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Isabelles für die meisten Stadtmenschen wohl kleine Schule lag auf einer gepflasterten Steinfläche. In dem Backsteingebäude, umwachsen von hohem Efeu und Weinreben, gingen sowohl Erstklässler als auch die Schüler der höheren Klassen ein und aus. Isabelle seufzte und fuhr sich verlegen am Kinn entlang, als sie die Jungs aus ihrer Klasse zu ihr hinüberschauen und kichern sah.
Das Mädchen hatte dunkle Haut, die wegen einer Pigmentstörung von farblosen Flecken übersät war. Die anderen hänselten sie häufig deshalb, oft musste sie sich dumme Sprüche von ihnen anhören. Georg Davidson, ihr Vater, war derjenige, der Isabelle immer Mut machte. Sie rief sich seinen typischen Motivationsspruch ,,Du bist eben ein Unikat!" ins Gedächtnis. Neuen Stolz fassend, richtete sie sich jetzt auf, griff unter die Träger ihres Rucksacks und schritt durch den mächtigen Torbogen.
Da kam auch schon ihre beste Freundin Esther strahlend auf sie zugerannt...
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Isabelle hielt auf dem Weg gesammelte Zweige und Kräuter in der Hand, als sie gegen drei Uhr am Nachmittag die Lichtung, auf der ihr Heim lag, betrat. Es war etwas wärmer geworden, deshalb trug sie ihre Jacke offen. ,,Hallo ihr zwei Süßen", begrüßte Isabelle ihre Kaninchen, als sie am geräumigen Stall ankam und sich daneben hinhockte. Sie schob den Riegel der Dachluke hoch, durch welche sie sie immer fütterte und legte das Gesammelte hinein. Dann setzte sie ihre beiden Schützlinge in das den Stall umgebende Außengehege. Es war eine Art Spielplatz für Mimi und Lou mit vielen Baumstümpfen, Ästen und Verstecken.
Beim Ausmisten ihres Stalls beobachtete Isabelle die beiden Kaninchen, wie sie übermütig über die Wiese hoppelten. Danach ließ sie sich auf einem etwas höheren Baumstumpf nieder, um sich auszuruhen. Ihr Blick verlor sich in den Wolken, die in allen möglichen Formen am Himmel dahin tanzten. Ach, wie konnte das Leben schön sein!
,,Tschüss, meine beiden!", verabschiedete sie sich bald liebevoll und strich Mimi und Lou jeweils einmal vorsichtig übers Fell, bevor sie im Haus verschwand. Dort wendete ihr Vater gerade das Gemüse auf dem Herd. ,,Hallo Papa." ,,Hallo", lächelte Herr Davidson. ,,Wie war Schule?'' Isabelle ließ sich auf einem Küchenstuhl nieder. ,,Okay. Ich bin gespannt auf die Theateraufführung morgen!" Nachdenklich starrte das Kind aus dem Fenster. Ihr Vater riss Isabelle aus ihren Gedanken, als er sie bat: ,,Magst du schon mal den Tisch decken?"
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Isabelle streifte durch den friedlichen Wald. Ein Reh kreuzte ihren Weg, und Esther brach plötzlich in ihre Erinnerung ein. Die Zwölfjährige war auf dem Schulweg, die Sonne schaute zögerlich am Horizont hervor. Ihre beste Freundin würde über die Ferien nach Thailand fliegen, die ganzen drei Wochen würde sie dort bleiben. Komischerweise schien sie sich darüber zu freuen... Isabelle tat es ihr keineswegs gleich, denn sie hing sehr an Esther. Entweder wusste diese das nicht, oder sie blendete es einfach aus... ,,Vielleicht finde ich ja eine schöne Beschäftigung'', sagte eine optimistische Stimme in ihrem Kopf.
Sie hatte es kaum wahrgenommen, aber sie war schon fast an der Schule angekommen! Als sie durch den bewachsenen Torbogen auf den steinernen Schulhof trat, herrschte dort reges Treiben. Schüler aller Altersklassen standen in Trauben auf dem Hof und unterhielten sich aufgeregt über die anstehende Theateraufführung und über ihre Pläne für die Ferien.
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Wenig später assistierte sie den Schauspielern beim Ankleiden und beim Einüben ihrer Texte, denn sie half ausschließlich hinter den Kulissen. Schon allein die Vorstellung, auf der großen Bühne vor den ganzen Eltern, die gekommen waren, zu stehen und von hunderten Augen beim Schauspielern angestarrt zu werden, klang für sie nicht sonderlich begeisternd und bereitete ihr schwitzige Hände. Esther hatte beim Nähen der Kostüme mitgewirkt. Heute sollte sie für Ordnung in der Ankleidekabine sorgen. Isabelle warf ihrer Freundin einen verstohlenen Blick zu. ,,Ich werde dich vermissen...", gestand sie kaum hörbar. ,,Ich dich doch auch! Aber ich glaube, ich werde dafür kaum Zeit haben", lachte Esther. Isabelle zwang sich mühsam ein unbeholfenes Lächeln auf die Lippen und machte sich schnell daran, einer Mitschülerin das Kleid zuzuknöpfen.
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Nach der knapp zweistündigen Aufführung zum Thema ,,Weihnachten in anderen Ländern" räumten alle gemeinsam in hastigem Tempo auf, um schnellstmöglich die Ferien zu eröffnen.
Die beiden Freundinnen standen wenig später auf dem Schulhof, um sich von einander zu verabschieden. ,,Viel Spaß in Thailand", seufzte Isabelle, als Lars, ein Junge aus ihrer Klasse, vorbeiging und spottete: ,,Seht, seht: Unser Kuhmädchen und ihre Freundin nehmen Abschied!" Dabei setzte er einen gespielten Hundeblick auf und krümmte sich anschließend zusammen mit seinen Kumpels vor schadenfrohem Lachen. Esthers Wut sammelte sich in ihrer geballten Faust, als sie zurückgab: ,,Ach, halt doch die Klappe, Doofmann!" Lars äffte sie in einiger Entfernung nach. Isabelle stand die ganze Zeit über mit gesenktem Kopf neben ihrer Freundin. Aufmunternd strich diese ihr über die Schulter. ,,Ich muss los." Esther umarmte sie. ,,Tschüss! Und sei nicht so traurig. Kopf hoch!", rief sie zum Abschied. ,,Tschüss", murmelte Isabelle betrübt.
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