aus der Hosentasche.
Mit einem Blick auf den Bildschirm verdüsterte sich seine Miene.
"Sorry Maggie, ein Freund hat mich gerade angeschrieben, er braucht sofort meine Hilfe. Irgendetwas mit explodierenden Küchengeräten und sprechenden Tieren, hört sich auf jeden Fall sehr dringend an."
Er warf mir einen entschuldigenden Blick zu, dem ich traurig auswich. Ich hatte eigentlich gehofft, wieder einen gemütlichen Abend mit ihm verbringen zu können. Mir machte seine Gesellschaft wirklich Spaß.
"Ähm, ja klar, ist ja kein Problem, ich bin ja gleich zu Hause."
Flüchtig warf ich ihm ein Lächeln zu und machte mich schon dran mich umzudrehen und weiter zu gehen, als er mich plötzlich am Handgelenk zurückhielt. "Nein warte! Mir hat das heute echt Spaß gemacht und ich würde es gerne anders ausklingen lassen, als mit einem schnellen Abschied auf der Straße. Hättest du vielleicht Lust mitzukommen? Robbie hat sicherlich nichts dagegen und für mich hat es sich so angehört als wäre weibliche Hilfe angebracht."
Ein charmantes Lächeln verzog seine Lippen und obwohl ich auch nicht so auseinander gehen wollte zögerte ich.
"Ich weiß nicht, er kennt mich doch gar nicht...", ich wand mich unter seinen bittenden Blick. "Und solangsam ist es wirklich kalt..."
Ryan unterbrach mich, indem er mich plötzlich losließ, um seine Mütze abzuziehen und sie mir vorsichtig überzustülpen.
"So das wäre dann ja erledigt. Kommst du jetzt?" Herausfordernd grinste er mich an und zupfte die Mütze noch etwas zurecht.
Ich merkte wie mein Widerstand nach ließ, bei seinen Fingern die immer wieder unabsichtlich über meine Haut fuhren.
"Okay, aber dafür schuldest du mir einen heißen Kakao!"
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