Sieh

POV: Patrick

Ich habe ihn gesehen. Schon viel früher als er es bemerkt hat.

Ich muss grinsen, während ich am Waschbecken stehe und das Wasser schaufelweise in mein verheultes Gesicht klatsche. Robin wird gleich da sein, und ich will nicht, dass sie mich schon wieder so sieht.

Ich hab gesehen, wie Manuel aufgesprungen ist, um das Licht auszuschalten. Als würde ihn das nicht noch mehr wie einen Stalker aussehen lassen. Und ich hab ihn vorher gesehen, bevor ich mich mit dem Rücken an der Tür niedergelassen habe.

Ein Teil von mir war natürlich geschockt davon, beoachtet zu werden. Aber mittlerweile kann ich mir erklären, warum ich trotzdem so lächeln musste, als ich ihn gesehen habe.

Es war befriedigend, zu wissen, dass er mir beim Heulen zuschaut.

Versteht mich nicht falsch, aus dem pubertären Mitleidsdrang bin ich schon länger raus. Soweit ich mich selbst verstehe, will ich nicht bedauert werden. Ich will gesehen werden. Und wenn Manuel es durchs Fenster gesehen hat, heimlich, dann muss er tun als wüsste er es nicht. Das hat etwas befreiendes. Etwas in mir regt sich. Ich darf ihm alles zeigen, und wenn er es durchs Fenster sieht, muss er tun, als hätte er es nie gesehen. Die unschönste Version von mir.

Unsere Türklingel ist kaputt und summt nicht mehr richtig. Sie ächzt nur müde. Bevor ich Robin hereinlasse, kontrolliere ich meine Wangen auf rote Flecken. Sie ist gut gelaunt.

Bei jedem Satz, den sie spricht, bin ich ein bisschen unkonzentrierter. In mir hocken noch die Befriedigung, dass Manuel mich heulen gesehen hat, und die Unruhe, dass er vielleicht immer noch guckt. Ich wage einen kurzen Blick rüber, aber das Licht ist noch immer ausgeschaltet, und ich kann nicht erkennen, ob da jemand vor dem Fenster sitzt oder nicht. Vielleicht genau der Effekt, den er wollte.

Robin küsst mich in der Zimmermitte, und wie aus Reflex lasse ich die Finger unter den Saum ihres Shirts tanzen. An jeder meiner Fingerspitzen spüre ich das Brennen von Manuels Blick. Ich nehme die Hände wieder weg und lege sie stattdessen auf ihre Hüften, wie beim Abiballtanzen in der Schule. Robin lächelt in den Kuss.

"Dir geht es besser", stellt sie fest, und ich nicke. Natürlich hat sie gemerkt, dass es mir schlecht ging. Das tut sie immer. "Danke, dass du da warst."

Sie boxt mir auf den Oberarm. "Dafür bedankt man sich nicht, nicht bei seiner Freundin. Du sollst dich hier sicher fühlen."

Sicher. Ich erinnere mich, wie Manuel das beschrieben hat. "Langzeitgefangenschaft klingt nach Sicherheit. Du findest Zugehörigkeit bei den Spießern". Die Art, wie ich seinen Blick spüre, verändert sich. Er hält mich für einen Dorfkind-Spießer. Wahrscheinlich auch für religiös. Und meine und Robins Beziehung hält er für das, was man nimmt, wenn man nichts Anderes kriegen kann. Meine Hände wandern zurück unter Robins Shirt, diesmal weiter nach oben, bis zu den Kurven verletzlicher Haut unter ihren Brüsten.

Ich spüre, dass er hinguckt.

"Schau", denke ich. "Schau. Hättest du das gedacht?"

Ich weiß, dass es keinen Sinn ergibt, zu tun, was ich gerade tue. Aber wenn er weggucken will, kann er weggucken. Er sollte weggucken. Er wird nicht weggucken.

Es rauscht in meinen Adern, als ich Robin zu meinem Bett leite. Ich kann nicht genau sagen, wie viel davon man vom Fenster aus sieht, aber es ist weder alles noch nichts.

Sie streckt mir ihren nackten Hals entgegen. Ich gebe ihr die Küsse, die sie verlangt, bis sie mir den Gefallen tut, mir dabei zu helfen, ihre Hose abzulegen.

Als unsere Körper nackt und verschlungen in meinem Bett liegen, bereue ich es. Manuel sieht nicht nur mich, er sieht auch Robin. Und ich hätte sie da nicht mit reinziehen dürfen. Aber es ist zu spät, um die Sache zu beenden, also versuche ich, nicht daran zu denken, bis Robin befriedigt aussieht. Dann zwinge ich mich, zu kommen, und atme weiter, als sie wieder bedeckt ist.


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