Ende


POV: Patrick

Die Ferien neigen sich dem Ende zu. Es ist Januar, und wir tragen zwei Wollpullover übereinander unter unseren Jacken. Wir haben noch vier Tage übrig, dann beginnt die zweite Hälfte unseres vorletzten Schuljahres. Mein Kopf liegt auf Manus Schulter, und meine Beine baumeln über den Rand der Klippe herunter. Unter uns schlägt das Meer gegen die Steine. Der schwere Geruch der Feuerwerke von gestern wabert an uns vorbei.

Dass ich mich von Robin getrennt habe, ist zwei Wochen her. Mittlerweile können wir im Flur aneinander vorbeigehen, ohne dass es sich anfühlt, als würden wir uns gleich wieder anschreien. Vielleicht hilft es ihr, dass sich im Dorf herumgesprochen hat, dass ich schwul bin. Ob das stimmt weiß ich nicht. Aber im Moment ist es mir auch nicht wichtig. Dieses ganze Bild von mir in den Köpfen Anderer... Ich glaube, ich hatte nie so viel Kontrolle darüber wie ich dachte. Es loszulassen bringt etwas in mir in Ruhe, von dem ich nie wusste, wie sehr es gezittert hat.

Ganz vergeben wird Robin mir nie. Manu vermutlich auch nicht. Aber das ist okay. Sie und ich werden uns irgendwann trotzdem vertragen, und er kann mich lieben, ohne mich für perfekt zu halten.

Wir haben den Rest der ersten Ferienwoche bei seinen Brüdern verbracht. Nach und nach finden sie den Weg auf die Beine zurück. Manus Familie nimmt Neue so problemlos an, dass ich mich da schnell zugehöriger gefühlt habe als bei meinen eigenen Eltern. Wir haben gemeinsam für Silvester dekoriert, auf der Wiese hinter dem Parkplatz alte Brombeerranken zurückgeschnitten und spätabends Fußball im Schnee gespielt. Sogar versucht, den viel zu niedrigen Hügel zum Schlittenfahren zu nutzen. Irgendwann, ohne dass wir etwas sagen mussten, haben die Anderen verstanden, dass wir ein Paar sind. Manu hat die darauf folgenden Ärgereien seiner Brüder stoisch ertragen, und auch wenn ich mich zurückhalten musste, um ihn nicht zu verteidigen, verstehe ich, dass es nie böse gemeint war. Wenn das Schuljahr wieder anfängt, wird Manus Mutter für eine Woche zu Hannah ziehen. Ihre Söhne brauchen sie nicht mehr ständig, und sie braucht dringend eine Pause.

Danach waren wir drei Tage in Weimar. Eine billige, hübsche Jugendherberge, Parks, Unmengen verwinkelter, vollgestopfter Buchläden, wir beide, als Pärchen, in völliger Selbstverständlichkeit. Mit ineinander verschränkten Fingern durch Museen schlendern, küssen, nebeneinander einschlafen und aufwachen, gemeinsam Frühstücken, liebe Worte austauschen, ohne dass da Angst hinter lauert. Es war so schön, dass ich innerlich noch in Jahren von der Wärme werde zehren können, die es mir gegeben hat.

Jetzt sind wir wieder hier. Meine Eltern sind getrennt, und ich verbringe den Großteil meines Tages nebenan bei Hannah. Manu wird die zwölfte Klasse in Shaftsbourne fertig machen. Danach sehen wir weiter. Aber auch wenn er zurück nach Essen zieht, wird es okay sein. Wir werden uns in den Ferien sehen können, und an den Wochenenden. Heimlich träumen wir beide davon, gemeinsam auf ein Internat zu können, keine unserer beiden Familien ertragen zu müssen und unsere Noten im letzten Abijahr noch einmal nach oben zu ziehen. Aber das ist teuer, und ob es möglich sein wird ist ungewiss. Vielleicht stellen wir beide heimliche Recherchen zu Stipendien an.

"Mir wird kalt." Manus Stimme ist kratzig von der trockenen Luft, und mit einem leichten Zucken seiner Schultern schiebt er meinen Kopf von sich herunter.

"Willst du nicht mehr runter zum Strand?", frage ich, während ich ihn kurz enger an mich ziehe, um ihm einen Kuss auf die Schläfe zu drücken.

Er schüttelt den Kopf. "Hannah hat gekocht. Wenn wir jetzt zurückgehen, kriegen wir noch was Warmes ab."

Ein Argument, dem ich mich nur schwer widersetzen kann. Matschige Schneereste knirschen unter unseren Schuhen. Unser Atem bleibt in der Luft stehen. Ich halte an, lege den Kopf in den Nacken und atme aus. Wärme steht wie eine Säule über meinem offenen Mund. Manus Arme schlingen sich von hinten um meine Hüften. Sein Kinn setzt sich auf meiner Schulter ab.

Mein Kopf macht ein Foto. Jeder meiner Sinne speichert seinen Eindruck ab.

Ich bin siebzehn. Ich bin jung, und ich lerne, wie leben geht. Ich war ein Lügner und werde etwas Anderes sein. Ich bin getrennt. Ich bin verlassen. Ich bin verliebt.

Ich werde nicht immer da sein. In den Leben der Anderen. Ich werde im Hintergrund vorüberziehen, für die meisten. Ich bin ein Ex-Freund, ein alter Bekannter, ein Sohn, ein Mitschüler, ein NPC, ich bin unwichtig as fuck. Keine Waage, keine Basis, keine Stütze in jedem Leben, das mir begegnet.

Ich bin verzichtbar.

Ich lerne, unperfekt zu sein. Ich lerne, meine Wahrheit zu leben, auch wenn Konflikte ein Teil von ihr sind. Ich bin jung, und ich lerne, wie leben geht.

Ich habe eine Zukunft.

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